05.07.2013
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 04.10.2012 – 16 K 193/12
- Zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG.
- Die abzugsfähige Vorsteuer aus der Lieferung eines Springpferdes besteht nur in Höhe des ermäßigten Steuersatzes.
- Eine direkte Berufung des Leistungsempfängers auf Art. 96, 98 MwStSystRL i.V.m. Anlage III Nr. 1 ist nicht zulässig.
- Die Regelungen der Art. 96, 98 MwStSystRL betreffen nur das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem für die Festsetzung der USt
für die Lieferung zuständigen FA und dem leistenden Unternehmer. Der Leistungsempfänger ist an diesem Steuerrechtsverhältnis
nicht beteiligt.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der abzugsfähigen Vorsteuer aus dem Mietkauf eines Pferdes im Juli 2011.
Der Kläger schloss am xx. Juli 2011 mit der A-GmbH (GmbH) einen Mietkauf-Vertrag über ein Springpferd ab. Die Vertragsparteien
vereinbarten dabei eine Bemessungsgrundlage von 65.000 € und eine Mietzeit von insgesamt 48 Monaten, die am 1. August 2011
beginnen sollte. Die Gesamtmietforderung betrug nach dem Vertrag 77.645,52 €, wobei Umsatzsteuer in Höhe von 19 v. H. berücksichtigt
wurde. Nach den allgemeinen Vertragsbedingungen der GmbH, die Vertragsbestandteil wurden, wurde zwischen den Parteien auch
ein Kaufvertrag über das Pferd unter Anrechnung der Mietraten vereinbart, wobei Einigkeit darüber bestand, dass das Eigentum
an dem Pferd mit Zahlung der letzten Mietrate auf den Kläger übergehen sollte. Der Kläger bestätigte der GmbH in einer Übernahmebestätigung
am xx. Juli 2011, dass das übernommene Pferd in einem mängelfreien, ordnungsgemäßen, funktionsfähigen und einwandfreien Zustand
übernommen habe. Die GmbH erteilte dem Kläger unter dem xx. Juli 2011 eine Rechnung über die Anschaffung des Rennpferdes,
in der die Nettoforderung mit 77.645,52 € und 19 v. H. Umsatzsteuer in Höhe von 14.752,65 € ausgewiesen wurden. Im Rahmen
seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 3. Quartal 2011 machte der Kläger diese Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend.
Der Beklagte erließ am xx. Dezember 2011 einen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 3. Quartal
2011, wobei er die geltend gemachte Vorsteuer aus dem geschilderten Sachverhalt auf 7 v. H. (entsprechend 5.435,19 €) kürzte.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Einspruch. Zur Begründung trug er vor, dass die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz
(UStG) in Verbindung mit Anlage 2 Nr. 1 a, wonach die Lieferung von Pferden dem ermäßigten Steuersatz unterliege, mit Art.
96 und 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)
in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 1 nicht vereinbar sei. Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung müsse der allgemeine
Steuersatz angewendet werden. Der Kläger berufe sich insoweit auf die Regelung in der MwStSystRL, da der nationale Gesetzgeber
diese bislang nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe.
