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  • · Nachricht · Körperschaftsteuer

    EuGH entscheidet: Die Sanierungsklausel ist nicht europarechtswidrig

    | Der EuGH hat entschieden, dass steuerliche Verlustvorträge trotz Anteilseignerwechsels erhalten bleiben, wenn der Anteilseignerwechsel zum Zwecke einer Sanierung geschieht. Die allgemeine Regelung, dass die steuerlichen Verlustvorträge bei einem Anteilseignerwechsel anteilig oder vollständig untergehen, wird damit außer Kraft gesetzt. Die Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) im Zusammenhang mit der Behandlung von körperschaftsteuerlichen Verlustvorträgen bei Beteiligungserwerb wurde im Juni 2009 rückwirkend ab dem 1.1.2008 eingefügt. Diese Regelung war aber von der EU Kommission und dem Europäischen Gericht erster Instanz als unerlaubte Subvention als europarechtswidrig eingestuft worden. Damit war die Regelung in der Vergangenheit nicht anzuwenden. Nun aber erfolgte der Paukenschlag aus Luxemburg. |

     

    Hintergrund

    Gemäß der Sanierungsklausel darf eine Körperschaft auch im Fall eines schädlichen Beteiligungserwerbs im Sinne von § 8c Abs. 1 KStG einen Verlustvortrag vornehmen, wenn

    • der Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung der Körperschaft erfolgt,
    • das Unternehmen zum Zeitpunkt des Erwerbs zahlungsunfähig oder überschuldet oder von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bedroht ist,
    • innerhalb von 5 Jahren nach dem Beteiligungserwerb kein Branchenwechsel erfolgt, und
    • das Unternehmen zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs den Geschäftsbetrieb nicht eingestellt hatte.

     

    Die Betriebe Heitkamp BauHolding GmbH als auch die GFKL Financial Services AG befanden sich auf der von Deutschland übermittelten Liste derjenigen Unternehmen, bei denen verbindliche Auskünfte über die Anwendung der Sanierungsklausel aufgehoben worden waren. Aufgrund der Entscheidung der EU-Kommission wurde die Sanierungsklausel mit dem EU-Beitreibungsgesetz vom 13.12.2011 durch § 34 Abs. 7c S. 3 und 4 KStG a.F. (aktuell § 34 Abs. 6 S. 2 KStG) suspendiert. Die EU-Kommission vertrat in dem Beschluss vom 26.1.2011 die Auffassung, die Sanierungsklausel sei eine rechtswidrige Beihilfe. Sie forderte die Bundesrepublik Deutschland dazu auf, alle gewährten Beihilfen von den Begünstigten zurückzufordern (EU-Kommission 26.1.11, 2011/527/EU).

     

    Gegen den Beschluss der Kommission vom 26.1.2011 haben die Unternehmen Heitkamp BauHolding sowie GFKL Financial Services AG vor dem EuG erfolglos geklagt: Mit Urteilen vom 4.2.2016 (T-287/11, T-620/11) stellte das EuG zwar fest, dass die beiden Unternehmen klagebefugt und die Klagen daher zulässig seien, wies die Klagen jedoch als unbegründet zurück. Gegen diese Urteile haben die beiden Unternehmen sowie Deutschland Rechtsmittel beim EuGH eingelegt. Die Kommission hat ihrerseits Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit denen sie ihr Anliegen weiter verfolgt, dass die Klagen der beiden Unternehmen nicht erst als unbegründet, sondern bereits als unzulässig hätten abgewiesen werden müssen.

     

    Die hiergegen erhobene Klagen beim EuGH waren erfolgreich.

     

    Sachverhalt

    In dem Verfahren der Heitkamp BauHolding GmbH (HBH), dem die Bundesrepublik Deustchland beigetreten ist (C-208/16 P), begehrt der Insolvenzverwalter der HBH die Aufhebung des EuG-Urteils, soweit das Gericht darin die Klage von HBH auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission vom 26.1.2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) als unbegründet abgewiesen hat, sowie die Nichtigerklärung dieses Beschlusses.

     

    Entscheidung

    Der EuGH hat den Beschluss der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 über die staatlicher Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ für nichtig erklärt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Einstufung einer nationalen Maßnahme aus „staatliche Beihilfe“ i. S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV voraus, dass

    • es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handelt,
    • die Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen,
    • dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt wird
    • sie den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (u. a. EuGH 10.6.10, C 140/09 „Fallimento Traghetti del Mediterraneo“, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

     

    Vorliegend war entscheidend, ob die Voraussetzung eines selektiven Vorteils vorlag. In Bezug auf den selektiven Vorteil sei zu klären, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befänden. Insoweit läge eine unterschiedliche Behandlung vor, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden könne (sog. Selektivität, EuGH 21.12.16, C-20/15 P und C-21/15 P „Kommission/World Duty Free Group u. a.“, Rn. 57).

