· Fachbeitrag · Verfahrensrecht
Keine Insolvenzeröffnung bei (vorläufiger) Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Titel
von Dipl. Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
| Ein Gläubiger kann einen Insolvenzantrag grundsätzlich begründen, indem er seine Forderung anhand eines vollstreckbaren Titels, z. B. eines Endurteils, belegt. Allerdings entfällt die Beweiswirkung, wenn der Schuldner vorläufig die Einstellung der Zwangsvollstreckung erreicht hat und die Bedingungen dieser Einstellung ggf. erfüllt. So hat es jetzt der BGH entschieden. |
Relevanz der Entscheidung
Für Insolvenzgläubiger bedeutet die Entscheidung (BGH 22.5.25, IX ZB 38/24, Abruf-Nr. 249165), dass die Vollstreckbarkeit der titulierten Forderung unangefochten sein muss, um den Insolvenzantrag erfolgreich zu stützen.
Gemäß § 14 InsO muss der Gläubiger seine Forderung und das Vorliegen eines Eröffnungsgrunds (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) glaubhaft machen. Ist der Eröffnungsgrund unabhängig davon gegeben, ob die Forderung besteht, genügt die Glaubhaftmachung der Forderung durch den antragstellenden Gläubiger.
Hängt das Vorliegen des Eröffnungsgrunds dagegen von der konkreten Forderung ab und bestreitet der Schuldner substanziiert, muss der Gläubiger das Bestehen der Forderung beweisen.
Beachten Sie | Vollstreckbare Titel (z. B. Urteile) können als Beweis dienen, solange keine wirksame Einstellung der Vollstreckung vorliegt. Der Schuldner kann allerdings durch einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung die Beweiswirkung des Titels für das Insolvenzeröffnungsverfahren vorläufig ausschließen.
Die Entscheidung bringt für Insolvenzgläubiger folgende Vorteile:
- Der BGH schafft Klarheit über die Anforderungen an die Beweisführung der Forderung im Insolvenzeröffnungsverfahren. Dies schafft Rechtssicherheit und Planungssicherheit im Forderungsmanagement.
- Der Gläubiger hat das Recht, direkt Insolvenz zu beantragen und so die Handlungsfähigkeit des Schuldners einzuschränken, insbesondere, wenn ein Titel vorliegt.
- Das Insolvenzgericht prüft lediglich die Vollstreckbarkeit des Titels, geht aber materiell-rechtlich und prozessual nicht auf zweifelhafte Einwände ein. Die Verweisung des Schuldners auf den Prozessweg zur Klärung von strittigen Forderungen verhindert unnötige Insolvenzeröffnungen bei zweifelhaften Forderungen und trägt somit letztlich zur Verfahrensökonomie bei.
- Es wird verhindert, dass Schuldner durch Verfahrensmanöver eine unberechtigte Insolvenz verhindern. Dadurch besteht Schutz vor Missbrauch: Schuldner müssen daher aktiv die Vollstreckbarkeit der titulierten Forderung beseitigen.
- Allein ein darauf abzielender Antrag des Schuldners genügt allerdings nicht. Erforderlich ist vielmehr eine stattgebende Entscheidung des Prozessgerichts und gegebenenfalls die Erfüllung der darin bestimmten Voraussetzungen für die (vorläufige) Einstellung der Zwangsvollstreckung.
- Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Insolvenzmasse frühzeitig gesichert. Denn Einzelzwangsvollstreckungen können dadurch verhindert und angemeldete Forderungen kollektiv im Sinne einer gleichmäßigen Befriedigung bedient werden.
Die praktischen Handlungsempfehlungen für Insolvenzgläubiger, die ihren Insolvenzantrag ‒ insbesondere auf Basis eines Endurteils ‒ stellen möchten, lassen sich wie folgt systematisch darstellen:
- Vollstreckbarkeit sichern: Prüfen Sie vor der Antragstellung genau, ob der Forderungstitel (z. B. Endurteil) aktuell vollstreckbar ist. Wenn eine ‒ auch nur vorläufige ‒ Einstellung der Zwangsvollstreckung durch den Schuldner erwirkt wurde, entfällt für das Insolvenzgericht die Beweiswirkung des Titels und der Insolvenzantrag ist gefährdet. Folge: kostenpflichtige Zurückweisung.
- Sammeln Sie alle relevanten Nachweise: Urteile, Vollstreckungsprotokolle, Zustellungsnachweise, mögliche Widersprüche oder Einstellungen der Vollstreckung samt Begründungen sollten lückenlos vorliegen. Dokumentieren Sie auch etwaigen Schriftwechsel und Verfahrensentwicklungen.
- Beachten Sie | Für die Eröffnung des Verfahrens reicht bei streitigen Fällen die Glaubhaftmachung der Forderung nicht, der Bestand muss bewiesen werden.
- Forderungsalternativen prüfen: Sollte Ihre Hauptforderung (z. B. aus Endurteil) aktuell nicht durchsetzbar sein, prüfen Sie, ob Sie andere titulierte oder unbestrittene Forderungen einsetzen können, um den Insolvenzantrag dennoch zu begründen.
- Mitbestimmungsrechte wahrnehmen: Nutzen Sie nach Verfahrenseröffnung aktiv Ihre Rechte als Gläubiger. Nehmen Sie an Gläubigerversammlungen teil, engagieren Sie sich ggf. im Gläubigerausschuss und prüfen Sie die Möglichkeiten einer Mitgestaltung eines evtl. eingereichten Insolvenzplans.
- Halten Sie engen Kontakt zum Insolvenzverwalter und machen Sie ggf. Eigeninteressen (z. B. zur Verwertung) frühzeitig geltend. Dadurch können Sie wirtschaftliche Nachteile vermeiden oder minimieren bzw. Ihre Insolvenzquote erhöhen.
- Effiziente Forderungsanmeldung: Achten Sie auf die form- und fristgerechte Anmeldung Ihrer Forderungen im Verfahren (vgl. §§ 9, 174 f. InsO), inklusive sämtlicher Zinsen und Kosten. Klären Sie mit dem Insolvenzverwalter frühzeitig, welche Unterlagen benötigt werden und bereiten Sie diese vor.
Checkliste / Das sollten Sie prüfen und beachten | |
Prüfschritt | zu beachten |
| Liegt ein vollstreckbarer Titel, z. B. rechtskräftiges Urteil, vor? |
| Vorhandensein eines gerichtlichen Beschlusses zur (vorläufigen) Einstellung der Vollstreckung? |
| Urteil, Zwangsvollstreckungsprotokolle, ggf. Einstellungsbeschluss beifügen. |
| Liegen Insolvenzeröffnungsgründe (Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung) unabhängig vom Bestand der Forderung vor? |
| Werden Einwände erhoben bzw. Vollstreckungseinstellung beantragt? |
| Können ggf. andere, nicht bestrittene Forderungen zur Insolvenz-Antragstellung herangezogen werden? |
| Nach Verfahrenseröffnung Prüfung der Teilnahme an Gläubigerversammlung, Ausschüssen, ggf. Vorschläge für Insolvenzplan. |