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  • · Fachbeitrag · Corona-Krise

    COVID-19-Recht: Die Gutschein-Lösung für Veranstalter

    von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP

    | Von der COVID-19-Pandemie sind einige Branchen ganz besonders hart getroffen. Das gilt insbesondere für Veranstalter aller Art, etwa in den Bereichen Musik, Kultur, Sport oder bei sonstigen Freizeitveranstaltungen. Gleiches gilt für Einrichtungen wie etwa Museen, Freizeitparks oder Theater. Zahllose Konzerte, Festivals, Theatervorstellungen, Filmvorführungen, Lesungen, Sportwettkämpfe oder Kurse wurden abgesagt und auch heute noch ist die ganze Branche weit von einer früher gekannten Normalität entfernt. Absagen im sechsstelligen Bereich, Milliarden an Einnahmeverlusten: Die Bundesregierung entschloss sich, zu handeln, um dem Untergang der ganzen Branche entgegenzutreten. |

     

    Zwangskredit statt Zuschüssen

    Geld floss in diesem Bereich spärlich, verglichen mit dem, was ansonsten vom Staat übernommen wurde. Ein Soforthilfeprogramm mit 5,4 Mio. EUR für freie Orchester und Ensembles, 10 Mio. EUR für Museen, 5 Mio. EUR für Programmkinos und ein paar weitere. Statt eigener Zahlungen beschloss die Bundesregierung dieses Mal, lieber die Kunden an der Finanzierung der Corona-Lasten zu beteiligen, durch einen Zwangskredit.

     

    Das Gesetz, das schließlich dabei herauskam, ist das zweite „Abmilderungsgesetz“. Das erste Gesetz dieser Serie hatte frühzeitig in der Krise das Licht der Welt erblickt: Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020 (BGBl. 2020 I, S. 569). Das zweite ist das hier vorzustellende Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 15.5.2020 (BGBl. 2020 I, S. 948). Es wird nicht das letzte Gesetz dieser Art sein. Während dieser Beitrag gedruckt wird, wird schon der Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Pauschalreisevertragsrecht in den Parlamenten beraten (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucksache 293/20).

     

    Erweiterung des Art. 240 EGBGB

    Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) soll hier nur in seinem ersten Artikel interessieren, der „Gutschein-Lösung“ im Veranstaltungsbereich. Art. 1a wurde erst spät im Gesetzgebungsverfahren eingefügt und sorgt im Ergebnis dafür, dass für Europäische Aktiengesellschaften (SE) und Europäische Genossenschaften vergleichbare Erleichterungen Anwendung finden wie nach dem Abmilderungsgesetz vom 27.3.2020 für ihre deutschen Pendants.

     

    Als Regelungsort der Gutschein-Lösung wurde Art. 240 EGBGB gewählt. In diesem Artikel sammelt der Gesetzgeber derzeit die wesentlichen Sonderregeln zu COVID-19 im Zivil- und Strafverfahrensrecht, angefangen mit dem Moratorium für Leistungspflichten aus Dauerschuldverhältnissen (§ 1) über die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (§ 2), Regelungen zum Darlehensrecht (§ 3) bis hin ‒ nun ‒ zum Gutschein für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen (§ 5). Der Text der neuen Norm lautet wie folgt:

     

    • § 5 Gutschein für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen
    • (1) Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8.3.2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Umfasst eine solche Eintrittskarte oder sonstige Berechtigung die Teilnahme an mehreren Freizeitveranstaltungen und konnte oder kann nur ein Teil dieser Veranstaltungen stattfinden, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einen Gutschein in Höhe des Wertes des nicht genutzten Teils zu übergeben.

     

    • (2) Soweit eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist der Betreiber berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8.3.2020 erworbenen Nutzungsberechtigung anstelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.
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    • (3) Der Wert des Gutscheins muss den gesamten Eintrittspreis oder das gesamte sonstige Entgelt einschließlich etwaiger Vorverkaufsgebühren umfassen. Für die Ausstellung und Übersendung des Gutscheins dürfen keine Kosten in Rechnung gestellt werden.
    • (4) Aus dem Gutschein muss sich ergeben,
    • 1. dass dieser wegen der COVID-19-Pandemie ausgestellt wurde und
    • 2. dass der Inhaber des Gutscheins die Auszahlung des Wertes des Gutscheins unter einer der in Abs. 5 genannten Voraussetzungen verlangen kann.

