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  • · Nachricht · 13b UStG

    Rechtsfolgen bei fehlerhafter Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens

    | Zu Konflikten kommt es bei der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in der Praxis immer dann, wenn die am Leistungsaustausch beteiligten Parteien zu Unrecht das Reverse-Charge-Verfahren anwenden. |

     

    Sachverhalt

    Der in Bulgarien ansässige Leistungsempfänger eines in Deutschland ansässigen leistenden Unternehmens - im Streitfall Klägerin - ging irrtümlich von der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens für selbst erbrachte Beratungsleistungen aus. Beide Beteiligten hatten nicht berücksichtigt, dass die Klägerin in Bulgarien über eine feste Niederlassung verfügte, sich daher für Zwecke der Umsatzbesteuerung in Bulgarien hätte registrieren lassen müssen, und für den von ihm erbrachten Umsatz umsatzsteuerpflichtig war. Die Steuerbehörde setzte die Umsatzsteuer daher auch gegenüber der Klägerin als Leistende fest. Zudem wurde dem Leistungsempfänger der Abzug der im Reverse-Charge-Verfahren abgeführten Umsatzsteuer als Vorsteuer versagt, weil hierfür ein nach einer nationalen Vorschrift erforderlicher Beleg nicht vorlag. Der Klägerin war es nach bulgarischem Recht untersagt, eine Rechnungsberichtigung in Gestalt einer Brutto-Fakturierung durchzuführen. Dies hatte zur Folge, dass die Klägerin die von ihr an die Finanzverwaltung gezahlte MwSt nicht von der Leistungsempfängerin erstattet bekommen konnte. Die Leistungsempfängerin wiederum hatte mangels Brutto-Fakturierung keine Vorsteuerabzugsberechtigung. Das zuständige bulgarische Gericht legte dem EuGH diverse Fragen vor, mit denen es geklärt haben wollte, auf welchem Wege die mehrfache Besteuerung desselben Umsatzes beseitigt werden könne

     

    Entscheidung

    Der EuGH führte aus, dass kein Wahlrecht besteht, bei welchem der beteiligten Unternehmer die MwSt erhoben wird. Die MwSt wird allein von dem Steuerpflichtigen geschuldet, der eine Dienstleistung erbringt, wenn diese von einer in dem Mitgliedstaat gelegenen festen Niederlassung aus erbracht wurde, in dem die MwSt geschuldet wird. Die Steuerverwaltung darf den Leistungsempfänger auch dann nicht als MwSt-Schuldner ansehen, wenn er die MwSt aufgrund der fehlerhaften Annahme, dass der Dienstleistungserbringer nicht über eine feste Niederlassung in diesem Staat verfüge, bereits entrichtet hat.

     

    Allerdings steht der Grundsatz der Neutralität einer nationalen Bestimmung entgegen, nach der die Steuerverwaltung die MwSt sowohl vom Leistungserbringer als auch Leistungsempfänger fordert (Doppelbesteuerung), ohne den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger zuzulassen. Dies gilt zumal der Klägerin auch eine nachträgliche Brutto-Fakturierung versagt war und sie deshalb endgültig mit der von ihr gezahlten MwSt belastet ist.

     

    PRAXISHINWEIS  

    • 1. In Deutschland kann es in gleichgelagerten Fällen nicht zu der vom EuGH beanstandeten „Doppelbesteuerung“ kommen. Hier sorgen die verfahrensrechtlichen Regelungen der AO (insbesondere § 174 Abs. 3 AO) dafür, dass eine doppelte Erhebung der Umsatzsteuer vermieden wird. So ist eine Berichtigung der Steuerfestsetzung beim Leistungsempfänger möglich, wenn sich herausstellt, dass die Umsatzsteuer beim Leistungserbringer zu erheben ist und umgekehrt. Außerdem hätte der Leistungserbringer nach deutschem Zivilrecht die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung (Brutto-Fakturierung), um sich die von ihm gezahlte Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger erstatten zu lassen.
    • 2. Einzuräumen ist allerdings, dass die Beteiligen mit der Zinsfolge des § 233a AO rechnen müssen. Ob die Ausführungen des EuGH zur Neutralität in den Rechtssachen weitergehend dahin zu verstehen sind, dass allein die von den Beteiligten ausgelöste - wenn auch auf einem Rechtsirrtum beruhende - tatsächliche Umsatzbesteuerung maßgebend sein soll (so Nieskens, MwStR 2015, 243), erscheint fraglich. Zwar hätte sich bei einer solchen Sicht das leidige Thema der Verzinsung nach § 233a AO in diesen Fällen erledigt. Aus einer früheren EuGH-Entscheidung (Urteil vom 06.02.2014 - Rs. C-424/12, Fatorie, MwStR 2014, 125) folgt aber, dass grundsätzlich nicht auf die wirtschaftliche Gesamtbelastung (so Nieskens aaO), sondern auf die steuerlich richtige Beurteilung der Leistungsverhältnisse abzustellen ist.
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    • 3. Die Aussage des EuGH, dass eine zusätzliche Steuerschuldnerschaft des Leistungserbringers unionsrechtlich unproblematisch ist, sofern dieser die Umsatzsteuer von seinem Leistungsempfänger erstattet bekommt, hat Bedeutung für die umstrittene Übergangsregelung des § 27 Abs. 19 UStG. Diese Norm stellt den ausgefeilten und wohl in vielen Fällen erfolgreichen Versuch des Gesetzgebers dar, den Ausfall der Steuer bei den Bauträgern dadurch zu vermeiden, dass die Steuer nachträglich vom Leistungserbringer (z.B. Handwerker) gefordert wird. Gleichzeitig wird diesem die Möglichkeit einräumt, die Steuerschuld dadurch zu erfüllen, dass er seine Forderung gegen den Leistungsempfänger an das Finanzamt abtritt. Problematisch ist die Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG insbesondere in den Fällen, in denen der angebliche zivilrechtliche Anspruch des Leistenden nicht besteht (keine Nettopreisvereinbarung) oder nicht durchsetzbar ist (z.B. wegen Verjährung oder zwischenzeitlicher Insolvenz des Leistungsempfängers). In diesen Ausnahmefällen dürfte der Grundsatz der Neutralität verletzt sein, weil der Leistungserbringer im Ergebnis endgültig mit Umsatzsteuer belastet wird.
     

    Fundstelle

    Quelle: ID 43448670