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  • · Fachbeitrag · Zwangsräumung

    Räumungsschutz nach § 765a ZPO verhindern

    | Räumungsschutzanträge nach § 765a ZPO spielen in der gerichtlichen Praxis eine große Rolle. Angesichts der derzeitigen Wohnungsnot und hoher Mieten tragen Schuldner immer häufiger gesundheitliche Probleme und Suizidgefahr vor, um dadurch eine Räumung zumindest zeitlich aufschieben bzw. verhindern zu können. Aber auch der Einwand, dass der Wohnungsmarkt „leergefegt“ und daher trotz intensiver Suche keine adäquate Wohnung zu finden sei, wird als Argument gebracht. Der folgende Beitrag zeigt, wie Gläubiger argumentieren sollten, um dies zu vermeiden. |

    1. Zulässigkeit: Zeitliche Grenze beachten

    Räumungsschutzanträge sind nach § 765a Abs. 3 ZPO spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin beim Vollstreckungsgericht zu stellen. Ausnahme: Die Gründe, auf denen der Antrag beruht, sind erst nach diesem Zeitpunkt entstanden oder der Schuldner war ohne sein Verschulden an einem rechtzeitigen Antrag gehindert. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, muss das Vollstreckungsgericht den Antrag als unzulässig abweisen.

     

    Beachten Sie | Abzustellen ist auf die Räumungsmitteilung des Gerichtsvollziehers. Es ist daher zu klären, wann sie dem Schuldner zugestellt wurde.

    Bei der Fristberechnung ist vom festgesetzten Räumungstermin zurückzurechnen. Der festgesetzte Räumungstermin selbst zählt dabei nicht mit. Spätester Termin für den Antrag ist somit der vierzehnte Tag vor dem Tag vor dem festgesetzten Räumungstermin. Da § 765a Abs. 3 ZPO den Interessen des Gläubigers und nicht denen des Schuldners Rechnung tragen soll, rechtfertigt der Umstand, dass der späteste Termin zur Antragstellung auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, keine Verschiebung unter Verkürzung der vierzehntägigen Frist (BGH NJW 05, 1354; LG Berlin NJW-RR 93, 144).

     

    Verspätete Anträge sind ausnahmsweise in zwei alternativen Fällen zulässig:

     

    a) Später entstandene Gründe

    Sind die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden, ist der Antrag dennoch zulässig. Insoweit spielt ein Verschulden des Schuldners keine Rolle. Es ist also nicht maßgeblich, ob der Schuldner es selbst vertreten muss, dass die Gründe so spät entstanden sind.

     

    PRAXISTIPP | Hierauf sollten Gläubiger besonders achten. Denn oft lagen die Gründe für einen verspäteten Antrag des Schuldners bereits zum Zeitpunkt der zugegangenen Räumungsmitteilung vor. Insofern wäre es dem Schuldner ein Leichtes gewesen, bereits ab Mitteilung des Räumungstermins zumindest fristwahrend einen Antrag nach § 765a Abs. 1 ZPO zu stellen. Im Nachgang kann dann der Antrag begründet werden. Dass ein solches Vorgehen versäumt wurde, ist daher nicht dem Gläubiger anzulasten.

     

    b) Verhinderung des Schuldners

    Ein verspäteter Antrag ist auch zulässig, wenn der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war, also ein Grund vorliegt, der zu einer Wiedereinsetzung (§ 233 ZPO) berechtigen würde.

    Beachten Sie | In Fällen mit Grundrechtsbezug (z.B. lebensbedrohende Erkrankung, akute Suizidgefahr) ist somit auch bei Verschulden ein verspäteter Antrag zulässig. Hierzu muss der Schuldner allerdings vortragen. Der Gläubiger muss daher nicht danach nachfragen.

    2. Begründetheit: § 765a ZPO ist Ausnahmeregelung

    Die Praxis lehrt, dass selbst bei einer Zulässigkeit des Antrags die Voraussetzungen für einen Räumungsschutz oft nicht vorliegen bzw. der Schuldner sie nicht darlegt. § 765a ZPO stellt nämlich eine absolute Ausnahmeregelung (BVerfG 26.1.21, 2 BvR 1786/20) dar und ist daher sehr eng auszulegen. Insofern sind sehr strenge Bewertungsmaßstäbe anzusetzen (BGH NJW 65, 2107).