     

    • (5) Der Inhaber eines nach Abs. 1 oder 2 ausgestellten Gutscheins kann von dem Veranstalter oder Betreiber die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen, wenn
    • 1. der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist oder
    • 2. er den Gutschein bis zum 31.12.2021 nicht eingelöst hat.
     

    Absage von Freizeitveranstaltungen

    Das Gesetz regelt ausschließlich Freizeitveranstaltungen. Wird ein Event abgesagt, das in einen beruflichen Kontext gehört, gilt also das bisherige Recht: Bei Ausfall von Veranstaltungen muss der Ticketpreis zurückerstattet werden. Diese Ungleichbehandlung leuchtet nicht unbedingt ein, weil z. B. Sprachkurse sowohl für einen beruflichen (dann Rückzahlung) als auch für einen privaten (dann Gutschein) Zweck durchgeführt werden. Sie beruht indes auf einer klaren Entscheidung des Gesetzgebers.

     

    Bei Absage wegen Corona wäre normalerweise die Rückerstattung des bereits geleisteten Eintrittspreises die gesetzliche Folge. Dem Teilnahmeberechtigten steht ein Rücktrittsrecht zu, weil die Veranstalter die geschuldete Leistung, nämlich die Durchführung der Veranstaltung im angekündigten Rahmen und zu der angekündigten Zeit, z. B. aufgrund öffentlich-rechtlicher Verbote nicht erbringen konnten oder können und die Leistung demnach unmöglich geworden ist (§ 275, § 326 Abs. 1, 4 i. V. m. § 346 Abs. 1 BGB). Auch der Veranstalter kann vom Vertrag wegen der eingetretenen Unmöglichkeit zurücktreten.

     

    Wahlrecht des Veranstalters

    Fällt eine Freizeitveranstaltung aus, so ist der Veranstalter berechtigt, anstelle der sofortigen Rückerstattung einen Gutschein auszuhändigen. Es handelt sich um ein einseitiges Wahlrecht. Anders als sonst im Bürgerlichen Recht, kann sich der Verbraucher gegen eine solche Umgestaltung des Vertragsinhaltes nicht wehren. Wirtschaftlich betrachtet, gibt der Verbraucher dem Veranstalter ein Zwangsdarlehen.

     

    Das wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Wie tief darf der Gesetzgeber in das Eigentum der Vertragsparteien und in deren jeweilige Vertragsautonomie eingreifen? Der Verbraucher erfährt eine deutliche Schlechterstellung durch den Tausch eines sofort zu realisierenden Geldanspruches gegen ein Stück Papier. Die Problematik wird noch erheblich verschärft, wenn in die Betrachtung die fehlende Insolvenzsicherung einbezogen wird. Um andererseits den Eingriff in die Rechte des Verbrauchers etwas zu mildern, hat der Gesetzgeber eine Zumutbarkeitsregel normiert.

     

    Wert und Inhalt des Gutscheins

    Der Wert des Gutscheins muss dem Eintrittspreis zuzüglich etwaiger Vorverkaufsgebühren entsprechen. Der Verbraucher soll also zumindest keinen Wertverlust erleiden.

     

    Auch der Inhalt des Gutscheins ist gesetzlich fixiert. So muss neben dem Wert ausdrücklich angegeben werden, dass es sich um einen Gutschein handelt, der aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie ausgegeben wird. Zudem müssen die Voraussetzungen für ein berechtigtes Auszahlungsverlangen des Kunden genannt werden.

     

    Unter zwei Voraussetzungen kann der Kunde nach Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB die Auszahlung des Gutschein-Wertes verlangen: Bei Unzumutbarkeit und bei Fristablauf.

     

    Auszahlung nach dem 31.12.2021

    Der Inhaber eines Gutscheins kann von dem Veranstalter die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen, wenn er den Gutschein bis zum 31.12.2021 nicht eingelöst hat. Das Gesetz fragt nicht danach, ob eine Einlösung möglich gewesen wäre. Der Verbraucher kann also schlicht den 31.12.2021 abwarten, selbst wenn ihm zwischendurch zahlreiche Angebote auf Teilnahme an vergleichbaren Veranstaltungen zuteil werden.

     

    Umgekehrt ist der Veranstalter aber nach dem Gesetz auch nicht dazu angehalten, überhaupt weitere Veranstaltungen anzubieten. Damit ist der Fall denkbar, dass ein Veranstalter bei Ausgabe des Gutscheins zugleich erklärt, dass er erst nach dem 31.12.2021 oder gar nicht mehr Veranstaltungen organisieren wird. In einem solchen Fall stellt sich die Zumutbarkeitsfrage. Das führt zu dem für die Anwendungspraxis schwierigsten Teil des Gesetzes.

