· Nachricht · §§ 356 ff. AO
Entscheidungen zu praxisrelevanten Fragen beim Rechtsbehelf
| Das FG Münster und der BFH haben sich in ihren Entscheidungen zu praxisrelevanten Fragen beim Rechtsbehelf geäußert. |
Unklare Belehrung führt zur Einjahresfrist oder zum Verfahrensmangel
Irreführende ergänzende Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrung führen zu deren Fehlerhaftigkeit und damit zur Verlängerung der Einspruchsfrist, so das FG Münster. Im entschiedenen Fall hatte die Familienkasse zwar eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, die auf die einmonatige Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs hinwies. Doch der nachfolgende Hinweis führte zu einer Mehrdeutigkeit der Belehrung. Hierdurch verkehrte sich die zuvor erteilte Rechtsbehelfsbelehrung in ihr Gegenteil. Damit war sie fehlerhaft und der Einspruch ist nach § 356 Abs. 2 AO innerhalb eines Jahres zulässig.
Nach der BFH-Rechtsprechung ist eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig, wenn sie in einer der wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint.
Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung noch andere als die notwendigen Angaben, so müssen auch diese Angaben richtig, vollständig und unmissverständlich sein. Ob das der Fall ist, bestimmt sich laut BFH danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder die ergänzenden Angaben verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zulasten der Behörde gehen. Grundsätzlich sollen laut BFH die von den Behörden verwendeten wichtigen Hinweise regelmäßig keine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung darstellen.
Im Urteilsfall war die Rechtsbehelfsbelehrung nach FG-Ansicht sehr unübersichtlich gestaltet, etwa war Satz an Satz ohne Absatz aneinandergereiht. Erst der fünfte Satz enthielt den Hinweis auf die Monatsfrist.
Im Ergebnis ergab sich insgesamt eine Mehrdeutigkeit mit der Folge, dass hierdurch die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet war. Das Urteil enthält zahlreiche Verweise auf die bisherige BFH-Rechtsprechung.
In einem weiteren Urteil zum gleichen Sachverhalt stellt das FG Münster klar, dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Gegenäußerung zu geben ist, wenn die Familienkasse einen nach ihrer Auffassung verspätet eingelegten Einspruch als unzulässig zurückweist. Zudem hat sie den Einspruchsführer im ersten Schritt auf den verspäteten Eingang hinzuweisen. Unterbleibt dies, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Denn es hat die Möglichkeit bestanden, dass die Einspruchsentscheidung nach § 127 AO anders ausgefallen wäre. Damit verstößt die Entscheidung über den Einspruch gegen den Anspruch eines Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 1 GG und stellt damit einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Das führt dann zur isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung.
Wunschgemäße Auslegung eines Einspruchs
Wird im Einspruch nur der Bescheid über Einkommen- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag genannt, ist er als lediglich gegen den Solidaritätszuschlag gerichtet anzusehen, wenn die Begründung ausschließlich auf den Soli eingeht und das Ruhen wegen eines Musterprozesses zum Solidaritätszuschlag beantragt wird. Nach dem nachträglich veröffentlichten Urteil des BFH ist die Wirksamkeit eines eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig.
Allerdings ist erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus dem Einspruchsschreiben in der Weise ergibt, dass
- der angefochtene Verwaltungsakt sich aus dem Inhalt selbst ermitteln lässt oder
- Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des FA beseitigt werden können.
Fehlt es an eindeutigen und zweifelsfreien Erklärungen des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Zu prüfen ist allerdings, ob das Einspruchsschreiben auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn es nach Wortlaut und Zweck keinen eindeutigen Inhalt hätte. Im zugrunde liegenden Fall war der Einspruch nicht eindeutig, weil in ihm gleich drei Verwaltungsakte genannt waren, während sich die nachfolgende Begründung ausschließlich auf die Festsetzung des Solidaritätszuschlags bezieht.
In einem solchen ‒ in der Praxis nicht unüblichen ‒ Fall ist gemäß § 357 Abs. 3 AO nach ständiger BFH-Rechtsprechung bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige den Einspruch einlegen will, der seinem Begehren am ehesten Erfolg verspricht.
Fundstellen
- Familienkasse: FG Münster 9.1.14, 3 K 742/13 KG,AO, astw.iww.de Abruf-Nr. 140551
- FG Münster 3 K 3794/13 Kg, astw.iww.de Abruf-Nr. 141060
- BFH 9.11.09, IV B 54/09, BFH/NV 10, 448; 29.7.98, X R 3/96, BStBl II 98, 748; 21.6.07, III R 70/06, BFH/NV 07, 2064; 26.5.10, VIII B 228/09, BFH/NV 10, 2080
- SolZ: BFH 19.8.13, X R 44/11; 8.5.08, VI R 12/05; BStBl II 09, 116