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  • 23.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226557

    Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 06.12.2021 – 12 Ta 378/21

    1. Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist der Unmöglichkeitseinwand grundsätzlich zu berücksichtigen

    2. Beruft sich der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren darauf, die Beschäftigung sei ihm unmöglich geworden, weil er nach Urteilserlass eine Organisationsentscheidung getroffen habe, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes geführt habe, kommt eine Berücksichtigung nur in Betracht, wenn diese unstreitig oder offenkundig ist.


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 20.08.2020 - 6 Ca 746/20 - abgeändert.

    Gegen die Schuldnerin wir zur Erzwingung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.06.2021, nämlich den Gläubiger als HR-Director Deutschland weiter zu beschäftigen, ein Zwangsgeld in Höhe von 19.666,- € und für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit ersatzweise für je 500,- € je einen Tag Zwangshaft, zu vollstrecken an den Geschäftsführern D., B. und C. festgesetzt.

    Die Schuldnerin hat die Kosten des Zwangsvollstreckungsverfahrens unter Einschluss des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Die Schuldnerin kann die Vollstreckung aus diesem Beschluss durch die Erfüllung abwenden.

    Wert des Beschwerdegegenstandes: 19.666,- €



    Gründe



    I. Im Hauptsacheverfahren streiten die Parteien um den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27.03.2020 außerordentlich fristlos und darüber hinaus mit Schreiben vom 28.04.2020 zum 30.04.2021. Im zugrundeliegenden Kündigungsschutzprozess stellte das Arbeitsgericht am 16.06.2021 fest, dass beide Kündigungen unwirksam sind und verurteilte die Schuldnerin, den Gläubiger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als HR-Director Deutschland weiter zu beschäftigen. Gegen diese Entscheidung hat die Schuldnerin Berufung eingelegt (15 Sa 1370/21), über die noch nicht entschieden ist. -Director



    Das Urteil wurde der Schuldnerin am 16.06.2021 zugestellt und dem Gläubiger am 02.07.2021 eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erteilt. Da die Schuldnerin den Gläubiger nicht beschäftigte, leitete er auf der Basis der abgekürzten Ausfertigung des Urteils das Zwangsvollstreckungsverfahren ein und beantragte,



    Die Schuldnerin hat beantragt,



    Sie hat eingewandt, die Beschäftigung des Gläubigers sei ihr unmöglich geworden, da die Stelle des HR-Director Deutschland ersatzlos entfallen sei. Die deutschlandweit übergeordnete Kombination der Personalleitungen sei von der Konzernzentrale in E an sich gezogen worden. Gleiches gelte für die Aufgaben des Gläubigers im Hinblick auf die Restrukturierung der Werke. Die übrigen Tätigkeiten seien den alltäglichen Personalleitern übertragen worden.



    Zugleich hat die Schuldnerin Vollstreckungsgegenklage erhoben, die vor dem Arbeitsgericht Bielefeld unter dem AZ 6 Ca 1376/21 anhängig ist.



    Nach mündlicher Verhandlung hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 20.08.2021 den Zwangsvollstreckungsantrag zurückgewiesen. Es hat gemeint, die Schuldnerin habe sich zu Recht auf den Einwand der Unmöglichkeit berufen. Es ist davon ausgegangen, dass die Schuldnerin die behauptete unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen und auch umgesetzt habe. Dem Unmöglichkeitseinwand stünden auch weder der Einwand des Rechtsmissbrauchs noch die Treuwidrigkeit entgegen.



    Gegen den ihm am 20.08.2021 zugestellten und wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug genommenen Beschluss hat der Gläubiger am 25.08.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist im Wesentlichen der Auffassung, die von der Schuldnerin angeführten Unmöglichkeitsgründe könnten nur im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden, nicht aber im Zwangsvollstreckungsverfahren.



    Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.



    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags wird auf die Prozessakte verwiesen.



    II. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 793, 567, 569 ZPO, 62 Abs. 2, 78 ArbGG). Sie ist zulässig und auch begründet.



    1. Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (Titel gem. § 62 Abs. 1 S. ArbGG, Klausel gem. § 724 Abs. 1 ZPO, Zustellung gem. § 750 Abs. 1 ZPO) sind gegeben, wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat. Der Titel ist auch bestimmt genug und ist, weil er eine nicht vertretbare Handlung betrifft, nach § 888 ZPO zu vollstrecken. Dagegen wendet sich die Schuldnerin auch nicht.



    2. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann sich die Schuldnerin jedoch nicht darauf berufen, die Beschäftigung des Gläubigers sei ihr nach Urteilserlass unmöglich geworden, weil die Stelle in Wegfall geraten sei.



