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  • 17.10.2012 · IWW-Abrufnummer 123157

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 02.08.2012 – 2 K 3644/10 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster
    2 K 3644/10 E
    Tenor:
    Die Klage wird abgewiesen.
    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
    Die Revision wird zugelassen.
    Gründe

    I.

    Zu entscheiden ist, ob in 2009 gezahlte Stückzinsen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes (UntStRefG) 2007 vom 14.08.2007 (n.F.) i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 7 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2009 bzw. i.d.F. des JStG 2010 steuerpflichtig sind.

    Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Sie erzielen Einkünfte aus Renten und Pensionen. Am 02.01.2008 erwarb die Klägerin festverzinsliche Wertpapiere (Inhaberschuldverschreibungen der Bank S ) mit einem Nennwert von 36.200 EUR und einem Zinslauf vom 21.08.2007 bis 21.02.2009 zum Preis von 36.478,74 EUR. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus dem Kurswert der Papiere i.H.v. 35.986,42 EUR und gezahlten Zinsen für 136 Tage i.H.v. 492,32 EUR. Zum 06.02.2009 verkaufte die Klägerin die Papiere zum Kurswert von 36.127,60 EUR. Sie erhielt Stückzinsen für 539 Tage i.H.v. 1.947,67 EUR.

    Die Kläger wurden mit Einkommensteuerbescheid 2009 vom 08.03.2010 erklärungsgemäß veranlagt. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 6.030 EUR. Mit Schreiben vom 06.04.2010 erklärten sie auf Veranlassung der Bank S die erhaltenen Stückzinsen gem. § 32d Abs. 3 EStG nach. Sie legten die Ankauf- und Verkaufsbescheinigungen sowie die Bescheinigungen über die in Anspruch genommenen Sparer-Pauschbeträge vor. Einen Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG haben die Kläger nicht gestellt.

    Zur Begründung ihrer Nacherklärung verwiesen die Kläger auf das Schreiben des Bundesministerium für Finanzen (BMF) vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94. Danach seien Stückzinsen für alle vor dem 01.01.2009 angeschafften Wertpapiere nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu versteuern. Zwar sei nicht zu beanstanden, dass in diesen Fällen der Kapitalertragsteuerabzug nicht vorgenommen sei. Es bestehe jedoch eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG. Soweit durch die Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 bestimmte Erträge von der Steuerpflicht ausgenommen würden, beträfe dies im Fall festverzinslicher Wertpapiere, die vor dem 01.01.2009 erworben worden seien, nur die Kursgewinne.

    Die Kläger wiesen den Beklagten darauf hin, dass die nacherklärten Stückzinsen nach ihrer und entgegen der Auffassung des BMF steuerfrei seien. Auch nach dem Hinweis der kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände ergebe sich aus § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. d. JStG 2009 eindeutig, dass festverzinsliche Anleihen, die nicht als Finanzinnovationen ausgestaltet seien und die der Anleger vor 2009 erworben habe, nicht der Veräußerungsgewinnbesteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. unterlägen. Insoweit fehle es - vorbehaltlich einer entsprechenden Ergänzung des Gesetzes - an einer gesetzlichen Regelung. Aus diesem Grunde habe die Bank auch keine Abgel-tungssteuer einbehalten.

    Mit dem nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid vom 23.06.2010 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 6.310 EUR herauf. Dabei erfasste er die nacherklärten Kapitalerträge i.H.v. 1.947 EUR, zog den Sparerpauschbetrag von 801 EUR ab und besteuerte den verbleibenden Betrag von 1.146 EUR gem. § 32d Abs. 1 EStG mit 280 EUR.

    Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte führte in seiner Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aus, Stückzinsen seien vor der Systemänderung zum 01.01.2009 steuerpflichtig gewesen und sollten es auch danach sein. Durch die Einführung der Abgeltungssteuer habe sich hieran nichts ändern sollen. Stückzinsen sollten ab 2009 lediglich als Veräußerungsgewinn gem. § 20 Abs. 2 EStG n.F. erfasst werden.

    Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Nach ihrer Auffassung sei mit der Einführung der Abgeltungssteuer und den Neuregelungen in §§ 43, 43a und 20 EStG n.F. die gesonderte Besteuerung der Stückzinsen gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG a.F. abgeschafft worden. Die Besteuerung der bei Veräußerung der Kapitalforderung abgerechneten und getrennt ausgewiesenen Stückzinsen werde nun nach dem Willen des Gesetzgebers als Bestandteil des Veräußerungsgewinns gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. angesehen und erfasst (BT-Drs. 16/4841, Seite 56). Die Ermittlung dieses „Veräußerungsgewinns“ sei in § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. geregelt. Danach könne die Besteuerung der Stückzinsen nicht mehr losgelöst von einer Besteuerung des gesamten Wertzuwachses gesehen werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Kursentwicklung und Stückzinsabrechnung sich durchaus gegenläufig entwickeln könnten, so dass Stückzinseinnahmen z.B. durch einen Kursverlust kompensiert würden. Es errechne sich dann aber insgesamt nur ein Gewinn oder Verlust gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F.

    Für diese Vorschrift sei aber in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 bestimmt, dass sie auf Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die zwar Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F., aber keine Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 a.F. (Finanzinnovationen) seien, nicht anzuwenden sei. Nach dem Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 sei die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. auf Stückzinsen ausgeschlossen. Aus der Gesetzesbegründung (BT-DrS 16/5491) ergebe sich nicht, dass nur die Kursgewinne aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Papieren steuerfrei gestellt werden sollten. Dies lasse sich schon aus der Formulierung „insbesondere“ in der zitierten Gesetzesbegründung entnehmen. Der Wille zur Fortführung der Besteuerung vereinnahmter Stückzinsen hätte sowohl im Gesetzeswortlaut als auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht werden müssen. Aus § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 könne man nicht auf eine „implizite“ Rückausnahme für Stückzinseinnahmen schließen. Schon mit Schreiben des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken vom 26.02.2008 an das BMF sei darauf hingewiesen worden, dass die Neuregelung der Kapitalertragsbesteuerung zur Folge habe, dass ab 2009 vereinnahmte Stückzinsen nicht mehr gesondert der Besteuerung unterworfen würden und dass somit eine Regelungslücke hinsichtlich bereits vor dem 01.01.2009 erworbener festverzinslicher Anleihen bestehe. Es sei ausdrücklich eine gesetzliche Klarstellung angeregt worden. Diese fehle im § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009. Soweit das BMF und mit ihm der Beklagte die Auffassung verträten, § 52a Abs. 10 Satz 7 i.d.F. des JStG 2010 enthalte nur eine gesetzliche Klarstellung, könne dem nicht gefolgt werden. Der erstmals in der Begründung zum JStG 2010 dargestellte Plan, die Stückzinsen bei Altanleihen auch nach Abschaffung des Besteuerungstatbestandes des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG a.F. weiterhin besteuern zu wollen, sei für Erwerbe von Anleihen vor dem 01.01.2009 nicht erkennbar gewesen. Diese Rechtsänderung im Dezember 2010 entfalte vielmehr eine echte Rückwirkung für diese Fälle. Sogar der wissenschaftliche Dienst des Bundestages habe Bedenken geäußert, ob die Steuerpflicht für Stückzinsen durch das JStG 2010 rückwirkend wiederhergestellt werden könne. Im Übrigen sei die entstandene Regelungslücke als Übergangsphänomen im Zuge des Systemwechsels nicht evident planwidrig gewesen. Sie habe sich vielmehr aufgrund der Umformung der Besteuerungstatbestände ergeben, mit der die Trennung von Vermögens- und Ertragsebene aufgehoben worden sei.

    In der Literatur werde die Auffassung der Kläger überwiegend geteilt (Plewka, Die Entwicklung des Steuerrechts, NJW 2010, 488 (489f); Schmidt/Eck, Von der Jahressteuerbescheinigung zur Anlage KAP: Praxisorientierte Hinweise zur Abgeltungssteuer unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 22.12.2009, BB 2010, 1123 (1126f); Reislhuber/Bacmeister, Weitere ausgewählte Aspekte des neuen BMF-Anwendungs-schreibens zur Abgeltungssteuer, DStR 2010, 684 (686); Paukstadt/Kerpf, Der neue Anwendungserlass zur Abgeltungssteuer, DStR 2010, 678 (679); Ronig, Einzelfragen zur Abgeltungssteuer, DB 2010, 128 (129f); Delp, die Anlegerseite der Abgel-tungssteuer, DB 2008, 2381 (2387) jew. m.w.N.).

