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  • 23.02.2012

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 27.01.2012 – 1 V 226/11

    Die Rechtmäßigkeit der Besteuerung im Veranlagungszeitraum 2009 zugeflossener Zinsen i.S.d. § 233a AO auf Einkommensteuererstattungen auf der Grundlage der mit dem JStG 2010 eingeführten und nach § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG auf alle offenen Fälle anwendbaren Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG ist ernstlich zweifelhaft i.S.d. § 69 FGO (Anschluss an FG Düsseldorf Beschluss vom 05.09.2011 1 V 2325/11 A(E) und FG Münster Beschluss vom 27.10.2011 2 V 913/11 E; entgegen FG Münster Urteil vom 16.12.2010 5 K 3626/03 E und Schleswig-Holsteinisches FG Beschluss vom 01.06.2011 2 V 35/11).


    Tatbestand

    I.

    Die Beteiligten streiten in der noch im Stadium des Einspruchsverfahrens befindlichen Hauptsache darüber, ob der Antragsgegner zu Recht zugeflossene Erstattungszinsen i.S.d. § 233a Abgabenordnung (AO) bei der Einkommensteuerveranlagung der Antragsteller (Ast) als Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt hat.

    Die Antragsteller (Ast) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2009 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 06. Juni 2011 setzte der Ag die Einkommensteuer für 2009 auf ... EUR fest. Dabei berücksichtigte er auf Einkommensteuererstattungen entfallende Zinsen i.S.d. § 233 a AO, die den Ast in Höhe von 10.344,00 EUR zugeflossen waren, als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Auf diese Zinsen entfiel eine Einkommensteuer in Höhe von 2.529,00 EUR.

    Dagegen legten die Ast am 06. Juli 2011 Einspruch ein. Zugleich beantragten sie, die Vollziehung des Bescheides im Hinblick auf die Erfassung der Erstattungszinsen bis zur Entscheidung über den Einspruch auszusetzen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) gehörten Erstattungszinsen i.S.d. § 233a AO nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Auch der mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2010 vom 08. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) eingefügte § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ändere daran nichts. Außerdem stehe der Anwendung der Vorschrift auf das Streitjahr 2009 das verfassungsrechtlich gewährleistete Rückwirkungsverbot entgegen.

    Der Ag gewährte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) zunächst antragsgemäß. Eine Einspruchsentscheidung ist bislang nicht ergangen, das Verfahren ruht gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO im Hinblick auf die bei dem BFH anhängigen Revisionsverfahren VIII R 36/10 und VIII R 1/11.

    Unter dem 02. November 2011 befristete der Ag die bis dahin gewährte AdV bis zum 30. November 2011. Der angefochtene Bescheid entspreche der mit dem JStG 2010 geschaffenen Gesetzeslage, so dass keine ernstlichen Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestünden.

    Mit ihrem Antrag vom 02. Dezember 2011 suchen die Ast nunmehr um vorläufigen Rechtsschutz bei dem Gericht nach. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen und damit auch an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschrift Bezug genommen.

    Die Ast beantragen (sinngemäß),

    die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides vom 06. Juni 2011 in Höhe eines Einkommensteuerbetrages von 2.529,00 EUR auszusetzen.

    Der Ag beantragt,

    den Antrag abzulehnen,

    und beruft sich weiterhin auf die aktuelle Gesetzeslage.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die von den Beteiligten zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten.

    Gründe

    II.

    Der zulässige Antrag ist auch begründet.

    1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt. Danach ist ein an das Gericht gerichteter AdV-Antrag nur zulässig, wenn zuvor die Finanzbehörde einen Antrag auf Aussetzung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das ist hier der Fall. Zum einen dürfte die bis zum 02. November 2011 erfolgte Befristung der gewährten AdV bis zum 30. November 2011 der Sache nach als Ablehnung unter Einräumung einer (Zahlungs-)Frist zu verstehen sein. Zum anderen beinhaltet die Gewährung der befristeten AdV jedenfalls eine Teilablehnung des weitergehenden AdV-Antrages.

    2. Der Antrag ist auch begründet. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen; dabei gelten § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO sinngemäß. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes können sich auch aus einer behaupteten Verfassungswidrigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. den BFH-Beschluss vom 15.12.2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411 m.w.N.). Denn der Bürger hat einen grundrechtlich verbürgten Anspruch darauf, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Abgaben herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung entsprechen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 03.12.1958 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, und vom 10.03.1998 1 BvR 178/97, BVerfGE 97, 332). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschluss vom 10.02.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (vgl. die BFH-Beschlüsse vom 20.05.1997, VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BFH/NV 1997, 462, und vom 23.08.2004 IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden (vgl. z.B. die BFH-Beschlüsse vom 20.05.1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BFH/NV 1997, 462, und vom 06.03.2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147).