     

    Härteklausel

    Der Verbraucher kann sofortige Auszahlung fordern, wenn „der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist“. Die Begründung des Gesetzentwurfes (Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucksache 19/18697 vom 21.4.2020, S. 8) nennt dafür zwei Beispiele:

     

    • Wenn der Inhaber einer Eintrittskarte die Veranstaltung im Rahmen einer Urlaubsreise besuchen wollte und einen Nachholtermin nur unter Aufwendung hoher Reisekosten wahrnehmen könnte

     

    • Ferner, wenn der Inhaber des Gutscheins ohne die Auszahlung des Gutscheinwerts nicht in der Lage sei, existenziell wichtige Lebenshaltungskosten wie Miet- oder Energierechnungen zu begleichen

     

    Das zuletzt genannte Beispiel muss den Verbraucher, wenn er den Auszahlungsanspruch geltend machen will, in arge Bedrängnis bringen. Soll er wirklich, um Erstattung eines Konzerttickets im Wert von 50 EUR durchzusetzen, seine existenzielle Notlage vor Gericht bloßlegen müssen? Das wurde vereinzelt während der Entstehung des Gesetzes kritisiert, aber ohne Resonanz.

     

    Die Norm stellt auf den Inhaber des Gutscheins ab. Er kann die Zahlung verlangen, sofern ihm der „Verweis“ auf den Gutschein unzumutbar ist. Das Wort „Verweis“ könnte darauf hindeuten, dass dieses Kriterium lediglich im Moment der Ausstellung des Gutscheins zu prüfen ist. Allerdings ergibt eine Betrachtung des Zusammenspiels der Absätze 4 und 5 das Gegenteil. Danach muss nämlich auf den bereits ausgestellten Gutschein die Härteklausel mit dem „Verweis“ aufgedruckt sein. Daraus folgt: Die Zumutbarkeit für den Inhaber muss während des gesamten Zeitraumes bis zum 31.12.2021 bestehen, will der Veranstalter vor einer Zahlungsforderung sicher sein.

     

    Wechsel des Inhabers

    Inhaber können wechseln. Grundsätzlich ist der Inhaber eines Tickets ebenso wenig wie der Inhaber eines Gutscheines an der Weitergabe gehindert. Daraus kann sich eine Unzumutbarkeit im Laufe der Zeit ergeben. Zuerst war es beispielsweise der einkommensstarke Familienvater und dann erfolgte die Übertragung an die studierende Tochter. Ihr könnte es jetzt nach ihrem persönlichen Lebenszuschnitt unzumutbar sein, auf das Jahresende 2021 zu erwarten, und so erwächst ihr ein Zahlungsanspruch.

     

    Die Norm schreibt einen Mindestinhalt des Gutscheins vor. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass kein zusätzlicher Inhalt möglich wäre. Es ist m. E. zulässig, dass der Veranstalter die Übertragung des Gutscheins auf andere Personen untersagt. In diesem Fall wäre der Veranstalter gegen das nachträgliche Entstehen, vielleicht sogar: das bewusste Herbeiführen einer Unzumutbarkeit abgesichert (Musterformulierungen bei Römermann, Erste Hilfe für Veranstalter, 2020).

     

    Arten der Unzumutbarkeit

    Das Gesetz erwähnt lediglich eine Unzumutbarkeit „angesichts seiner persönlichen Lebensumstände“. Allerdings stellt sich die Frage, ob das eine abschließende Regelung darstellt oder ob weitere Konstellationen denkbar sind, die zu einer Unzumutbarkeit führen.

     

    • Verkündet der Veranstalter offiziell, bis Jahresende keine Veranstaltungen mehr anzubieten, so ist die Aushändigung eines Gutscheins offenkundig sinnlos.
    • Ähnlich könnte es liegen ‒ indes wachsen die Auslegungsschwierigkeiten d‒, wenn der Veranstalter von Rockkonzerten ankündigt, künftig nur noch Händel-Opern aufführen zu wollen.
    • Eine weitere Kategorie einer Unzumutbarkeit könnte etwa in Betracht kommen, wenn die Veranstaltung nur zu einem bestimmen, festen Termin möglich war („Osterkonzert“).

     

    Zwar deckt der Wortlaut der Vorschrift keine dieser Konstellationen präzise ab, da diese Umstände jeweils nicht durch die individuellen Lebensumstände hervorgerufen werden, aber es liegt nahe, auch diese Unzumutbarkeit für relevant zu halten.

    Quelle: ID 46678294

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