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid vom 23.06.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung. Danach unterlägen die am 06.02.2009 zugeflossenen Stückzinsen gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. der Einkommensteuer. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Rückwirkung liege nicht vor, da das JStG 2010 nur klarstellend auf diese Rechtsfolge hinweise. Entgegen der Auffassung der Kläger ließe sich aus den Niederschriften über die Beratung des Bundestags-Finanzausschusses nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Steuerfreiheit bestimmter, gesondert in Rechnung gestellter Stückzinsen beabsichtigt habe. Vielmehr sei dem Bericht des Finanzausschusses (BT-Drs. 16/5491 S. 21f) zu entnehmen, dass nur die bislang steuerfreien Kursgewinne aus vor dem 01.01.2009 erworbenen zinstragenden Forderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch weiterhin steuerfrei bleiben sollten. Die Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 sei demzufolge so zu verstehen, dass sich die Freistellung von Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. nur auf diejenigen Teile beziehe, die als echte Veräußerungsgewinne i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen seien und die man vor dem 01.01.2009 von der Besteuerung ausgenommen habe, soweit die Spekulationsfrist nicht abgelaufen gewesen sei. Es sei nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber Stückzinsen, die weiterhin zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehörten, von der Besteuerung habe ausnehmen sollen. Zudem würden gezahlte Stückzinsen - auch in Altfällen - beim Erwerber nach § 43a Abs. 3 Satz 2 EStG als negative Einnahmen behandelt. Es handele sich nicht um Anschaffungskosten i.S.v. § 20 Abs. 4 EStG n.F. Umgekehrt müssten dann auch positive Einnahmen der Steuerpflicht unterliegen. Soweit die Kläger auf den Zweck einer Übergangsregel verwiesen, könne hieraus nicht die Steuerfreiheit der Zinsen abgeleitet werden. Diese Auffassung werde jedenfalls in der Literatur (Hensel, Das BMF-Anwendungsschreiben zur Abgeltungssteuer, NWB 13/2010 S.596 und Hechtner/Sielaff, Besteuerung von Stückzinsen nach den Änderungen durch das JStG 2010, NWB 7/2011 S. 518ff) vertreten.

    Unabhängig davon, ob § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2010 eine zulässige gesetzliche Klarstellung enthalte, ergebe sich die Steuerpflicht für Stückzinsen nach der Auffassung von Harenberg in Hermann/Heuer/Raupach, § 20 Anm. 512 schon aus § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 3 EStG n.F.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Steuerakten des Beklagten verwiesen.

    II.

    Der Senat entscheidet gem. § 90a Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.

    Die Klage ist unbegründet. Die Kläger werden durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Im Jahr 2009 vereinnahmte Stückzinsen aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Kapitalforderungen sind steuerpflichtig.

    Stückzinsen entstehen, wenn ein zinstragendes Wertpapier im Laufe eines Zinszahlungszeitraums mit dem laufenden Zinsschein angeschafft oder veräußert wird. In der Regel hat der Erwerber des Wertpapiers dem Veräußerer den Zinsbetrag zu vergüten, der auf die Zeit seit dem Beginn des Zinszahlungszeitraums bis zum Erwerb anfällt. Denn obwohl der Erwerber wirtschaftlich gesehen keinen Anspruch auf diesen Teil der Zinsen hat, wird er bei Fälligkeit den gesamten Zinsbetrag vereinnahmen und nicht nur die Zinsen ab Erwerb des Papiers. Der Veräußerer hat die besonders in Rechnung gestellten und vereinnahmten Stückzinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern. Dies war bis zur Einführung der Abgeltungssteuer im Jahr 2009 in § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. ausdrücklich geregelt. Dort heißt es:

    „Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch ...3. Einnahmen aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen mitveräußert werden und das Entgelt für die auf den Zeitraum bis zur Veräußerung der Schuldverschreibung entfallenden Zinsen des laufenden Zinszahlungszeitraums (Stückzinsen) besonders in Rechnung gestellt ist;...“

    Nach der Einführung der Abgeltungssteuer zum 01.01.2009 sollen Stückzinsen als Teil eines Veräußerungserlöses nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG n.F. versteuert werden. Die auszahlende Stelle führt hierauf gem. § 43 Abs. 1 Nr. 10 EStG n.F. den Kapitalertrag-steuerabzug durch, der grundsätzlich abgeltende Wirkung entfaltet, § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG n.F.

    § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG n.F. lautet deshalb:

    „Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch .... 7. der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des Abs. 1 Nr. 7 EStG;...“

    Der nach § 20 Abs. 4 EStG n.F. zu ermittelnde Gewinn umfasst dabei sowohl den Gewinn aus der Veräußerung des Wertpapiers (Kursgewinn) als auch die Stückzinsen.

    Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG n.F. ist nach § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2009 erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden. Nicht angewendet werden sollte § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die vor dem 01.Januar 2009 angeschafft wurden und keine Finanzinnovationen darstellten. § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG JStG 2009 lautet deshalb:

    „Für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die zum Zeitpunkt des vor dem 01. Januar 2009 erfolgten Erwerbs zwar Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 in der am 31.Dezemer 2008 anzuwendenden Fassung, aber nicht Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 in der am 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung sind, ist § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht anzuwenden;...“

    Nach diesem Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 sind Stückzinsen, die bei Veräußerung eines vor dem 01.01.2009 angeschafften Wertpapiers vereinnahmt werden, nicht steuerpflichtig. Denn Stückzinsen werden nach der Einführung der Abgeltungssteuer zum 01.01.2009 als Teil eines Veräußerungserlöses nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG n.F. versteuert. Diese Vorschrift sollte aber nach dem Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 für Erwerbe vor dem 01.01.2009 keine Anwendung finden. § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. war ab dem 01.01.2009 nicht mehr anwendbar. Seitens der Kreditwirtschaft wurde hier eine Besteuerungslücke für Stückzinsen gesehen, mit der Folge, dass insoweit keine Kapitalertragssteuer einbehalten und abgeführt wurde.

    Hierauf hat das BMF mit Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 unter Rz. 49ff reagiert. Dort heißt es unter Bezugnahme auf Rz. 49 (Definition der Stückzinsen) unter Rz. 50:

    „Der Veräußerer hat die besonders in Rechnung gestellten und vereinnahmten Stückzinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu versteuern. Das gilt auch bei Wertpapieren, die vor dem 1. Januar 2009 angeschafft wurden. Soweit in diesen Fällen im Jahr 2009 im Rahmen des Kapitalsteuerabzugs § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht angewandt wurde, ist dies nicht zu beanstanden. In diesen Fällen besteht jedoch eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG.“

    Mit Schreiben vom 16.12.2010 IV C 1-S 2401/10/10005, 2010/1014211 hat das BMF darauf hingewiesen, dass mit der Ergänzung des § 52a Absatz 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2010 klargestellt worden sei, dass die besonders in Rechnung gestellten und vereinnahmten Stückzinsen auch dann als Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. zu versteuern sind, wenn der Veräußerungserlös für die vor dem 01.Januar 2009 erworbenen festverzinslichen Wertpapiere nicht steuerbar ist.

    In § 52a Abs. 10 Satz 7 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2010 heißt es nun:

    „für die bei der Veräußerung in Rechnung gestellten Stückzinsen ist Satz 6 anzuwenden;...“

    Nach Auffassung des erkennenden Senates hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift nur klargestellt, dass Stückzinsen, die nach dem 31.12.2008 zufließen, weiterhin steuerpflichtig sind. Diese Vorschrift begründet nicht rückwirkend eine Steuerpflicht für nach dem 31.12.2008 zugeflossene Stückzinsen aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Kapitalforderungen. Denn mit der Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 hat der Gesetzgeber nur die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. auf bislang steuerfreie Kursgewinne aus vor dem 01.01.2009 erworbenen zinstragenden Forderungen nicht aber auch für Stückzinsen ausschließen wollen. Dies ergibt sich durch Auslegung dieser Vorschrift.

    Voraussetzung für die Auslegung eines Gesetzes ist, dass es auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist.

    § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 ist auslegungsbedürftig.

    Ist eine Vorschrift nach Wortlaut und Zweck nicht eindeutig, ist sie auslegungsbedürftig. Dabei ist die Feststellung der Eindeutigkeit einer Vorschrift unter Berücksichtigung aller Begleitumstände vorzunehmen. Die Feststellung fehlender Eindeutigkeit ist daher u.U. selbst durch Interpretation vorzunehmen.

