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  • 05.07.2012

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.04.2012 – 10 K 4400/09 F

    § 12 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 9 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG findet bereits für 2004 Anwendung.

    Die gesetzlichen Neuregelungen in §§ 12 Nr. 5, 4 Abs. 9, 52 Abs. 23d EStG verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18.04.2012 für Recht erkannt:

    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt die Anerkennung von Aufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit.

    Der ledige in der Wohnung seiner Eltern in A-Stadt mit Zweitwohnsitz gemeldete Kläger absolvierte seit dem Sommersemester 2003 zunächst an der Universität B-Stadt und später an der Universität C-Stadt ein Jurastudium (Erststudium). Er unterhielt am jeweiligen Studienort, an dem er jeweils mit Hauptwohnsitz gemeldet war, eine sog. „Studentenbude” von knapp 25 m².

    Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärungen und Erklärungen zur Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge für die Streitjahre 2004 und 2005 machte der Kläger Aufwendungen in Höhe von insgesamt 5.461,– EUR (2004) und EUR 3.865,– (2005) als vorweggenommene Betriebsausgaben aus selbständiger Arbeit geltend. Hiervon entfielen EUR 4.476,– (2004) bzw. EUR 2.649,– (2005) auf Miete und Strom für die Wohnung am Studienort und EUR 192,– (2004) bzw. EUR 140,– (2005) auf Telefonkosten.

    Das zunächst zuständige Finanzamt C-Stadt erkannte die erklärten negativen Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht an, setzte die Einkommensteuern für 2004 und 2005 auf EUR 0,00 fest und stellte –jeweils unter Fortschreibung des zum 31.12.2003 festgestellten Verlustvortrags– die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer zum 31.12.2004 und 31.12.2005 auf jeweils EUR 1.661 fest.

    Im anschließenden beim Finanzgericht geführten Klageverfahren erklärte der Kläger bisher nicht angegebene Einnahmen aus Kapitalvermögen von EUR 2.085 (2004) und EUR 2.780 (2005) sowie aus selbständiger Arbeit von EUR 1.000 (2005) nach.

    Der inzwischen durch einen Wohnortwechsel des Klägers zuständig gewordene Beklagte stellte daraufhin mit geänderten Bescheiden vom 2.11.2009 die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31.12.2004 auf 997,– und auf den 31.12.2005 auf EUR 0,– fest. In diesen Bescheiden, die gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden sind, blieben weiterhin die Studienkosten unberücksichtigt.

    Mit der daraufhin an das Finanzgericht Münster verwiesenen Klage begehrt der Kläger weiterhin die Berücksichtigung seiner Studienkosten als vorweggenommene Betriebsausgaben. Sein Studium der Rechtswissenschaften habe final im Zusammenhang mit seiner späteren, inzwischen ausgeübten Berufstätigkeit als Rechtsanwalt gestanden. Der Betriebsausgabenabzug gehe dem Sonderausgabenabzug vor. Diese Argumentation habe inzwischen auch der Bundesfinanzhof in seinen Urteilen vom 28.7.2011 VI R 38/10, BFHE 234/ 279, BFH/NV 2011, 2909 und VI R 7/10, BFHE 234, 271, BFH/NV 2011, 1779) bestätigt. Der Beklagte hätte damit von Anfang an seine Ausgaben anerkennen müssen, da nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden seien.

    Die durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BeitrRLUmsG) vom 07.12.2011 (BGBl I 2011, 2592) in §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 und 12 Nr. 5 EStG erfolgte angebliche „Klarstellung”, dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung bzw. ein Erststudium ohne vorangegangene Berufsausbildung keine Betriebsausgaben oder Werbungskosten seien, sei in seinem Fall nicht anzuwenden.

    Die in § 52 Abs. 12, Abs. 23d und Abs. 30a EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG geregelte Geltung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 sei wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig.

