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  • 06.11.2012 · IWW-Abrufnummer 130075

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 24.09.2012 – 1 K 195/11

    1. Abweichend vom Urteil des BFH vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 sind Zivilprozesskosten nicht grundsätzlich als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG anzusehen.
    2. Auch bei Zivilprozesskosten muss unter Berücksichtigung der zu dem Prozess führenden Umstände wertend beurteilt werden, ob die Prozessführung für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war.
    3. Aufwendungen für einen Zivilprozess können nicht als zwangsläufig entstanden angesehen werden, wenn der Prozess darauf beruht, dass der Steuerpflichtige freiwillig einen Anspruch mit dem Ziel seiner Durchsetzung (auch) mit gerichtlicher Hilfe erwirbt.


    Tatbestand
    Die Kläger begehren die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als vorweggenommene Betriebsausgaben, hilfsweise als außergewöhnliche Belastung, die dem Kläger im Zusammenhang mit einer beim Landgericht H erfolglos erhobenen Klage auf Erlösauskehr bzw. Zahlung einer Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz, VermG) betreffend die A KG, B (im folgenden KG) im Streitjahr entstanden sind.
    Das Unternehmen der KG wurde in mehreren Schritten bis 1972 enteignet und Betriebsteil ... des VEB C, ab ... 1990 D GmbH (im folgenden D), zu dem noch ... weitere Betriebsteile gehörten. Im Jahr 1991 veräußerte die D Grundstücke nebst Gebäuden und Maschinen. Eine Rückgabe des Unternehmens der KG an ihre Gesellschafter bzw. deren Erben war damit nicht mehr möglich. Für nähere Einzelheiten wird auf die detaillierte Darstellung im Teilbescheid vom ... 1997 des ... Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (im folgenden Landesamt) Bezug genommen. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid des Landesamtes vom ... 1993 wurde dem Grunde nach festgestellt, dass die Erben bzw. Erbengemeinschaften nach den geschädigten Gesellschaftern hinsichtlich der KG anspruchsberechtigt im Sinne des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1a VermG sind; zur Klärung des Umfangs des Anspruchs wurden die Verfahrensbeteiligten in dem Bescheid auf eine gütliche Einigung verwiesen.
    Im ... und ... 1993 erwarb der Kläger von den nichtstaatlichen Gesellschaftern der KG für insgesamt ... DM deren Anteile an der KG sowie durch Abtretungen vom ... 1993 deren Rückübertragungsanspruch aus dem Bescheid vom ... 1993. In den Kaufverträgen hieß es:
    Der Verkäufer beantragte die Rückführung des Unternehmens. Das Unternehmen, es handelte sich um den Betriebsteil ... der D, ist jedoch vor dem Feststellungsbescheid ohne Investitionsvorrangverfahren und ohne eine Entflechtung von der Verfügungsberechtigten, der Treuhandanstalt - Niederlassung E - am ... 1991 an die F GmbH notariell verkauft worden.
    Das Restitutionsbegehren kann demzufolge nicht mehr durchgeführt werden. Dem Berechtigten steht jedoch nach § 6 Abs. 6a S. 4 VermG der anteilige Verkaufserlös zu oder aber Entschädigung nach § 6 Abs. 7 VermG.
    Über einen anteiligen Erlös oder eine Entschädigung ist weder von Seiten des Verkäufers noch durch die Treuhandanstalt bis zur Abtretung entschieden bzw. vom ... Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen beschieden worden.
    Mit Teilbescheid vom ... 1997 stellte das Landesamt fest, dass die KG, vertreten durch den Kläger, Berechtigte i. S. des § 6 Abs. 1a S. 1 VermG war und dass ihr gegenüber der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (im folgenden BvS) in dort näher bezeichnetem Umfang ein Anspruch auf Erlösauskehr im Zusammenhang mit dem im Jahr 1991 erfolgten Verkauf zustand. Die BvS focht diesen Bescheid durch Klage vor dem Verwaltungsgericht G an. Das Verwaltungsgericht G wies mit Urteil vom ... 2002 die Klage ab, soweit sie sich nicht bereits erledigt hatte und eingestellt wurde. In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, dass an die Stelle der nicht mehr möglichen Unternehmensrückgabe ein Erlösauskehranspruch getreten sei. Die hiergegen von der BvS erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BVerwG mit Beschluss vom ... 2003 zurückgewiesen.