    Im Fall des § 52 Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 war nicht eindeutig, ob die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. nur für bislang steuerfreie Kursgewinne aus vor dem 01.01.2009 erworbenen zinstragenden Forderungen oder ob sie auch für vereinnahmte Stückzinsen aus diesen Papieren ausgeschlossen sein sollte. Da beide Komponenten ab dem 01.01.2009 grundsätzlich unter diese Vorschrift fielen (vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 56), war sie zwar ihrem Wortlaut nicht aber ihrem Zweck nach eindeutig. Denn Zweck dieser Vorschrift war es nur,

    „dass bislang steuerfreie Kursgewinne aus vor dem 01. Januar 2009 erworbenen zinstragenden Forderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 auch weiterhin steuerfrei bleiben.“

    Dies ergibt sich aus dem zu der redaktionellen Überarbeitung des § 52a Abs. 10 Sätze 6, 7 und 8 i.d.F. des JStG 2009 erstellten Bericht des Finanzausschusses vom 24.05.2007, (BT-Drs. 16/5491 S. 21). Die Steuerpflicht von Stückzinsen stand dabei nicht zur Diskussion.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nachfolgenden Aufzählung, in der es heißt

    „dies gilt insbesondere für die Einlösung oder Veräußerung von festverzinslichen Wertpapieren die unter dem Nennwert erworben wurden, sowie für derzeit steuerfreie Disagiobeträge.“

    Denn die mit dem Adverb „insbesondere“ angeführte Aufzählung bezieht sich nur auf die im vorangehenden Satz geregelten „bislang steuerfreien Kursgewinne“ und nicht auf die bislang immer steuerpflichtigen Stückzinsen.

    Stückzinsen waren nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. bis zum 31.12.2008 unstreitig steuerpflichtig. Demgegenüber richtete sich die Steuerpflicht von Kursgewinnen bis zum 31.12.2008 gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 EStG a.F. grundsätzlich danach, ob die Veräußerung innerhalb oder außerhalb der Spekulationsfrist vorgenommen wurde. Mit der Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG sollten diese Gewinne nun grundsätzlich bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst werden. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. fungiert als Auffangtatbestand für Vermögenszuflüsse und Wertzuwächse auf der Vermögensebene, die aus Veräußerung, Abtretung oder Endeinlösung von sonstigen Kapitalforderungen erzielt werden (vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 56). Mit der Neuregelung der einheitlichen Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgeschäften aus Kapitalanlagen in § 20 EStG n.F. sollte § 23 EStG nur noch subsidiär Anwendung finden (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG 31. Aufl. 2012 § 23 Rz. 1).

    Die Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 ist auch auslegungsfähig. Auslegungsfähig ist eine Vorschrift nur dann nicht, wenn sich nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten kein geltungsfähiger Sinn ermitteln lässt.

    Im Streitfall lässt sich dieser Sinn ermitteln.

    Bei der Auslegung eines Gesetzes ist sein Sinn nach verschiedenen Methoden zu erforschen. Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers an. Maßgebend ist der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers. Allerdings ist nach dem Rechtsgedanken des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auch bei Gesetzen der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Entscheidend für das Auslegungsergebnis ist deshalb grundsätzlich die teleologische Auslegung, die sich am Gesetzeszweck orientiert (Palandt, BGB, 71 Aufl. 2012 Einleitung Rz. 40ff). Soweit feststellbar, kommt es für die Auslegung deshalb darauf an, was der Gesetzgeber mit dem Gesetz bezweckt hat (vgl. Drüen in Tipke/Kruse § 4 AO Tz. 214ff).

    Ausgangspunkt jeder Auslegung ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zwar die Wortbedeutung, d.h. die sogenannte sprachlich-grammatikalische Auslegung. Dabei ist wiederum die Auslegung nach dem Bedeutungszusammenhang zu berücksichtigen. Die Auslegung nach dem Bedeutungszusammenhang, die sogenannte systematische Auslegung, geht davon aus, dass der einzelne Rechtssatz im Gesetzeszusammenhang zu verstehen ist.

    Wortlaut und Bedeutungszusammenhang geben hier keinen Aufschluss darüber, ob auch Stückzinsen von der Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 erfasst werden. Jedenfalls enthalten die Vorschriften des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 und des § 20 Abs. 2 EStG n.F. keine Regelung mehr, die sich ausdrücklich auf Stückzinsen beziehen. Der Begriff „Stückzinsen“ wird nicht mehr erwähnt.

    Es kommt deshalb im wesentlich auf den Gesetzeszweck an. Für die Ermittlung des Gesetzeszwecks ist vor allem die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift von Bedeutung. Aus ihr lässt sich jedenfalls der historische Wille des Gesetzgebers entnehmen. Ist eine Vorschrift erst in jüngster Zeit erlassen worden, entspricht der historische Wille auch dem tatsächlichen und damit dem maßgebenden objektivierten Willen des Gesetzgebers.

    Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 lässt den Willen ihres Gesetzgebers erkennen, Stückzinsen nicht von der Besteuerung auszunehmen. Dieser Wille kommt in den Gesetzesmaterialien, d.h. hier in den im Gesetzgebungsverfahren erstellten Bundestagsdrucksachen deutlich zum Ausdruck. Danach hatte der Gesetzgeber zwar den Willen, die bislang steuerfreien Kursgewinne aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Kapitalforderungen auch weiterhin steuerfrei zu stellen. Es ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er die bislang überhaupt nicht zur Diskussion stehenden Stückzinsen ebenfalls von der Besteuerung ausnehmen wollte (vgl. BT-Drs. 16/5491, S. 21).

    Dass der Gesetzgeber Stückzinsen nicht von der Besteuerung ausnehmen wollte, hat er zudem zeitnah klargestellt. So wird zur Begründung der Ergänzung des § 52a Abs. 10 Satz 7 2. Halbs. EStG i.d.F. des JStG 2010 im Bericht des Finanzausschusses vom 28.10.2010 (BT-Drs. 17/3549) auf den übereinstimmenden Willen der Koalitionsfraktionen, der Bundesregierung und des Bundesrates verwiesen. Danach unterlägen auch Stückzinsen der Abgeltungssteuer, weil dies nach dem Gebot der gleichmäßigen Besteuerung unbestritten und unverzichtbar sei. Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Klarstellung ergebe sich daraus, dass die Kreditinstitute beim Zufluss von Stückzinsen bei festverzinslichen Wertpapieren seit Einführung der Abgeltungssteuer keinen Steuereinbehalt vorgenommen hätten, wenn die Wertpapiere vor dem 01. Januar 2009 erworben worden seien. Die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH habe dagegen insbesondere für die Bundesschatzbriefe entsprechend der Verwaltungsauffassung Kapitalertragsteuer einbehalten. Die Koalitionsfraktionen betonten, dass die Kreditinstitute als Organe der Steuererhebung die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich des Kapitalertragsteuereinbehalts anzuwenden hätten. Nur so könne verhindert werden, dass der Umfang der Steuererhebung davon abhängig sei, bei welchem Institut der Steuerpflichtige sein Kapital anlege. Die unterschiedliche Behandlung des Steuereinbehalts auf Stückzinsen bei den Kreditinstituten einerseits und der Finanzagentur andererseits mache dies deutlich. Insgesamt bedauere man die wegen der auslaufenden Legislaturperiode erst verspätet erfolgte Klarstellung durch das JStG 2010 und den mit der Nacherklärung verbundenen Mehraufwand für die Steuerpflichtigen.

    Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 16/4841, S. 56; BT-Drs. 16/5491, S. 21 und BT-Drs. 17/3549) ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Senats, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Stückzinsen nicht durch die Vorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 von der Besteuerung ausgenommen werden sollten. Dem steht auch nicht entgegen, dass mehrere Autoren und die Kreditwirtschaft anderer Auffassung sind bzw. waren. Denn diese haben sich nur am Wortlaut der Vorschrift und nicht an ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Zweck orientiert. Dass selbst Vertreter der Kreditwirtschaft die Steuerpflicht von Stückzinsen für möglich gehalten haben, ergibt sich im übrigen aus dem Artikel in der FAZ vom 05.02.2010, in dem bei fehlender Versteuerung der Stückzinsen vor einer möglichen Steuerhinterziehung durch die Anleger („Steuerfalle“) gewarnt wird.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass die Veräußerungsgewinne i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG n.F. gem. § 20 Abs. 4 EStG n.F. nach Darstellung der Kläger nur einheitlich ermittelt werden könnten. Denn vom Erwerber entrichtete Stückzinsen sind weiterhin (vorab entstandene) negative Einnahmen aus Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum des Abflusses und keine Anschaffungskosten i.S. des § 20 Abs. 4 n.F. Gegebenenfalls sind sie beim Privatanleger in den Verlustverrechnungstopf einzustellen (BMF-Schreiben vom 22.12.2009, aaO Rz. 51 und BT-Dr. 16/4841 S. 56).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 FGO. Obwohl es sich bei der Vorschrift des § 52a Abs. 10 EStG i.d.F. der JStG 2009/2010 um auslaufendes (Übergangs-) Recht handelt, ist aufgrund vermehrter Anfragen zum Stand des vorliegenden Verfahrens darauf schließen, dass noch eine Vielzahl anderer Fälle betroffen ist.

    RechtsgebietFinanz- und Abgaberecht

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