Der Einspruch blieb erfolglos. Im Einspruchsbescheid vom xx. Juni 2012 führte der Beklagte zur Begründung aus, die GmbH habe
nach dem geltenden deutschen Umsatzsteuerrecht für die Lieferung des Pferdes lediglich 7 v. H. Umsatzsteuer geschuldet. Die
darüber hinaus in Rechnung gestellte Steuer schulde sie nach § 14 c Abs. 1 UStG, weshalb diese Steuer nicht als Vorsteuer
berücksichtigt werden könne. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Art. 167 bis 183 MwStSystRL, weil danach nur die vom
leistenden Unternehmer geschuldete oder entrichtete Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug beim Empfänger berechtige. Diese Vorgabe
habe der nationale Gesetzgeber zutreffend in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG umgesetzt. Auf Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL könne sich der
Kläger nicht unmittelbar berufen, weil diese Vorschrift nicht ihn, sondern lediglich die GmbH unmittelbar betreffe. Im Übrigen
habe der BFH bislang in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass bei einer Abweichung zwischen dem UStG und dem Europarecht
im Bereich der Steuersätze ggf. das für den Steuerpflichtigen günstigere nationale Recht vorgehe. Der Kläger könne sich daher
nicht zulasten seiner Lieferantin auf ungünstigeres Europarecht berufen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend trägt er vor, dass es den beiden Vertragsparteien unbenommen
sei, sich übereinstimmend auf die für den leistenden Unternehmer ungünstigere europäische Rechtslage zu berufen. Die Regelung
in Art. 98 MwStSystRL werde damit unmittelbar zum Bestandteil des deutschen Umsatzsteuerrechts und die ausgewiesene Umsatzsteuer
zur abzugsfähigen Vorsteuer.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuervorauszahlung für das 3. Quartal 2011 um 9.317,46 € zu mindern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner im Einspruchsbescheid geäußerten Rechtsansicht fest.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für das 3. Quartal 2011 vom xx. Dezember 2011 in der Fassung
des Einspruchsbescheids vom xx. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aus der an ihn bewirkten Lieferung der Pferdes nur ein Vorsteuerabzug in Höhe von 5.435,19
€ zu, da die Lieferung nach nationalem Recht nur der Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Eine Berufung des
Klägers auf Art. 96 und 98 MwStSystRL i. V. m. Anlage II Nr. 1 mit dem Ziel, die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer mit dem
allgemeinen Steuersatz als Vorsteuer abziehen zu können, ist nicht zulässig.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. d. § 14, 14 a UStG gesondert ausgewiesene
Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind,
als Vorsteuerbeträge abziehen. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist der Wortlaut der Norm dahingehend einzuschränken, dass
als Vorsteuer nur eine für den berechneten Umsatz vom Leistenden geschuldete Steuer abgezogen werden darf. Wird eine Steuer
für einen Umsatz vom leistenden Unternehmer geschuldet, statt der geschuldeten Steuer aber eine höhere Steuer ausgewiesen,
steht dem Leistungsempfänger der darin enthaltene gesetzlich geschuldete Betrag für den Vorsteuerabzug zu. Die Höhe des Vorsteuerabzugs
ergibt sich in diesem Fall nicht durch das herausrechnen des ermäßigten Steuersatzes aus dem in der Rechnung ausgewiesenen
Bruttobetrag, sondern auf der Grundlage der in der Rechnung ausgewiesenen und damit die Bemessungsgrundlage bildenden Nettobetrag.
Ein darüber hinausgehender Vorsteuerabzug kann dem Leistungsempfänger im Steuerfestsetzungsverfahren nicht aus Billigkeitsgründen
unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes bei unrichtigem Steuerausweis zugesprochen werden (Bundesfinanzhof – BFH
-, Urteil vom 19. November 2009 V R 41/08, BFH/NV 2010, 562 = Juris Rdnr. 16 – 18 m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Kläger unter Berücksichtigung des nationalen Rechts – was zwischen den
Beteiligten auch unstreitig ist – nur ein Vorsteuerabzug unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu, weil die Lieferung
der GmbH der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anlage 2 Nr. 1 a unterfällt. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 12. Mai 2011 C-453/09 (BFH/NV 2011, 1276) ist diese Vorschrift aber mit den rechtlichen Vorgaben aus den Art. 96 und 98
der MwStSystRL i. V. m. deren Anhang III insoweit nicht vereinbar, als dort auf die Lieferung von Pferden nur dann ein ermäßigter
Steuersatz angewendet werden kann, wenn das Pferd im Hinblick auf seine Schlachtung geliefert wird, um für die Zubereitung
von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet zu werden.