    Auf der Grundlage der danach erforderlichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2009 auszusetzen, soweit die Steuerfestsetzung darauf beruht, dass die Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt worden sind.

    a.) Es sprechen gewichtige Gründe sowohl dafür als auch dagegen, dass der Einkommensteuerbescheid insoweit rechtmäßig ist.

    aa.) Dafür, dass der Ag die hier in Rede stehenden Erstattungszinsen zu Recht als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst hat, spricht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des mit dem JStG 2010 neu eingefügten § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG bei dessen isolierter Betrachtungsweise erfüllt sein dürften. Danach stellen Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO, die den Ast hier im Jahre 2009 in Höhe von 10.344,00 EUR zugeflossen sind, Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne des Satzes 1 des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar, die wiederum zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehören.

    Zwar ist die Vorschrift erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums 2009, nämlich am Tag nach der Verkündung des JStG 2010 (also am 14. Dezember 2010) in Kraft getreten. Dem ebenfalls mit dem JStG 2010 eingefügten § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG zufolge ist sie jedoch in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer - wie hier - noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.

    Ausweislich der Gesetzesbegründung war es auch gerade die Intention des Gesetzgebers, mit der Einfügung der genannten Vorschriften für Sachverhalte wie den vorliegenden klarzustellen, dass Erstattungszinsen i.S.d. § 233a AO der Einkommensbesteuerung zu unterwerfen sind (vgl. den Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 vom 28.10.2010, BT-Drs 17/3549, S. 17). Zu dieser Klarstellung hatte sich der Gesetzgeber der weiteren Begründung zufolge durch das Urteil des BFH vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) veranlasst gesehen. Mit diesem hatte der BFH erkannt, dass Erstattungszinsen i.S.d. § 233a AO nicht der Besteuerung unterliegen, soweit sie auf Steuern entfallen, die gem. § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbar sind. Dabei werde mit der Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in allen Fällen, in denen die Steuer vom Einkommen noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden sei, kein Vertrauen der Steuerpflichtigen in bestehende Regelungen verletzt. Denn bis zu der genannten Entscheidung des BFH sei die Steuerbarkeit von Erstattungszinsen niemals strittig gewesen sei (vgl. den Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 vom 28.10.2010, BT-Drs 17/3549, S. 23).

    bb.) Allerdings sprechen auch gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Diese ergeben sich zum einen aus den Ausführungen des BFH in dem o.g. Urteil und zum anderen aus dem Umstand, dass der Ag die Neufassung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auf das Streitjahr 2009 angewendet hat.

    (1) So erscheint ernstlich zweifelhaft, ob durch § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 Zinsen auf Einkommensteuererstattungen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst werden können, oder ob sie durch § 12 Nr. 3 EStG dem steuerbaren Bereich entzogen bleiben. Für letzteres sprechen die Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503). Denn der BFH hat in diesem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er im Grundsatz an der bisherigen Rechtsprechung festhalte, der zufolge Erstattungszinsen beim Empfänger der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen. Allerdings sei für Erstattungszinsen auf Steuern, die in § 12 Nr. 3 EStG genannt werden, also u.a. Steuern vom Einkommen, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung die Regelung des § 12 Nr. 3 EStG vorrangig in der Weise zu beachten, dass solche Erstattungszinsen - ebenso wie die entsprechenden Steuererstattungen - dem Steuerpflichtigen nicht nach § 8 Abs. 1 EStG „im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG” zuflössen. § 12 Nr. 3 EStG regele nicht lediglich ein gesetzliches Abzugsverbot, sondern weise die genannten Steuern dem nichtsteuerbaren Bereich zu. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung strahle auch auf den umgekehrten Vorgang einer Erstattung solcher Steuern aus. Gleiches habe für Erstattungszinsen i.S.d. § 233a AO zu gelten, die als steuerliche Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 4 AO das „Schicksal” der Hauptforderung teilten und daher von § 12 Nr. 3 EStG ebenfalls dem nichtsteuerbaren Bereich zugewiesen seien. Dem stehe die Entstehungsgeschichte des § 233a AO nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe ursprünglich mit der Normierung der Erfassung von Erstattungszinsen einerseits sowie mit der Möglichkeit der Berücksichtigung von Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG andererseits ein „symmetrisches Normgefüge” geschaffen. Dieses sei jedoch durch die Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG mit Wirkung ab 1999 entfallen. Würden Erstattungs- und Nachzahlungszinsen im Anwendungsbereich des § 12 Nr. 3 EStG einheitlich dem steuerlichen Bereich entzogen, so sei insoweit lediglich der vom Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigte Gleichlauf wieder hergestellt.

