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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 01.12.2005 – 2 K 174/04

    Zur Haftung für Steuern (Lohnsteuer, Umsatzsteuer), wenn eine nach steuerrechtlichen Vorschriften gebotene Steuerzahlung gleichzeitig eine nach insolvenzrechtlichen Vorschriften der § 130 ff InsO anfechtbare Handlung darstellt.


    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin.

    Die Klägerin ist seit 22. April 1991 Geschäftsführerin der ... GmbH (GmbH). Zu weiteren Geschäftsführern sind der kaufmännische Angestellte A und der technische Angestellte B bestellt worden. Die Geschäftsführer sind jeweils alleinvertretungsberechtigt. Die Klägerin ist von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit. Das Stammkapital von 50.000 DM wird zu 91,4 % von der Klägerin gehalten. Die GmbH schuldete nach dem Stand vom 07. Mai 2003 folgende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis:

    Umsatzsteuer 2/200310.817,13 €108,00 € Säumniszuschläge
    Umsatzsteuer 1/200371,50 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 3/20033.251,21 €32,50 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 2/20033.216,02 €64,00 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 1/2003 2,00 € Säumniszuschläge
    ev. Kirchenlohnsteuer 3/200387,71 €
    ev. Kirchenlohnsteuer 2/200383,64 €
    röm. Kirchenlohnsteuer 3/20030,62 €
    röm. Kirchenlohnsteuer 2/20030,62 €
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 3/2003135,19 €1,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 2/2003123,52 €2,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 1/20033,00 € Säumniszuschläge
    Vollstreckungsgebühren 2003290,62 €
    Umsatzsteuer 11/2002472,80 €9,00 € Säumniszuschläge
    Umsatzsteuer 10/200221.048,89 €420,00 € Säumniszuschläge
    Umsatzsteuer 9/20027.911,37 €474,00 € Säumniszuschläge
    Umsatzsteuer 7/20025.688,51 €429,50 € Säumniszuschläge
    Verspät.-Zuschlag Umsatzsteuer 11/2002790,00 €
    Verspät.-Zuschlag Umsatzsteuer 10/2002910,00 €
    Verspät.-Zuschlag Umsatzsteuer 7/2002500,00 €
    Lohnsteuer 12/20027.335,50 €292,00 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 11/2002124,00 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 10/20027.575,07 €453,00 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 9/2002131,00 € Säumniszuschläge
    Lohnsteuer 8/200269,50 € Säumniszuschläge
    Kirchenlohnsteuer 12/2002208,42 €
    Kirchenlohnsteuer 10/2002183,88 €
    röm. Kirchenlohnsteuer 12/20023,18 €
    röm. Kirchenlohnsteuer 10/20025,27 €
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 12/2002351,55 €14,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 11/20025,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 10/2002345,80 €18,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 9/20026,00 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 8/20023,00 € Säumniszuschläge
    Körperschaftsteuer 45/200220.560,00 €205,50 € Säumniszuschläge
    Solidaritätszuschl. Körperschaftsteuer45/20021.130,80 €11,00 € Säumniszuschläge
    Umsatzsteuer 200060.558,43 €605,50 € Säumniszuschläge
    Zinsen zur Umsatzsteuer 3.330,00 €
    Verspätungszuschlag Umsatzsteuer 20002.965,49 €
    Umsatzsteuer 199947.167,19 €471,50 € Säumniszuschläge
    Zinsen zur Umsatzsteuer 5.421,73 €
    Verspätungszuschlag Umsatzsteuer 19995.010,66 €
    Gesamt: 221.586,32 €


    Nach Aktenlage blieb die Vollstreckung in das Vermögen der GmbH ohne Erfolg. Am 02. April 2003 wurde über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzantrag gestellt. Mit Beschluss vom 05. Mai 2003 erfolgte die Gutachterbestellung. Am 1. August 2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs nahm das Finanzamt (FA), die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 14. Mai 2003 für die oben genannten Steueransprüche gegenüber der GmbH in Höhe von 122.896,76 € in Haftung. Bezüglich der aufgeführten Lohnsteuerbeträge wurde die Klägerin in voller Höhe über insgesamt 24.207,20 € in Haftung genommen. Bezüglich der Umsatzsteuern und Körperschaftsteuern sowie der Vollstreckungsgebühren ging das FA zugunsten der Klägerin davon aus, dass der GmbH die zur Tilgung der Umsatz- und Körperschaftsteuern erforderlichen Mittel nicht in voller Höhe zur Verfügung gestanden hätten und dass die Klägerin deshalb im Wege der Schätzung für jeweils 50 v. H. der genannten Umsatz- und Körperschaftsteuerbeträge sowie der Vollstreckungsgebühren, d.h. für 98.689,56 €, hafte. Im Einzelnen führte das FA u. a. aus: Die Haftung ergebe sich aus § 191 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 69 AO. Die Klägerin sei seit 22. April 1991 Geschäftsführerin der GmbH und habe als solche die steuerlichen Pflichten der GmbH entsprechend § 34 Abs. 1 AO zu erfüllen, insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihr verwalteten Mitteln entrichtet und die Steuererklärungspflichten im Sinne des § 149 ff AO erfüllt würden. Die im Haftungsbescheid aufgeführten Steueransprüche seien jedoch nicht erfüllt worden. Die eine Haftung begründenden Pflichtverletzungen stellten sich wie folgt dar: Bezüglich der Lohnsteuer sei die GmbH nach § 41 a Einkommensteuergesetz (EStG) verpflichtet, die von den Einkünften ihrer Arbeitnehmer durch Abzug vom Arbeitslohn zu erhebende Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Für diese Einbehaltung und Abführung hafte sie nach § 42 d EStG. Die Klägerin habe als Geschäftsführerin gemäß § 34 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 35 GmbH-Gesetz (GmbHG) die Pflicht, die Beträge, die nur treuhänderisch für die Arbeitnehmer verwaltet würden und demzufolge nicht zweckwidrig oder eigenmächtig verwendet werden dürften, rechtzeitig an das FA weiterzuleiten. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen. Dies könne auch nicht mit dem Fehlen von Geldmitteln entschuldigt werden, weil in diesem Fall die Auszahlungen an die Arbeitnehmer entsprechend hätten gekürzt werden müssen. Als treuhänderische Fremdgelder seien Lohnsteuern stets vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das FA abzuführen. Die Frage des Verschuldens sei insofern streng zu beurteilen. Die Klägerin hafte daher für die aufgeführten Lohnsteuerbeträge in voller Höhe. Bezüglich der Umsatz- und Körperschaftsteuern sowie der Vollstreckungsgebühren seien die Umsatzsteuervoranmeldungen 7, 10 und 11/2002 und die Umsatzsteuerjahreserklärungen 1999 und 2000 verspätet eingereicht worden, so dass die Steuern nicht rechtzeitig festgesetzt worden seien und das FA Verspätungszuschläge festgesetzt habe. Die im Haftungsbescheid insoweit aufgeführten Beträge habe die Klägerin nicht entrichtet, obwohl sie gemäß § 34 AO zur Bereithaltung der hierfür erforderlichen Mittel verpflichtet gewesen wäre. Da das FA Maßnahmen zur Beitreibung der Rückstände ergriffen habe, seien die genannten Vollstreckungsgebühren entstanden. Hinsichtlich dieser Beträge gelte der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der anteiligen Tilgung, wonach das FA bei der Begleichung von Steuerforderungen nicht schlechter gestellt werden dürfe als andere Gläubiger. Eine Haftung des Geschäftsführers komme nur in der Höhe in Betracht, in der eine evtl. Benachteiligung des FA vorgelegen habe, da nur insoweit ein Verschulden des Geschäftsführers gegeben sei. Das FA müsse deshalb die Haftungsquote ermitteln. Da die Klägerin die entsprechenden Angaben trotz Aufforderung nicht mitgeteilt habe, sei die Haftungsquote im Schätzungswege zu ermitteln. Zugunsten der Klägerin werde davon ausgegangen, dass der GmbH die zur Tilgung der Umsatz- und Körperschaftsteuern erforderlichen Mittel nicht in voller Höhe zur Verfügung gestanden hätten. Sie werde deshalb im Wege der Schätzung für jeweils 50 v. H. der genannten Umsatz- und Körperschaftsteuerbeträge sowie der Vollstreckungsgebühren in Anspruch genommen. Die Vollstreckung in das Vermögen der GmbH sei ohne Erfolg geblieben. Über das Vermögen der GmbH sei am 02. April 2003 ein Insolvenzantrag gestellt worden. Aufgrund dieser Umstände könne die Klägerin auf Zahlung der Haftungsschuld in Anspruch genommen werden. Gemäß § 191 AO stehe es im Ermessen des FA, einen Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Bei mehreren möglichen Haftungsschuldnern sei insoweit ein Auswahlermessen gegeben. Der in § 85 AO festgelegte Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung führe dazu, dass die Klägerin gemäß § 86 AO in pflichtgemäßem Ermessen mit diesem Bescheid für die Rückstände der GmbH in Haftung genommen werde. Die weiteren Geschäftsführer der GmbH, A und B, würden gleich lautende Bescheide erhalten. Die Klägerin würde neben diesen und der steuerpflichtigen Gesellschaft als Gesamtschuldnerin gemäß § 44 AO haften (s. im Einzelnen Haftungsbescheid vom 14. Mai 2003).

    Hiergegen erhob die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch. Mit Entscheidung vom 10. Mai 2004 reduzierte das FA die Haftungssumme auf 112.051,36 €. Die im Haftungsbescheid aufgeführten Rückstände hätten sich durch Korrekturen der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen zwischenzeitlich verringert. Dadurch vermindere sich auch die Haftungssumme. Insoweit wird auf die Anlage 1 zur Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage, zur deren Begründung die Klägerin Folgendes vorträgt:

    Die Voraussetzungen der Inanspruchnahme der Klägerin gemäß § 69 AO seien nicht vollständig dargestellt, denn es fehlten Angaben dazu, warum die unterlassenen Zahlungen und die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärung schuldhaft gewesen seien. Das FA bediene sich formelhafter Wendungen und unterstelle durch die Nichtzahlung ihr Verschulden. Das Verschulden müsse nachweisbar feststehen. Dabei seien Besonderheiten bei Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens besonders zu würdigen. Dem FA seien die wirtschaftlichen Probleme der GmbH und die Anstrengungen der Geschäftsführung, das Unternehmen wieder auf eine gesunde Basis zu stellen, seit langem bekannt. Es werde insoweit auf das Anlagenkonvolut K 1 und die darin enthaltenen diversen Schriftsätze verwiesen. Diesen sei zu entnehmen, dass die Gesellschaft große Anstrengungen unternommen habe, um die Steuerrückstände zu tilgen und laufend Zahlungen an das FA vorgenommen habe, die allerdings, anders als bei den übrigen Gläubigern, nicht auf die jeweils ältesten Forderungen berechnet worden seien, was die Vergleichbarkeit der Behandlung von FA und der übrigen Gläubiger erschwere. Aus dem Anlagenkonvolut werde deutlich, dass im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit der einzelnen Steuerbeträge keine liquiden Mittel vorhanden gewesen seien und auch der Kontokorrentkredit ausgeschöpft gewesen sei. Beispielhaft werde auf Kontoauszüge der ... Bank vom 01. Januar 2001 bis 31. März 2003 verwiesen, die beispielhaft im Anlagenkonvolut K 2 enthalten seien. Aus dem Schreiben der Volksbank vom 24. April 2003 (s. Anlage K 3) werde deutlich, dass die Klägerin in der Krise des Unternehmens Vermögenswerte in die Gesellschaft eingelegt habe, um den Verpflichtungen nachkommen zu können, was dazu geführt habe, dass keine freien Vermögenswerte bei den Gesellschaftern vorhanden seien. Bei diesen Gegebenheiten müssten besondere Gründe für ein Verschulden vom beklagten FA genannt und vorgetragen werden, um ein schuldhaftes Verhalten annehmen zu können. Solche Gründe habe das FA nicht dargetan. Im Übrigen berufe sie sich auf den Schuldausschließungsgrund der notstandsähnlichen Zwangslage, weil sie im Zeitpunkt der Zahlung anderer Verbindlichkeiten vor der Wahl gestanden habe, entweder die für eine Unternehmensfortführung unbedingt erforderlichen Zahlungen vornehmen zu können oder Lohnsteuern und andere Steuern zu zahlen. Bei einer Entscheidung zu Lasten der anderen Gläubiger hätte das Unternehmen ohne Arbeitnehmer oder lieferbare Waren dagestanden und seinen Betrieb einstellen müssen. Wer in einer solchen Situation aus Sorge um den Unternehmensfortbestand die dafür existenziell notwendigen Zahlung bevorzugt leiste, was ihr vorgeworfen werde, handele pflichtwidrig aber nicht schuldhaft. Wie bereits dargestellt, sei das FA bei den Zahlungen laufend berücksichtigt worden. Es seien laufend erhebliche Zahlungen geleistet worden, wie sich aus dem Kontoauszug des FA vom 28. Mai 2003 (Anlage K 4) ergebe. Bezüglich des Umfangs der Haftung sei Folgendes auszuführen: Der Haftungsbescheid unterscheide zwischen der vollen Lohnsteuerhaftung und der quotalen Haftung für die übrigen Steuern. Diese Unterscheidung entspreche zwar der Rechtsprechung, sei aber falsch. Es werde insoweit auf die bei Tipke/Kruse/Loose, AO/FGO, § 69 Tz. 40 ff dargelegte Rechtsauffassung verwiesen. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung von Steuerschulden beschränke die Haftung für alle Steuerschulden auf den Betrag, der von dem Erstschuldner bei pflichtgemäßen Verhalten des Haftenden hätte gezahlt werden können. Eine vorrangige Befriedigung des Fiskus hinsichtlich auch nur einzelner Steuern sei gesetzlich nicht vorgesehen und widerspreche dem Grundsatz einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Insolvenzfall. Es werde insoweit auf ein Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 26. Juni 2003, 5 V 2210/02, verwiesen. Der Haftungsbescheid sei deshalb in Höhe von 50 v.H. der Lohnsteuerbeträge = 12.103,60 € rechtswidrig. Im Übrigen ergebe der Betrag der Lohnsteuer rechnerisch berichtigt einen Betrag von 22.907,20 €. Dies führe zu einer Minderung in Höhe von 50 % des Differenzbetrages von 1.300 € = 650 €. Der Haftungsbescheid betreffe neben Steuern auch steuerliche Nebenleistungen gemäß § 3 Abs. 4 AO. Nach dem Wortlaut des § 191 AO hafte der Haftungsschuldner für eine Steuer, nicht für steuerliche Nebenleistungen, die sämtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis treffen würden. Die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) versuche, eine lükkenhafte Gesetzgebung durch Analogie zu schließen und bejahe deren Zulässigkeit mit dem Argument, § 191 AO sei eine Verfahrensvorschrift. Auf Grund der langfristigen Untätigkeit des Gesetzgebers müsse davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber die Lückenhaftigkeit des Gesetzes bekannt gewesen sei und er durch Nichtstun die Lücke bewusst belassen habe. Eine vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckte und im Ergebnis haftungsverschärfende analoge Anwendung des § 191 AO auf steuerliche Nebenleistungen scheide daher aus. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Säumniszuschläge wegen der dem FA bekannten wirtschaftlichen Situation ihre Funktion hätten nicht erfüllen können, nämlich die Gesellschaft zur Zahlung anzuhalten. Sie seien daher der Gesellschaft von Amts wegen zu erlassen und würden als Haftungsbetrag gegen die Klägerin ausscheiden. Der Haftungsbescheid sei daher bezüglich aufgeführter Säumniszuschläge, Vollstreckungsgebühren und Verspätungszuschläge und Zinsen in Höhe von insgesamt 23.324 € bezüglich der geltend gemachten 50 %igen Höhe von 11.662 € ohne Rechtsgrundlage ergangen. In dem Haftungsbescheid seien auch solche Steuern eingezogen worden, die im Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung entstanden, aber noch nicht fällig gewesen seien. Die Haftung bestehe nur für Steuerschulden, die infolge einer schuldhaften Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden seien. Jede andere Wertung würde in unlösbarem Konflikt zu den Regelungen des § 3 Anfechtungsgesetz stehen, weil dem FA als Antragsteller spätestens zu diesem Zeitpunkt die drohende Zahlungsunfähigkeit der GmbH bekannt gewesen sei. Damit würden zumindest alle Ansprüche, die im Zeitpunkt des Insolvenzantrages noch nicht fällig gewesen seien, nämlich Umsatzsteuer 2/2003, Lohnsteuer3/2003, ev. und rk. Kirchenlohnsteuer 3/2003 sowie Solidaritätszuschlag Lohnsteuer 3/2003, insgesamt 14.291,86 € bezüglich der geltend gemachten Höhe in Höhe v. 50 v.H. = 7.195,93 € rechtsgrundlos gefordert werden. Von der geltend gemachten Haftungssumme von 112.051,36 € verblieben deshalb lediglich 80.489,83 €, wenn die vom FA geschätzte Zahlungsfähigkeit von 50 % zu Grunde gelegt werde. Da es ihr nicht gelungen sei, während des laufenden Insolvenzverfahrens die für die Ermittlung der Haftungsquote erforderlichen Unterlagen zu erhalten und auszuwerten, würden Einwendungen gegen die Höhe der Haftungsquote nicht mehr aufrecht erhalten. Darüber hinaus sei die Frage eines Mitverschuldens des FA zu berücksichtigen. Dieses Mitverschulden liege darin begründet, dass das FA den Erfolg versprechenden Sanierungsplan der GmbH, s. dazu Anlage K 5, bewusst nicht zur Kenntnis genommen, sondern Insolvenz beantragt und damit die Chance vernichtet habe, die geschuldeten Steuern von der GmbH zu erhalten. Anders als das FA habe die Mehrheit der Gläubiger den Sanierungsentwurf akzeptiert und seien bereit gewesen, die Existenz des Unternehmens zu sichern (Beweis: Zeugnis Frau .. c/o Fa. ...). Diese habe mit ihrer Fa. seit September 2002 die Sanierungsbemühungen der GmbH unterstützt. Insoweit bleibe auch die Prüfung einer Haftung nach Art. 34 Grundgesetz (GG), § 839 BGB vorbehalten. Im Übrigen verweist die Klägerin auf den BFH-Beschluss vom 11. August 2005 (Az. VII B 244/04). In diesem Beschluss halte der BFH einen Haftungsbescheid jedenfalls für die auf die letzten drei Monate vor Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallende Lohnsteuer für zweifelhaft und habe insoweit AdV gewährt, weil gegenläufige Rechtsprechung verschiedener Senate des BGH und des BFH zur Frage der Haftung des Geschäftsführers für Steuern und Abgaben vorliege. Diese unterschiedlichen Auffassungen würden die möglichen Folgen der Anfechtbarkeit gem. §§ 129 ff Insolvenzordnung -InsO- von vor Antragstellung gezahlter Steuern und Abgaben für die Haftung des Geschäftsführers betreffen. Der Haftungsbescheid umfasse Lohnsteuer- und Nebenforderungen zur Lohnsteuer bis März 2003, der Insolvenzantrag sei durch das Finanzamt am 2. April 2003 gestellt worden. Vor diesem Hintergrund werde eine Teil-Aussetzung des Verfahrens bis zur abschließenden Klärung der Rechtsfrage durch den BFH angeregt. Ergänzend werde auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2001 verwiesen, wonach eine GmbH weder kreditunwürdig noch insolvent sei, solange die Geschäftsführer -wie hier- ein Erfolg versprechendes Sanierungskonzept verfolgen würden. Ein Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht als schuldhaftes Verhalten sei daher nicht gegeben. Schließlich trägt die Klägerin vor, dass die Regelungen der InsO eine bevorzugte Befriedigung des Finanzamts verbieten würden und schon aus diesem Grund der angefochtene Haftungsbescheid nicht hätte ergehen dürfen. Die Vorschrift des § 92 InsO verdränge im Interesse der Gleichbehandlung aller Gläubiger die Haftungsregelungen der §§ 69 ff AO. Soweit erkennbar sei bislang aber nicht höchstrichterlich geklärt, ob die Geschäftsführerhaftung von der Sperrwirkung des § 92 InsO erfasst werde. Entschieden sei bisher lediglich über die Gesellschafterhaftung des § 93 InsO, die nach Auffassung des BFH (Beschluss vom 2. November 2001 VII B 155/01) auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem Finanzamt mit Haftungsbescheid geltend gemacht werden könne.

    Die Klägerin beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 14. Mai 2003 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 10. März 2004 unter Berücksichtigung der Teilrücknahme vom 9. November 2005 aufzuheben.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA hält die Klage für nicht begründet und trägt unter Bezugnahme auf die bisher erlassenen Verwaltungsakte ergänzend vor: Nicht zur Entlastung der Klägerin führe der Vortrag, sie habe im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern vor der Frage gestanden, andere Verbindlichkeiten zu begleichen, um den Betrieb weiterführen zu können oder fällige Steuern zu begleichen. Mit dieser Argumentation beweise die Klägerin, dass sie sich vorsätzlich dem Haftungstatbestand ausgesetzt, dass sie vorrangig Verbindlichkeiten privater Gläubiger getilgt habe. Zur Problematik der Vollhaftung für Lohnsteuern werde darauf hingewiesen, dass das FA an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden sei. Der von der Klägerin zitierte Beschluss des Sächsischen Finanzgerichts habe lediglich ausgeführt, dass eine beschränkte Lohnsteuerhaftung nur in Ausnahmefällen und allenfalls für die letzten Lohnsteueranmeldungszeiträume in Frage kommen könne. Aus der Tatsache, dass über mehrere Monate hinweg Löhne immer ungekürzt ausgezahlt worden seien, könne jedoch gefolgert werden, dass die Mittel auch zur Begleichung der Lohnsteuern des jeweils vorangegangenen Monats ausgereicht hätten. Die Haftungsinanspruchnahme für steuerliche Nebenleistungen ergebe sich aus § 69 AO i.V.m. § 37 AO, Säumniszuschläge würden explizit erwähnt. Nach § 37 Abs. 1 AO gehörten auch die steuerlichen Nebenleistungen zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die im Haftungsbescheid aufgeführten Säumniszuschläge nur bis zur Insolvenzantragsstellung berechnet worden seien. Die Haftungsinanspruchnahme bezüglich der Steuerrückstände zur Umsatzsteuer 2/2003 und Lohnsteuer 3/2003 sei zu Recht erfolgt. Die Umsatzsteuer für Februar 2003 sei nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 a Umsatzsteuergesetz (UStG) bereits am 28. Februar 2003, also vor Insolvenzantragsstellung, entstanden. Hinsichtlich der Lohnsteuer März 2003 komme hinzu, dass der Klägerin vorzuhalten sei, dass sie auch im Insolvenzeröffnungsverfahren mangels vom Amtsgericht verfügtem allgemeinen Verfügungsverbot weiterhin der gesetzliche Vertreter der GmbH geblieben sei und somit auch weiterhin deren steuerliche Pflichten, zu denen auch die Begleichung der entstandenen und fälligen Steuern gehöre, zu erfüllen habe. Das FA treffe auch kein Mitverschulden. Ein solches wäre, wenn überhaupt vorhanden, nur im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen und nur dann, wenn es besonders schwer ins Gewicht fallen würde. Der vom FA gestellte Insolvenzantrag stelle ein derartiges Mitverschulden nicht dar.

    Mit Teilrücknahmebescheid vom 9. November 2005 hat das Finanzamt im Laufe des Klageverfahrens die Haftung hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer auf 50% verringert und die Haftungssumme auf insgesamt 111.401,36 € herabgesetzt.

    Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die vorbereitenden Schriftsätze und den Inhalt der Steuerakten sowie die Gerichtsakte des Eilverfahrens (2 V 299/03) verwiesen. Die genannten Vorgänge waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

    Gründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Der angefochtene Haftungsbescheid unter Berücksichtigung der Teilrücknahme in der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2004 (das Datum 10. März 2004 in dem Klagantrag ist unzutreffend) sowie der Teilrücknahme vom 9. November 2005 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten; eine Aufhebung kommt somit nicht in Betracht (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

    Das FA hat die Klägerin zunächst grundsätzlich zu Recht gemäß §§ 69, 34 AO für die nicht abgeführten USt- und LSt-Beträge in Haftung genommen. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende stellt eine Ermessensentscheidung dar, die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 1990 in BFH/NV 1991, 500; Urteil vom 29. Mai 1990 BStBl II 1990, 1008).

    Der Haftungsbescheid lässt dem Grunde nach keinen Ermessensfehler erkennen.

    Die Klägerin war seit dem 22. April 1991 als weitere Geschäftsführerin der GmbH tätig geworden. Als solche hatte sie nach § 34 Abs. 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 GmbHG die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln, die sie verwaltete, entrichtet wurden. Sie haftet nach § 69 AO soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihr auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.

    Die Klägerin hatte die Verpflichtung

    gemäß § 18 Abs. 1, 2 Umsatzsteuergesetz (UStG), bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung der USt nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck abzugeben und die sich daraus ergebende Vorauszahlung zu zahlen; aufgrund einer Dauerfristverlängerung gem. § 46 Umsatzsteuerdurchführungsverordnung war die Abgabe- und Zahlungsfrist jeweils um einen Monat verlängert;

    gemäß § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 2 AO, bis zum 31. Mai des Folgejahres Steuererklärungen zur USt abzugeben;

    gemäß § 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG), bis zum 10. Tag nach Ablauf des LSt-Anmeldungszeitraums (Kalendermonat) die LSt- Anmeldung abzugeben und für die Abführung der von der GmbH einbehaltenen LSt an das FA zu sorgen.

    Diesen Verpflichtungen zur Zahlung der Steuerschulden der GmbH und der rechtzeitigen Abgabe der USt-Jahreserklärungen 1999 und 2000 ist die Klägerin nicht nachgekommen.

    Die Haftung nach § 69 Satz 1 AO 1977 hat im Übrigen Schadensersatzcharakter; d.h. sie beschränkt sich im Umfang auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988,BStBl II 1988, 859, 860). Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so betrifft die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Steuerschuld nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 05. September 1989,BStBl II 1989, 979; vom 14. Juli 1987, BStBl II 1988, 172, und vom 17. Juli 1985, BStBl II 1985, 702). Diese zur Haftung nicht entrichteter USt entwickelten Grundsätze gelten auch für die übrigen Steuern und Nebenleistungen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 ,BFH/NV 1992, 785), mit Ausnahme der LSt. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt jedenfalls für die dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegenden nicht entrichteten USt-Ansprüche sowie die dazugehörigen Nebenabgaben.

    Die Klägerin kann danach nur insoweit in Anspruch genommen werden, als sie pflichtwidrig die USt-Verbindlichkeiten der GmbH nicht in etwa dem gleichen Umfang getilgt hat wie andere Verbindlichkeiten. Zur Feststellung, inwieweit dem FA gemäß diesem Grundsatz der anteiligen Tilgung ein Schaden entstanden ist, muss die Quote festgestellt werden, in deren Höhe unter Ausschöpfung der vorhandenen oder bereitzuhaltenden Betriebsmittel die bestehenden Verbindlichkeiten hätten getilgt werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des BFH vom 05. März 1991, BStBl II 1991, 678, und vom 14. Juli 1987 a.a.O. jeweils m.w.N.).

    Reichen die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht aus, sind die rückständigen USt-Beträge vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984,BStBl II 1984, 776, 778, m.w.N.). Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu haben das FA und auch das FG unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder --soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann-- im Schätzungswege festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO 1977). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten USt der GmbH in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO 1977, ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteile vom 11. Juli 1989, BStBl II 1990, 357, und vom 23. August 1994, BFH/NV 1995, 570, 571). Da die Berechnung der Haftungssumme zeitraumbezogen ist, d.h. hinsichtlich der vorhandenen Zahlungsverpflichtungen und der hierauf geleisteten Zahlungen auf den ganzen Haftungszeitraum abzustellen ist, hätte die Klägerin zur Ermittlung der zutreffenden Haftungsquote und daraus folgend der Summe, für die sie als Haftungsschuldnerin einzustehen hat, eine Aufstellung aller Verbindlichkeiten der GmbH zu Beginn des Haftungszeitraums und zum Ende des Haftungszeitraums erstellen sowie - anhand der Kontoauszüge über die Betriebskonten der GmbH - angeben müssen, in welcher Höhe während des Haftungszeitraums Zahlungen auf die Gesamtverbindlichkeiten der GmbH geleistet worden sind. Aus dem sich aus diesen Zahlen ergebenden Verhältnis der Gesamtverbindlichkeiten zu den Gesamttilgungen im Haftungszeitraum hätte das FA die zutreffende Haftungsquote ermitteln können (BFH-Beschluss vom 31. März 2000,BFH/NV 2000, 1222).

    Da die Klägerin keine ausreichenden Angaben über die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und den Umfang ihrer Tilgung im Haftungszeitraum gemacht hat, war das FA insoweit zu einer Schätzung befugt. Die vom FA insoweit zugrunde gelegte Tilgungsquote von 50 % ist nach Ansicht des Senats nicht zu beanstanden. Auch die Klägerin erhebt nunmehr gegen die Höhe der geschätzten Haftungsquote keine Einwendungen mehr.

    Der Senat kann offen lassen, ob die im gerichtlichen AdV-Verfahren vom FA vertretene Auffassung zutreffend ist, dass hinsichtlich der USt 1999 und 2000 einschließlich Zinsen und Sz. sogar eine Vollhaftung in Betracht kommt. Allerdings gilt der Grundsatz einer Haftung in Höhe der Tilgungsquote auch im Falle der Verletzung von Steuererklärungspflichten (so z. B. BFH-Urteil vom 06. März 2001 in BFH/NV 2001, 1100). Eine Einschränkung gilt aber dann, wenn für das FA von der Liquidität des Steuerschuldners unabhängige Befriedigungsmöglichkeiten bestanden. Deshalb kann ein haftungsbegründender ursächlicher Zusammenhang zwischen der nicht erfolgten oder nicht rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung und dem eingetretenen Steuerausfall dann gegeben sein, wenn durch die Pflichtverletzung aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten des FA vereitelt worden sind (BFH-Urteile vom 06. März 2001 a.a.O.; vom 05. März 1991 BStBl II 1991, 678). In diesen Fällen richtet sich die Haftung nicht nur auf die anteilige, sondern auf die tatsächlich entgangene Befriedigungsmöglichkeit; diese Haftung wegen Nichtabgabe bzw. verspäteter Abgabe der Steuererklärungen tritt ggf. neben die Haftung wegen Nichtentrichtung der Steuer trotz Möglichkeit einer anteiligen Befriedigung. Der Senat braucht in diesem Verfahren die Frage nach der Kausalität der Pflichtverletzung für den späteren Steuerausfall aber nicht zu entscheiden, da das FA die Klägerin nur in Höhe einer geschätzten Tilgungsquote von 50 % in Anspruch genommen hat.

    Zu Recht hat das FA die Klägerin hinsichtlich der rückständigen LSt pp. in voller Höhe in Haftung genommen. Von der Verpflichtung zur Abführung der angemeldeten LSt pp. können den Geschäftsführer etwaige Liquiditätsschwierigkeiten der GmbH nicht befreien. Der Arbeitgeber darf unabhängig von dem Umfang der Befreiung der übrigen Gläubiger das FA hinsichtlich der LSt nicht schlechter behandeln, als die Arbeitnehmer hinsichtlich der Nettolöhne. Die Löhne sind vielmehr in einem Umfang zu kürzen, der eine gleichmäßige Befriedigung der Arbeitnehmer und des FA hinsichtlich der auf die gekürzten Löhne entfallende LSt sicherstellt (ständige Rechtsprechung des BFH z.B. Urteile vom 08. Mai 2001 BFH/NV 2001, 1222; vom 12. Juli 1988 BFH/NV 1988, 764). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung des BFH ausdrücklich. Auch die Gefahren einer Lohnkürzung können die Klägerin vom Vorwurf der Pflichtverletzung nicht entlasten. Der BFH hat wiederholt entschieden, dass das natürliche Bestreben des Geschäftsführers, zunächst die für den Fortbestand des Betriebs unumgänglichen Verpflichtungen zu befriedigen, und der hohe Rang, der der Erhaltung des Betriebs und seiner Arbeitsplätze nach der bestehenden Rechts- und Sozialordnung zukommt, es nicht rechtfertigen, die Abführung der auf die ausgezahlten Löhne entfallenden LSt an das FA zurückzustellen. Denn andernfalls würde der Betrieb mit Mitteln fortgeführt, die dem Unternehmer nicht gehören und die ihm auch nicht von den Beteiligten (Arbeitnehmer, Fiskus) zur Verfügung gestellt worden sind (BFH-Urteil vom 12. Juli 1988 a.a.O.; Klein/Rüsken, AO, § 69 Rdnr. 28 a.E. m.w.N.).

    Wenn der Geschäftsführer der Verpflichtung zur Abführung der LSt nicht nachgekommen ist und darauf vertraut hat, er werde die Steuerrückstände später nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten - etwa aufgrund neuer Kredite oder der Erzielung von Außenständen - ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko eingegangen, und die Nichtrealisierung dieser Erwartungen liegt in seiner Risikosphäre (z.B. BFH-Urteil vom 20. April 1993BFH/NV 1994, 142). Die Verpflichtung zur Kürzung der auszuzahlenden Nettolöhne und zur Bereitstellung der darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge zum Zwecke der Abführung an das FA bis zum Fälligkeitszeitpunkt trifft den Geschäftsführer jedoch nur, wenn die Liquiditätslage der Gesellschaft im Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne zu der Besorgnis Anlass gibt, dass die finanziellen Mittel für die spätere Abführung der einzubehaltenden LSt am Fälligkeitszeitpunkt möglicherweise nicht ausreichen werden. Bei einem wirtschaftlich gesunden Unternehmen und in Zeiten normaler Geschäftstätigkeit kann der Geschäftsführer davon ausgehen, dass er die abzuführende LSt am Fälligkeitszeitpunkt aus den ihm zur Verfügung stehenden Finanzmitteln - und sei es auch unter Ausschöpfung des der Gesellschaft von den Banken eingeräumten Kreditrahmens - werde entrichten können. Deshalb kann für den Regelfall der unternehmerischen Tätigkeit eine Verpflichtung des Geschäftsführers zur Absonderung und Bereitstellung der später abzuführenden LSt bereits ab dem Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne nicht angenommen werden. Denn die gesetzliche Pflicht zur Abführung der LSt ist an den Fälligkeitszeitpunkt geknüpft (§ 41 a Abs. 1 EStG). Der BFH vertritt demgemäß die Auffassung, dass der Geschäftsführer zur Kürzung der Löhne und abgesonderten Bereithaltung der darauf entfallenden Steuern dann nicht verpflichtet ist, wenn zwischen dem Zeitpunkt und der Lohnzahlung und der LSt-Fälligkeit eine unvorhersehbare Verschlechterung der Liquidität eingetreten ist (z.B. Urteil vom 20. April 1993 a.a.O.). Die Beschränkung der Haftung nach diesen Grundsätzen kommt indes nur in Ausnahmefällen und im Rahmen eines längeren Haftungszeitraumes allenfalls für die letzten LSt-Anmeldungszeiträume zum Zuge. Aus der Tatsache, dass über mehrere Monate hinweg die Löhne immer wieder ungekürzt ausgezahlt oder noch andere Verbindlichkeiten getilgt worden sind, folgert der BFH vielmehr, dass ausreichende Mittel vorhanden waren, um jeweils die für die vorangegangenen Monate angemeldete LSt in vollem Umfange zu entrichten. Wer in Kenntnis der für den Vormonat entstandenen, noch nicht abgeführten LSt die Löhne für den laufenden Monat in vollem Umfang auszahle, handele seiner Verpflichtung zuwider und hafte insoweit unbeschränkt (Klein/Rüsken, AO, § 69 Rdnr. 31 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Die Feststellungslast für die Behauptung, die Steuerschuldnerin sei erst zum Fälligkeitszeitpunkt der LSt-Abführungen illiquide gewesen, trägt der Haftungsschuldner (BFH-Urteil vom 08. Mai 2001,BFH/NV 2001, 1222). Im Streitfall ist hinsichtlich der LSt-Beträge eine unbeschränkte Haftung der Klägerin zu bejahen. Es liegen keine Anhaltspunkte vor und auch die Klägerin hat keine Umstände behauptet, die eine Beschränkung der Haftung nach den obigen Grundsätzen begründen könnte.

    Die Inanspruchnahme der Klägerin scheitert auch nicht an der fehlenden Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Nach dem BFH-Beschluss vom 11. August 2005 (VII B 244/04) ist bisher in der Rechtsprechung des BFH nicht eindeutig geklärt, ob und in welchem Umfang bei der Haftung gemäß § 69 AO hypothetische Geschehensabläufe Berücksichtigung finden können. Es ist insoweit zweifelhaft, ob die Abführung von LSt in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung darstellt mit der Folge, dass das Finanzamt selbst bei pflichtgemäßem Verhalten der Geschäftsführerin die gezahlte LSt nach Anfechtung durch den Insolvenzverwalter wieder an die Masse auskehren müsse. Der BFH hatte ursprünglich die Berufung auf eine solche hypothetische Anfechtung abgelehnt (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1998 in BFH/NV 1999, 745 zur Gesamtvollstreckungsordnung), da in dem zu Grunde liegenden Sachverhalt die vom Geschäftsführer erwartete LSt-Zahlung als Bargeschäft nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt hätte. Demgegenüber fehlt es nach dem BFH-Beschluss vom 19. November 2002 (BFH/NV 2003, 442) an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Steuerausfall, wenn die Zahlungen, deren Unterbleiben dem Geschäftsführer zum Vorwurf gemacht wird, von dem Konkursverwalter bzw. Insolvenzverwalter hätten zurückgefordert werden können. Im Streitfall bejaht der Senat trotz dieser neueren Rechtsprechung den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden. Denn ursächlich für den eingetretenen Schaden ist hier allein die Verletzung der steuerlichen Pflicht. Nur gedachte Geschehensabläufe können die Kausalität einer realen Ursache demnach nicht beseitigen. Die Reserveursache in Gestalt der möglichen Anfechtung durch den Insolvenzverwalter muss deshalb in der hier interessierenden Konstellation unbeachtlich sein (Pump/Kapischke, Steuerliche Betriebsprüfung 2005, 313, 318). Zu recht weisen Pump/Kapischke (a.a.O.) darüber hinaus auch auf Praktikabilitätserwägungen hin: Die Rückgewähr nach erfolgreicher Anfechtung bereichert die Masse an und verbessert so die Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Da hierzu auch das FA mit seinen Steuerforderungen rechnet, müsste dies bei der Ermittlung des Haftungsschadens gegengerechnet werden. Da nach Ansicht des Senats die Haftung der Klägerin zu bejahen ist, kann offen bleiben, ob diese Überlegungen zur hypothetischen Kausalität gegebenenfalls nicht nur für die LSt, sondern auch für andere Steuern, insbesondere die USt, Anwendung findet (vgl. hierzu bejahend: Bartone, GmbH-Rundschau 2005, 865, 868).

    Der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin steht auch § 92 Insolvenzordnung (InsO) nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Diese Regelung dient der Durchsetzung der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Soweit die Insolvenzmasse durch eine Handlung verkürzt wurde, die Haftungsansprüche der Insolvenzgläubiger begründet, soll verhindert werden, dass einzelne Gläubiger sich zum Nachteil der anderen durch einen gesonderten Zugriff Vorteile verschaffen (vgl. Wittkowski in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, § 92 RNr. 3). Um eine solche Konstellation geht es bei der Inhaftungsnahme der Klägerin als Geschäftsführerin der in Insolvenz geratenen GmbH aber nicht. Denn ein Gesamtschaden im Sinne des § 92 InsO liegt vor, wenn ein Schaden mehrerer besteht, welcher zu einer Verminderung des Vermögens und damit zu einer geringeren Quote geführt hat, z.B. bei Pflichtverletzungen gegenüber Insolvenzgläubigern und Schuldner, also ein Schaden der Masse, nicht eines einzelnen Gläubigers (Wittkowski a.a.O. RNr. 5). Im Streitfall macht das FA aber nicht gegenüber der Insolvenzmasse, sondern gegenüber der Klägerin persönlich einen Schadensersatzanspruch geltend. Eine Minderung der Insolvenzmasse und damit eine Bevorzugung des FA gegenüber anderen Gläubigern der Masse liegt daher nicht vor.

    Bezüglich der in der Einspruchsentscheidung aufgeführten Säumniszuschläge ergibt sich die Haftungsinanspruchnahme aus der ausdrücklichen Vorschrift des § 69 Satz 2 AO, wonach die Haftung auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge umfasst. Bezüglich der Vollstreckungsgebühren, Verspätungszuschläge und Zinsen, für die die Klägerin in Haftung genommen wird, handelt es sich um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, deren Haftung in § 69 Satz 1 unter Bezugnahme auf § 37 AO ausdrücklich aufgeführt ist. Nach dieser Vorschrift sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung. Darunter fällt der abstrakte Anspruch auf Verspätungszuschläge, Zinsen, Säumniszuschläge, Zwangsgelder und Kosten (§ 3 Abs. 4 AO). Die steuerlichen Nebenleistungen konnte das FA ebenfalls zum Gegenstand des Haftungsbescheids gem. § 191 AO machen. Insoweit folgt der Senat der Rechtsprechung des BFH, nach der die gem. § 191 AO durch Haftungsbescheid geltend zu machende Haftung die steuerlichen Nebenleistungen mitumfasst. Denn in § 191 AO werden ausschließlich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass von Haftungs- und Duldungsbescheiden geregelt. Die materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen sind nicht dieser Norm, sondern den steuerlichen oder zivilrechtlichen Vorschriften zu entnehmen (BFH-Urteil vom 27. Juni 1989BStBl II 1989,952). Auch in der Literatur wird -soweit ersichtlich- eine analoge Anwendung des § 191 AO insoweit bejaht (Klein/Rüsken, AO, § 191 RNr. 7; Tipke/Kruse, AO, § 191 Tz. 17 mwN). Die vom FA unterlassene und von der Klägerin gerügte Kürzung der Haftungssumme bezüglich der auf die Lohnsteuer und die Annexabgaben wie Solidaritätszuschlag entfallenden Säumniszuschläge hat das Finanzamt mit Bescheid vom 9. November 2005 nachgeholt und die Haftungssumme herabgesetzt.

    Hinsichtlich der Höhe der Haftungssumme werden von der Klägerin im Übrigen keine Einwendungen erhoben. Auch der Senat hat insoweit keine Bedenken.

    Auch ansonsten ist die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensgerecht. Eine Inanspruchnahme der Steuerschuldnerin, der GmbH, ist trotz Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben. Das FA hat hinsichtlich des Auswahlermessens dargelegt, dass auch die übrigen Geschäftsführer in Haftung genommen worden sind.

    Der Inanspruchnahme der Klägerin steht auch kein Mitverschulden des FA an der Entstehung des Steuerausfalls entgegen.

    Nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH ist Verschulden des FA bei der Haftungsinanspruchnahme nur dann - im Rahmen der Ermessensausübung - zu berücksichtigen, wenn das Verschulden des FA besonders schwer ins Gewicht fällt und das Verschulden des auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführers gering ist (zB Beschluss vom 2. November 2001, BFH/NV 2002, 310; Klein/Rüsken, AO, § 191 Rnr. 44, 44 a). Eine Inanspruchnahme des Haftenden verstößt nur dann ggf. gegen Treu und Glauben, wenn infolge vorsätzlicher oder besonders grober Pflichtverletzung die Beitreibung fehlgeschlagen ist (BFH-Urteil vom 29. Juli 1992,BFH/NV 1994, 357).

    Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, die ein derartiges Fehlverhalten des FA begründen könnten. Mitwirkendes Verschulden können verspätete Steuerfestsetzungen, gegen den Steuerschuldner unterlassene Vollstreckungsmaßnahmen, Uneinbringlichkeit der Steuerforderung infolge grober Pflichtverletzung des FA, versäumte Aufrechnungen sein. Nicht darunter fällt der von der Klägerin gerügte Antrag des FA auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, denn es handelt sich insoweit um eine Maßnahme im Rahmen der vom FA zu ergreifenden Vollstreckungsmöglichkeiten im weitesten Sinne.

    Die Klage war somit abzuweisen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Klägerin hat aufgrund der Teilrücknahme vom 9. November 2005 nur zu einem geringen Teil obsiegt.

    Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Frage der möglichen Berücksichtigung einer hypothetischen Kausalität bei der Haftung von grundsätzlicher Bedeutung ist.

    VorschriftenAO § 69, AO § 191, InsO § 92, InsO § 129, EStG § 38 Abs. 3 Satz 1, EStG § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2