Dem Kläger ist es allerdings verwehrt, sich zur Begründung seines Anspruchs auf Berücksichtigung der Umsatzsteuer zum allgemeinen
Steuersatz direkt auf die Bestimmungen in den Art. 96 und 98 MwStSystRL i. V. m. Anlage III Nr. 1 zu berufen. Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH und des EuGH kann sich ein Einzelner allerdings in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen
auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen
innerstattlichen Vorschriften berufen. Er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass
sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann. Ein Mitgliedstaat kann einem Steuerpflichtigen,
der z. B. beweisen kann, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Richtlinie fällt, nicht entgegenhalten,
dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat (BFH, Urteile
vom 22. April 2004 V R 1/98, BStBl. II 2004, 849, 853; vom 18. August 2005 V R 71/03, BStBl. II 2006, 143, 145, jeweils m.
w. N.).
Will ein Steuerpflichtiger sich auf eine entsprechende Bestimmung in einer europäischen Richtlinie berufen, muss diese für
ihn jedoch im Regelfall unmittelbar einschlägig sein. Wird ein anderer Steuerpflichtiger auf Grund nicht korrekter Umsetzung
von Bestimmungen des europäischen Rechts in nationales Recht rechtswidrig nicht oder zu niedrig besteuert, werden dadurch
in der Regel Rechte eines an dem betreffenden Steuerschuldverhältnis nicht beteiligten Dritten nicht verletzt. Anders ist
die Sachlage nur, wenn die Nicht- oder die zu niedrige Besteuerung gegen eine Norm verstößt, die nicht ausschließlich im Interesse
der Allgemeinheit, insbesondere im öffentlichen Interesse an der gesetzmäßigen Steuererhebung und Sicherung des Steueraufkommens
erlassen wurde, sondern – zumindest auch – dem Schutz der Interessen einzelner zu dienen bestimmt ist. Es genügt also nicht
eine behauptete Verletzung von Normen, bei denen der Dritte nur infolge einer Reflexwirkung der Normanwendung begünstigt wird
(BFH, Urteil vom 5. Oktober 2006 VII 24/03, BStBl. II 2007, 243 = Juris Rdnr. 20).
Die Regelungen der Art. 96 und 98 MwStSystRL betreffen nur das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem für die Festsetzung der
Umsatzsteuer für die Lieferung zuständigen Finanzamt und dem leistenden Unternehmer, der Leistungsempfänger ist an diesem
Steuerrechtsverhältnis nicht beteiligt. Diese Vorschriften dienen auch nicht den rechtlichen Interessen der Leistungsempfänger,
weil diese sich mit den leistenden Unternehmern zivilrechtlich über die Höhe des geschuldeten Entgelts einschließlich der
Umsatzsteuer zu einigen haben. Eine Berufung des Klägers auf die Vorschriften der Art. 96 und 98 MwStSystRL ist damit nicht
zulässig. Dass der nationale Gesetzgeber mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die normativen Vorgaben in Art. 168 MwStSystRL
korrekt umgesetzt hat, wird vom Kläger nicht behauptet und ist auch für das Gericht nicht erkennbar.
Schließlich kann der Kläger sich auch nicht darauf berufen, die GmbH habe sich ihrerseits auf die Regelungen in Art. 96 und
98 MwStSystRL berufen, um den von ihr erbrachten Umsatz mit dem allgemeinen Steuersatz besteuern zu dürfen. Der Anwendungsvorrang
einer europäischen Richtlinie setzt nach allgemeiner Ansicht nämlich voraus, dass die Richtlinienbestimmung für den Steuerpflichtigen
günstiger ist als die entsprechende Vorschrift des nationalen Umsatzsteuerrechts. Ein derartiger Zusammenhang besteht für
die GmbH bei einem Vergleich zwischen Art. 96 und 98 MwStSystRL und § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG aber offensichtlich nicht.
So kann das Gericht auch offen lassen, ob die GmbH sich bei der Erfassung des Umsatzes tatsächlich auf die für sie ungünstigere
europarechtliche Bestimmung berufen wollte oder aber schlicht einem Rechtsirrtum unterlegen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.