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  • 07.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130409

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 22.08.2012 – 3 K 293/11

    1. Zum Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte

    2. Grundfall der regelmäßigen Arbeitsstätte ist die auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte Arbeitsstätte, auf deren immer gleiche Wege sich der ArbN in unterschiedlicher Weise einstellen und auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann.

    3. Eine auf 3 Jahre befristete Abordnung/Versetzung an die Landesfinanzschule Niedersachsen führt dazu, dass diese als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist.

    4. Das hat zur Folge, dass Fahrtkosten zwischen der Wohnung und dieser Arbeitsstelle nur begrenzt als WK i.R.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG abgezogen werden können.


    Niedersächsisches Finanzgericht v. 22.08.2012

    3 K 293/11

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob Fahrten zwischen Wohnung und Dienststelle steuerlich im Rahmen der Entfernungspauschale oder nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen sind.

    Der Kläger ist Finanzbeamter. Aufgrund eines Schreibens der Oberfinanzdirektion Hannover vom 27. Juli 1993 wurde er mit Wirkung vom 1. August 1993 vom Finanzamt Göttingen an die Landesfinanzschule Niedersachsen in Bad Eilsen abgeordnet. Der dortige Einsatz wurde „bis längstens 31. Juli 1996 befristet”. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 wurde der Kläger „aus dienstlichen Gründen mit Wirkung vom 1. November 1993 vom Finanzamt Göttingen an die Landesfinanzschule Niedersachsen” versetzt. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass „nach derzeitigem Stand eine Verwendung bei der Landesfinanzschule Niedersachsen bis zum 31. Juli 1996 vorgesehen” sei.

    Mit Schreiben vom 22. Mai 1997 bestätigte die Oberfinanzdirektion Hannover, dass der Kläger mit Wirkung vom 1. April 1997 für die Dauer von drei Monaten von der Landesfinanzschule Niedersachsen an das Finanzamt Göttingen abgeordnet worden sei und beabsichtigt werde, ihn mit sofortiger Wirkung dorthin zu versetzen.

    In ihrer Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1996 und 1997 erklärten die Kläger Fahrten des Klägers an 136 Tagen zwischen der Wohnung in Göttingen und der Landesfinanzschule Niedersachsen in Bad Eilsen für 138 Entfernungskilometern als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit

    Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für das Jahr 1996 erklärungsgemäß durch Bescheid vom 16. April 1997 unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Hiergegen wandten sich die Kläger mit Einsprüchen. Mit Bescheid vom 16. Juni 1997 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

    Der Bescheid über Einkommensteuer für 1997 erging am 27. Januar 1999 und wurde ebenfalls mit einem Einspruch angefochten. Am 30. Juli 1999 erging ein Änderungsbescheid. Der Einspruch wurde insoweit aufrecht erhalten.

    Im Laufe der Einspruchsverfahren brachten die Kläger erstmalig vor, nach einer Änderung der Lohnsteuerrichtlinien seien die Fahrtkosten des Klägers zur Landesfinanzschule nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern als Reisekosten zu behandeln.

    Mit Einspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 wies der Beklagte die Einsprüche der Kläger als unbegründet zurück.

    Hiergegen haben die Kläger am 24. August 2011 Klage erhoben.

    Mit der Abordnung an die Landesfinanzschule liege eine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit vor. Der Kläger sei zeitlich befristet bis zum Juli 1997 an die Landesfinanzschule abgeordnet worden. Damit stelle das Finanzamt Göttingen und nicht diese seine regelmäßige Arbeitsstätte dar, so dass die Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen seien. Dabei seien 0,59 DM pro Kilometer Fahrtstrecke anzusetzen, mithin also für 1996 (136 Tage x 138 km x 0,59 DM/km =) 22.146,24 DM und für 1997 (48 Tage x 276 km x 0,59 DM/km =) 7.816,32 DM. Der Kilometersatz von 0,59 DM/km sei im Rahmen der bisherigen Veranlagung für das Jahr 1996 nachgewiesen und anerkannt worden.

    Die Kläger beantragen sinngemäß,

    1. unter Änderung des Bescheides über Einkommensteuer für das Jahr 1996 vom 16. April 1997 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Reisekosten in Höhe von 22.146,24 DM statt bisher Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 13.137,60 DM zu berücksichtigen,

    2. unter Änderung des Bescheides über Einkommensteuer für das Jahr 1997 vom 27. Januar 1999 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung zusätzlicher Reisekosten in Höhe von 7.816,32 DM statt bisher Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 4.636,80 DM zu berücksichtigen,

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er ist der Auffassung, die Landesfinanzschule stelle die regelmäßige Arbeitsstätte für den Kläger dar. Für die Beurteilung sei es nicht entscheidend, dass die Personalmaßnahme zur Versetzung zeitlich befristet gewesen sei. Die Kläger hätten sich auch darauf einrichten können, dass der Kläger „dauerhaft” an der Landesfinanzschule tätig gewesen sei.


