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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    Definition des mitwirkenden Gebrechens bei einer vereinbarten Leistungskürzung

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    Ein nicht mehr innerhalb der medizinischen Norm liegender, nicht altersgerecht verengter Rückenmarkkanal ist ein Gebrechen (LG Itzehoe 4.6.13, 1 S 59/12, Abruf-Nr. 133670).

     

    Sachverhalt

    Der VN war bei Glatteis ausgerutscht und auf den Rücken gestürzt. Wegen der dadurch eingetretenen Wirbelsäulenverletzung wurde er mehrfach stationär behandelt. Das dafür vereinbarte Krankenhaustagegeld hat der VR nur teilweise gezahlt. Wegen einer an den Unfallfolgen mitwirkenden Kanalspinalstenose seien die Krankenhausaufenthalte nur teilweise unfallursächlich gewesen. Das AG hat der Klage nur in Höhe von 50 Prozent der vereinbarten Höchstleistungen entsprochen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätte die Stenose in dieser Höhe bei den Unfallfolgen, einer inkompletten Querschnittssymptomatik, mitgewirkt. Die Berufung ist erfolglos geblieben.

     

    Entscheidungsgründe

    Vereinbarungsgemäß (§ 3 AUB 05) führen Krankheiten oder Gebrechen, die bei einem Unfallereignis mitgewirkt haben, entsprechend ihrem Anteil zu einer Minderung der Versicherungsleistungen, sofern der Mitwirkungsanteil zumindest 25 Prozent beträgt. Unter Krankheit in diesem Sinne ist ein regelwidriger Körperzustand zu verstehen, der ärztlicher Behandlung bedarf. Ein Gebrechen liegt bei einem von der Norm abweichenden Gesundheitszustand vor, der die Ausübung normaler Körperfunktionen jedenfalls teilweise mindert (Grimm, Nr. 3 AUB 2010, Rn. 2 m. w. N.). Nach Auffassung der Kammer ist in der besonderen Verengung des Rückenmarkkanals, die bei dem Kläger zum Zeitpunkt des Sturzes vorlag, ein Gebrechen zu sehen.

     

    Einen nicht altersgerechten degenerativen Vorschaden als mitwirkende Ursache i.S. von Nr. 3 AUB 2010 anzusehen, entspricht auch der Rechtsprechung anderer Gerichte. So hat das OLG Schleswig (VersR 95, 825) bei einer degenerativ vorgeschädigten Bandscheibe eine mitwirkende Ursache i.S. der Vorgängerregelung zu Nr. 3 AUB 2010 angenommen. Das LG Dortmund (Beck RS 10, 05936) hat in einer nicht altersgerechten degenerativen Vorschädigung im Knie ebenfalls ein mitwirkendes Gebrechen i.S. von Nr. 3 AUB 2010 gesehen. Der BGH hat zwar nicht ausdrücklich zu einem solchen Fall Stellung genommen. Er hat aber ausgeführt, dass Zustände, die im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen seien, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten (BGH VersR 09, 1525). Daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass Zustände, die sich - wie ein nicht altersgerecht verengter Rückenmarkkanal - nicht mehr im Rahmen der medizinischen Norm bewegen und zu einer Disposition für Gesundheitsstörungen führen, als Gebrechen anzusehen sind. Demgegenüber haben das OLG Hamm (NJW-RR 10, 264) und das OLG Düsseldorf (r+s 05, 300) bei einem nicht altersgerechten degenerativen Vorschaden im Kniebereich die Annahme einer mitwirkenden Ursache mit dem Argument abgelehnt, eine solche degenerative Erscheinung lasse sich weder als Krankheit noch als Gebrechen einordnen. Dies ist aus Sicht der Kammer aber unabhängig von der Frage, ob man eine nicht alterstypische degenerative Veränderung als Gebrechen oder Krankheit bewertet, schon deshalb nicht zutreffend, weil dies nicht dem auch für einen Versicherten ersichtlichen Sinn und Zweck der Regelung von Nr. 3 AUB 2010 entspricht. Denn dieser Versicherungsbedingung lässt sich aus Sicht eines verständigen VN entnehmen, dass Versicherungsschutz aus einer Unfallversicherung nur für Unfälle und deren Folgen geboten wird, nicht aber für unfallfremde Ursachen von Gesundheitsschädigungen wie Krankheiten oder konstitutionell bedingten gesundheitlichen Anomalien (BGH a.a.O.). Gerade Letzteres lag hier aber vor. Der beim Kläger vom Sachverständigen festgestellte, nicht altersgerecht verengte Rückenmarkkanal ist als eine konstitutionell bedingte gesundheitliche Anomalie anzusehen.

     

    Praxishinweis

    Die in allen Bedingungen vereinbarte Leistungskürzung wegen für die Unfallfolgen mitursächlicher Gebrechen - für die Mitwirkung am Unfall selbst ist eine Kürzung nicht vereinbart (OLG München VersR 12, 895) - beschäftigt die Rechtsprechung immer wieder (zuletzt OLG Frankfurt a.M. VK 13, 184). Das LG meint, jede nicht mehr innerhalb der medizinischen Norm liegende Abweichung (altersgerechte Abweichungen lägen stets innerhalb der Norm) müssten zur Leistungskürzung führen. Das erscheint zweifelhaft.

     

    • Vereinbarungsgemäß können (neben Krankheiten) nur Gebrechen zur Leistungskürzung führen. Ein Gebrechen liegt vor, wie der BGH bereits ausdrücklich entschieden hat (VK 10, 6 = VersR 09, 1525 Tz. 14), wenn ein abnormer Gesundheitszustand vorliegt, der eine einwandfreie Ausübung normaler körperlicher Funktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Letzteres hat das LG weder festgestellt noch kann davon ausgegangen werden. Insoweit kam eine Kürzung deshalb nicht in Betracht.

     

    • Allerdings hat der BGH (a.a.O. Tz. 15) weiter ausgeführt, dass ein Gebrechen auch vorliegt, wenn eine früher erlittene Verletzung auch ohne weitere Beschwerden zu einer Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines späteren Unfalles beigetragen hat. Danach wäre die vom LG vorgenommene Anrechnung nicht zu beanstanden. Der Hinweis des BGH ist allerdings wenig verständlich, denn er widerspricht der wenige Zeilen zuvor vorgenommenen Definition des Gebrechens. Zudem ist er ein missglücktes obiter dictum. Der BGH hatte eine Zeile zuvor festgestellt, dass der Vorunfall zur Instabilität des Knies geführt hat, was seine einwandfreie Funktion beeinträchtigt und damit auch den Begriff des Gebrechens erfüllt. Wohlmöglich hat der BGH deshalb nur ausdrücken wollen, dass ein Gebrechen keine Beschwerden voraussetzt, wogegen nichts zu erinnern wäre.

     

    • Das LG hat die Revision nicht zugelassen. Der Bevollmächtigte des VN sollte auf diese Zulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO schon wegen der erwähnten widersprüchlichen obergerichtlichen Rechtsprechung dringen, aber auch wegen der Unklarheiten des BGH-Beschlusses.
    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 205 | ID 42412104