    Im ... 2004 einigten sich der Kläger und die BvS über eine von der BvS auf jeden Fall an den Kläger zu zahlende Entschädigung in Höhe von ... ?; den bisherigen staatlichen Anteil an der KG trat die BvS an den Kläger ab. Der Kläger wurde damit einziger verbliebener Gesellschafter der KG. Die Einigung wurde einbezogen in den Bescheid des Landesamtes vom ... 2005, mit dem der Bescheid vom ... 1997 teilweise aufgehoben wurde. Der Antrag auf Rückgabe des Unternehmens der KG wurde darin abgelehnt und festgestellt, dass der KG wegen der Schädigung des Unternehmens eine Entschädigung dem Grunde nach zustehe. Im Hinblick auf die im Bescheid vom ... 1997 ausgesprochene Erlösauskehr wurde die getroffene einvernehmliche Regelung zum Bestandteil des Bescheides gemacht.
    Mit Schriftsatz vom ... 2004 erhob die KG, vertreten durch den Kläger Klage gegen die BvS beim Landgericht H auf Zahlung von ... ? und Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach. Hintergrund der Klage war die Annahme, dass der erzielte Erlös aus dem Verkauf im Jahr 1991 deutlich hinter dem Verkehrswert zurückgeblieben und daher der darüber hinausgehende Verkehrswert an die KG zu zahlen sei. Die Klage wurde mit Urteil des Landgerichts H vom ... 2009 abgewiesen. Das Landgericht hielt den von der Klägerin behaupteten höheren Verkehrswert für nicht erwiesen. Das von der damaligen Klägerin im laufenden Verfahren nach unergiebigen Gutachten der vom Gericht beauftragten Sachverständigen eingereichte Privatgutachten von ... 2008 hielt das Landgericht H für nicht aussagekräftig; es habe mit einer Vielzahl von Annahmen gearbeitet, denen Zahlenmaterial konkret nicht zugrunde gelegen habe; es betreffe zudem gerade nicht den Betriebsteil ..., sondern die D insgesamt, so dass hinreichende Rückschlüsse auf den Betriebsteil ... nicht gezogen werden könnten.
    Im Zusammenhang mit dem beim Landgericht H geführten Rechtsstreit entstanden dem Kläger im Jahr 2008 Fahrtkosten in Höhe von 612,85 ?, Übernachtungskosten in Höhe von 199,20 ?, Bewirtungskosten in Höhe von 65,90 ? sowie Kosten für das Gutachten vom ... 2008 in Höhe von 3.927 ? nebst Fahrtkosten von 146,40 ? (Gutachtenkosten insgesamt 4.073,40 ?), so dass insgesamt Kosten in Höhe von 4.951,35 ? anfielen.
    Mit der Einkommensteuererklärung für 2008 erklärten die Kläger die Prozesskosten als Teil außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von insgesamt 6.664 ?. Mit Bescheid vom 26.03.2010 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 0 ? fest und erläuterte, die außergewöhnlichen Belastungen seien ohne nähere Prüfung außer Ansatz gelassen worden, da sich keine steuerliche Auswirkung ergebe. Nach Eingang von Mitteilungen zu Beteiligungseinkünften der Klägerin erging ein gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geänderter Bescheid vom 05.07.2010, mit dem die Einkommensteuer auf 4.002 ? festgesetzt wurde; außergewöhnliche Belastungen wurden weder berücksichtigt noch thematisiert. Die Kläger legten gegen diesen Bescheid am 27.07.2010 Einspruch ein wegen der Nichtberücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungen. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens führten sie aus, der Kläger habe ein lebendes Unternehmen erworben, das er habe fortführen wollen. Es sei eine Rückübertragung angestrebt worden. Die Rechtsverfolgungskosten seien daher als vorweggenommene Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem geplanten Gewerbebetrieb zu berücksichtigen. Der Beklagte berücksichtigte mit der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2011 die geltend gemachten Krankheitskosten in Höhe von 1.712 ? als außergewöhnliche Belastung und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück; die Einkommensteuer wurde auf 3.676 ? herabgesetzt.