    Zinsen auf Einkommensteuererstattungen, wie sie hier in Rede stehen, sind nach Auffassung des BFH also grundsätzlich gem. § 12 Nr. 3 EStG dem steuerlichen Bereich entzogen. Angesichts dessen wird die Auffassung vertreten, dass die Einfügung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG auf die steuerliche Behandlung solcher Erstattungszinsen schon deshalb keine Auswirkung haben könne, weil der Gesetzgeber dadurch gerade keine Änderung des § 12 Nr. 3 EStG und eben nicht bewirkt habe, dass die Zinsen fortan in den steuerlich relevanten Bereich fielen (vgl. Stuhrmann in Blümich, EStG, KStG u. GewStG, § 20 EStG, Tz. 322; Strahl, KÖSDI 2011, 17295; Korn, SteuK 2011, 187 m.w.N.; Panzer/Gebert, DS­tR 2011, 741). Für diese Sichtweise spricht, dass der BFH (vgl. schon oben) ausdrücklich gerade nicht in Abrede gestellt hat, dass die Tatbestandsmerkmale des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG im Hinblick auf Zinsen auf Einkommensteuererstattungen grundsätzlich erfüllt wären. Soweit dem entgegengehalten wird, dass sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut der Norm ergebe, dass § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG eine gegenüber § 12 Nr. 3 EStG vorrangige Spezialregelung darstelle (so Urteil des FG Düsseldorf vom 17.05.2011 6 K 703/08, zitiert nach juris; Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 01.06.2011 2 V 35/11, EFG 2011, 1687; Zimmermann, EFG 2011, 651), erscheint dies dem Senat angesichts der Systematik des Einkommensteuergesetzes nicht bedenkenfrei. Zwar mag der Gesetzgeber solches bei der Abfassung des JStG 2010 durchaus bezweckt haben. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob ihm die gesetzestechnische Umsetzung auch gelungen ist oder ob er mit der bloßen Einfügung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG nicht zu kurz gegriffen hat (so auch die Beschlüsse des FG Düsseldorf vom 05.09.2011 1 V 2325/11 A(E), zitiert nach juris, und des FG Münster vom 27.10.2011 2 V 913/11 E, zitiert nach juris).

    Unabhängig davon ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, ob hier angesichts der früheren gesetzgeberischen Grundentscheidung zugunsten eines symmetrischen Normgefüges im Hinblick auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen i.S.d. § 233a AO (vgl. oben) und angesichts des derzeit immer noch bestehenden Normgefüges im Hinblick auf § 12 EStG vom Gesetzgeber nicht besondere Anforderungen an die folgerichtige Umsetzung einkommensteuerlicher Belastungsentscheidungen zu beachten gewesen wären und über die bloße Ergänzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG hinaus ein wirklich neues Regelwerk zu schaffen gewesen wäre (vgl. dazu den Beschluss des FG Münster vom 27. Oktober 2011 2 V 913/11 E, zitiert nach juris, unter Bezugnahme insbesondere auf das Urteil des BFH vom 28. Juli 2011 VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779 und m.w.N. auch aus der Rechtsprechung des BVerfG).

    (2) Darüber hinaus erscheint es bei summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen, dass § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG) folgende Rückwirkungsverbot verstoßen. Eine Rechtsnorm entfaltet eine - grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässige - sog. „echte Rückwirkung”, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine Norm wird erst mit ihrer Verkündung rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BGBl I 2010, 1296). Eine solche Rückwirkung von Rechtsfolgen ist daher nur unter engen Voraussetzungen zulässig und bedarf einer besonderen sachlichen Legitimation. Diese wird z.B. dann angenommen, wenn ein rechtsdogmatisches Fehlurteil korrigiert werden soll oder zwingende Gründe des Gemeinwohls eine rückwirkende Regelung gebieten. Bei rein fiskalischen Motiven ist eine rückwirkend belastende Steuergesetzgebung in der Regel rechtsstaatswidrig (vgl. die Beschlüsse des BVerfG vom 03.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725, und vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628, bestätigt durch Beschlüsse vom 07.07.2010 zu 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 sowie 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BGBl I 2010, 1296).

    Hier liegt eine sog. „echte Rückwirkung” vor. Denn § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG n.F. bestimmt eine Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in allen Fällen, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Danach ist die Vorschrift auch auf Steuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume anzuwenden, die - wie das Streitjahr 2009 - im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Normen Ende 2010 bereits abgeschlossen waren und für die die Steuer gem. § 36 Abs. 1 EStG bereits entstanden war.