    Er habe im Vertrauen auf die in 2003 ergangenen Entscheidungen des BFH zur steuerlichen Abzugsfähigkeit der Kosten der Berufsausbildung seine Ausgaben für das Studium getätigt. Diese Aufwendungen seien für 2003 noch berücksichtigt und erst ab 2004 nach der damals geänderten und mit der Klage angegriffenen Gesetzeslage nicht mehr anerkannt worden. Er habe aber immer darauf vertraut, dass sich diese Gesetzeslage als verfassungswidrig erweisen würde.

    Im Hinblick auf hierzu bereits beim BFH rechtshängige Parallelverfahren habe er einem Ruhen seines Verfahrens zugestimmt. Da die Kläger der Parallelverfahren obsiegt und ihre Besteuerungsrechte durchgesetzt hätten, dürfe er nicht rückwirkend aus dieser Position herausgedrängt werden.

    Die bei den Betriebsausgaben geltend gemachten Ausgaben für Miete und Strom seiner Wohnung am Studienort seien aufgrund einer doppelten Haushaltsführung zu berücksichtigen. Er habe den Hausstand, den er als Abiturient und Bundeswehrsoldat im elterlichen Hause gehabt habe, stets beibehalten. Sein Wohnbereich habe das im 1. Stock gelegene Arbeits- und Schlafzimmer, den zugehörigen Wohnflur zum Treppenaufgang und den Zugang zum Bad umfasst. Eine Küche sei nicht erforderlich gewesen. Eine rechtliche Nutzungsvereinbarung mit seinen Eltern habe nicht bestanden. Er habe sich regelmäßig an den Wochenenden zuhause aufgehalten und sich dabei um seine alte, damals allein wohnende Patentante gekümmert. Dies sei auch der Grund gewesen, dass er sich später um eine Referendarstelle in A-Stadt beworben habe. Vereinsmitgliedschaften hätten damals weder in A-Stadt noch in B-Stadt und später in C-Stadt bestanden.

    Die Telefonkosten stellten typisch studienbedingten Aufwand dar. Das private Telefonieren habe eine völlig untergeordnete Rolle gespielt.

    Der Kläger beantragt,

    unter Änderung der Bescheide vom 2.11.2009 über die Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zum 31.12.2004 und 31.12.2005 den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben von EUR 5.461,– (2004) bzw. EUR 3.865 (2005) festzustellen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er meint, die Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung bzw. ein Erststudium ohne vorangegangene Berufsausbildung seien gemäß §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 und 12 Nr. 5 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG keine Betriebsausgaben oder Werbungskosten. Dies gelte gem. § 52 Abs. 12, Abs. 23d und Abs. 30a EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG ab dem Veranlagungszeitraum 2004 und daher auch für den Streitfall. Unabhängig davon unterlägen die Aufwendungen für die Wohnung am Studienort, die Stromkosten und die Telefongebühren dem Abzugsverbot nach § 12 Nr. 1 EStG und seien daher nicht als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.

    II.

    Die Klage ist unbegründet.

    Die Bescheide vom 2.11.2009 über die gesonderte Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31.12.2004 und 31.12.2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).

    1. Der Beklagte hat zu Recht die geltend gemachten Aufwendungen des Klägers für sein Erststudium nicht als (vorweggenommene) Betriebsausgaben berücksichtigt. Bei den Aufwendungen des Klägers für sein Erststudium, das ihm zugleich eine Erstausbildung vermittelt und das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden hat, handelt es sich um Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, die gem. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der für die Streitjahre 2004 und 2005 geltenden Fassung bis zu 4.000 EUR im Kalenderjahr als Sonderausgaben abzugsfähig sind. Zwar ist nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG der Werbungskostenabzug gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig (BFH-Urteile vom 28.07.2011 VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779 und VI R 38/10, BFH/NV 2011, 1782). Dass die hier streitigen Aufwendungen jedoch keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit sind, ordnet § 12 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 9 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG ausdrücklich an.

