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  • 05.09.2013

    Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 20.12.2012 – 3 K 124/11

    1. Als kürzeste Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 Halbsatz 1 EStG ist eine
    nur mit dem Auto befahrbare Straßenverbindung, die die Durchfahrung eines mautpflichtigen Tunnels vorsieht, auch dann für
    die Entfernungspauschale maßgeblich, wenn der Steuerpflichtige ein Moped für die Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte nutzt, damit
    den auf der kürzesten, mautpflichtigen Strecke liegenden Tunnel nicht befahren darf und deswegen über eine deutlich längere,
    den mautpflichtigen Tunnel vermeidende Strecke zur Arbeit fährt.


    2. Die längere, mit einer deutlich längeren Fahrtzeit verbundene Strecke ist nicht deswegen offensichtlich verkehrsgünstiger
    i. S. v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG, weil der Steuerpflichtige infolge der Verwendung eines Mopeds aus
    verkehrsrechtlichen Gründen nicht die kürzeste, durch den Tunnel führende Strecke nutzen darf.


    IM NAMEN DES VOLKES


    URTEIL

    In dem Rechtsstreit


    hat der 3. Senat des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern ohne mündliche Verhandlung am


    durch die Richterin am Finanzgericht … als Einzelrichterin


    für Recht erkannt:


    Die Klage wird abgewiesen.


    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.


    Die Revision wird nicht zugelassen.


    Der Streitwert beträgt 1000,00 EUR.


    Tatbestand

    Streitig ist die Berechnung der kürzesten Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

    Im Streitjahr 2009 arbeitete der Kläger als H im … Rostock im Schichtdienst und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger
    Arbeit. Der Kläger wird mit seiner Ehefrau (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.


    Im Rahmen ihrer am 25. März 2010 im Finanzamt (FA) eingereichten … Einkommensteuererklärung für 2009 machten die Kläger für
    die Fahrten des Ehemannes … zwischen der Wohnung I. und der Arbeitsstätte am S. in Rostock Aufwendungen in Höhe von 2.008,80
    EUR (248 Tage a 27 km * 0,30 EUR) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Ehemannes geltend.
    Der Kläger nutzte für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein Moped (Typ Simson) … mit Versicherungskennzeichen.
    Die Höchstgeschwindigkeit dieses Mopeds liegt unter 60km\h.


    Im Einkommensteuerbescheid 2009 vom 14. April 2010 erkannte das FA nur Aufwendungen für Fahrten des Klägers zwischen Wohnung
    und Arbeitsstätte in Höhe von 670,00 EUR (248 Tage a 9 km* 0.30 EUR) an. Bei der Berechnung der Fahrtstrecke ging das FA davon
    aus, dass die kürzeste Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch den mautpflichtigen W. führt.


    Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 16. April 2010 im FA eingereichte Einspruch der Kläger. Zur Begründung tragen sie
    vor, dass der Kläger die längere Fahrtstrecke durch R. in Kauf nehmen müsse, weil der W. als Kraftfahrtstrasse von Mopeds
    nicht benutzt werden dürfe.


    Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 wies das FA den Einspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für
    die Bestimmung der Entfernung die kürzeste … Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte maßgebend sei. Eine andere
    als die kürzeste Straßenverbindung könne nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich
    verkehrsgünstiger sei und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt werde. Der Routenplaner
    (Via Michelin) gebe als kürzeste Strecke die Route durch den W. mit 8,5 km bei einer Fahrtzeit von 16 Minuten an. Die Strecke
    über die B 103/105/L22 … D., P. Str. …, Ü. werde mit 23 km bei einer Fahrtzeit von 45 Minuten angegeben.


    Die kürzeste Straßenverbindung sei im Streitfall somit die Tunnelstrecke. Hierbei handele es sich auch um eine Straßenverbindung
    im Sinne des Gesetzes. Dass für die Benutzung des Tunnels ein Entgelt zu entrichten sei, ändere an dieser Feststellung nichts.
    Der Einwand, dass der Kläger mit dem von ihm genutzten Moped nicht durch den Tunnel fahren könne, führe zu keiner anderen
    Beurteilung. Die Entfernungsbestimmung richte sich nach der … Straßenverbindung; sie sei unabhängig von dem Verkehrsmittel,
    das tatsächlich für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde.


    Die Kläger haben am 4. März 2011 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die von der kürzesten Straßenverbindung abweichende
    Fahrtstrecke könne dann berücksichtigt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger sei, d.h. wenn der Arbeitnehmer
    die regelmäßige Arbeitsstrecke schneller und pünktlicher erreichen könne. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall vor. Die
    längere Strecke über die B 103/105/L 22, D. D./P. Str., Ü. werde seitens des Klägers regelmäßig genutzt und sei auch verkehrsgünstiger,
    weil für den Kläger keine Möglichkeit bestehe, mit dem Moped durch den W. zu fahren. Das Moped schaffe keine Mindestgeschwindigkeit
    von 60 km/h und sei für Kraftfahrtstraßen nicht zugelassen.


