08.01.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 13.02.1998 – 4 K 1729/97 E
Aufwendungen einer Lehrerin für Fachliteratur, Besorgungsfahrten und für das häusliche Arbeitszimmer, die ihr während des Erziehungsurlaubs entstehen, sind als (vorab entstandene) Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
IM NAMEN DES VOLKES hat der 4. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 13. Februar 1998, an der teilgenommen haben:
aufgrund mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Der ESt-Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 1996 wird geändert und die Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 1997 wird aufgehoben. Die ESt für 1995 wird auf … DM festgesetzt. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in der selben Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluß
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuer (ESt)-Veranlagung für 1995, ob Aufwendungen einer Lehrerin für Fachliteratur, Besorgungsfahrten und für das häusliche Arbeitszimmer, die ihr während ihres Erziehungsurlaubs entstanden sind, als Werbungskosten (WK) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen sind.
Die zusammen zur ESt veranlagten Kläger (Kl.) sind beide Lehrer. Im Streitjahr (1995) befand sich die Klägerin (Klin) im Erziehungsurlaub.
In ihrer ESt-Erklärung für 1995 erklärte die Klin. einen Brutto-Arbeitslohn von 591,– DM und machte u. a. Aufwendungen für Fachliteratur in Höhe von 475,– DM, für Kontoführung und Besorgungsfahrten in Höhe von 80,– DM und für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 4.465,– DM, zusammen 5.020,– DM, als WK bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Mit ESt-Bescheid für 1995 vom 19.12.1996 setzte der Beklagte (Bekl.) die ESt der Kl. auf … DM fest. Statt der von der Klin. geltend gemachten WK setzte er nur einen Arbeitnehmerpauschbetrag von 591,– DM und einen Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 900,– DM an.
Mit ihrem dagegen erhobenen Einspruch trugen die Kl. vor: Die Aufwendungen der Klin. seien Fort- bzw. Weiterbildungskosten und keine Ausbildungskosten. Sie, die Klin., habe einen Arbeitgeber und werde in Zukunft keinen Berufswechsel vollziehen. Steuerpflichtige müßten sich auch in Zeiten der Nichtbeschäftigung in ihrem erlernten und bisher ausgeübten Beruf weiterbilden. Sie, die Klin., bereite sich auf ihren beruflichen Wiedereinstieg nach dem Erziehungsurlaub vor.
Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 13.02.1997, auf die verwiesen wird). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt: Da sich die Klin. im Erziehungsurlaub befinde, übe sie keine auf die Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit aus. Mögliche andere Einnahmen, z. B. Erziehungsgeld nach dem Erziehungsgeldgesetz, seien nach § 3 Nr. 67 EStG steuerfrei. Es ergebe sich aus der Systematik des ESt-Rechts, daß WK nur angenommen werden könnten, wenn sie im Rahmen einer von der Besteuerung erfaßten Einkunftsart anfielen. Die Aufwendungen der Klin. stellten Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 2. Alternative EStG dar. Es lägen keine vorweggenommenen WK vor. Wie die Klin. selbst vorgetragen habe, sei kein Berufswechsel geplant. Die Klin. könne auch nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Bewertung von Aufwendungen eines arbeitslosen Steuerpflichtigen für seine berufliche Fortbildung mit dem Ziel der Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes verweisen. Die Klin. sei als beurlaubte Beamtin nicht arbeitslos. Sie stehe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, sondern sei im Streitjahr von der Ausübung ihrer Tätigkeit freigestellt gewesen.
Mit ihrer Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend tragen sie vor: Die Klin. sei nach dem Ende ihres Erziehungsurlaubs seit August 1997 wieder als Lehrerin berufstätig.
Die Kl. beantragen,
den ESt-Bescheid des Bekl. vom 19.12.1996 zu ändern,
die Einspruchsentscheidung vom 13.02.1997 aufzuheben und Aufwendungen der Klin. in Höhe von 5.020,– DM als WK bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen,
und
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus: Voraussetzung für die Anerkennung von WK sei, daß eine Einkunftserzielungsabsicht bestehe. Mit der von der Klin. beantragten Beurlaubung habe zwar nicht das Dienstverhältnis geendet, es werde aber deutlich, daß die geforderte Einkunftserzielungsabsicht nicht gegeben sei. Dieser Umstand sei von der Klin. bewußt freiwillig gewählt worden. Die Zeit der Beurlaubung der Klin. diene primär der Betreuung eines Kindes und nicht der Fortbildung. Es lägen auch keine vorweggenommenen WK vor. Die Klin. befinde sich in einer Beurlaubungsphase und strebe keine Anstellung an. Sie stehe auch dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung und führe keine konkrete Weiterbildungsmaßnahme durch.
Im übrigen werde darauf hingewiesen, daß die als WK beantragten Aufwendungen in tatsächliche Höhe nicht abzugsfähig seien. Nach der vorliegenden Skizze verbleibe kein ausreichender Wohnraum für die Befriedigung privater Wohnbedürfnisse. Ein Kinderzimmer sei neben zwei häuslichen Arbeitszimmern nicht ersichtlich.
Zu letzterem tragen die Kl. vor: Neben den Arbeitszimmern stehe noch ein Gästezimmer zur Verfügung. Da ihr Kleinkind in den ersten zwei Jahren – wie in vielen Familien üblich – im Schlafzimmer geschlafen habe, sei das Gästezimmer nicht als Kinderzimmer benötigt worden. 1996 sei das Gästezimmer als Arbeitszimmer und ein bisher als Arbeitszimmer genutzter Raum als Kinderzimmer genutzt worden. Auf die vorgelegten Bauzeichnungen (Bl. 16 und 17 der Gerichtsakte) wird wegen weiterer Einzelheiten der vorhandenen Räumlichkeiten verwiesen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene ESt-Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kl. in ihren Rechten. Die geltend gemachten Aufwendungen sind als WK bei den Einkünften der Klin. aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen.
WK sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Eine damit erforderliche, auf die Erzielung von Einnahmen bezogene Veranlassung von Aufwendungen ist dann zu bejahen, wenn objektiv ein Zusammenhang mit einer auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung dieser steuerlich relevanten Tätigkeit gemacht werden. Aufwendungen verlieren nicht ihren Charakter als WK, wenn nur vorübergehend keine Einnahmen erzielt werden, so z. B. nicht bei vorübergehender Arbeitslosigkeit oder wenn der Arbeitnehmer nur vorübergehend vom Dienst freigestellt ist. Die Aufwendungen werden in derartigen Fällen im Hinblick auf erstrebte künftige Einnahmen aufgewendet (Drenseck in: Schmidt, EStG, Kommentar, 16. Aufl. 1997, Rdn. 7, 60 m.w.N.). Für die Anerkennung derartiger Aufwendungen als vorab entstandene WK ist allerdings erforderlich, daß die Ausgaben in einem hinreichend klaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen Einkunftserzielung stehen (Bundesfinanzhof-BFH-, Urteil vom 18.04.1996 VI R 5/95, BFHE 180, 357, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 1996, 482 m.w.N.).
Danach sind die streitbefangenen Aufwendungen als (vorab entstandene) WK anzuerkennen. Sie stehen in einem hinreichend klaren Zusammenhang zu der von der Klin. nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubs angestrebten und auch tatsächlich im August 1997 wieder begonnenen Tätigkeit als Lehrerin. Die streitbefangenen Aufwendungen dienten der Klin. dazu, ihr Wissen in ihrem erlernten und vor sowie nach dem Erziehungsurlaub ausgeübten Beruf „auf dem laufenden zu halten” und sich auf ihren beruflichen Wiedereinstieg nach dem Erziehungsurlaub vorzubereiten. Die Aufwendungen wurden dagegen nicht für eine Berufsausbildung oder für eine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf gemacht und sind deswegen entgegen der Ansicht des Bekl. keine Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Klin. stand vielmehr auch während ihres Erziehungsurlaubs weiterhin in einem Dienstverhältnis, und zwar mit der grundsätzlichen Verpflichtung und Berechtigung, nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubs ihren Dienst wieder zu versehen. Schon wegen des Fortbestehens des Dienstverhältnisses steht der Einwand des Bekl., die Klin. stehe während ihres Erziehungsurlaubs nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, nicht der Anerkennung der Aufwendungen als WK entgegen. Außerdem ist der Einwand des Bekl. nicht durchgreifend, weil auch ein Arbeitsloser während der Zeit der beruflichen Fortbildung nicht dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung steht, die Aufwendungen dafür aber gleichwohl als WK anzuerkennen sind (BFH, Urteil vom 18.04.1996 VI R 5/95, a. a. O.).
Auch der Höhe nach sind die geltend gemachten Aufwendungen als WK in vollem Umfang anzuerkennen.
Der Einwand des Bekl., es verbleibe nach Abzug der eingerichteten Arbeitszimmer der Kl. kein ausreichender Wohnraum für die Befriedigung privater Wohnbedürfnisse, überzeugt nicht. Den Kl. und ihrem Kind standen insgesamt 151,44 m² Wohnfläche und nach Abzug der beiden Arbeitszimmer mit Größen von 20,06 m² und 13,24 m² noch eine Wohnfläche von 118,14 m² zur Verfügung. Neben einem Wohn-/Eßzimmer, einer Küche, und einem Schlafzimmer stand der Familie der Kl. ein als Gästezimmer bezeichneter Raum zur Verfügung, in dem das Kind – wenn es entgegen dem Vortrag der Kl. nicht im Schlafzimmer der Eltern geschlafen haben sollte- hätte untergebracht werden können.
Die darüber hinaus geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 475,– DM für Fachliteratur und 80,– DM für Kontoführung (30,– DM) und Besorgungsfahrten (50,– DM) sind ebenfalls anzuerkennen. Sie sind vom Bekl., dem die Belege vorgelegen haben, auch nicht substantiiert in Frage gestellt worden.
Die ESt ist wie folgt neu festzusetzen:
Zu versteuerndes Einkommen lt. ESt-Bescheid vom 19.12.1996 | … DM |
abzgl. lt. Urteil anzuerkennender WK bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit | ./. 5.020,– DM |
zuzüglich der statt der WK bisher anerkannten Sonderausgaben von | + 900,– DM |
und des Arbeitnehmerpauschbetrages von | + 591,– DM |
ergibt ein zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil von | … DM. |
Bei einem zu versteuernden Einkommen lt. Urteil von | … DM |
weist die Splitting-Tabelle eine ESt von aus. | … DM |
Davon abzuziehen ist die auch bisher vom Beklagten anerkannte kindbedingte Ermäßigung nach § 34 f EStG
in Höhe von | 1.000,– DM, |
so daß die ESt neu auf festzusetzen ist. | … DM |
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.