    §§ 12 Nr. 5 und 4 Abs. 9 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG sind gemäß Art. 25 Abs. 4 BeitrRLUmsG am Tag nach der Verkündung des BeitrRLUmsG, d.h. am 14.12.2011 in Kraft getreten. Die vorgenannten Regelungen sind nach § 52 Absätze 23d und 30a EStG in der durch Art. 2 Nr. 34 Buchst. d und g des BeitrRLUmsG geänderten Fassung bereits für Veranlagungszeiträume ab 2004 – und somit auch für die Streitjahre 2004 und 2005 – anzuwenden (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612; FG Münster Beschluss vom 12.03.2012 10 V 514/12 E, n.v.).

    Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen sind folglich Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG, denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 9 i.V.m. § 12 Nr. 5 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG. Er absolviert sein Studium insbesondere nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses.

    2. Die gesetzlichen Neuregelungen in § 6 Abs. 9, § 12 Nr. 5 und § 52 Absätze 23d und 30a EStG verstoßen nach der Überzeugung des Senats nicht gegen Verfassungsrecht. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung enthalten diese Vorschriften nicht.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entfaltet eine Rechtsnorm eine „echte” Rückwirkung, wenn sie die Geltung für (Erhebungs-) Zeiträume anordnet, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegen und abgeschlossen sind – Rückbewirkung von Rechtsfolgen – (BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612). Vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bedürfen Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändern, besonderer Rechtfertigung und sind daher verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig (BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187).

    In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch – ohne dass dies abschließend wäre – Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist (BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts nicht oder nicht mehr bestehen konnte (BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239). Eine Änderung mit Rückwirkung ist auch dann zulässig, wenn das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und verworren war (BVerfG-Beschlüsse vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; vom 14.05.1986 2 BvL 23, BVerfGE 72, 200). Dementsprechend ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erst recht nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfG-Beschlüsse vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187, vom 23.01.1990 1 BvL 4, 5, 6 und 7/87, BVerfGE 81, 228). Denn es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein mag, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält (BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Vorliegend ist die Prüfung eines Rückwirkungsverbots nicht deswegen entbehrlich, weil in den Gesetzesmaterialien die Auffassung vertreten wird, die Neuregelung diene (lediglich) der Klarstellung (BT-Drucks. 17/7524, S. 12, 13, 14 und 20) und stelle daher keine rückwirkende Gesetzesänderung dar. Rein deklaratorisch und nicht konstitutiv ist eine gesetzliche Regelung nur dann, wenn sich das nunmehr ausdrücklich Geregelte auch schon bisher unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsregeln aus dem Gesetz hat ableiten lassen. Dass dieses Erfordernis hier nicht erfüllt ist, zeigen die Ausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Entscheidungen vom 28.07.2011 VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779 und VI R 38/10, BFH/NV 2011, 1782. Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung (BVerfG-Beschluss vom 21.07.2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Im Streitfall handelt es sich um einen Fall der echten Rückwirkung, da Art. 2 Nr. 34 Buchst. d und g des BeitrRLUmsG der neu angefügten Vorschrift des § 4 Abs. 9 EStG und der geänderten Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG auch für die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des BeitrRLUmsG liegenden und bereits abgeschlossenen Veranlagungszeiträume 2004 bis 2010 Geltung verschafft. Diese echte Rückwirkung ist aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig.