    Ob (und ggf. wodurch) sich diese Rückwirkung ausnahmsweise rechtfertigen lässt, erscheint zweifelhaft. Weder ist erkennbar, dass mit der Entscheidung des BFH vom 15.06.2010 VIII R 33/07 ein rechtsdogmatisches Fehlurteil ergangen ist, noch, dass zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine rückwirkende Regelung gebieten würden (vgl. dazu die Beschlüsse des FG Düsseldorf vom 05.09.2011 1 V 2325/11 A(E), zitiert nach juris, und des FG Münster vom 27.10.2011 2 V 913/11 E, ebenfalls zitiert nach juris). Demgegenüber spricht die Gesetzesbegründung dafür, dass fiskalische Motive jedenfalls nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung gewesen sein dürften (vgl. den Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 vom 28.10.2010, BT-Drs 17/3549, S. 8). In der Literatur wird daher vielfach die Ansicht vertreten, dass die rückwirkende Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG verfassungswidrig sei (vgl. Jochum in Kirchhof, EStG, § 20 Tz. C/7 37; Hamacher/Dahm in Korn/Carlé/Stahl/Strahl, EStG, § 20 Tz. 289; Schlotter in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 20 Tz. 636; Panzer/Gebert, DStR 2011, 741; wohl auch Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 Tz. 444; Strahl, KÖSDI 2011, 17295). Dagegen wird angeführt, dass mit der Gesetzesänderung lediglich die bis dahin auch von der Rechtsprechung vertretene ursprüngliche Rechtslage wieder hergestellt werde und dass es deshalb an einem schutzwürdigen Vertrauen des Einzelnen auf die Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen fehle (so Urteile des FG Münster vom 16.12.2010 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649, und des FG Düsseldorf vom 17.05.2011 6 K 703/08 K, G, zitiert nach juris, sowie der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen FG vom 01.06.2011 2 V 35/11, EFG 2011, 1687). Dem wiederum wird allerdings zum einen entgegengehalten, dass der BFH nach der ihm unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung allein zustehenden Befugnis, Steuergesetze verbindlich auszulegen, mit der genannten Entscheidung die schon früher bestehende objektive Gesetzeslage zu den Erstattungszinsen gem. § 233a AO ermittelt haben dürfte (vgl. Beschluss des FG Münster vom 27.10.2011 2 V 913/11 E, zitiert nach juris, m.w.N.), und dass die danach objektiv bestehende Rechtsposition einem Steuerpflichtigen auch dann nicht durch ein Gesetz rückwirkend entzogen werden dürfe, wenn die Position von der Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt worden war (vgl. dazu Zimmermann, EFG 2011, 651). Zum anderen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen Veranlagungszeiträume vor 1999 betrifft, in denen die Gesetzessymmetrie durch die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Werbungskosten oder als Sonderausgaben nach der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG noch gewährleistet war (vgl. auch dazu den Beschluss des FG Münster vom 27.10.2011 2 V 913/11 E, zitiert nach juris). Von einer „Wiederherstellung” einer auch von der Rechtsprechung vertretenen ursprünglichen Rechtslage in dem o.g. Sinne dürfte aber wohl nur ausgegangen werden können, wenn diese auch auf einer identischen Gesetzeslage beruht (so auch Panzer/Gebert, DStR 2011, 741).

    c.) Danach ist festzuhalten, dass die gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sprechenden Umstände diejenigen, die für seine Rechtmäßigkeit sprechen, zwar nicht unbedingt überwiegen mögen. Die Argumente, die gegen seine Rechtmäßigkeit sprechen, werden durch die dafür sprechenden aber auch keineswegs ausgeräumt. Die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen werden - wie die oben angeführten Zitate zeigen - sowohl in der Literatur als auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung durchaus kontrovers diskutiert und unterschiedlich beurteilt. Höchstrichterliche Entscheidungen zu den genannten Fragestellungen liegen noch nicht vor, entsprechende Revisionsverfahren sind bei dem BFH aber bereits anhängig (unter den Aktenzeichen VIII R 36/10 und VIII R 1/11); gleiches gilt für diverse Beschwerdeverfahren (unter den Aktenzeichen VIII B 95/11, 146/11 und 190/11). Für die Klärung dieser Rechtsfragen ist in dem vorliegenden AdV-Verfahren kein Raum. Sie muss dem Hauptverfahren vorbehalten bleiben. Bis in diesem eine (zunächst Einspruchs-)Entscheidung ergeht, ist die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen. Da über Ansprüche auf vorläufigen Rechtsschutz in jedem Verfahrensabschnitt gesondert zu entscheiden ist, hat das Gericht die AdV zeitlich bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung begrenzt.

    3. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO.

    4. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird gem. §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

    Vorschriften§ 233a AO, EStG 2009, GG Art. 20 Abs. 3, FGO § 69 Abs. 3

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