01.12.2022 · IWW-Abrufnummer 232560
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 09.06.2022 – 1 K 1168/21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hessisches Finanzgericht 1. Der Senat
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, gegenüber dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 für seinen Sohn für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2020 Kindergeld festzusetzen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für den volljährigen Sohn des Klägers im Jahr 2020.
Ursprünglich zuständig war bis 31. Dezember 2018 die Familienkasse der B. Danach übernahm die Familienkasse die Zuständigkeit.
Der Sohn des Klägers, A, ist am … 1994 geboren. Der Kläger bezog für ihn bis einschließlich Dezember 2019 Kindergeld. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für A ab Januar 2020 auf, da A im Dezember 2019 sein 25. Lebensjahr vollende. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein, da A sich noch in Ausbildung befinde. Er vertrat darin die Auffassung, dass der vom Sohn geleistete Bundesfreiwilligendienst (der durch eine Bescheinigung nachgewiesen wurde) analog zu den Regelungen über den Grundwehrdienst zu einer Verlängerung des Anspruchszeitraums führen müsse. Er legte eine Erklärung zum Ausbildungsverhältnis bei, wonach A vom 1. August 2017 bis voraussichtlich 31. Juli 2020 eine Ausbildung zum Gärtner, Fachrichtung Baumschule mache (ebenfalls nachgewiesen durch Bescheinigung des Ausbildungsbetriebs, datierend auf 5. Juli 2017). Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2020 als unbegründet zurückgewiesen.
Per E-Mail beantragte der Kläger im September 2020 erneut Kindergeld für seinen Sohn. Darin gab er an, dass sein Sohn wegen starker Depressionen krankgeschrieben sei. Seine Ausbildung habe er abbrechen müssen. Der Kläger wurde daraufhin von der Familienkasse gebeten, einen Kindergeldantrag auf dem vorgesehenen Vordruck nebst erforderlicher Unterlagen einzureichen. Er wurde zudem über die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Behinderung informiert.
Der Kläger antwortete daraufhin mit einem Schreiben an die Familienkasse, in dem er erklärte, dass A von ständiger Unterstützung durch seine Mutter abhängig sei. Er schaffe es nicht, erforderliche Termine beim Arzt selbstständig wahrzunehmen. Er brauche ständigen Anschub und Erinnerung. Seit 21. Januar 2019 sei er fast durchgehend krankgeschrieben. Er fügte außerdem die Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung (Vordruck 4f) sowie die Erklärung zu den Verhältnissen eines volljährigen Kindes mit Behinderung, aus der sich ergibt, dass ein Antrag nach dem SGB IX gestellt worden sei, bei. Des Weiteren legte er eine Bestätigung der B vor, nach der A von 4. März 2019 bis 19. Juli 2020 Krankengeld bezogen habe. Aus den ebenfalls beigefügten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergibt sich die Diagnose F32.1 G (ICD-10-Code). Schließlich reichte er eine ärztliche Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit bei, in der für den Zeitraum ab Januar 2019 bescheinigt wird, dass A ab 25. Oktober 2019 auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage sei, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung auszuüben (Vordruck KG 4i). Auf einem weiteren Vordruck KG 4i wird unter demselben Praxisstempel einer hausärztlichen Praxis und demselben Datum jedoch angegeben, dass keine Behinderung vorliege.
Mit Bescheid vom 2. November 2020 der Familienkasse wurde der Antrag auf Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum ab Januar 2020 abgelehnt. Dies wurde damit begründet, dass der Nachweis einer Behinderung deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist, erbracht werden könne durch eine Bescheinigung der nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 69 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat oder auf einer typischen Berufskrankheit beruht, oder wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustehen, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid. Der vorliegende Bescheid bzw. die vorliegende Bescheinigung des Versorgungsamtes enthalte keine Aussage darüber, dass die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe. Ein Rentenbezug liege ebenfalls nicht vor. Es liege somit kein Nachweis der Behinderung im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Es sei noch überhaupt nicht über den Antrag beim Versorgungsamt bzw. auf Rentenbezug entschieden worden, sodass die Ablehnung auf dieser Grundlage keinen Bestand haben könne. Der Kläger reichte in der Folge einen Widerspruchsbescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales ‒ Versorgungsamt ‒ vom 27. Mai 2021 bei der Familienkasse ein, aus dem sich ergibt, dass bei A ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 25. Februar 2019 festgestellt wurde. Grundlage sei das Vorliegen einer psychischen Störung (depressive Störung, Angststörung).
Im Juni 2021 wurde der Kläger darüber informiert, dass nunmehr die Beklagte für die Bearbeitung seiner Kindergeldangelegenheiten zuständig sei und die Akte von der Familienkasse dorthin abgegeben wurde.
Von der Beklagten wurde der Kläger aufgefordert, weitere Angaben zu den Bewilligungsverfahren für Arbeitslosengeld I und zum Rentenbezug zu machen bzw. zwischenzeitlich ergangene Bescheide einzureichen. Außerdem wurde der Kläger aufgefordert, den Vordruck KG 4f (Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung) einzureichen.
Der Kläger reichte sodann erneut diesen Vordruck sowie einen Bewilligungsbescheid über Leistungen nach dem SGB II vom Kommunalen Jobcenter von Januar bis Juni 2021 und einen Bewilligungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 9. Dezember 2020 ein, wonach A eine fünfwöchige stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt wurde. Schließlich reichte der Kläger eine Entgeltabrechnung für eine Beschäftigung A‘ auf 450,00 Euro-Basis auf einem Bio-Landhof im Dezember 2020 ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Als Begründung führte sie aus, dass Behinderungen im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorlägen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sei (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Zu einer Behinderung könnten auch Suchtkrankheiten (z. B. Drogenabhängigkeit, Alkoholismus) führen. Nicht zu den Behinderungen zählten Krankheiten, deren Verlauf sich auf eine im Voraus abschätzbare Dauer beschränke, insbesondere akute Erkrankungen. Der Nachweis einer Behinderung könne bei einer Behinderung, deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist, durch eine Bescheinigung der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 69 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe oder, wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustünden, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid erbracht werden.
Eine Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG (in der bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Fassung) liege im Streitfall nicht vor. Im Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021 werde nicht angeben, dass die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe. Diese Voraussetzung müssten bei einem GdB von mehr als 25 und weniger als GdB 50 bis zum 31. Dezember 2020 zwingend vorliegen.
Gegen die Einspruchsentscheidung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage, die der Kläger gegen die Familienkasse richtete, jedoch auch die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 der Beklagten angab und sie im Abdruck beifügte.