    Der Gesetzgeber durfte mit Rückwirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 anordnen, dass Aufwendungen für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben sind, wenn dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Denn hiermit hat der Gesetzgeber die Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, wie sie bis zur Änderung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 17.04.1996 VI R 94/04, BStBl II 1996, 450) und der einhelligen Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis entsprach. Die Gesetzesänderung durch das BeitrRLUmsG beruht auf der Fortentwicklung der Rechtsprechungsänderung des BFH mit Urteilen vom 28.07.2011, nach der solche Aufwendungen Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein können (BFH-Urteile vom 28.07.2011 VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779 und VI R 38/10, BFH/NV 2011, 1782; Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/7524, S. 12, 20). Beginnend mit der Entscheidung vom 04.12.2002 (Az. VI R 120/01, BStBl. II 2003, 403) und ihr folgend mit den Entscheidungen vom 17.12.2002 (Az. VI R 137/01, BStBl II 2003, 407) und vom 27.05.2003 (Az. VI R 33/01, BStBl II 2004, 884) hat der BFH von seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung mit einer strikten Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung Abstand genommen und Ausbildungskosten nicht mehr generell als steuerlich unbeachtliche Kosten der privaten Lebensführung betrachtet, sondern deren Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben oder Werbungskosten unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Die hier vorliegende Rückwirkung ist auch im Hinblick darauf ausnahmsweise zulässig, dass der BFH in seinen Urteilen vom 28.07.2011 erklärt hat, dass nach Ergehen des Gesetzes vom 21.07.2004 eindeutige gesetzliche Regelungen fehlen würden und er die Rechtslage daher als unklar ansehe (FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Der Kläger hat kein schutzwürdiges Vertrauen in die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen als (vorweggenommene) Betriebsaugaben aufgrund geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung bilden können. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen (BVerfG-Beschluss vom 21.07.2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung im Sinne des Klagebegehrens existierte hier nicht. Der BFH änderte seine Rechtsprechung erst beginnend mit seiner Entscheidung vom 04.12.2002 (BFH-Urteil vom 04.12.2002 VI R 120/01, BStBl II 2003, 403). Zudem hat der Gesetzgeber seinen Willen, dass Aufwendungen für ein Erststudium, das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, trotz sich fortentwickelnder Rechtsprechung nur als Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen sind, bereits mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.07.2004 (BGBl. I 2004, 1753), kundgetan. So hieß es bereits in dem durch dieses Gesetz angefügten § 12 Nr. 5 EStG, dass Aufwendungen für ein Erststudium, das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, nicht abzugsfähig sind. Zwar war nach Auffassung des BFH das Abzugsverbot für Aufwendungen für ein Erststudium i.d.F. des Gesetzes vom 21.07.2004 im Hinblick auf den Eingangssatz des § 12 EStG nur unvollständig geregelt, weil der Gesetzgeber nicht auch in § 9 EStG den Werbungskostenabzug ausdrücklich ausgeschlossen hatte (BFH-Urteile vom 28.07.2011 VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779 und VI R 38/10, BFH/NV 2011, 1782), doch wurde der gesetzgeberische Wille zumindest in den Gesetzesmaterialien deutlich (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 15/3339, S. 1, 10). Zu der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, entschied der BFH im Lichte des Gesetzes vom 21.07.2004 erst mit seinen Entscheidungen vom 28.07.2011, mithin nach Ablauf der Streitjahre 2004 und 2005. Gerade nach den gesetzlichen Änderungen in 2004 konnte der Kläger aber nicht sicher sein, ob der BFH die zunächst eingeschlagene Richtung beibehalten würde. Zumal die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen einheitlich dahingehend ausgelegten, dass ein Verbot des Werbungskostenabzugs bestand (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Die gesetzlichen Neuregelungen in § 4 Abs. 9, § 12 Nr. 5 und § 52 Abs. 23d, 30a EStG sind ferner nicht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in dessen Ausprägung durch das Leistungsfähigkeitsprinzip und dem daraus abgeleiteten objektiven und subjektiven Nettoprinzip verfassungswidrig (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Während das objektive Nettoprinzip verlangt, dass nur das um die Erwerbsaufwendungen verminderte Einkommen steuerlich belastet wird (vertikale Steuergerechtigkeit zwischen den Steuerpflichtigen), sieht das subjektive Nettoprinzip die Abziehbarkeit unvermeidbarer Privatausgaben vor (horizontale Steuergerechtigkeit zwischen den Steuerpflichtigen). Bedeutung erlangt das Nettoprinzip vor allem auch im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung – so auch Abzugsverbote für beruflich veranlasste Aufwendungen – bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes. Der Gesetzgeber kann sich hierbei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    Aufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, sind gemischt veranlasste Aufwendungen, so dass sie nicht zwangsläufig dem objektiven Nettoprinzip unterfallen und der Gesetzgeber sie nicht zum Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug zulassen muss. Sie sind nicht zwangsläufig beruflich veranlasst, weil ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt des Studiums an eine spätere Berufstätigkeit fehlt. So können bei den getätigten Aufwendungen auch private Interessen im Vordergrund stehen oder der Steuerpflichtige übt den mit dem Studium angestrebten Beruf möglicherweise schließlich gar nicht aus bzw. für die spätere berufliche Tätigkeit wären die getätigten Aufwendungen in dem erfolgten Umfang nicht notwendig gewesen. Der Gesetzgeber hat mit der generalisierenden Zuweisung der Aufwendungen zum Bereich der Sonderausgaben eine Wertung vorgenommen, die im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums liegt. Sie führt zu mehr Steuergerechtigkeit, da die Abgrenzung zwischen Fällen mit einem zur späteren Berufstätigkeit vordergründig bestehendem Veranlassungszusammenhang und Fällen ohne einen solchen Veranlassungszusammenhang schwierig ist. Es gibt schwer zu entscheidende Grenzfälle. Durch eine Abgrenzung nicht nach dem typischen Wesen dieser Kosten, sondern nach Zeitpunkt und Zweck des Studiums, würden sich offenbare Ungerechtigkeiten nicht vermeiden lassen. Zudem dient der Umstand, dass der Abzug der Aufwendungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG kalenderjährlich auf 4.000 EUR begrenzt ist, der horizontalen Steuergerechtigkeit zwischen gut und schlecht situierten Steuerpflichtigen (FG Düsseldorf Urteil vom 14.12.2011 14 K 4407/10, Juris-Datenbank; FG Münster Urteil vom 20.12.2011 5 K 3975/09, EFG 2012, 612).

    4. Schließlich hat der Kläger auch nicht deshalb einen Anspruch auf Berücksichtigung der streitigen Studienkosten, weil sein Verfahren im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Musterverfahren gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung geruht hat.

    Der Senat verkennt dabei nicht, dass der BFH –entsprechend seiner in den Urteilen vom 28.7.2011 VI R 38/10, BFHE 234/ 279, BFH/NV 2011, 2909 und VI R 7/10, BFHE 234, 271, BFH/NV 2011, 1779 geäußerten Rechtsauffassung– im Fall des Klägers möglicherweise die streitigen Studienkosten jedenfalls dem Grunde nach als Betriebsausgaben berücksichtigt hätte. Diese Urteile des BFH entfalten aber unmittelbare Rechtwirkungen nur gegenüber den Beteiligten dieser beiden Verfahren, nicht jedoch auch gegenüber dem Kläger.

    Im hier zu entscheidenden Verfahren des Klägers scheidet –wie oben ausgeführt– ein Betriebsausgabenabzug nach der inzwischen erfolgten und auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots zulässigen „Klarstellung” der §§ 12 Nr. 5 und 4 Abs. 9 EStG aus.

    Allein aufgrund des auch auf Antrag des Klägers erfolgten Ruhens des Verfahrens ergibt sich weder ein Vertrauenstatbestand noch ein Anspruch auf Berücksichtigung der streitigen Betriebsausgaben.

    4. Da die geltend gemachten Aufwendungen bereits dem Grunde nach nicht als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind, kann offen bleiben, ob die Kosten für Miete und Strom wegen Vorliegens einer doppelten Haushaltsführung abzugsfähig sind und ob und inwieweit die Telefonkosten durch das Studium veranlasst waren.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    6. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenEStG § 4 Abs 9, EStG § 52 Abs 23d, EStG § 12 Nr 5

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