15.05.2025 · IWW-Abrufnummer 248104
Hessisches Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 02.05.2025 – 10 Ta 402/25
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach a. M. vom 15. April 2025 - 4 Ca 369/24 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
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I. Die Parteien streiten über die Frage, ob der Schuldnerin aufgrund besonderer Umstände Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu gewähren ist.
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Die Gläubigerin hat gegen die Schuldnerin vor dem Arbeitsgericht Offenbach a.M. mit Urteil vom 18. Dezember 2024 - 4 Ca 369/24 - einen Titel erstritten, aus dem sie die Zwangsvollstreckung betreibt. Gegen das Urteil hat sie Berufung eingelegt, das Verfahren ist derzeit beim Landesarbeitsgericht anhängig (6 SLa 56/25).
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Mit Schreiben vom 10. April 2025 hat die Schuldnerin einen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gestellt. Sie hat gemeint, es würde sie unbillig hart treffen, wenn sie im Wege der Vollstreckung die Versicherungsscheine herausgeben müsse. Durch den Obergerichtsvollzieher sei für Dienstag, den 15. April 2025 die Vollstreckung angekündigt worden. Mit der Herausgabe der Versicherungsscheine würde die Hauptsache praktisch vorweggenommen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass nicht das Amtsgericht, sondern das Arbeitsgericht für den Antrag zuständig sei. Dies folge aus den Verweisungsvorschriften in den §§ 62 Abs. 1 Satz 2 und 46 Abs. 2 ArbGG .
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Das Arbeitsgericht Offenbach hat mit Beschluss vom 15. April 2025 den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für den Antrag nach § 765a ZPO sei das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht, nicht aber das Arbeitsgericht zuständig. Gegebenenfalls könnte das Berufungsgericht nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Zwangsvollstreckung vorläufig einstellen.
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Dieser Beschluss ist der Schuldnerin am 15. April 2025 zugestellt worden. Am gleichen Tag hat sie hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hält sie an ihrer Rechtsauffassung fest, dass das Arbeitsgericht und nicht das Amtsgericht für den Antrag nach § 765a ZPO zuständig sei. Hierzu verweist sie auf unterschiedliche Fundstellen in Rechtsprechung und Literatur.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2025 der sofortigen Beschwerde unter Hinweis, dass die angegebenen Fundstellen zum Teil nicht sachlich einschlägig seien, nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
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II. Die sofortige Beschwerde ist zwar nach den §§ 793 , 569 ff. ZPO i.V.m. § 78 ArbGG zulässig, in der Sache ist sie aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und auch mit zutreffender Begründung entschieden, dass das Arbeitsgericht für einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO nicht zuständig ist.
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1. Für einen Antrag auf Vollstreckungsschutz wegen eines Verstoßes gegen gute Sitten gemäß § 765a ZPO ist dem Wortlaut nach das Vollstreckungsgericht zuständig. Gemäß § 764 Abs. 1 ZPO fungieren die Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte. Dabei handelt es sich nach § 802 ZPO um eine ausschließliche Zuständigkeit.
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2. Im Arbeitsgerichtsprozess wird hiervon durch die Regelung in § 62 ArbGG nicht abgewichen.