     

    Die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität erfordere in einem ersten Schritt die Bestimmung des Referenzsystems. In dieses müsse sich die betreffende Maßnahme einfügen. Ihr komme im Fall von steuerlichen Maßnahmen erhöhte Bedeutung zu, da das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur im Verhältnis zu einer „normalen“ Besteuerung festgestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne EuGH 6.9.06, C-88/03 „Portugal/Kommission“ Rn. 56 und 21.12.2016, C-524/14 P „Kommission/Hansestadt Lübeck“, Rn. 55).

     

    Diese Maßgaben habe der EuG nicht hinreichend beachtet. Der EuG habe fälschlicherweise allein die Regel des Verfalls von Verlusten als Referenzsystem im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft und die allgemeine Regel des Verlustvortrags von diesem Referenzsystem ausgenommen.

     

    Durch den Ausschluss der allgemeinen Regel des Verlustvortrags von dem im vorliegenden Fall maßgebenden Referenzsystem habe das Gericht somit dieses System zu eng definiert. Ein Fehler bei der Bestimmung des Referenzsystems, anhand dessen der selektive Charakter einer Maßnahme zu beurteilen sei, führe zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet sei.

     

    Da der selektive Charakter der streitigen Maßnahme von der Kommission anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt worden sei, sei der streitgegenständliche Beschluss für nichtig zu erklären. Der EuGH hob die Nrn. 2 und 3 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4.2.16, T-287/11 „Heitkamp BauHolding/Kommission“, auf.

     

    Erläuterungen

    Der EuGH hat mit nahezu gleich lautenden Urteilen die Rechtssachen C-209/16 P „Deutschland/Kommission“ sowie C-219/16 P „Lowell Financial Services/Kommission“ entschieden.

     

    Nunmehr gilt: Die Feststellung des EuG, dass die Klagen der beiden Unternehmen zulässig seien, bleibt bestehen. Die dagegen gerichteten Anschlussrechtsmittel der Kommission hat der EuGH zurückgewiesen. Außerdem hat der EuGH den streitigen Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt.

     

    Mit Gesetz vom 7.12.2011 (BGBl. I 2011, 2592) wurde in § 34 Abs. 6 S. 1 KStG die Nichtanwendung von § 8c Abs. 1a KStG angeordnet. § 8c Abs. 1a KStG ist damit weiterhin in Kraft. § 34 Abs. 6 S. 2 KStG sieht dessen (rückwirkende) Anwendung vor, wenn der Beschluss der Kommission seine Rechtskraft verliert, insbesondere weil eine rechtskräftige Entscheidung des EuGH den Beschluss aufhebt ‒ wie jetzt geschehen. § 8c Abs. 1a KStG ist somit wieder anzuwenden, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind (§ 34 Abs. 6 S. 4 KStG). Das Wiederinkrafttreten der Sanierungsklausel dürfte somit ohne ein (weiteres) Gesetzgebungsverfahren erfolgen.

     

    Dennoch sollte die Veröffentlichung des Urteils im Bundesgesetzblatt abgewartet werden, bevor eine auf die (aufgelebte) Sanierungsklausel aufbauende Unternehmenssanierung gestaltet wird. § 34 Abs. 6 KStG ist nicht ganz eindeutig formuliert: Das Aufleben der Sanierungsklausel erfordert nämlich nicht nur die Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses, sondern außerdem die Feststellung, dass die Sanierungsklausel keine unzulässige Beihilfe darstellt. Eine solche Feststellung ist im Tenor des EuGH-Urteils nicht zu entnehmen.

     

    Ungeklärt ist nach wie vor die Auswirkung der (Neu-)Regelung in § 8d KStG zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag zur Sanierungsklausel. Zudem sind noch die Neuregelungen zur Besteuerung von Sanierungsgewinnen und ‒ nach dem Beschluss des BVerfG vom 29.3.2017, 2 BvL 6/11 ‒ zur Behandlung von Verlustvorträgen beim Erwerb von Minderheitsbeteiligungen (25 ‒ 50 % der Anteile) zu erwarten.

     

    Fundstelle

    Quelle: ID 45412815

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