     

    Beachten Sie | Die rechtliche Position der Gläubiger ist von vornherein stärker als die des Schuldners (BVerfG NJW 79, 2607). Insofern ist ein Vollstreckungsschutz nur zu gewähren, wenn die Fortführung der Vollstreckung im Einzelfall zu einem für den Schuldner untragbaren Ergebnis führen würde. Dies setzt aber voraus, dass die Zwangsvollstreckung unter Billigung der Schutzinteressen des Gläubigers wegen besonderer Umstände eine Härte bedeuten würde, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Sittenwidrigkeit ist i. d. R. gegeben, wenn die Menschenwürde, die persönliche Freiheit oder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit tangiert sind (BVerfG, a. a. O.).

     

    Die praktischen Fälle sind daher eng begrenzt. Es werden im Rahmen von Räumungsschutzanträgen i. d. R. nur folgende Ausnahmesituationen anerkannt (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, Mietrecht, 14. Aufl., § 765a Rn. 14):

     

    • Suizidgefahr des Schuldners,
    • schwerwiegender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und
    • unmittelbar bevorstehende Niederkunft der Schuldnerin.

     

    a) Einwand: fehlender Ersatzwohnraum

    Um die Räumung zu verhindern, argumentieren Schuldner immer wieder, dass sie trotz intensiver Suche keine adäquate neue Wohnung gefunden haben. Dies liege zum einen an der Zahl der von der Räumung betroffenen Schuldner bzw. Mitbewohner (Kinder), ggf. auch an Haustieren oder daran, dass bezahlbarer Wohnraum derzeit kaum vorhanden ist. Dieses Vorbringen, vor allem das Nichtvorhandensein von Ersatzwohnraum und dadurch drohende Obdachlosigkeit, spielt im Rahmen des § 765a ZPO jedoch keine Rolle. Prüfungsvorgaben bleiben Sittenwidrigkeit bzw. unzumutbare Härte im Einzelfall.

     

    Beachten Sie | Der Räumungsrechtsstreit hat lange vor dem eigentlichen Räumungsverfahren stattgefunden ‒ oft sogar Monate bzw. Jahre. Insofern hat der Schuldner über lange Zeit Kenntnis vom Räumungsbegehren. Wenn er sich erst angesichts der drohenden Räumung mit einer „intensiven“ Wohnungssuche beschäftigt, kann dies nicht dem Gläubiger angelastet werden.

     

    b) Einwand: drohende Obdachlosigkeit

    Häufig wenden Schuldner ein, dass ihnen bei einer Zwangsräumung Obdachlosigkeit drohe. Auch dies stellt regelmäßig keinen Grund dar, die Räumung nicht durchzuführen (s. o.).

     

    c) Einwand: Suizidgefahr

    Immer wieder berufen sich Schuldner auf Suizidgefahr und legen ein ärztliches Attest vor, wonach „suizidale Handlungen nicht auszuschließen sind“. Solche Bescheinigungen stellen oft „Gefälligkeitsatteste“ dar. So soll die Räumung verhindert werden. Das Gericht muss einer konkreten Selbstmorddrohung des Schuldners nachgehen, weil das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gegenüber dem Räumungsinteresse stets Vorrang hat. Vielfach sind sich Schuldner der Tragweite eines solchen Einwands allerdings nicht bewusst.

     

    Eine Suizidgefährdung bedeutet noch nicht, dass ohne Weiteres Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden muss. Vielmehr ist eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht notwendig, wenn der Gefahr durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Vom Schuldner kann nämlich jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden (BVerfG NZM 05, 657). Insofern gilt:

     

    • Es sind zunächst Feststellungen zu treffen, ob ernsthaft mit einem Suizid des Schuldners zu rechnen ist (BGH DGVZ 13, 158).

     

    • Ist dies zu bejahen, ist zu prüfen, ob der Gefahr auf andere Weise als durch die einstweilige Einstellung der Vollstreckung wirksam begegnet werden kann, z. B. durch Einschalten der Ordnungsbehörden und des Betreuungsgerichts mit dem Ziel einer einstweiligen Unterbringung des Schuldners (BGH NJW-RR 10, 1649; BVerfG NJW-RR 12, 393; 15.5.19, 2 BvR 2425/18).

     

    Durch die Einweisung (z. B. in eine Fachklinik) ist dann i. d. R. sichergestellt, dass die Räumung vollzogen werden kann, um die Gläubigerinteressen zu wahren.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2022 | Seite 165 | ID 48502928