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a) Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG finden die Vorschriften des Achten Buchs der ZPO auf die Zwangsvollstreckung arbeitsgerichtlicher Titel grundsätzlich Anwendung. Der Verweis auf die Regeln der ZPO über die Zwangsvollstreckung ist nicht so zu verstehen, dass die dort geregelten Organe der Zwangsvollstreckung durch entsprechende Institutionen bzw. Organe der Arbeitsgerichtsbarkeit ersetzt werden(vgl. NK-ArbGG/Engel/Zimmermann 3. Aufl. § 62 Rn. 36). Nur soweit im Rahmen der Zwangsvollstreckung das Prozessgericht zuständig ist, sind die Arbeitsgerichte zuständig. Das gilt im Wesentlichen für Vollstreckungsmaßnahmen gemäß der §§ 887 bis 890 ZPO . Im Übrigen verbleibt es bei der Zuständigkeit der Amtsgerichte, z.B. wenn es um die Pfändung von Forderungen geht, darüber hinaus ist der Gerichtsvollzieher nach allgemeinen Regeln zuständig(vgl. MHdB ArbR/Pulz 5. Aufl. § 393 Rn. 5; GK-ArbGG/Vossen Stand: April 2024 § 62 Rn. 43; ErfK/Koch 25. Aufl. § 62 ArbGG Rn. 7). Das bedeutet, dass wie bei anderen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, jeweils danach zu differenzieren ist, ob das Prozess- oder das Vollstreckungsgericht zuständig ist. Da für einen Antrag nach § 765a ZPO nach allgemeinen Regeln das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständig ist, gilt dies auch, soweit es um die Vollstreckung arbeitsgerichtlicher Urteile geht(BeckOK-ZPO/Ulrici 56. Edition § 765a Rn. 7; Bendtsen in Kindl/Meller-Hannich GesZw 4. Aufl. § 765a Rn. 69). § 765a ZPO wird nach h.M. so ausgelegt, dass selbst wenn eine Zwangsvollstreckung nach den §§ 887 ff ZPO zu erfolgen hat, gleichwohl nicht das Prozessgericht, sondern immer noch das Vollstreckungsgericht über einen Antrag nach § 765a ZPO zu entscheiden hat(Vogt-Beheim 83. Aufl. § 765a Rn. 25; Müko-ZPO/Heßler 6. Aufl. § 765a Rn. 78; Kern in Stein/Jonas 23. Aufl. § 765a Rn. 34). Im vorliegenden Fall kommt es hierauf nicht an, weil es um eine Herausgabevollstreckung geht, für die funktional der Gerichtsvollzieher zuständig ist.
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b) Entgegen der Ansicht der Schuldnerin folgt die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts auch nicht aus § 62 Abs. 1 Satz 2 bis 4 ArbGG .
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Dort ist geregelt, dass das Arbeitsgericht auf Antrag des Schuldners die Vollstreckbarkeit im Urteil ausschließen oder einstellen kann, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Zwar betrifft auch § 765a ZPO einen Fall der Einstellung der Zwangsvollstreckung. Dieser Fall wird in § 62 ArbGG allerdings nicht geregelt. Es geht vielmehr zuvorderst um die Frage, ob bereits das Arbeitsgericht bei Erlass des Urteils die Zwangsvollstreckung einstellen kann. Ist ein Titel in der Welt, kann eine nachträgliche Einstellung der Zwangsvollstreckung erfolgen, wenn, wie sich aus § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG mit dem Verweis auf die §§ 707 Abs. 1 und 719 ZPO ergibt, Einspruch oder Berufung eingelegt worden ist(vgl. GK-ArbGG/Vossen Stand: April 2024 § 62 Rn. 43; GMP/Schleusener 10. Aufl. § 62 Rn. 40).
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c) Die von dem Vertreter der Schuldnerin angeführten Zitate aus der Rechtsprechung und der Literatur sind nicht einschlägig. Der zitierte Bearbeiter ist aus dem Werk GK-ArbGG längst ausgeschieden. Über die bereits durch das Arbeitsgericht erteilten Hinweise hinaus ist klarzustellen, dass auch die angegebene Fundstelle in dem Kommentar Schwab/Weth § 62 Rn. 6 die von der Schuldnerin vertretene Rechtsmeinung nicht stützt.
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Allerdings hat das LAG Schleswig-Holstein in einer älteren Entscheidung § 765a ZPO einer materiell-rechtlichen Prüfung unterzogen( LAG Schleswig-Holstein 28. Juli 2005 - 2 Ta 179/05 - BeckRS 2005, 42606). Daraus kann die Schuldnerin indes nichts für ihre Meinung herleiten. Denn das Landesarbeitsgericht hat in der Entscheidung keine Ausführungen über die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts in der ersten Instanz gemacht. Das Landesarbeitsgericht durfte auch gar nicht mehr darüber befinden, ob das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht oder das Arbeitsgericht in der ersten Instanz zuständig war. Denn nach § 17 Abs. 5 GVG entscheidet das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Der gleiche Gedanke gilt nach § 65 ArbGG für das Berufungsverfahren. Diese Entscheidung ist damit nicht geeignet, an dem hier gefundenen Ergebnis etwas zu ändern.
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Bei einer solchen Gesetzesauslegung ist der Schuldner auch nicht schutzlos gestellt. Ihm steht es nämlich frei, worauf bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG im laufenden Berufungsverfahren einen Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung im Berufungsverfahren zu stellen.
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III. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO .
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Ein gesetzlicher Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegt nach den §§ 72 Abs. 2 , 78 Satz 2 ArbGG nicht vor.