    Gründe

    I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die Fahrtkosten des Klägers zu Recht nur begrenzt im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) zum Abzug als Werbungskosten zugelassen.

    1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und nach derzeitiger Rechtslage gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur begrenzt nach Maßgabe der insoweit gewährten Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.

    Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser die beruflichen Mobilitätskosten nur eingeschränkt berücksichtigenden Regelung ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, denen der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (Senatsurteile vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl 2011 II S. 354 m.w.N.; vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38). Grundfall der regelmäßigen Arbeitsstätte ist die auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte Arbeitsstätte, auf deren immer gleiche Wege sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise einstellen und auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und auch durch entsprechende Wohnsitznahme geschehen (z.B. BFH-Urteil in BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer aus einer ex post Betrachtung tatsächlich an einem bestimmten Ort für längere Zeit tätig gewesen war, sondern ob sich der Arbeitnehmer zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit aus ex ante Sicht darauf hatte einrichten können, dort dauerhaft tätig zu sein (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 VI R 35/08 BStBl. II 2010, 852).

    2. Im Streitfall stellt die Landesfinanzschule Niedersachsen nach Auffassung des Gerichts die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers mit der Folge dar, dass die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur begrenzt nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten berücksichtigt werden können. Der Kläger wurde durch Schreiben seines Dienstherrn aus dem Juli 1993 mit Wirkung ab dem 1. August 1993 an die Landesfinanzschule Niedersachsen abgeordnet. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 wurde der Kläger dann mit Wirkung vom 1. November 1993 bis 31. Juli 1996 an die Landesfinanzschule versetzt. Zwar erfolgte die Abordnung/Versetzung befristet, allerdings sollte sich die Tätigkeit auf einen Zeitraum von jedenfalls 3 Jahren erstrecken. Die Tätigkeit an der Landesfinanzschule kann damit nicht mehr nur als gelegentlich oder vorübergehend bezeichnet werden. Vielmehr handelt es sich um eine fortdauernd und immer wieder – über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg – aufgesuchte Einrichtung des Arbeitgebers. Der Beklagte sieht zutreffend die in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Rechtfertigung für die nur begrenzte Abziehbarkeit angeführten Voraussetzungen als gegeben an, nämlich, dass sich der Kläger wegen dieses langen Zeitraums ohne weiteres auf die immer gleiche Wegstrecke einstellen konnte und durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Anmietung einer Zweitwohnung auf die Minderung der Wegekosten hinwirken konnte. Der Kläger konnte auch bereits bei seiner Abordnung und jedenfalls bei seiner späteren Versetzung damit rechnen, dass er voraussichtlich für den Zeitraum von 3 Jahren an der Landesfinanzschule tätig werden würde, da in dem Schreiben der OFD Hannover vom 22. Oktober 1993 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die dortige Verwendung bis zum 31. Juli 1996 vorgesehen ist. Aus diesem Grunde ergibt sich auch aus der Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29. März 2012 – 5 K 2160/ 11 , juris) nichts anderes für den Streitfall, da der dortige Kläger als Soldat „jederzeit” – ggf. auch vor Ablauf der voraussichtlichen Verwendungsdauer – versetzt werden konnte, was im Streitfall nicht ausdrücklich vorgesehen war.

    Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 10. April 2008 (VI R 66/05, BStBl. II 2008, 825), wonach auch eine sich über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckende und damit längerfristige (Fort-)Bildungsmaßnahme nur „vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt” sein könne, kann ebenfalls auf den Streitfall nicht übertragen werden (vgl. aber z.B. OFD Rheinland vom 13. Februar 2009, DStR 2009. 432). In der Entscheidung war über eine „neben seiner Vollbeschäftigung mit regelmäßiger Arbeitsstätte” absolvierte zeitlich befristete Bildungsmaßnahme zu befinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung zwischenzeitlich dahingehend fortentwickelt hat, dass bei mehreren Tätigkeitsstätten nur eine regelmäßige Arbeitsstätte gegeben sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 – VI R 55/10, BStBl. II 2012, 38). Im Streitfall handelt es sich bei der Tätigkeit an der Landesfinanzschule jedoch um die einzige Arbeitsstätte des Klägers im Streitjahr.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4

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