    a) Grundsätzlich ist auch der Einwand der Unmöglichkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren berücksichtigungsfähig (vgl. BAG, 05.02.2020 - 10 AZB 31/19; 15.04.2009 - 3 AZB 93/08; LAG Hamm, 14.02.2009 - 7 Ta 657/08; LAG Hamm, 31.10.2016 - 12 Ta 405/16; Achmed/Horcher, NZA 2018, 1234, 1237), soweit die zugrunde liegenden Tatsachen nach Urteilerlass entstanden sind. Dies liegt auf der Hand, da niemand zu etwas gezwungen werden kann, was nicht in seiner Macht steht (vgl. LAG Hamm, 22.01.2008 - 7 Ta 10/08).) Dies kann aber letztlich nur gelten, wenn die Unmöglichkeitsgründe im Vollstreckungsverfahren unstreitig oder offenkundig sind (vgl. LAG Hessen, 06.07.2016 - 10 Ta 266/16; LAG Baden-Württemberg, 09.11.2015 - 17 Ta 23/15; Achmed/Horcher NZA 2018, 1234,1238). Steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass beispielsweise der Betriebsteil, in dem der Arbeitnehmer laut Titel zu beschäftigen ist, nicht mehr existiert oder dass der Betrieb nach Urteilserlass unstreitig stillgelegt worden ist, liegt Unmöglichkeit nach § 275 BGB vor, was die Festsetzung eines Zwangsgeldes ausschließt (vgl. BAG, 05.02.2020 - 10 AZB 31/19). Teilweise wird jedoch angenommen, das Vollstreckungsgericht müsse streitiges Vorbringen zur Unmöglichkeit durch Beweisaufnahme aufklären (sowohl LAG Hessen, 28.05.2014 - 12 Ta 104/14). Dem stehen jedoch die eingeschränkten Erkenntnis- und Beweismöglichkeiten im Vollstreckungsverfahren entgegen. Auch könnte der Arbeitgeber durch eine neue unternehmerische Entscheidung oder eine weitere Kündigung den Weiterbeschäftigungsanspruch in der Zwangsvollstreckung ohne weiteres zu Fall bringen, was den auf Art. 1 und 2 GG gestützten Weiterbeschäftigungsanspruch (BAG GS 27.02.1985 - GS 1/84) entwertete (vgl. LAG Hessen, 06.07.2016 - 10 Ta 266/16; LAG Schleswig-Holstein,11.12.2003 - 2 Ta 257/03; Achmed/Horcher NZA 2018, 1234,1237). Zudem bedarf es der Prüfung des streitigen Einwandes der Unmöglichkeit im Verfahren nach § 888 ZPO nicht, weil die Schuldnerin entweder Berufung einlegen und die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG i.V.m §§ 719, 707 ZPO beantragen oder alternativ Vollstreckungsgegenklage nach §§ 767, 769 ZPO erheben kann (zu § 767 ZPO vgl. BAG, 05.06.2018 - 10 AZR 155/18 (A)). Letzterer fehlt allerdings regelmäßig das Rechtschutzbedürfnis, wenn Berufung eingelegt worden ist (MK-ZPO/Karsten Schmidt/Brinkmann, 6. Aufl. 2020 § 767 ZPO Rn. 14).



    b) Im vorliegenden Fall kann sich die Schuldnerin nicht mit Erfolg auf die Unmöglichkeit der tenorierten vorläufigen Weiterbeschäftigung berufen.



    Die Schuldnerin behauptet, nach Urteilserlass in Abstimmung mit der Konzernmutter die Entscheidung getroffen zu haben, einen HR-Director Deutschland zukünftig nicht mehr zu beschäftigen und habe deswegen die Vertretungsgremien informiert und das Verfahren nach § 170 SGB IX eingeleitet. Obwohl der Gläubiger die unternehmerische Entscheidung ausdrücklich in Abrede gestellt hat und in einer solchen eine Umgehung der Zwangsvollstreckung sieht, hat das Arbeitsgericht alleine aus dem Umstand der Verfahrenseinleitung zu einer weiteren Kündigung den Schluss gezogen, die unternehmerische Entscheidung führe zur Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung. Dabei bleibt schon außer Acht, dass den Arbeitgeber eine gesteigerte Darlegungslast trifft, wenn die Organisationsentscheidung und die Streichung der Stelle praktisch deckungsgleich sind (vgl. BAG, 15.06.2021 - 9 AZR 217/20) und schon zweifelhaft ist, ob der Vortrag der Schuldnerin diesen Anforderungen gerecht wird. Jedenfalls ist die unternehmerische Entscheidung damit ist nicht offenkundig, sondern muss als streitiges Vorbringen im Verfahren nach § 888 ZPO unberücksichtigt bleiben. Deswegen ist die Schuldnerin auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO bzw. der Berufung zu verweisen, Erkenntnisverfahren, in denen der materiell rechtliche Einwand der Unmöglichkeit auch tatsächlich geklärt werden kann. Denn die Entscheidung der Schuldnerin, die Tätigkeiten des Gläubigers nicht mehr ausüben zu lassen, berührt grundsätzlich nicht den Bestand und die Vollstreckbarkeit des ausgeurteilten Titels. Erst wenn dieser aufgehoben oder abgeändert worden ist, kann aus dem Titel nicht mehr vollstreckt werden (vgl. LAG Hamm, 29.03.2006 - 1 Ta 883/05).



    3. Da ein Zwangsgeld bis zum 25.000,- € festzusetzen ist, scheint die Festsetzung eines Monatsgehaltes angemessen.



    Der angefochtene Beschluss war daher abzuändern. Dem Antrag des Gläubigers war zu entsprechen. Dass neben der beantragten Zwangsgeldfestsetzung ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit eine Zwangshaft festzusetzen ist, ergibt sich aus § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO.



    Die Kostenentscheidung beruht auf § 891, 91 ZPO.



    Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein Anlass.

    Vorschriften§§ 793, 567, 569 ZPO, 62 Abs. 2, 78 ArbGG, § 724 Abs. 1 ZPO, § 750 Abs. 1 ZPO, § 888 ZPO, § 275 BGB, Art. 1, 2 GG, § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG, §§ 719, 707 ZPO, §§ 767, 769 ZPO, § 170 SGB IX, § 767 ZPO, § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 891, 91 ZPO