    Es könne auch nicht auf den vom FA dargelegten Vergleich der Fahrtzeiten zwischen der Tunnelstrecke und der tatsächlich gefahrenen
    Strecke ankommen, da die Tunnelstrecke mit dem Moped gerade nicht befahrbar sei.


    Die Kläger beantragen,

    abweichend von dem Einkommensteuerbescheid 2009 vom 14. April 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011
    zusätzliche Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 1041,00 EUR zu berücksichtigen.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung wird auf die Gründe der Einspruchsentscheidung verwiesen.

    Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

    Dem Gericht lag zur Entscheidung 1 Band Einkommensteuerakten vor.

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung über die Klage entscheiden, denn die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung
    verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).


    Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

    Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen
    Wohnung und Arbeitsstätte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen
    ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung für jeden Arbeitstag, an dem der
    Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer in Höhe von 0,30 EUR anzusetzen.
    Gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist für die Bestimmung der Entfernung die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung
    und Arbeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich
    verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt wird.


    Die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte des Klägers im Rostocker Überseehafen ist die Straßenverbindung
    durch den W.. Diese Straßenverbindung wird lt. Routenplaner (Via Michelin) mit 8,5 km bei einer Fahrtzeit von 16 Minuten angegeben.
    Für die Berechnung der kürzesten Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstrecke ist es unerheblich, dass der Kläger die
    Straßenverbindung durch den W. mit seinem Moped nicht benutzen darf.


    Der Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG stellt nicht auf die kürzeste für den individuellen Steuerpflichtigen
    „benutzbare” Straßenverbindung ab. Vor Einführung der Entfernungspauschale hatte das Gesetz noch auf die kürzeste „benutzbare”
    Straßenverbindung abgestellt (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 4 EStG a.F.). Das frühere Tatbestandsmerkmal „benutzbar” ließ die Anerkennung
    einer anderen Wegstrecke als der kürzesten auch aus anderen Gründen zu. So war z.B. die kürzeste Wegstrecke, die über eine
    Hochbrücke führte, für einen Steuerpflichtigen, der unter Höhenangst litt, nicht benutzbar (vgl. FG Hamburg, DStRE 2003, 968).
    Aus dem Wegfall des früheren Tatbestandsmerkmals „benutzbar” ist zu schließen, dass es für die Bestimmung der kürzesten Straßenverbindung
    seit Einführung der … Entfernungspauschale auf die individuelle Benutzbarkeit dieser Straßenverbindung nicht mehr ankommt.


    Diese Auslegung ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzentwurf der damaligen Koalitionsfraktionen vom 10.
    Oktober 2000, BTDrucks 14/4242, S. 6). Hier heißt es wörtlich (BTDrucks 14/4242, S. 6):



    Nach Satz 4 ist für die Bestimmung der Entfernung bei der Entfernungspauschale die kürzeste (benutzbare) Straßenverbindung
    zwischen Wohnung und Arbeitsstätte maßgebend. Dies gilt unabhängig von dem tatsächlich benutzten Verkehrsmittel und auch für
    Fußgänger, was dem Wesen einer verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale entspricht. Ob die tatsächliche Kilometerentfernung
    bei Benutzung eines Fahrrads oder eines öffentlichen Verkehrsmittels geringer oder größer ist, spielt keine Rolle”.


    Der Kläger kann sich auch nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 4, 2. Halbsatz EStG berufen. Danach
    kann eine andere als die kürzeste Straßenverbindung zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich „verkehrsgünstiger”
    ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig benutzt wird. Das Tatbestandsmerkmal „verkehrsgünstiger” wird im Regelfall so verstanden,
    dass mit der Nutzung der anderen Straßenverbindung eine Zeitersparnis verbunden ist, es können jedoch auch andere Kriterien
    wie z.B. die Streckenführung oder Ampelschaltung die Nutzung einer anderen Straßenverbindung als „offensichtlich verkehrsgünstiger”
    rechtfertigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. Oktober 1975 – VI R 33/74 –, BStBl. II 1975, 852; BFH-Beschluss
    vom 0. April 2007 – VI B 134/06 –, BFH/NV 2007, 1309).


    Im Streitfall ist mit der Nutzung der längeren Fahrtstrecke keine Zeitersparnis verbunden. Der Kläger nutzt die längere Fahrtstrecke
    allein deshalb, weil er mit seinem Moped nicht durch den Warnowtunnel fahren darf. Diese Umstände machen jedoch die längere
    tatsächlich vom Kläger genutzte Fahrtstrecke nicht zur verkehrsgünstigeren.


    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür gem. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

    Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 4 Gerichtskostengesetz – GKG –.

    VorschriftenEStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2, EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 4

    Karrierechancen

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