Zu Begründung seines Klagebegehrens führt er an, dass der Nachweis der Behinderung bereits durch den Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes geführt worden sei. Weitere Auswirkungen der Behinderung auf A‘ Leistungsfähigkeit ergäben sich aus dem Entlassbrief der Klinik C vom 3. März 2021. Auch ein Befundbericht der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022 bestätige, dass A in der beruflichen und sozialen Teilhabe eingeschränkt sei. Die Behinderung sei vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten und ursächlich dafür, dass sich A nicht selbst unterhalten könne. Er habe seine Ausbildung nicht abschließen können und sei allenfalls in der Lage, dem Minijob nachzugehen, den er seit Ende November 2020 bei einem Bio-Landhof angenommen habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 für seinen Sohn A für den Zeitraum von Januar 2020 bis Dezember 2020 Kindergeld zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Sie ist der Auffassung, dass der Kläger die falsche Behörde verklagte habe und die Klage daher bereits unzulässig sei. In Bezug auf die Begründetheit wiederholt sie die Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung.
Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtslage bezogen auf einen GdB von weniger als 50 müsse der Zeitraum bis Dezember 2020 anders bewertet werden als der Zeitraum ab Januar 2021. Vorliegend müsse der Nachweis der Behinderung nach A 19.2 Abs. 1 Satz 1 DA-KG i. V. m. § 65 Abs. 1 EStDV a.F. bis zum 31. Dezember 2020 bei einem GdB von weniger als 50 aber mindestens 25 entweder durch eine Bescheinigung der nach § 152 Abs. 1 SGB IX zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 152 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe oder, wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustünden, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid (z.B. Impfschadenrente, Schwerbeschädigtenrente; nicht jedoch Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung) erbracht werden.
Der Bundesrat habe am 27. November 2020 dem „Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“ zugestimmt. Veröffentlicht wurde die Änderung im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 14.12.2020. Danach gelte ab dem 1. Januar 2021 u. a. bei einer Behinderung, deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt sei, eine Bescheinigung oder ein Bescheid der nach § 152 Abs. 1 SGB IX zuständigen Behörde als ausreichender Nachweis der Behinderung (§ 65 EStDV n. F.). Der zuvor erforderliche, oben zitierte Zusatz der Bescheinigung sei ab Januar 2021 nicht mehr erforderlich. Erst seit dieser Gesetzesänderung erfüllten die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen (ohne diesen Zusatz) die gesetzlichen Anforderungen, weswegen dem Kläger für den Zeitraum ab Januar 2021 Kindergeld gewährt worden sei. Eine rückwirkende Anwendung der Gesetzesänderung auf den zurückliegenden, noch offenen Streitzeitraum komme nicht in Betracht. Auf diese Änderungen ausgerichtet hätten sich auch die Weisungen der Beklagten für Zeiträume ab 1. Januar 2021 geändert, für zurückliegende Zeiträume sei die Beklagte jedoch an die anderslautende Weisungslage bis 31. Dezember 2020 gebunden.
Die Verwaltungsakte der Beklagten lag als e-Akte vor und ist Gegenstand dieser Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere richtet sie sich gegen die richtige Beklagte gem. § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Das Gericht hat eine Rubrumsberichtigung vorgenommen und die Familienkasse Direktion als Beklagte aufgenommen. Dies war möglich, weil der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen war, gegen welche Familienkasse sich die Klage richtet. Zwar hat der Kläger in seinem Klageschriftsatz ausdrücklich die Familienkasse als Beklagte genannt. Doch hat er in seinem Klageantrag bereits auf die Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 Bezug genommen und diese auch in Kopie beigefügt, sodass die Familienkasse Direktion als Urheber dieser Einspruchsentscheidung erkennbar war. Die Klageschrift war damit widersprüchlich und auslegungsbedürftig. Bei der Auslegung muss die Klageschrift als Ganzes in den Blick genommen werden, wobei als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen kann, dass die Klage im Zweifel nicht gegen die falsche, sondern gegen die nach dem Inhalt der Klage richtige Beklagte gerichtet sein soll. Die Klageschrift ist auch auslegungsfähig, da bereits anhand der ursprünglich eingereichten Anlagen deutlich wurde, gegen wessen Entscheidung der Kläger sich richtet. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass die Familienkasse Direktion sich bereits zur Sache geäußert hatte, obwohl sie formal noch nicht als Beklagte des Verfahrens aufgenommen worden war. Das Gericht berücksichtigt bei dieser Entscheidung auch den Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. zum Ganzen BFH, Beschluss vom 13. Mai 2014 ‒ XI B 129-132/13 ‒, juris).
II. Das Klagebegehren wird ‒ nach entsprechendem Hinweis in der mündlichen Verhandlung und im Hinblick auf die Regelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ‒ so ausgelegt, dass der Kläger die Festsetzung des Kindergelds für das Jahr 2020 begehrt. Die so verstandene Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Unrecht das Kindergeld für seinen Sohn im Streitzeitraum verwehrt.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Mensch behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Nachweis der Behinderung kann dabei nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form wie beispielsweise durch Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens erbracht werden (BFH, Urteil vom 28. Mai 2013 ‒ XI R 44/11 ‒, BFH/NV 2013, 1409). Im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht sollen Gericht/Behörde im Regelfall ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme der behandelnden Ärzte gewinnen (BFH, Urteil vom 21. Oktober 2015 ‒ XI R 17/14 ‒, Rn. 27, juris). Eine auch danach etwa verbleibende fehlende Nachweislichkeit geht nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten (BFH, Urteil vom 19. Januar 2017 ‒ III R 44/14 ‒, Rn. 27, juris).
Das bedeutet, dass die Annahme einer Behinderung im Einzelfall nicht davon abhängig ist, dass ein Arzt oder Gutachter dies in einer von der Beklagten vorgegebenen Form bestätigt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, vom Arzt oder Gutachter einen Subsumtionsschluss im Hinblick auf den Begriff der Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 SGB IX zu erwarten und die Kindergeldzahlung vom Subsumtionsergebnis des Gutachters abhängig zu machen. Vielmehr ist die Frage, ob eine Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorliegt, eine ‒ von der rechtsanwendenden Behörde oder vom Gericht zu entscheidende ‒ Rechtsfrage. Einem Sachverständigen, der Beweismittel ist und die allgemeinen Erfahrungssätze aus seinem Fachgebiet vermittelt, darf die Prüfung von Rechtsfragen demgegenüber nicht übertragen werden (BFH, Urteil vom 19. Januar 2017 ‒ III R 44/14 ‒, Rn. 21, juris).
Die Vorgaben in A 19.2 Abs. 1 Satz 1 DA-KG 2020 können vor diesem Hintergrund nicht bedeuten, dass das Kindergeld nur bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung gewährt werden kann. Die dort genannten Nachweise sollen den Prüfungsaufwand für die Behörde reduzieren. Im Einzelfall kann und muss die Behörde im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht selbst die Umstände ermitteln, um den Rechtsbegriff der Behinderung unter den jeweiligen Lebenssachverhalt zu subsumieren. Von der gemäß Art. 20 GG an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung wird eine Subsumtionsleistung erwartet, bei welcher die ärztlichen/gutachterlichen Feststellungen an dem Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX zu messen sind (FG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2019 ‒ 10 K 3059/18 ‒, Rn. 20 - 21, juris).
Die Annahme der Beklagten, dass eine Behinderung ausschließlich angenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen von A 19.2 Abs. 1 DA-KG 2020 vorliegen, ist daher rechtsfehlerhaft. Auch dem Wortlaut der Verwaltungsanweisung ist des weiteren bereits nicht zu entnehmen, dass der Nachweis der Behinderung ausschließlich in den dort genannten Formen zu erbringen ist. Denn es wird die Einleitung verwendet: „Den Nachweis der Behinderung kann der Berechtigte erbringen:“. Eine Ausschließlichkeit wird dadurch nach Auffassung des Senats gerade nicht zum Ausdruck gebracht, doch scheint die Beklagte hier offenbar von dieser Ausschließlichkeit auszugehen. Schließlich ist die DA-KG auch dem Grunde nach nicht geeignet, die Nachweismöglichkeiten für das Vorliegen einer Behinderung zu begrenzen. Denn Verwaltungsvorschriften sind keine die Gerichte bindenden Rechtsnormen. Soweit sie eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, der Gesetzeslage nicht widersprechen und Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben, können sie allenfalls die Finanzverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG binden (BFH, Urteil vom 9. September 2020 ‒ III R 37/19 ‒, Rn. 22, juris). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Verwaltungsanweisung auf einem Rechtsirrtum beruht (vgl. BFH, Urteil vom 9. September 2020 ‒ III R 37/19 ‒, Rn. 23, juris).
Der Senat geht hier davon aus, dass die einschlägige Vorschrift der DA-KG auf einem Rechtsirrtum der Beklagten begründet ist. Denn diese geht davon aus, dass die Anforderungen des § 65 EStDV a.F. auch für den Nachweis einer Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG von Belang seien und hat daher die Voraussetzungen des § 65 EStDV a.F. in ihre Verwaltungsanweisung übernommen. Dem ist nicht so. Der Senat vermag einen Zusammenhang zwischen § 65 EStDV a. F.und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht zu erkennen. § 65 EStDV a.F. ist zu § 33b EStG ergangen. Auch dieser setzt zwar eine Behinderung des Steuerpflichtigen voraus, enthält jedoch eine andere gesetzliche Formulierung als § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. So setzt § 33b Abs. 2 EStG ausdrücklich eine festgestellte Behinderung voraus, weswegen § 65 EStDV a.F. Vorgaben zu den Inhalten der vorzulegenden Feststellungsbescheide macht. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG dagegen setzt eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung voraus, die jedoch ausweislich des Wortlauts nicht bereits (durch Dritte) festgestellt sein muss. Deswegen ist es Aufgabe des Rechtsanwenders, das Vorliegen einer Behinderung zu prüfen (so auch BFH, Urteil vom 27. November 2019 ‒ III R 44/17 ‒, BFHE 267, 337, BStBl II 2020, 558; FG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2019 ‒ 10 K 3059/18 ‒, juris). Auf Grund der unter-schiedlichen Wortlaute kommt eine Übertragung von § 65 EStDV a.F. auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nach Auffassung des Senats nicht in Betracht und eine inhaltliche In Bezugnahme dieser Regelung durch A 19.2 Abs. 1 DA-KG 2020 stellt ‒ zumindest in der von der Beklagten gewählten Auslegung ‒ eine unzulässige Einengung der Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG dar.
b) Der Sohn des Klägers ist nach Überzeugung des Senats im Streitzeitraum behindert im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der zu Grunde zu legende Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX ist dreigliedrig. Er besteht aus einer für das Lebensalter untypischen gesundheitlichen Situation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert und kausal zu einer Teilhabebeeinträchtigung führt.
aa) Dabei entspricht die dauerhaft altersuntypische Gesundheitsbeeinträchtigung einem im herkömmlichen, rein medizinischen Sinn zu verstehenden Behinderungsbegriff. Die gesundheitliche Beeinträchtigung kann sich auf körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit beziehen. Körperliche Funktionen sind nicht nur organisch und orthopädisch, sondern in umfassendem Sinn zu verstehen; sie schließen Störungen der Sinne (z.B. Sehvermögen, Hörvermögen, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn) und Empfindungen (z.B. Temperaturempfinden, Empfindlichkeit gegenüber anderen Reizen, Schmerz) ein. Die für das Vorliegen einer Behinderung erforderliche Funktionsstörung muss von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Unter dem für das jeweilige Lebensalter untypischen Zustand versteht der Gesetzgeber den Verlust oder die Beeinträchtigung von normalerweise vorhandenen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelischer Gesundheit (BTDrucks 14/5074, S. 98). Leistungseinschränkungen, die für das jeweilige Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind, stellen danach keine Behinderung dar (BTDrucks 10/3138, S. 16 zu § 2a des Schwerbehindertengesetzes). Gerade bei Kindern ist zur Feststellung einer Behinderung die Abgrenzung altersadäquater Gesundheitszustände notwendig. Erforderlich ist insoweit ein Vergleich der körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten mit denen eines altersentsprechenden nicht behinderten Kindes (BFH, Urteil vom 18. Juni 2015 ‒ VI R 31/14 ‒, BFHE 251, 147, BStBl II 2016, 40, Rz 23, m. w. N.).
Bei A liegt hier im Streitzeitraum eine altersuntypische Gesundheitsbeeinträchtigung vor, was sich für den Senat zweifelsfrei und übereinstimmend aus den verschiedenen ärztlichen Attesten ergibt. Verschiedene Ärzte haben dem Sohn des Klägers bereits seit 2019 durchgehend und widerspruchsfrei eine Depression, teilweise verbunden mit Angststörungen, attestiert. Dies ergibt sich aus dem Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021, der schriftlichen Äußerung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022, der Bescheinigung über Gewährung von Krankengeld vom 22. September 2020, den auszugsweise vorliegenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unter Angabe der Diagnose, sowie der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom 1. Oktober 2020. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass der Kläger im Streitzeitraum an einer depressiven Störung und Angststörung litt, was eine Abweichung von den geistigen und seelischen Fähigkeiten eines gesunden Menschen im Alter von 26 Jahren darstellt.
bb) Dieser altersuntypische Gesundheitszustand war auch vornherein nicht zeitlich begrenzbar. Mit dem Erfordernis, dass der altersuntypische Gesundheitszustand mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern muss, bezweckt der Gesetzgeber, vorübergehende Gesundheitsstörungen aus dem Behinderungsbegriff auszuschließen und damit nur Beeinträchtigungen eines bestimmten Schweregrades zu erfassen. Entscheidend ist insoweit nicht die seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung (BFH, Urteil vom 18. Juni 2015 ‒ VI R 31/14 ‒, BFHE 251, 147, BStBl II 2016, 40, Rz 22). Aus der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom 1. Oktober 2020 ergibt sich, dass nicht absehbar sei, wann der Sohn des Klägers wieder eine Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Stunden würde ausüben können. Auch aus dem Entlassbrief der Klinik vom 3. März 2021 ergibt sich, dass der Kläger auch nach der dort durchgeführten stationären Behandlung weiterhin arbeitsunfähig war. Schließlich ergibt sich aus der Einschätzung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022, dass auf Grund der Schwere der Depression derzeit nicht absehbar sei, in welchem Zeitrahmen eine Besserung erwartet werden könne.
cc) Schließlich ist nach Auffassung des Senats auch die Teilhabe-beeinträchtigung gegeben.
Die Teilhabebeeinträchtigung stellt als Folge des Funktionsdefizits eine Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs dar, die auch eine Einbeziehung anderer, insbesondere soziologischer und pädagogischer Beurteilungsmaßstäbe ermöglicht. Der Behinderungsbegriff lässt sich daher nicht auf eine rein medizinische Frage reduzieren, sondern erfordert eine Differenzierung zwischen der Krankheitsbeschreibung, der Funktionsminderung und der Teilhabebeeinträchtigung. Für die Frage, ob in Folge des altersuntypischen gesundheitlichen Zustands die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, kommt es auf das Ausmaß und den Grad der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsbeeinträchtigung an. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt.
Relevante Teilhabebereiche ergeben sich aus der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Danach werden die Bereiche Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche (wozu insbesondere Erziehung und Bildung, Arbeit und Beschäftigung zu zählen sind) sowie gemeinschafts-, sozial- und staatsbürgerliches Leben unterschieden. Die Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung hat aufgrund einer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes zu erfolgen, wobei ggf. neben medizinischem Sachverstand auch der anderer Wissensgebiete (insbesondere sozialpädagogischer und psychologischer Art) heranzuziehen ist. Danach darf eine Teilhabehinderung bei Vorliegen einer Schädigung oder Funktionsbeeinträchtigung nicht einfach im Rahmen einer letztlich abstrakten Betrachtungsweise in nahezu selbstverständlicher Weise unterstellt werden, sondern bedarf einer auf entsprechende tatsächliche Feststellungen gestützten Begründung (BFH, Urteil vom 27. November 2019 ‒ III R 44/17 ‒, BFHE 267, 337, BStBl II 2020, 558, Rz. 27).
Aus den schriftlichen Ausführungen des Klägers, die sich mit den Symptombeschreibungen in den ärztlichen Berichten decken und daher glaubhaft sind, ergibt sich für den Senat, dass A durch seine Depression an einer Eingliederung in die Gesellschaft gehindert war. So sei A ohne ständiges Anhalten durch seine Mutter nicht in der Lage, auch nur Arzttermine wahrzunehmen. Selbst für die einfachsten Aufgaben brauche er immer wieder Unterstützung und Anschub. Aus diesen Schilderungen wird für den Senat eine Teilhabebeeinträchtigung im Bereich der allgemeinen Aufgaben und Anforderungen sowie der Selbstversorgung deutlich.
Auch aus dem Entlassbrief der Klinik vom 3. März 2021 und der Einschätzung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022 ergaben sich Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit. Diese Symptome seiner Krankheit führten dazu, dass A seine Ausbildung abbrechen musste und dadurch an der Teilhabe im Bereich Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen ist. Ebenso ergibt sich aus den zitierten ärztlichen Berichten, dass sich A sozial zurückziehe und Schwierigkeiten habe, in sozialen Situationen zu bestehen. Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus diesen Schilderungen, dass A auch im Bereich der interpersonellen Interaktionen und Beziehungen erheblich teilhabebeeinträchtigt ist.
c) A ist durch seine Behinderung unfähig, sich selbst zu unterhalten. Die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt, die kausal durch die Behinderung verursacht sein muss, liegt vor, wenn die kindeseigenen Mittel nicht den notwendigen Lebensbedarf übersteigen. Nach der Rechtsprechung des BFH muss nur die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sein, nicht aber die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt (BFH, Urteil vom 9. Juni 2011 ‒ III R 61/08 ‒, BFHE 234, 143, BStBl II 2012, 141, Rz. 17).
Der notwendige Lebensbedarf des Kindes mit Behinderung setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Dies umfasst zumindest den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG i. H. v. 9 408 Euro sowie den Pauschbetrag für behinderte Menschen des § 33b Abs. 3 EStG in Höhe von 3.700,00 Euro, gesamt also 13.108,00 Euro.
Die kindeseigenen Mittel setzen sich aus dem verfügbaren Nettoeinkommen und verschiedener Leistungen Dritter zusammen.
Der Sohn des Klägers bezog vom 1. Januar 2020 bis 19. Juli 2020 Krankengeld (201 Tage) in Höhe von täglich 14,31 Euro, insgesamt also 2.876,31 Euro. Zudem hatte er im Dezember Einnahmen aus seinem Minijob in Höhe von 450,00 Euro, gesamt also 3.326,31 Euro. Leistungen nach SGB II bezog der Sohn des Klägers erst ab 2021.
Der Sohn des Klägers war ausweislich dieser Berechnung unfähig, sich selbst zu unterhalten. Zudem wurde diese Unfähigkeit auch kausal durch seine Behinderung verursacht, denn ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war A ab 25. Oktober 2019 nicht in der Lage, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mehr als 15 Stunden in der Woche auszuüben. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass andere Faktoren zur Unfähigkeit zum Selbstunterhalt beigetragen haben, denn bis zum Eintritt der Behinderung hatte der Sohn des Klägers einen Ausbildungsplatz inne.
d) Die Behinderung A’ ist vor der Vollendung von dessen 25. Lebensjahr eingetreten. Dies ergibt sich für den Senat unter anderem aus dem Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021, wonach eine Behinderung ab dem 25. Februar 2019 mit einem GdB von 30 festgestellt wurde und damit vor A‘ 25. Geburtstag am 2. Dezember 2019.
2. Die Kostenfolge richtet sich nach § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1, 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.
4. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
09.06.2022
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, gegenüber dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 für seinen Sohn für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2020 Kindergeld festzusetzen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für den volljährigen Sohn des Klägers im Jahr 2020.
Ursprünglich zuständig war bis 31. Dezember 2018 die Familienkasse der B. Danach übernahm die Familienkasse die Zuständigkeit.
Der Sohn des Klägers, A, ist am … 1994 geboren. Der Kläger bezog für ihn bis einschließlich Dezember 2019 Kindergeld. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für A ab Januar 2020 auf, da A im Dezember 2019 sein 25. Lebensjahr vollende. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein, da A sich noch in Ausbildung befinde. Er vertrat darin die Auffassung, dass der vom Sohn geleistete Bundesfreiwilligendienst (der durch eine Bescheinigung nachgewiesen wurde) analog zu den Regelungen über den Grundwehrdienst zu einer Verlängerung des Anspruchszeitraums führen müsse. Er legte eine Erklärung zum Ausbildungsverhältnis bei, wonach A vom 1. August 2017 bis voraussichtlich 31. Juli 2020 eine Ausbildung zum Gärtner, Fachrichtung Baumschule mache (ebenfalls nachgewiesen durch Bescheinigung des Ausbildungsbetriebs, datierend auf 5. Juli 2017). Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2020 als unbegründet zurückgewiesen.
Per E-Mail beantragte der Kläger im September 2020 erneut Kindergeld für seinen Sohn. Darin gab er an, dass sein Sohn wegen starker Depressionen krankgeschrieben sei. Seine Ausbildung habe er abbrechen müssen. Der Kläger wurde daraufhin von der Familienkasse gebeten, einen Kindergeldantrag auf dem vorgesehenen Vordruck nebst erforderlicher Unterlagen einzureichen. Er wurde zudem über die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Behinderung informiert.
Der Kläger antwortete daraufhin mit einem Schreiben an die Familienkasse, in dem er erklärte, dass A von ständiger Unterstützung durch seine Mutter abhängig sei. Er schaffe es nicht, erforderliche Termine beim Arzt selbstständig wahrzunehmen. Er brauche ständigen Anschub und Erinnerung. Seit 21. Januar 2019 sei er fast durchgehend krankgeschrieben. Er fügte außerdem die Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung (Vordruck 4f) sowie die Erklärung zu den Verhältnissen eines volljährigen Kindes mit Behinderung, aus der sich ergibt, dass ein Antrag nach dem SGB IX gestellt worden sei, bei. Des Weiteren legte er eine Bestätigung der B vor, nach der A von 4. März 2019 bis 19. Juli 2020 Krankengeld bezogen habe. Aus den ebenfalls beigefügten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergibt sich die Diagnose F32.1 G (ICD-10-Code). Schließlich reichte er eine ärztliche Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit bei, in der für den Zeitraum ab Januar 2019 bescheinigt wird, dass A ab 25. Oktober 2019 auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage sei, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung auszuüben (Vordruck KG 4i). Auf einem weiteren Vordruck KG 4i wird unter demselben Praxisstempel einer hausärztlichen Praxis und demselben Datum jedoch angegeben, dass keine Behinderung vorliege.
Mit Bescheid vom 2. November 2020 der Familienkasse wurde der Antrag auf Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum ab Januar 2020 abgelehnt. Dies wurde damit begründet, dass der Nachweis einer Behinderung deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist, erbracht werden könne durch eine Bescheinigung der nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 69 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat oder auf einer typischen Berufskrankheit beruht, oder wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustehen, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid. Der vorliegende Bescheid bzw. die vorliegende Bescheinigung des Versorgungsamtes enthalte keine Aussage darüber, dass die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe. Ein Rentenbezug liege ebenfalls nicht vor. Es liege somit kein Nachweis der Behinderung im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Es sei noch überhaupt nicht über den Antrag beim Versorgungsamt bzw. auf Rentenbezug entschieden worden, sodass die Ablehnung auf dieser Grundlage keinen Bestand haben könne. Der Kläger reichte in der Folge einen Widerspruchsbescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales ‒ Versorgungsamt ‒ vom 27. Mai 2021 bei der Familienkasse ein, aus dem sich ergibt, dass bei A ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 25. Februar 2019 festgestellt wurde. Grundlage sei das Vorliegen einer psychischen Störung (depressive Störung, Angststörung).
Im Juni 2021 wurde der Kläger darüber informiert, dass nunmehr die Beklagte für die Bearbeitung seiner Kindergeldangelegenheiten zuständig sei und die Akte von der Familienkasse dorthin abgegeben wurde.
Von der Beklagten wurde der Kläger aufgefordert, weitere Angaben zu den Bewilligungsverfahren für Arbeitslosengeld I und zum Rentenbezug zu machen bzw. zwischenzeitlich ergangene Bescheide einzureichen. Außerdem wurde der Kläger aufgefordert, den Vordruck KG 4f (Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung) einzureichen.
Der Kläger reichte sodann erneut diesen Vordruck sowie einen Bewilligungsbescheid über Leistungen nach dem SGB II vom Kommunalen Jobcenter von Januar bis Juni 2021 und einen Bewilligungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 9. Dezember 2020 ein, wonach A eine fünfwöchige stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt wurde. Schließlich reichte der Kläger eine Entgeltabrechnung für eine Beschäftigung A‘ auf 450,00 Euro-Basis auf einem Bio-Landhof im Dezember 2020 ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Als Begründung führte sie aus, dass Behinderungen im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorlägen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sei (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Zu einer Behinderung könnten auch Suchtkrankheiten (z. B. Drogenabhängigkeit, Alkoholismus) führen. Nicht zu den Behinderungen zählten Krankheiten, deren Verlauf sich auf eine im Voraus abschätzbare Dauer beschränke, insbesondere akute Erkrankungen. Der Nachweis einer Behinderung könne bei einer Behinderung, deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist, durch eine Bescheinigung der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 69 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe oder, wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustünden, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid erbracht werden.
Eine Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG (in der bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Fassung) liege im Streitfall nicht vor. Im Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021 werde nicht angeben, dass die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe. Diese Voraussetzung müssten bei einem GdB von mehr als 25 und weniger als GdB 50 bis zum 31. Dezember 2020 zwingend vorliegen.
Gegen die Einspruchsentscheidung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage, die der Kläger gegen die Familienkasse richtete, jedoch auch die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 der Beklagten angab und sie im Abdruck beifügte.
Zu Begründung seines Klagebegehrens führt er an, dass der Nachweis der Behinderung bereits durch den Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes geführt worden sei. Weitere Auswirkungen der Behinderung auf A‘ Leistungsfähigkeit ergäben sich aus dem Entlassbrief der Klinik C vom 3. März 2021. Auch ein Befundbericht der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022 bestätige, dass A in der beruflichen und sozialen Teilhabe eingeschränkt sei. Die Behinderung sei vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten und ursächlich dafür, dass sich A nicht selbst unterhalten könne. Er habe seine Ausbildung nicht abschließen können und sei allenfalls in der Lage, dem Minijob nachzugehen, den er seit Ende November 2020 bei einem Bio-Landhof angenommen habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 für seinen Sohn A für den Zeitraum von Januar 2020 bis Dezember 2020 Kindergeld zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Sie ist der Auffassung, dass der Kläger die falsche Behörde verklagte habe und die Klage daher bereits unzulässig sei. In Bezug auf die Begründetheit wiederholt sie die Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung.
Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtslage bezogen auf einen GdB von weniger als 50 müsse der Zeitraum bis Dezember 2020 anders bewertet werden als der Zeitraum ab Januar 2021. Vorliegend müsse der Nachweis der Behinderung nach A 19.2 Abs. 1 Satz 1 DA-KG i. V. m. § 65 Abs. 1 EStDV a.F. bis zum 31. Dezember 2020 bei einem GdB von weniger als 50 aber mindestens 25 entweder durch eine Bescheinigung der nach § 152 Abs. 1 SGB IX zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach § 152 Abs. 1 des SGB IX, die eine Äußerung darüber zu enthalten habe, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe oder auf einer typischen Berufskrankheit beruhe oder, wenn dem Kind wegen seiner Behinderung nach den gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustünden, durch den Rentenbescheid oder einen entsprechenden Bescheid (z.B. Impfschadenrente, Schwerbeschädigtenrente; nicht jedoch Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung) erbracht werden.
Der Bundesrat habe am 27. November 2020 dem „Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“ zugestimmt. Veröffentlicht wurde die Änderung im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 14.12.2020. Danach gelte ab dem 1. Januar 2021 u. a. bei einer Behinderung, deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt sei, eine Bescheinigung oder ein Bescheid der nach § 152 Abs. 1 SGB IX zuständigen Behörde als ausreichender Nachweis der Behinderung (§ 65 EStDV n. F.). Der zuvor erforderliche, oben zitierte Zusatz der Bescheinigung sei ab Januar 2021 nicht mehr erforderlich. Erst seit dieser Gesetzesänderung erfüllten die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen (ohne diesen Zusatz) die gesetzlichen Anforderungen, weswegen dem Kläger für den Zeitraum ab Januar 2021 Kindergeld gewährt worden sei. Eine rückwirkende Anwendung der Gesetzesänderung auf den zurückliegenden, noch offenen Streitzeitraum komme nicht in Betracht. Auf diese Änderungen ausgerichtet hätten sich auch die Weisungen der Beklagten für Zeiträume ab 1. Januar 2021 geändert, für zurückliegende Zeiträume sei die Beklagte jedoch an die anderslautende Weisungslage bis 31. Dezember 2020 gebunden.
Die Verwaltungsakte der Beklagten lag als e-Akte vor und ist Gegenstand dieser Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere richtet sie sich gegen die richtige Beklagte gem. § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Das Gericht hat eine Rubrumsberichtigung vorgenommen und die Familienkasse Direktion als Beklagte aufgenommen. Dies war möglich, weil der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen war, gegen welche Familienkasse sich die Klage richtet. Zwar hat der Kläger in seinem Klageschriftsatz ausdrücklich die Familienkasse als Beklagte genannt. Doch hat er in seinem Klageantrag bereits auf die Einspruchsentscheidung vom 4. August 2021 Bezug genommen und diese auch in Kopie beigefügt, sodass die Familienkasse Direktion als Urheber dieser Einspruchsentscheidung erkennbar war. Die Klageschrift war damit widersprüchlich und auslegungsbedürftig. Bei der Auslegung muss die Klageschrift als Ganzes in den Blick genommen werden, wobei als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen kann, dass die Klage im Zweifel nicht gegen die falsche, sondern gegen die nach dem Inhalt der Klage richtige Beklagte gerichtet sein soll. Die Klageschrift ist auch auslegungsfähig, da bereits anhand der ursprünglich eingereichten Anlagen deutlich wurde, gegen wessen Entscheidung der Kläger sich richtet. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass die Familienkasse Direktion sich bereits zur Sache geäußert hatte, obwohl sie formal noch nicht als Beklagte des Verfahrens aufgenommen worden war. Das Gericht berücksichtigt bei dieser Entscheidung auch den Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. zum Ganzen BFH, Beschluss vom 13. Mai 2014 ‒ XI B 129-132/13 ‒, juris).
II. Das Klagebegehren wird ‒ nach entsprechendem Hinweis in der mündlichen Verhandlung und im Hinblick auf die Regelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ‒ so ausgelegt, dass der Kläger die Festsetzung des Kindergelds für das Jahr 2020 begehrt. Die so verstandene Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Unrecht das Kindergeld für seinen Sohn im Streitzeitraum verwehrt.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Mensch behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Nachweis der Behinderung kann dabei nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form wie beispielsweise durch Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens erbracht werden (BFH, Urteil vom 28. Mai 2013 ‒ XI R 44/11 ‒, BFH/NV 2013, 1409). Im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht sollen Gericht/Behörde im Regelfall ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme der behandelnden Ärzte gewinnen (BFH, Urteil vom 21. Oktober 2015 ‒ XI R 17/14 ‒, Rn. 27, juris). Eine auch danach etwa verbleibende fehlende Nachweislichkeit geht nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten (BFH, Urteil vom 19. Januar 2017 ‒ III R 44/14 ‒, Rn. 27, juris).
Das bedeutet, dass die Annahme einer Behinderung im Einzelfall nicht davon abhängig ist, dass ein Arzt oder Gutachter dies in einer von der Beklagten vorgegebenen Form bestätigt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, vom Arzt oder Gutachter einen Subsumtionsschluss im Hinblick auf den Begriff der Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 SGB IX zu erwarten und die Kindergeldzahlung vom Subsumtionsergebnis des Gutachters abhängig zu machen. Vielmehr ist die Frage, ob eine Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorliegt, eine ‒ von der rechtsanwendenden Behörde oder vom Gericht zu entscheidende ‒ Rechtsfrage. Einem Sachverständigen, der Beweismittel ist und die allgemeinen Erfahrungssätze aus seinem Fachgebiet vermittelt, darf die Prüfung von Rechtsfragen demgegenüber nicht übertragen werden (BFH, Urteil vom 19. Januar 2017 ‒ III R 44/14 ‒, Rn. 21, juris).
Die Vorgaben in A 19.2 Abs. 1 Satz 1 DA-KG 2020 können vor diesem Hintergrund nicht bedeuten, dass das Kindergeld nur bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung gewährt werden kann. Die dort genannten Nachweise sollen den Prüfungsaufwand für die Behörde reduzieren. Im Einzelfall kann und muss die Behörde im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht selbst die Umstände ermitteln, um den Rechtsbegriff der Behinderung unter den jeweiligen Lebenssachverhalt zu subsumieren. Von der gemäß Art. 20 GG an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung wird eine Subsumtionsleistung erwartet, bei welcher die ärztlichen/gutachterlichen Feststellungen an dem Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX zu messen sind (FG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2019 ‒ 10 K 3059/18 ‒, Rn. 20 - 21, juris).
Die Annahme der Beklagten, dass eine Behinderung ausschließlich angenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen von A 19.2 Abs. 1 DA-KG 2020 vorliegen, ist daher rechtsfehlerhaft. Auch dem Wortlaut der Verwaltungsanweisung ist des weiteren bereits nicht zu entnehmen, dass der Nachweis der Behinderung ausschließlich in den dort genannten Formen zu erbringen ist. Denn es wird die Einleitung verwendet: „Den Nachweis der Behinderung kann der Berechtigte erbringen:“. Eine Ausschließlichkeit wird dadurch nach Auffassung des Senats gerade nicht zum Ausdruck gebracht, doch scheint die Beklagte hier offenbar von dieser Ausschließlichkeit auszugehen. Schließlich ist die DA-KG auch dem Grunde nach nicht geeignet, die Nachweismöglichkeiten für das Vorliegen einer Behinderung zu begrenzen. Denn Verwaltungsvorschriften sind keine die Gerichte bindenden Rechtsnormen. Soweit sie eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, der Gesetzeslage nicht widersprechen und Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben, können sie allenfalls die Finanzverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG binden (BFH, Urteil vom 9. September 2020 ‒ III R 37/19 ‒, Rn. 22, juris). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Verwaltungsanweisung auf einem Rechtsirrtum beruht (vgl. BFH, Urteil vom 9. September 2020 ‒ III R 37/19 ‒, Rn. 23, juris).
Der Senat geht hier davon aus, dass die einschlägige Vorschrift der DA-KG auf einem Rechtsirrtum der Beklagten begründet ist. Denn diese geht davon aus, dass die Anforderungen des § 65 EStDV a.F. auch für den Nachweis einer Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG von Belang seien und hat daher die Voraussetzungen des § 65 EStDV a.F. in ihre Verwaltungsanweisung übernommen. Dem ist nicht so. Der Senat vermag einen Zusammenhang zwischen § 65 EStDV a. F.und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht zu erkennen. § 65 EStDV a.F. ist zu § 33b EStG ergangen. Auch dieser setzt zwar eine Behinderung des Steuerpflichtigen voraus, enthält jedoch eine andere gesetzliche Formulierung als § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. So setzt § 33b Abs. 2 EStG ausdrücklich eine festgestellte Behinderung voraus, weswegen § 65 EStDV a.F. Vorgaben zu den Inhalten der vorzulegenden Feststellungsbescheide macht. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG dagegen setzt eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung voraus, die jedoch ausweislich des Wortlauts nicht bereits (durch Dritte) festgestellt sein muss. Deswegen ist es Aufgabe des Rechtsanwenders, das Vorliegen einer Behinderung zu prüfen (so auch BFH, Urteil vom 27. November 2019 ‒ III R 44/17 ‒, BFHE 267, 337, BStBl II 2020, 558; FG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2019 ‒ 10 K 3059/18 ‒, juris). Auf Grund der unter-schiedlichen Wortlaute kommt eine Übertragung von § 65 EStDV a.F. auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nach Auffassung des Senats nicht in Betracht und eine inhaltliche In Bezugnahme dieser Regelung durch A 19.2 Abs. 1 DA-KG 2020 stellt ‒ zumindest in der von der Beklagten gewählten Auslegung ‒ eine unzulässige Einengung der Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG dar.
b) Der Sohn des Klägers ist nach Überzeugung des Senats im Streitzeitraum behindert im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der zu Grunde zu legende Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX ist dreigliedrig. Er besteht aus einer für das Lebensalter untypischen gesundheitlichen Situation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert und kausal zu einer Teilhabebeeinträchtigung führt.
aa) Dabei entspricht die dauerhaft altersuntypische Gesundheitsbeeinträchtigung einem im herkömmlichen, rein medizinischen Sinn zu verstehenden Behinderungsbegriff. Die gesundheitliche Beeinträchtigung kann sich auf körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit beziehen. Körperliche Funktionen sind nicht nur organisch und orthopädisch, sondern in umfassendem Sinn zu verstehen; sie schließen Störungen der Sinne (z.B. Sehvermögen, Hörvermögen, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn) und Empfindungen (z.B. Temperaturempfinden, Empfindlichkeit gegenüber anderen Reizen, Schmerz) ein. Die für das Vorliegen einer Behinderung erforderliche Funktionsstörung muss von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Unter dem für das jeweilige Lebensalter untypischen Zustand versteht der Gesetzgeber den Verlust oder die Beeinträchtigung von normalerweise vorhandenen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelischer Gesundheit (BTDrucks 14/5074, S. 98). Leistungseinschränkungen, die für das jeweilige Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind, stellen danach keine Behinderung dar (BTDrucks 10/3138, S. 16 zu § 2a des Schwerbehindertengesetzes). Gerade bei Kindern ist zur Feststellung einer Behinderung die Abgrenzung altersadäquater Gesundheitszustände notwendig. Erforderlich ist insoweit ein Vergleich der körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten mit denen eines altersentsprechenden nicht behinderten Kindes (BFH, Urteil vom 18. Juni 2015 ‒ VI R 31/14 ‒, BFHE 251, 147, BStBl II 2016, 40, Rz 23, m. w. N.).
Bei A liegt hier im Streitzeitraum eine altersuntypische Gesundheitsbeeinträchtigung vor, was sich für den Senat zweifelsfrei und übereinstimmend aus den verschiedenen ärztlichen Attesten ergibt. Verschiedene Ärzte haben dem Sohn des Klägers bereits seit 2019 durchgehend und widerspruchsfrei eine Depression, teilweise verbunden mit Angststörungen, attestiert. Dies ergibt sich aus dem Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021, der schriftlichen Äußerung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022, der Bescheinigung über Gewährung von Krankengeld vom 22. September 2020, den auszugsweise vorliegenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unter Angabe der Diagnose, sowie der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom 1. Oktober 2020. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass der Kläger im Streitzeitraum an einer depressiven Störung und Angststörung litt, was eine Abweichung von den geistigen und seelischen Fähigkeiten eines gesunden Menschen im Alter von 26 Jahren darstellt.
bb) Dieser altersuntypische Gesundheitszustand war auch vornherein nicht zeitlich begrenzbar. Mit dem Erfordernis, dass der altersuntypische Gesundheitszustand mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern muss, bezweckt der Gesetzgeber, vorübergehende Gesundheitsstörungen aus dem Behinderungsbegriff auszuschließen und damit nur Beeinträchtigungen eines bestimmten Schweregrades zu erfassen. Entscheidend ist insoweit nicht die seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung (BFH, Urteil vom 18. Juni 2015 ‒ VI R 31/14 ‒, BFHE 251, 147, BStBl II 2016, 40, Rz 22). Aus der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom 1. Oktober 2020 ergibt sich, dass nicht absehbar sei, wann der Sohn des Klägers wieder eine Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Stunden würde ausüben können. Auch aus dem Entlassbrief der Klinik vom 3. März 2021 ergibt sich, dass der Kläger auch nach der dort durchgeführten stationären Behandlung weiterhin arbeitsunfähig war. Schließlich ergibt sich aus der Einschätzung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022, dass auf Grund der Schwere der Depression derzeit nicht absehbar sei, in welchem Zeitrahmen eine Besserung erwartet werden könne.
cc) Schließlich ist nach Auffassung des Senats auch die Teilhabe-beeinträchtigung gegeben.
Die Teilhabebeeinträchtigung stellt als Folge des Funktionsdefizits eine Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs dar, die auch eine Einbeziehung anderer, insbesondere soziologischer und pädagogischer Beurteilungsmaßstäbe ermöglicht. Der Behinderungsbegriff lässt sich daher nicht auf eine rein medizinische Frage reduzieren, sondern erfordert eine Differenzierung zwischen der Krankheitsbeschreibung, der Funktionsminderung und der Teilhabebeeinträchtigung. Für die Frage, ob in Folge des altersuntypischen gesundheitlichen Zustands die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, kommt es auf das Ausmaß und den Grad der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsbeeinträchtigung an. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt.
Relevante Teilhabebereiche ergeben sich aus der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Danach werden die Bereiche Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche (wozu insbesondere Erziehung und Bildung, Arbeit und Beschäftigung zu zählen sind) sowie gemeinschafts-, sozial- und staatsbürgerliches Leben unterschieden. Die Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung hat aufgrund einer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes zu erfolgen, wobei ggf. neben medizinischem Sachverstand auch der anderer Wissensgebiete (insbesondere sozialpädagogischer und psychologischer Art) heranzuziehen ist. Danach darf eine Teilhabehinderung bei Vorliegen einer Schädigung oder Funktionsbeeinträchtigung nicht einfach im Rahmen einer letztlich abstrakten Betrachtungsweise in nahezu selbstverständlicher Weise unterstellt werden, sondern bedarf einer auf entsprechende tatsächliche Feststellungen gestützten Begründung (BFH, Urteil vom 27. November 2019 ‒ III R 44/17 ‒, BFHE 267, 337, BStBl II 2020, 558, Rz. 27).
Aus den schriftlichen Ausführungen des Klägers, die sich mit den Symptombeschreibungen in den ärztlichen Berichten decken und daher glaubhaft sind, ergibt sich für den Senat, dass A durch seine Depression an einer Eingliederung in die Gesellschaft gehindert war. So sei A ohne ständiges Anhalten durch seine Mutter nicht in der Lage, auch nur Arzttermine wahrzunehmen. Selbst für die einfachsten Aufgaben brauche er immer wieder Unterstützung und Anschub. Aus diesen Schilderungen wird für den Senat eine Teilhabebeeinträchtigung im Bereich der allgemeinen Aufgaben und Anforderungen sowie der Selbstversorgung deutlich.
Auch aus dem Entlassbrief der Klinik vom 3. März 2021 und der Einschätzung der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin vom 26. Januar 2022 ergaben sich Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit. Diese Symptome seiner Krankheit führten dazu, dass A seine Ausbildung abbrechen musste und dadurch an der Teilhabe im Bereich Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen ist. Ebenso ergibt sich aus den zitierten ärztlichen Berichten, dass sich A sozial zurückziehe und Schwierigkeiten habe, in sozialen Situationen zu bestehen. Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus diesen Schilderungen, dass A auch im Bereich der interpersonellen Interaktionen und Beziehungen erheblich teilhabebeeinträchtigt ist.
c) A ist durch seine Behinderung unfähig, sich selbst zu unterhalten. Die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt, die kausal durch die Behinderung verursacht sein muss, liegt vor, wenn die kindeseigenen Mittel nicht den notwendigen Lebensbedarf übersteigen. Nach der Rechtsprechung des BFH muss nur die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sein, nicht aber die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt (BFH, Urteil vom 9. Juni 2011 ‒ III R 61/08 ‒, BFHE 234, 143, BStBl II 2012, 141, Rz. 17).
Der notwendige Lebensbedarf des Kindes mit Behinderung setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Dies umfasst zumindest den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG i. H. v. 9 408 Euro sowie den Pauschbetrag für behinderte Menschen des § 33b Abs. 3 EStG in Höhe von 3.700,00 Euro, gesamt also 13.108,00 Euro.
Die kindeseigenen Mittel setzen sich aus dem verfügbaren Nettoeinkommen und verschiedener Leistungen Dritter zusammen.
Der Sohn des Klägers bezog vom 1. Januar 2020 bis 19. Juli 2020 Krankengeld (201 Tage) in Höhe von täglich 14,31 Euro, insgesamt also 2.876,31 Euro. Zudem hatte er im Dezember Einnahmen aus seinem Minijob in Höhe von 450,00 Euro, gesamt also 3.326,31 Euro. Leistungen nach SGB II bezog der Sohn des Klägers erst ab 2021.
Der Sohn des Klägers war ausweislich dieser Berechnung unfähig, sich selbst zu unterhalten. Zudem wurde diese Unfähigkeit auch kausal durch seine Behinderung verursacht, denn ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war A ab 25. Oktober 2019 nicht in der Lage, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mehr als 15 Stunden in der Woche auszuüben. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass andere Faktoren zur Unfähigkeit zum Selbstunterhalt beigetragen haben, denn bis zum Eintritt der Behinderung hatte der Sohn des Klägers einen Ausbildungsplatz inne.
d) Die Behinderung A’ ist vor der Vollendung von dessen 25. Lebensjahr eingetreten. Dies ergibt sich für den Senat unter anderem aus dem Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. