08.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236727
Finanzgericht Münster: Urteil vom 22.03.2023 – 9 K 1136/20 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Die Einkommensteuerbescheide für 2017 vom 03.08.2020 und für 2018 vom 16.08.2021 werden nach Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festgesetzten Einkommensteuern wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten über den Zufluss von Arbeitslohn sowie über den Ansatz von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
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Die Klägerin ist verheiratet und wurde in den Streitjahren 2017 und 2018 zusammen mit ihrem Ehemann C B zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann der Klägerin erzielte in den Streitjahren 2017 und 2018 u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Form von Versorgungsbezügen sowie Renteneinkünfte. Zudem war der Ehemann der Klägerin an der B Erbengemeinschaft beteiligt, die das Objekt D-strasse … in E vermietete sowie Eigentümer einer vermieteten Eigentumswohnung (ETW) in der F-strasse … in G. Die Klägerin erzielte ausschließlich (geringe) Renteneinkünfte in Höhe von 1.929 € (2017) und 2.014 € (2018).
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Über das Vermögen des Ehemannes der Klägerin wurde am 00.00.2019 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Rechtsanwalt H bestellt. Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren u.a. gerichtlich rechtskräftig festgestellte Schadensersatzansprüche der J GmbH (J), deren Geschäftsführer der Ehemann der Klägerin von 2002 bis zum 30.09.2007 gewesen war. Zuvor war der Ehemann der Klägerin vom Landgericht (LG) K wegen Untreue zum Nachteil der J rechtskräftig zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden (Urteil vom 00.00.2011 ‒ … KLs …/09, Bl. 355 ff. der Gerichtsakte 4 K 367/15). Mit Urteil vom 00.00.2015 (Az: … U …/10) verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) K den Ehemann der Klägerin in einem Zivilprozess aufgrund einer Widerklage der J zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 555.476,71 € zuzüglich Zinsen wegen der der J durch die Untreue entstandenen Schäden (gezahlte Versicherungsprämien ohne Gegenleistung). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Urteile des LG K und des OLG K Bezug genommen.
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Die Kosten für die Rechtsverteidigung in den vorgenannten gerichtlichen Verfahren machte der Ehemann der Klägerin im beim Finanzgericht Münster geführten Klageverfahren 4 K 367/15 E geltend. Das Verfahren endete mit einer tatsächlichen Verständigung, wonach der Beklagte Rechtsverfolgungs- und ‒verteidigungskosten in folgender Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften des Ehemannes der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigte (Bl. 1061 der FG-Akte im Verfahren 4 K 367/15 E):
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Jahr Werbungskosten
2008 28.097,90 €
2010 87.030,31 €
2011 224.854,51 €
2012 9.080,71 €
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Hieraus ergaben sich Verlustvorträge, die der Beklagte in den Folgejahren steuermindernd ansetzte.
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In der am 14.11.2018 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung 2017 (Bl. 4 ff. der ESt-Akte 2017) erklärte der Ehemann der Klägerin in der Anlage N betreffend die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Bl. 26 der ESt-Akte 2017) Bruttoarbeitslöhne/Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 27.062 € (1. Arbeitsverhältnis, J, in Steuerklasse 3: 19.036 €, 2. Arbeitsverhältnis in Steuerklasse 6: 8.026 €) und wies auf die Abweichung zu den Lohnsteuerbescheinigungen der J GmbH hin. Die Differenz beruhe darauf, dass die J einen Teil der Bezüge nicht ausgezahlt, sondern einbehalten/zurückbehalten habe. Die Einkünfte des Ehemannes aus Vermietung und Verpachtung der Objekte D-strasse … in E sowie F-straße in G erklärten die Eheleute in den Anlagen V jeweils mit 0 € (Bl. 24 und Bl. 28 der ESt-Akte 2017).
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In der am 22.01.2019 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung 2018 (Bl. 55 ff. der ESt-Akte 2018) erklärte der Ehemann der Klägerin Bruttoarbeitslöhne/Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 22.980 € (1. Arbeitsverhältnis in Steuerklasse 3, J: 14.748 €, 2. Arbeitsverhältnis in Steuerklasse 6: 8.232 €) und wies wiederum auf die Abweichung zu den Lohnsteuerbescheinigungen der J hin. Die Differenz beruhe wiederum darauf, dass die J einen Teil der Bezüge nicht ausgezahlt, sondern einbehalten/zurückbehalten habe. Bezüglich der Einnahmen aus den Objekten D-strasse … in E und F-strasse … in G sei die Situation unverändert. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten die Einkünfte vorerst mit Null bewertet und keine Formulare beigefügt (Anschreiben der Klägerin und ihres Ehemannes zur Einkommensteuererklärung vom 22.01.2019, Bl. 55 der ESt-Akte 2018).
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Der Beklagte erließ am 11.01.2019 erstmalig einen Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für das Kalenderjahr 2017 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und setzte die Einkommensteuer in Höhe von 2.645 € fest. Der Beklagte legte dabei die Bruttoarbeitslöhne des Ehemannes der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit erklärungsgemäß in Höhe von 27.062 € zugrunde (Bl. 36 ff. der ESt-Akte 2017). Es ergab sich in Bezug auf die Einkommensteuer 2017 ein Erstattungsanspruch in Höhe von 6.819,00 €.
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Der Beklagte änderte diesen Einkommensteuerbescheid 2017 gem. § 164 Abs. 2 AO gegenüber der Klägerin am 03.09.2019 (Bl. 43 ff. der ESt-Akte) und setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Verlustvortrages in Höhe von 8.533 € auf 457 € herab. Es ergab sich ein Erstattungsanspruch betreffend die Einkommensteuer in Höhe von 2.188,00 €. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
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Ein weiterer Änderungsbescheid erging gegenüber der Klägerin am 15.10.2019 (Bl. 67 ff. der ESt-Akte 2017). Darin setzte der Beklagte den Bruttoarbeitslohn statt wie bisher in Höhe von 27.062 € nunmehr in Höhe von 73.132 € an. Er berücksichtigte dabei die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen, nach denen der Ehemann der Klägerin einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 65.106,00 € von dem Arbeitgeber J (Versorgungsbezüge, Beginn 2015) und 8.026,62 € von dem Arbeitgeber L (Versorgungsbezüge, Beginn 2007) erzielt hatte (Bl. 17 und 18 der ESt-Akte 2017). Darüber hinaus erfasste der Beklagte Einkünfte des Ehemannes der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 5.000 € aufgrund einer Mitteilung für 2017 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Finanzamts M vom 23.08.2019 betreffend die B Erbengemeinschaft (Bl. 46 der ESt-Akte 2017). Den Freibetrag für Versorgungsbezüge setzte der Beklagte mit 3.588 € an. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen und ebenso die Vorläufigkeitserklärung betreffend die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Ehemannes.
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Des Weiteren erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin am 15.10.2019 einen (erstmaligen) Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2018 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, in dem er den Bruttoarbeitslohn (Versorgungsbezüge) des Ehemannes der Klägerin in Höhe von insgesamt 74.838 € der Besteuerung zugrunde legte (Bl. 13 ff. der ESt-Akte 2018). Er berücksichtigte dabei die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen, nach denen der Ehemann der Klägerin einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 66.606,00 € von dem Arbeitgeber J (Versorgungsbezüge, Beginn 2015) und 8.232,60 € von dem Arbeitgeber L (Versorgungsbezüge, Beginn 2007) erhalten hatte (Bl. 61 und Bl. 62 der ESt-Akte 2018). Darüber hinaus erfasste der Beklagte Einkünfte des Ehemannes der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 5.000 € aufgrund eines Bescheides für 2018 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Finanzamts M vom 03.03.2020 betreffend die Beteiligung an der B Erbengemeinschaft (Bl. 83 ff. der ESt-Akte 2018). Den Freibetrag für Versorgungsbezüge setzte der Beklagte mit 3.588 € an.
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Der Beklagte sandte dem vom Amtsgericht N über das Vermögen des Ehemannes der Klägerin bestellten Insolvenzverwalter am 15.10.2019 jeweils eine inhaltsgleiche Steuerberechnung für die Kalenderjahre 2017 und 2018 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zu. Zudem übersandte der Beklagte dem Insolvenzverwalter des Ehemannes einen Bescheid vom 15.10.2019 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustes zur Einkommensteuer auf den 31.12.2017, in dem er den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG auf 0 € feststellte (Bl. 72 der ESt-Akte 2017).
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Mit Schreiben vom 29.10.2019 legte die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann gegen die Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 vom 15.10.2019 Einsprüche ein (Bl. 75 der ESt-Akte 2017, Bl. 26 der ESt-Akte 2018). Zur Begründung trug sie vor, die Höhe der elektronisch übermittelten Einkünfte ihres Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit dürfe nicht übernommen werden. Statt dessen müsse der von ihr nachgewiesene, um den Zahlungseinbehalt durch die J verminderte, Ansatz angesetzt werden. Seit dem Kalenderjahr 2014 mache die J, der seinerzeitige Arbeitgeber des Ehemannes, von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch. Die zurückbehaltenen Beträge unterlägen nicht der Lohnsteuer.
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Des Weiteren sei der Versorgungsbeginn auch bezüglich der J-Einkünfte bereits im Jahr 2007 gewesen. Hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung lägen keine Feststellungsbescheide der Belegenheitsfinanzämter vor. Die Erträge aus der Erbengemeinschaft B seien in beiden Streitjahren auf 0 € festzusetzen. Der Ehemann der Klägerin sei laut Grundbuch kein Eigentümer des Grundstücks D-str. … in E mehr, das Haus sei durch die J Anfang 2019 mit Verlust zwangsversteigert worden. Der Erbe, der ehemalige Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin, sei seit Jahren aufgefordert worden, entsprechende Steuererklärungen abzugeben. Es sei der Klägerin unbekannt, ob die Finanzämter diesen in Anspruch genommen hätten. Hinsichtlich der ETW F-strasse … in G sei das Versteigerungsverfahren bereits eingeleitet, der Ehemann habe im Jahr 2018 keine Einnahmen erhalten, aber nicht ausgeglichene Hausgeldzahlungen zu tragen gehabt. Nach dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 03.09.2019 ergebe sich ein Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 1.279,06 € (hälftiger Anteil des Erstattungsbetrages in Höhe von 2.558,12 €), der unverzüglich an die Klägerin zu überweisen sei. Die im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 15.10.2019 begehrte Nachzahlung lehne die Klägerin ab. Die Werbungskosten des Ehemannes seien zur Hälfte von der Klägerin aus ihrem Vermögen bezahlt worden und müssten deshalb dieser zustehen. Steuererstattungen seien Eheleuten grundsätzlich hälftig zuzuordnen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 04.03.2020 (Bl. 2 ff. der Gerichtsakte) wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück. Die Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 ergingen weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und weiterhin vorläufig hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid aufgeführten Punkte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Arbeitslohn sei zu Recht in Höhe der in den elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen Beträge der Besteuerung unterworfen worden. Die Höhe des steuerpflichtigen Arbeitslohnes bleibe von dessen Pfändung unberührt. Der Versorgungsbeginn im Jahr 2015 sei entsprechend der übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung beim Freibetrag für Versorgungsbezüge berücksichtigt worden. Soweit der Beklagte in vergangenen Jahren ggf. rechtsfehlerhaft einen gekürzten Arbeitslohn der Besteuerung zugrunde gelegt habe, so sei dies vor dem Hintergrund der Abschnittsbesteuerung unschädlich. Darüber hinaus habe der Beklagte auch die Höhe der Beteiligungseinkünfte in zutreffender Höhe von 5.000 € der Besteuerung zugrunde gelegt. Einwendungen gegen die Höhe der Beteiligungseinkünfte seien gem. § 351 Abs. 2 AO gegen die Grundlagenbescheide des Finanzamts M geltend zu machen. Die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 15.10.2019 enthielten zwar Zahlungsaufforderungen, jedoch entfielen auf die Klägerin wegen der Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen nach §§ 268 ff. AO und aufgrund ihrer geringen eigenen Einkünfte keine Zahlungsverpflichtungen. Eine Erstattung von Vorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträgen könne die Klägerin nicht geltend machen, da keine Vorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträge auf die Jahressteuer entrichtet worden seien.
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Mit ihrer am 09.04.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich weiter. Bei den staatlich verordneten Lohndatenübermittlungen handele es sich nicht um absolute Beweismittel. Die einbehaltenen Beträge seien steuerfrei zu stellen. Nach der Anlage zu den Einkommensteuerbescheiden 2017 und 2018 seien die Forderungen des Finanzamts erloschen, obwohl die Klägerin und ihr Ehemann die Gegenbuchung von Verlustvorträgen untersagt hätten. Das Finanzgericht Münster habe den Eheleuten im Jahr 2018 Werbungskosten in Höhe von 349.000 € zugewiesen, über den Verbrauch der jeweiligen verbleibenden Verlustvorträge entscheide nicht das Finanzamt, sondern der Steuerzahler. Die Verlustvorträge stünden zur Hälfte der Klägerin zu, da diese auch die Hälfte der Aufwendungen aus ihrem Vermögen bezahlt habe. Die Eheleute könnten einvernehmlich den Rückzahlungsbetrag unter sich aufteilen. Ihr, der Klägerin, stünde die Hälfte der Erlöse aus den Steuerguthaben zu, die weitere Hälfte gehöre ihrem Ehemann, der seinen Anteil ggf. an seinen Insolvenzverwalter abzuführen habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 vom 15.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.03.2020 in Gestalt der letzten Änderungsbescheide vom 03.08.2020 (2017) bzw. 16.08.2021 (2018) dahingehend zu ändern, dass eine erklärungsgemäße Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Auch gepfändete Gehaltsforderungen seien in voller Höhe bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Die Beteiligungseinkünfte aus der Ebengemeinschaft B seien vom Finanzamt M mit Bescheiden vom 28.08.2019 und vom 03.03.2019 in Höhe von 5.000 € festgesetzt worden. Die Steuerforderungen des Beklagten für die Streitjahre seien durch Zubuchungen vorinsolvenzrechtlicher Erstattungsansprüche des Ehemannes der Klägerin erloschen. Selbst wenn der Beklagte die Steuer in den Streitjahren hypothetisch in geringerer Höhe festsetzen würde, kämen eventuelle Steuererstattungen allein der Insolvenzmasse, aber nicht der Klägerin zugute.
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Während des laufenden Klageverfahrens hat der Beklagte mit Datum vom 03.08.2020 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2017 und 2018 erlassen (Bl. 80 ff und Bl. 85 ff. der Gerichtsakte). In den Bescheiden hat er nunmehr erstmalig auch Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung der ETW F-straße … in G in Höhe von jeweils 4.394 € berücksichtigt. Dabei ging er von Mieteinnahmen in Höhe von 12x490,04 € sowie Werbungskosten (=AfA) in Höhe von 1.486 € aus. Ergänzend wies er darauf hin, dass es sich um eine Einkommensverwendung handele, soweit Einnahmen an die Gläubiger des Ehemannes abgeführt worden seien. Die Klägerin hat die Höhe der Einkünfte bestritten; die Nettokaltmiete habe nach den Annahmen des Beklagten nur 390 € betragen. Außerdem sei die ETW von den Eheleuten gemeinsam erworben und finanziert worden. Dinglich sei nur ein Partner Eigentümer, schuldrechtlich seien es beide. Aus Gründen des sogenannten Bauherrenmodells sei die dingliche Absicherung nur durch den Ehemann erfolgt. Der Beklagte hat dazu zwischenzeitlich ein Kontenblatt aus dem Insolvenzverfahren für das Jahr 2020 vorgelegt, in dem bis 09/2020 mtl. Mietzahlungen i.Hv. 490,04 € ausgewiesen sind und für Okt. 2020 ein zeitanteiliger Teilbetrag, die jeweils gegen das Anderkonto verbucht wurden. Außerdem hatte das FA bereits mit Schreiben vom 11.08.2021 (Bl. 122 f. der Gerichtsakte) der Klägerin mitgeteilt, dass die ETW sich im Eigentum des Ehemanns befunden habe und dass das FA den Angaben des Insolvenzverwalters in der ESt-Erklärung 2020 gefolgt sei, allerdings den auf einer weiteren, nicht vom Insolvenzverwalter erstellten Anlage V mit „ca. 2.000 €“ geschätzten fiktiven Zinsaufwand und die mit „ca. 300 €“, ca. „400 €“ und nochmals „ca. 300 €“ geschätzten weiteren Ausgaben (ohne Belege) nicht berücksichtigt habe.
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Während des Klageverfahrens hat der Beklagte am 16.08.2021 einen weiteren geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 erlassen. In diesem setzte er aufgrund einer Mitteilung des Finanzamts M vom 04.05.2021 (Bl. 99 der Gerichtsakte) die Einkünfte des Ehemannes aus der B Erbengemeinschaft auf 2.950 € herab (Bl. 109 der Gerichtsakte).
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Der Senat hat die Gerichtsakten des Verfahrens 4 K 367/15 E sowie die Gerichts- und Steuerakten des Verfahrens 9 K 2247/20 beigezogen.
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In der Sache hat am 22.03.2023 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Noch am selben Tag wurde das Urteil verkündet. Die Klägerin hat nachfolgend weitere Schriftsätze eingereicht.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Der Senat hat den Rechtsstreit bereits am 22.03.2023 durch das am selben Tag verkündete Urteil entschieden. Der sinngemäß gestellte Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl. § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) zwecks Berücksichtigung der nachgereichten Schriftsätze wird deshalb abgelehnt (Beschluss der im Rubrum bezeichneten Berufsrichter vom 22.05.2023).
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Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war nicht mehr möglich, weil das Urteil bereits vor Eingang der nachgereichten Schriftsätze verkündet worden war (vgl. BFH, Beschluss vom 17.08.1999 ‒ IV B 22/99, BFH/NV 2000, 211). Mangels jedweden Ermessens in dieser Sachverhaltskonstellation kann die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch die drei Berufsrichter und in Verbindung mit dem Urteil erfolgen (vgl. Senatsurteil vom 25.08.2014 ‒ 9 K 106/12, EFG 2015, 315, nachgehend BFH-Urteil vom 25.1.2017 ‒ I R 74/14, BStBl II 2017, 650).
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II. Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
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Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für 2017 vom 03.08.2020 und für 2018 vom 16.08.2021, die gem. § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als dass der Beklagte die Einkünfte des Ehemannes der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit nicht um die von der J einbehaltenen Beträge (2017: 46.069 €; 2018: 51.858 €) gemindert hat. Im Übrigen sind die angefochtenen Einkommensteuerbescheide nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
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1. Der Beklagte hat die Einkünfte des Ehemannes der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit zu Unrecht in Höhe von mehr als 23.373 € (2017) und 19.290 € (2018) angesetzt.
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a) Die Frage, ob dem Ehemann der Klägerin auch die von der J einbehaltenen Beträge (2017: 46.069 €; 2018: 51.858 €) zugeflossen sind, kann im Streitfall dahinstehen. Denn selbst wenn die vorgenannten Beträge dem Ehemann der Klägerin als Versorgungsbezüge zugeflossen wären, lägen in derselben Höhe Werbungskosten hinsichtlich der früheren aktiven Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin für die J vor, so dass in beiden Sachverhaltsvarianten die vom Beklagten bislang angesetzten Einkünfte um die vorgenannten Beträge zu mindern sind.
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aa) Ob die von der J nicht ausgezahlten Versorgungsbezüge dem Ehemann der Klägerin gleichwohl steuerlich i.S. des § 11 EStG zugeflossen sind, lässt sich nach Aktenlage und dem Vorbringen der Klägerin nicht sicher beurteilen. Allerdings ist der Senat ‒ entgegen den Zweifeln des Beklagten -- davon überzeugt, dass der Einbehalt durch die J im Zusammenhang mit deren Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Ehemann der Klägerin stand, die Gegenstand des Rechtsstreits vor dem OLG K (Az. … U …/10) waren.
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Schriftsätzlich verweist die Klägerin mehrfach auf ein von der J geltend gemachtes (angebliches) Zurückbehaltungsrecht (vgl. z.B. Schriftsatz vom 04.07.2021 im Verfahren 9 K 2247/19, Bl. 97 der dortigen Gerichtsakte; Klageschrift im vorliegenden Verfahren 9 K 1136/20, Bl. 29, 32 der Gerichtsakte). Die Klägerin hat dazu mit Schriftsatz vom 09.06.2020 ein Schreiben des Rechtsanwalt O für die Sozietät P (offensichtlich für die J) an die Q Rechtsanwälte (offensichtlich für den Ehemann der Klägerin) vom 21.05.2015 vorgelegt, in dem die Erstgenannten von einem Zurückbehaltungsrecht der J und dessen Geltendmachung ausgegangen sind (Bl. 44, 46, 55 ff. der Gerichtsakte). Dieses legt nahe, dass zumindest im damaligen Zeitpunkt (Mai 2015) ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wurde, und zwar gerade im Hinblick auf den Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem OLG K betreffend eine Widerklage und einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 555.476,61 €. Wäre es auch in den Streitjahren bei der bloßen Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts verblieben, hätte dies jedoch nicht zu einem Zufluss der Versorgungsbezüge i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG bei dem Ehemann der Klägerin geführt (vgl. Kister, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rdn. 33).
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Soweit der Beklagte demgegenüber von einer Pfändung der Versorgungsbezüge durch die J ausgeht und außerdem in der mündlichen Verhandlung die Frage aufgeworfen hat, ob die Pfändung und der Einbehalt überhaupt auf dem vorgenannten Schadensersatzanspruchs beruhe, hat der Beklagte dafür keine konkreten Anhaltspunkte benannt. Das Insolvenzgutachten des Rechtsanwalts H im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Ehemanns der Klägerin vom 02.04.2019 geht zwar von einem Einbehalt der Betriebsrente aufgrund von Pfändungsmaßnahmen des ehemaligen Arbeitgebers aufgrund eines unrichtigen Urteils des OLG K aus, doch beruhen diese Ausführungen soweit ersichtlich auf den Angaben des Ehemanns der Klägerin (ESt-Akte 2017, Bl. 80-82) und stellen jedenfalls den Zusammenhang mit den Schadensersatzansprüchen der J, die Gegenstand des Rechtsstreits vor dem OLG K waren, nicht in Frage. Allein der Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehemann auf die Nachfrage des Beklagten vom 13.10.2021 betreffend die Einkommensteuer 2020 (die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist) keine weitergehenden Unterlagen vorgelegt haben (vgl. Gerichtsakte Bl. 132, 159, 167, 170), rechtfertigt weder die (unsubstantiierte) Vermutung des Beklagten, dass der von der J vorgenommene Einbehalt auf anderen Rechtsgründen als den Schadensersatzansprüchen der J beruhen könnte noch erfordert dies eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen, zumal der Senat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Beklagte insoweit mit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen nicht rechnen könne. Allerdings erscheint es dem Senat durchaus naheliegend, dass die J im Anschluss an das Urteil des OLG K im Verfahren … U …/10 ‒ und damit in den Streitjahren --, von der vorhergehenden Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts zu einer Aufrechnung oder eventuell zu einer Pfändung übergegangen ist, zumal in den vorliegenden Gehaltsbescheinigungen und den Lohnsteuerbescheinigung der J für die Streitjahre (vgl. Bl. 6-17 der ESt-Akte 2017, Bl. 61, 64-78 der ESt-Akte 2018) die Bezüge ohne Kürzung um den vorgenommenen Einbehalt lohnversteuert worden sind. Hätte die J mit ihren Gegenansprüchen (Schadensersatzansprüchen aus dem Urteil des OLG K) gegen den Ehemann der Klägerin aufgerechnet oder hätte die J wegen dieser Schadensersatzansprüche die Versorgungsbezüge gepfändet, läge insoweit ein Zufluss der Versorgungsbezüge vor (vgl. zur Pfändung: Kister, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rdn. 100: „Pfändung/Pfandrecht“; Bleschick, in: BeckOK, EStG, § 19 Rdn. 895; Schmidt/Krüger, EStG, § 11 Rdn. 50: „Pfändung/Verpfändung“; vgl. zur Aufrechnung: Kister, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rdn. 55; Seiler in Kirchhof/Seer, EStG, § 11 Rdn. 26). Gleichzeitig wären aber durch die Aufrechnung bzw. durch den Einbehalt der gepfändeten Beträge auch die Zahlungsverpflichtungen des Ehemanns der Klägerin gegenüber der J aus dem Urteil des OLG K erloschen.
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bb) Falls/soweit die von der J in den Streitjahren einbehaltenen Versorgungsbezüge dem Ehemann der Klägerin zugeflossen und mithin dadurch in der entsprechenden Höhe dessen Verpflichtungen gegenüber der J aus dem Urteil des OLG K erloschen wären (vgl. dazu vorstehend unter aa), lägen in gleicher Höhe (nachträgliche) Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 S. 1, 2 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG des Ehemanns der Klägerin vor.
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(1) Soweit der Einbehalt durch die J zu einem Zufluss der Versorgungsbezüge und zu einer Erfüllung der Schadensersatzansprüche der J führen würde (vgl. vorstehend unter aa), läge steuerlich gleichzeitig ein Abfluss der entsprechenden Beträge i.S. des § 11 Abs. 2 S. 1 EStG bei dem Ehemann der Klägerin vor (vgl. zur Pfändung: Kister, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rdn. 100; vgl. zur Aufrechnung: Seiler in Kirchhof/Seer, EStG, § 11 Rz. 26).
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(2) Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) vor, wenn sie durch den Beruf veranlasst sind. Dies ist der Fall, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (BFH, Urteil vom 20.10.2016 - VI R 27/15, BStBl II 2018, 441). Auch Ausgaben, die erst nach Aufgabe der Erwerbstätigkeit anfallen, sind Werbungskosten, wenn sie noch durch die frühere Einkünfteerzielung veranlasst sind (BFH, Urteil vom 16.11.2011 - VI R 97/10, BStBl II 2012, 343; FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.07.2013 ‒ 4 K 1508/09, EFG 2013, 1651; Schmidt/Krüger, EStG, § 9 Rz. 99).
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Strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit stehen, können ebenfalls Erwerbsaufwendungen begründen, und die sich aus ihnen ergebenden Schadensersatzverpflichtungen zu Werbungskosten oder Betriebsausgaben führen (BFH, Urteil in BStBl II 2018, 441; Kreft/Bergkemper, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 9 Rdn. 614 „Schaden, Schadensersatz und Schadensbeseitigung“; Hentschel/Paul/ u.a., in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Rz. 960; Schmidt/Loschelder, EStG, § 4 Rdn. 520 „Schadenersatzleistungen“). Die Annahme von Erwerbsaufwendungen setzt in diesen Fällen allerdings voraus, dass die ‒die Aufwendungen auslösenden-- schuldhaften Handlungen noch im Rahmen der betrieblichen oder beruflichen Aufgabenerfüllung liegen und nicht auf privaten, den betrieblichen oder beruflichen Zusammenhang aufhebenden Umständen beruhen (BFH, Urteil in BStBl II 2018, 441). Ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang wird aufgehoben, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat (BFH, Urteil in BStBl II 2018, 441, und Hentschel/Paul/u.a. in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Rz. 960, jeweils m.w.N.).
42
(3) Nach diesen Maßgaben führt eine Erfüllung der Schadensersatzverpflichtungen des Ehemanns der Klägerin gegenüber der J zu nachträglichen Werbungkosten im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG.
43
Der Ehemann der Klägerin hatte als Geschäftsführer der J die von dieser als Vermieterin vereinnahmte Mietkautionen nicht vom Vermögen der J getrennt angelegt, sondern diese Gelder im Unternehmen der J eingesetzt. Zwar schloss er deshalb eine „Mietkautionsversicherung“ ab, jedoch war nach Auffassung des OLG K nicht erkennbar, welche konkreten Ansprüche den Mietern im Insolvenzfalle zur Wiedererlangung der Kaution zugestanden hätten. Als Zwischenergebnis hielt das OLG K fest, dass der Ehemann der Klägerin als Kläger im OLG-Verfahren „die Mietkautionen in Höhe von rund 20 Mio. € nicht gemäß § 551 Abs. 3 BGB getrennt vom Vermögen der Beklagten [der J] angelegt hat, darüber die Mieter getäuscht und für eine hinreichende Sicherung ihrer Rückzahlungsansprüche im Involvenzfall keine Vorsorge getroffen hat.“ (OLG-Urteil S. 14). Weiter führte das OLG K aus: „Im Zusammenhang mit dem Abschluss einer „Mietkautionsversicherung“ […] hat der Kläger nicht nur die Vermögensbetreuungspflichten, die der Beklagten als Vermieterin gegenüber ihren Mietern oblagen, außer Acht gelassen, sondern ebenso auch die ihm obliegenden Vermögensbetreuungspflichten aus seiner Stellung als Geschäftsführer der Beklagten und hierbei der Beklagten einen erheblichen Vermögensnachteil in Höhe der insgesamt aufgewendeten Versicherungsprämien zum Betrag von 555.476,61 € zugefügt.“ (OLG-Urteil S. 15). Hiervon ausgehend nahm das OLG K ‒ abweichend von der Vorinstanz ‒ an, dass der J in Höhe der von ihr entrichteten Versicherungsprämien (für die sie keine Gegenleistung erhalten habe) auch ein Schaden von 555.476,61 € entstanden sei und der J als dortiger Beklagten und Widerklägerin deshalb ein Schadensersatzanspruch sowohl aus § 43 Abs. 2 GmbHG wie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB gegenüber dem dortigen Kläger (dem Ehemann der Klägerin des vorliegenden Verfahrens) zustehe. Die von diesem angeführten wirtschaftlichen Vorteile für die J könnten nicht berücksichtigt werden, weil es zu derartigen Vorteilen nur kommen könne, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, seine Geschäftsführertätigkeit unter bewusster Außerachtlassung des Gesetzes auszuüben (OLG-Urteil S. 17 ff.).
44
Ausgehend von dem vorgenannten OLG-Urteil und von der Feststellung des LG K im Strafurteil vom 00.00.2011 ‒ … KLs …/09 (dort S. 52), wonach der Ehemann der Klägerin sich durch sein Verhalten (welches zu seiner strafrechtlichen Verurteilung geführt hat) persönlich nicht bereichert habe, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die vom Ehemann der Klägerin an die J GmbH zu leistenden Schadensersatzzahlungen i.H.v. 555.476,61 € ausschließlich durch seine frühere Geschäftsführertätigkeit für die J veranlasst waren. Dementsprechend liegen im Zeitpunkt der Erfüllung dieser Schadensersatzansprüche nachträgliche Werbungskosten des Ehemanns der Klägerin vor.
45
b) Der Versorgungsfreibetrag nebst dem Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag gem. § 9 Abs. 2 EStG ist in den Streitjahren unverändert mit insgesamt 3.588 € anzusetzen.
46
aa) Soweit die Klägerin moniert, dass Versorgungsbeginn hinsichtlich der von der J bezogenen Einkünfte ihres Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit das Jahr 2007 und nicht ‒ wie in der Lohnsteuerbescheinigung aufgeführt - das Jahr 2015 sei, so folgt der Senat dieser Auffassung. Die Ausführungen der Klägerin sind plausibel, denn der Ehemann der Klägerin (geb. 1942) ist im Jahr 2007 65 Jahre alt geworden, zudem hatte die J das Arbeitsverhältnis mit ihm im Jahr 2007 gekündigt. Außerdem wurden bereits in der Steuererklärung und dem Steuerbescheid 2007 (wie in den Streitjahren) Bezüge aus zwei Versorgungsverhältnissen angesetzt.
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bb) Die Annahme eines Versorgungsbeginns bereits im Jahr 2007 für die von der J erhaltenen Bezüge führt jedoch nicht zu einem höheren Versorgungsfreibetrag oder einem höheren Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag.
48
Der Versorgungsfreibetrag knüpft grundsätzlich an die Verhältnisse im ersten Bezugsjahr an (§ 19 Abs. 2 Satz 8 EStG); eine Ausnahme i.S. des § 19 Abs. 2 S. 10 EStG liegt hier nicht vor. D.h. der Versorgungsfreibetrag bleibt danach grundsätzlich für die gesamte Laufzeit des Versorgungsbezugs gleich (vgl. Bundesministerium der Finanzen vom 19.08.2013, BStBl I 2013, 1087, Rz. 172 f.; Geserich in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 19 EStG Rz. 343; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 19 Rdn. 525, 530); ein Verlust darf durch diesen allerdings nicht entstehen (vgl. Geserich in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 19 EStG, Rz. 344).
49
Der Ehemann der Klägerin hat im Jahr 2007 aus dem ersten Versorgungsbezug in den Monaten 10-12/2007 insgesamt Versorgungsbezüge i.H.v. 13.224 € bezogen. Die „Bemessungsgrundlage für den Versorgungsfreibetrag lt. Nr. 27 der Lohnsteuerbescheinigung“ wurde mit 52.896 € erklärt. Für den zweiten Versorgungsbezug in den Monaten 02-12 wurden Bezüge i.H.v. 6.272 € erklärt und als Bemessungsgrundlage für den Versorgungsfreibetrag 6.254 € angegeben. Insoweit wird auf die im Verfahren 9 K 2247/20 vorgelegte Einkommensteuerakte 2007 verwiesen. In dem letzten gegenüber den Klägerin und ihrem Ehemann ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 30.07.2009 (Bl. 75 der Gerichtsakte 9 K 2247/20) wurden Freibeträge für Versorgungsbezüge i.H.v. 3.289 € angesetzt (und daneben Werbungskosten für Versorgungsbezüge i.H.v. 102 €). In der für das Jahr 2007 maßgebenden Fassung des § 19 EStG betrug der Höchstbetrag für den Versorgungsfreibetrag und der Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag für seit dem 2007 gewährte Versorgungsbezüge ‒ wie in den Streitjahren ‒ bereits 2.760 € zzgl. 828 €, d.h. insgesamt 3.588 €. Der tatsächlich im Einkommensteuerbescheid 2007 angesetzte Betrag von 3.289 € entspricht 11/12 von 3.588 €, weil im Januar 2007 noch keine Versorgungsbezüge gezahlt wurden und der Höchstbetrag deshalb gem. § 19 Abs. 2 S. 12 EStG zeitanteilig zu kürzen war.
50
In den Streitjahren 2017 und 2018 hat der Ehemann der Klägerin in allen Monaten Versorgungsbezüge bezogen, so dass eine zeitanteilige Kürzung des Versorgungsfreibetrags und des Zuschlags zum Versorgungsfreibetrag gem. § 19 Abs. 2 S. 12 EStG nicht in Betracht kommt. Vielmehr muss es bei dem seit dem Jahr 2007 maßgebenden Höchstbetrag des Versorgungsfreibetrags und des Zuschlags zum Versorgungsfreibetrag von insgesamt 3.588 € verbleiben.
51
c) Ausgehend von den vorgenannten Ausführungen unter a) und b) ergeben sich die anzusetzenden Einkünfte gem. § 19 EStG somit wie folgt:
52
2017 2018
53
Bruttoarbeitslohn/Versorgungsbezüge 73.132 € 74.838 €
54
./. vom Arbeitgeber einbehaltene Beträge,
55
weil es insoweit
56
entweder an einem Zufluss fehlt oder
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nachträgliche Werbungskosten zu den
58
Einkünften gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
59
EStG vorliegen ./. 46.069 € ./. 51.858 €
60
./. Versorsorgungsfreibetrag und Zuschlag
61
zum Versorgungsfreibetrag ./. 3.588 € ./. 3.588 €
62
./. Werbungskosten-Pauschbetrag zu den
63
Versorgungsbezügen (§ 9a Satz 1 Nr, 1
64
Buchst. b EStG) ./. 102 € ./. 102 €
65
= Einkünfte gem. § 19 EStG 23.273 € 19.290 €
66
3. Zu Recht hat der Beklagte Beteiligungseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 5.000 € bzw. 2.950 € aus der B-Erbengemeinschaft der Besteuerung entsprechend den Bescheiden bzw. Mitteilungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Finanzamts M zugrunde gelegt.
67
Soweit die Klägerin einwendet, dass diese Einkünfte nicht oder nicht in der vorgenannten Höhe der Besteuerung hätten zugrunde gelegt werden dürfen, so ist sie mit diesem Vorbringen im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen.
68
Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung, AO) können gem. § 351 Abs. 2 AO nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden. Grundlagenbescheide sind Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide oder andere Verwaltungsakte, soweit diese für die Festsetzung einer Steuer bindend sind (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO). Feststellungsbescheide sind gem. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO, auch wenn sie noch nicht unanfechtbar sind, für andere Feststellungsbescheide, für Steuermessbescheide, für Steuerbescheide und für Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind.
69
Bei den Bescheiden des Finanzamts M über die gesonderte und einheitliche Feststellung gem. § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der M Erbengemeinschaft D-straße …, E für die Jahre 2017 und 2018 handelt es sich um Feststellungsbescheide und damit um bindende Grundlagenbescheide i.S.d. § 171 Abs. 10 Satz 1 iVm § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für die Einkommenssteuerbescheide 2017 und 2018 der Klägerin und ihres Ehemannes.
70
Die Frage, ob und in welcher Höhe dem Ehemann der Klägerin Einkünfte aus einer etwaig noch bestehenden Beteiligung an der B Erbengemeinschaft zuzurechnen sind, ist bzw. wäre im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung gem. §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der B Erbengemeinschaft D-straße …, E für die Jahre 2017 und 2018 zu klären bzw. zu klären gewesen.
71
Der Senat weist darauf hin, dass die angefochtenen Einkommensteuerbescheide im Falle einer Änderung der Grundlagenbescheide (z.B. aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung derselben) unter den Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern sind.
72
4. Soweit sich die Klägerin gegen den Ansatz von Vermietungseinkünften hinsichtlich der Eigentumswohnung F-straße … in G wendet, so folgt der Senat dem nicht.
73
Eine die Zurechnung der Einkünfte beim Ehemann der Klägerin (möglicherweise) ausschließende Versteigerung des Objekts hatte ‒ wie sich aus der Einspruchsbegründung der Klägerin ergibt - in den Streitjahren noch nicht stattgefunden.
74
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, dass es wegen einer Pfändung der Mieteinnahmen durch die J an einem Zufluss beim Ehemann der Klägerin fehle, so ist diese Rechtsauffassung unzutreffend. Wirtschaftlich betrachtet liegt eine Zahlung des Drittschuldners an den Pfändungsschuldner und von diesem eine Zahlung an den Pfändungsgläubiger vor (Kister, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rdn. 100 „Pfändung/Pfändungspfandrecht“). Im Übrigen steht insoweit aber bereits nicht fest, ob und von welcher Person aus welchem Rechtsgrund tatsächlich eine Pfändung der Mieteinnahmen in den Streitjahren vorgenommen worden ist. Die Klägerin hat ihre Behauptung nicht näher belegt und dementsprechend kommt insoweit auch kein gegenläufiger Abzug nachträglicher Werbungkosten bei den Einkünften des Ehemanns der Klägerin gem. § 19 EStG in Betracht. Demgegenüber hat der Beklagte die Höhe der Mieteinnahmen ausgehend von den Unterlagen des Insolvenzverwalters für das Jahr 2020 geschätzt, wonach (zumindest ab Januar 2020) Mieteinnahmen auf dessen Anderkonto eingegangen sind. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.
75
Die Klägerin auch nicht dargelegt, geschweige denn nachgewiesen, dass ihrem Ehemann höhere als die vom Beklagten berücksichtigten Werbungskosten entstanden sind. Insbesondere kommt nach Aktenlage bezogen auf die Eigentumswohnung ein Abzug von Schuldzinsen bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Darlehen zur Finanzierung der Eigentumswohnung mittels der Auszahlung einer Lebensversicherung getilgt wurde (vgl. Anlage zur Steuererklärung 2017, ESt-Akte Bl. 25).
76
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
77
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).