    Mit der am 22.08.2011 erhobenen Klage begehren die Kläger die Berücksichtigung der Rechtsverfolgungskosten als vorweggenommene Betriebsausgaben, hilfsweise als außergewöhnliche Belastung. Sie tragen vor, der Kläger habe eine Rückübertragung eines noch lebenden Unternehmens von der Treuhandanstalt angestrebt, um das Unternehmen der KG weiterzuführen und zur Sicherung der Existenzgrundlage der Familie. Diesen Anspruch habe er auf allen Ebenen rechtlich verfolgt. Er habe nach Erwerb aller Gesellschaftsanteile der KG mit Ausnahme der staatlichen Anteile parallel den Entschädigungsanspruch sowie den Anspruch auf Rückübertragung des noch lebenden Unternehmens verfolgt. Diesen Rückübertragungsanspruch habe er erst im Jahr 2004 durch Rücknahme der damals beim OVG J anhängigen Klage zurückgenommen. Nach Auffassung der Kläger sind die Rechtsverfolgungskosten als vorweggenommene Betriebsausgaben des angestrebten Gewerbebetriebs anzusehen. Zumindest seien sie als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Die vom Kläger aufgewendeten Kosten seien notwendig und angemessen gewesen. Dies gelte insbesondere für das vom Kläger in Auftrag gegebene Gutachten. Den Auftrag für das Privatgutachten habe der Kläger erteilt, nachdem der erste vom Landgericht H beauftragte Gutachter entpflichtet worden sei und auch der neu beauftragte Gutachter sich bereits dahingehend geäußert habe, dass eine Bewertung nicht mehr möglich sei. Dem habe der Kläger durch die Vorlage eines Privatgutachtens entgegentreten wollen. Eine gesonderte Bewertung des früheren Betriebsteils ... der D sei nicht möglich gewesen. Bereits im Jahr 1996 sei jedoch in Verhandlungen mit der Treuhandanstalt davon ausgegangen worden, dass der Betriebsteil ... 31 % des Wertes der D ausgemacht habe. Daran habe mit einem Gutachten über den Wert des Unternehmens der D insgesamt angeknüpft werden sollen. Der Kläger sei durch die Treuhandanstalt geradezu in den Prozess getrieben worden, weil er sonst keine Chance gehabt habe, seine berechtigten Ansprüche zu verfolgen.
    Die Kläger beantragen,
    den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 05.07.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2011 dahingehend zu ändern, dass Zivilprozesskosten in Höhe von 4.951,35 ? als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb oder hilfsweise als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklagte ist der Auffassung, es bestehe kein Zusammenhang zwischen den aufgewendeten Rechtsverfolgungskosten und einem angestrebten Gewerbebetrieb, weil eine Rückübertragung des Unternehmens nicht möglich gewesen sei. Hiervon sei auch der Kläger selbst in der beim Landgericht H erhobenen Klage ausgegangen. Die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung seien nicht erfüllt. Das Urteil des BFH vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015 sei nicht maßgeblich. Es sei gemäß Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.12.2011, BStBl I 2011, 1286 nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Die nach der vorherigen ständigen Rechtsprechung geltenden restriktiven Maßstäbe für eine Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung führten im Streitfall dazu, dass diese Kosten hier nicht anzuerkennen seien. Aber auch, wenn man der genannten Entscheidung des BFH folgen würde, sei die Erfolgsaussicht der vom Kläger erhobenen Klage bzw. die Nützlichkeit des eingeholten Privatgutachtens fraglich.
    Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten VI sowie die Rechtsbehelfsakten I bezüglich der Kläger zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.
    Gründe
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
    Der Beklagte hat zu Recht bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2008 die dem Kläger entstandenen Zivilprozesskosten weder als vorweggenommene Betriebsausgaben bei Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb noch als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Die Kläger sind hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 FGO.
    1. Die dem Kläger entstandenen Zivilprozesskosten sind keine vorweggenommenen Betriebsausgaben.
    Betriebsausgaben sind Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Bei Einkünften aus Gewerbebetrieb zählen zu den Betriebsausgaben grundsätzlich alle Aufwendungen, die objektiv mit dem Betrieb zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind (BFH Beschluss vom 04.07.1990, GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817). Sind bereits vor der Betriebseröffnung Aufwendungen angefallen, so sind sie als vorab entstandene Betriebsausgaben abziehbar, wenn ein ausreichend bestimmter Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird. Ein solcher Abzug kommt von dem Zeitpunkt an in Betracht, in dem sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass der Entschluss, Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart zu erzielen, endgültig gefasst worden ist. Aufwendungen können selbst dann abziehbar sein, wenn es entgegen den Planungen des Steuerpflichtigen nicht zu den erstrebten Einnahmen kommt, sofern nur eine erkennbare Beziehung zu den angestrebten Einnahmen besteht. Dabei setzt der Abzug von (vorab entstandenen) Betriebsausgaben voraus, dass deren Entstehung und ihre betriebliche Veranlassung nachgewiesen werden können. Lassen sich die Tatsachen, aus denen sich die Entstehung und der betriebliche Zusammenhang der Aufwendungen ergibt, nicht feststellen, so geht das zulasten des Steuerpflichtigen; denn er trägt für diese Tatsachen die objektive Beweislast (BFH Urteil vom 15.04.1992, III R 96/88, BFHE 168, 133, BStBl II 1992, 819).
    Ausgehend von diesen Grundsätzen ist auch bei einer angestrebten Unternehmensrückgabe nach dem VermG der Abzug vorweggenommener Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb möglich. Dies gilt auch dann, wenn es entgegen den Erwartungen des Berechtigten nicht zur Rückübertragung des Unternehmens ankommt. Erforderlich ist aber auch hier für die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen als Betriebsausgaben ein ausreichend bestimmter Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der (beabsichtigten) späteren Erzielung betrieblicher Einnahmen (vgl. auch BMF Schreibens vom 25.07.1994, VV DEU BMD 1994-07-25 IV B 2-S 1901-136/94).
    Im Streitfall ist bereits nicht erkennbar, dass der Kläger eine Rückübertragung und Fortführung des früheren Unternehmens der KG angestrebt hat. Aus sämtlichen vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass bereits beim Erwerb der Gesellschaftsanteile an der KG durch den Kläger und der Abtretung der Ansprüche nach dem VermG aufgrund des bestandskräftig gewordenen Bescheides des Landesamtes vom ... 1993 feststand, dass eine Rückübertragung nicht mehr in Betracht kam. Dies ist in den Kaufverträgen betreffend die Gesellschaftsanteile ausdrücklich festgehalten und lässt sich auch den Bescheiden des Landesamtes sowie den Urteilen des Verwaltungsgerichtes G und des Landgerichts H entnehmen. Ein Bemühen des Klägers um eine Rückübertragung des Unternehmens ist von den Klägern in diesem Rechtsstreit lediglich behauptet worden, jedoch durch keinerlei Unterlagen nachvollziehbar belegt. Darüber hinaus sind die hier geltend gemachten Kosten im Zusammenhang mit einer Klage auf Erlösauskehr bzw. Zahlung einer Entschädigung entstanden, die selbst von der Unmöglichkeit einer Rückübertragung des Unternehmens ausging. Ein Zusammenhang der für diese Klage aufgewandten Kosten mit einer angestrebten Rückübertragung des Unternehmens ist daher nicht ersichtlich.
    2. Die dem Kläger entstandenen Zivilprozesskosten sind auch nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
    a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, die die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
    b) Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH spricht bei den Kosten eines Zivilprozesses eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig erwachsen ist. Daran fehlt es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess. Es sei in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags) Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzen. Lasse sich der Steuerpflichtige trotz ungewissen Ausgangs auf einen Prozess ein, liege die Ursache für die Prozesskosten in seiner Entscheidung, das Prozesskostenrisiko in der Hoffnung auf ein für ihn günstiges Ergebnis in Kauf zu nehmen. Es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko realisiert habe. Als zwangsläufig anerkannt worden sind Zivilprozesskosten jedoch dann, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (vgl. jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen z. B. BFH Urteile vom 09.05.1996, III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 04.12.2001, III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234,30, BStBl II 2011, 1015, mit zusammenfassender Darstellung der bisherigen Rechtsprechung und Begründung einer Änderung der Rechtsprechung). Diese Maßstäbe gelten gem. Beschluss des BFH vom 25.03.2004, III B 54/03, BFH/NV 2004, 1101 auch für einen Restitutionsprozess zur Rückgängigmachung einer Enteignung in der früheren DDR.
    c) Mit Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 hat der BFH die bisherige Rechtsauffassung aufgegeben. Im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol ließen sich streitige Ansprüche regelmäßig nur gerichtlich durchsetzen oder abwehren. Die Parteien seien zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Zivilprozesskosten erwüchsen Kläger wie Beklagtem deshalb unabhängig vom Gegenstand des Rechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33 EStG Stand Juni 1993, Anm. 117; Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33 Lfg. Januar 2001, Rdnr. C 57). Derartige Aufwendungen seien jedoch nur als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe, sondern das Kostenrisiko unter verständiger Würdigung des Für und Wider eingegangen sei. Demgemäß seien Zivilprozesskosten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe.
    d) Der Senat vermag sich der geänderten Rechtsprechung des BFH gem. dessen Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 nicht anzuschließen (kritisch auch Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, Anm. 5; K. Heger in Blümich, EStG- KStG- GewStG, § 33 EStG, Stand Februar 2012, Rz. 220). Nach Auffassung des Senates entspricht die grundsätzliche Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung bei hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht den Vorgaben des § 33 EStG und führt zu einer weitergehenden Berücksichtigung dieser Kosten als anderer Aufwendungen.
    Der im Abschnitt des EStG über den Einkommensteuertarif enthaltene § 33 EStG soll Fällen Rechnung tragen, in denen das Existenzminimum gemäß § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG (Grundfreibetrag) durch außergewöhnliche Umstände im Bereich der privaten Lebensführung höher liegt als im Normalfall. Während das Gesetz die gewöhnlichen (normalen) Lebensaufwendungen durch den Grundfreibetrag, den Familienleistungsausgleich und durch Sonderausgaben gem. § 10 EStG für abgegolten ansieht, soll § 33 EStG darüber hinausgehende zwangsläufige und existenziell notwendige private Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des subjektiven Leistungsfähigkeitsprinzips zum steuermindernden Abzug zulassen (Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Auflage, 2012, § 33 Rz. 1; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, Anm. 5). Erfasst werden soll ein aufgrund persönlicher, nicht disponibler Umstände vorliegender erhöhter Grundbedarf (K. Heger in Blümich, EStG- KStG- GewStG, § 33 EStG, Stand Februar 2012, Rz. 4) bzw. ein nicht disponibler, notwendiger Aufwand, der atypisch ist und außerhalb der normalen Lebensführung liegt (Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33, Stand Januar 2001, Rdnr. B 44-46). Die Vorschrift dient der Verwirklichung des subjektiven Nettoprinzips, wonach für den Steuerpflichtigen nicht disponible notwendige private Aufwendungen als nicht verfügbares und daher nicht dem Steuerzugriff unterliegendes Einkommen behandelt werden. Im Hinblick auf die Bedarfsorientierung des § 33 EStG müssen die zu beurteilenden Aufwendungen daher nach Grund und Höhe unausweichlich sein. Für die Entscheidung, ob Aufwendungen zwangsläufig i. S. des § 33 EStG angefallen sind, ist auf die wesentliche Ursache abzustellen, die zu den Aufwendungen geführt hat. Auch das die Aufwendungen auslösende Ereignis muss zwangsläufig sein. Liegt die wesentliche Ursache in der vom Einzelnen gestaltbaren Lebensführung, kommt ein Abzug nicht in Betracht (vgl. m. w. N. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, Anm. 5; BFH Urteil vom 30.06.2005, III R 27/04, BStBl II 2006, 492).
    Entsprechend dieser grundsätzlichen Einschätzung werden Aufwendungen nicht bereits dann als zwangsläufig angesehen, wenn sie auf einer rechtlichen Verpflichtung beruhen. Vielmehr kommt es bei rechtlichen Verpflichtungen darauf an, dass der Steuerpflichtige die rechtlichen Gründe nicht selbst gesetzt hat bzw. eine Rechtspflicht aus einer sittlichen oder tatsächlichen Zwangslage heraus eingegangen ist (siehe z. B. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33 EStG Stand Juni 1993, Anm. 188; K. Heger in Blümich, EStG- KStG- GewStG, § 33 EStG, Stand Februar 2012, Rz. 108). Entscheidend ist danach zu fragen, ob das Ereignis, dessen Folge die Aufwendungen oder die Verpflichtung zur Bestreitung der Aufwendungen sind, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war (Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Auflage, 2012, § 33 Rz. 17). In Anwendung dieser Maßstäbe reicht es z. B. für die Berücksichtigung von Darlehenszinsen oder Bürgschaftsaufwendungen nicht aus, wenn die Aufwendungen in Erfüllung einer Verpflichtung entstanden sind; vielmehr ist darauf abzustellen, ob bereits die Übernahme der Verpflichtung zwangsläufig war (vgl. BFH Urteile vom 08.08.1984, I R 32/82, juris; vom 03.03.2005, III R 54/03, BFH/NV 2005, 1529; Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Auflage, 2012, § 33 Rz. 35 „Bürgschaft”, „Schuldentilgung”; K. Heger in Blümich, EStG- KStG- GewStG, § 33 EStG, Stand Februar 2012, Rz. 251, 255; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 2012, § 33 Rn. 54 „Bürgschaft”, „Darlehen”).
    Diese Maßstäbe müssen auch für die Aufwendung von Zivilprozesskosten gelten. Auch hier kann nicht nur darauf gesehen werden, dass im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol die Durchsetzung oder Abwehr von streitigen Ansprüchen nur mit gerichtlicher Hilfe möglich ist. Dieser Aspekt führt nicht dazu, dass unabhängig vom Prozessgegenstand und den Hintergründen des Prozesses jeder mit hinreichender Erfolgsaussicht geführte Zivilprozess als unausweichlich und damit als zwangsläufig i. S. des § 33 EStG anzusehen ist. Denn damit würden auch Aufwendungen für Rechtsstreitigkeiten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, die mit dem notwendigen Lebensbedarf des Steuerpflichtigen nichts zu tun haben. Es muss daher auch bei Zivilprozesskosten unter Berücksichtigung der zu dem Prozess führenden Umstände wertend beurteilt werden, ob die Prozessführung für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war. Ob dabei die strengen Maßstäbe der früheren Rechtsprechung des BFH (siehe oben unter b)) zwingend sind oder auch weniger strenge Maßstäbe angewandt werden können, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls können Aufwendungen für einen Zivilprozess nicht als zwangsläufig entstanden angesehen werden, wenn er darauf beruht, dass der Steuerpflichtige freiwillig einen Anspruch mit dem Ziel seiner Durchsetzung (auch) mit gerichtlicher Hilfe erwirbt und dieser Anspruch nicht mit seinem existentiell notwendigen Lebensbedarf zusammenhängt.
    Gegen die geänderte Rechtsprechung des BFH spricht auch, dass die in der Entscheidung des BFH vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vorgesehene Überprüfung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses angesichts der Vielgestaltigkeit und der möglichen rechtlichen und tatsächlichen Komplexität von Zivilprozessen von der Finanzverwaltung im Rahmen der Veranlagung nicht praktikabel durchgeführt werden kann.
    e) Die dem Kläger im Jahr 2008 entstandenen Kosten im Zusammenhang mit der beim Landgericht H erhobenen Klage sind nach diesen Maßstäben dem Grunde nach nicht als zwangsläufig anzusehen. Der Kläger hat die Ansprüche auf Erlösauskehr und Entschädigung nach dem VermG freiwillig durch Abtretung von den früheren Berechtigten erworben, um diese Ansprüche - notfalls mit gerichtlicher Hilfe - durchzusetzen. Dabei hat es sich um eine freiwillige Entscheidung des Klägers gehandelt. Er hat sich freiwillig den Risiken der Anspruchsdurchsetzung einschließlich eines Zivilprozesses ausgesetzt. Im Erfolgsfall hätte er daraus steuerfreie Einnahmen erzielt, da die angestrebte Zahlung dem Vermögensbereich und keiner Einkunftsart des EStG zuzuordnen war. Mit dem notwendigen Lebensbedarf des Klägers und seiner Familie hat der Erwerb der Ansprüche und die Prozessführung nichts zu tun gehabt. Die Aufwendungen des Klägers sind daher nach der Erfolglosigkeit der Klage nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
    f) Ob die dem Kläger im Jahr 2008 entstandenen Kosten im Zusammenhang mit der beim Landgericht H erhobenen Klage notwendig und angemessen gewesen sind, kann offen bleiben, da bereits dem Grunde nach eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen zu verneinen ist.
    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Abweichung dieser Entscheidung von dem Urteil des BFH vom 12.05.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015.

    VorschriftenEStG § 33

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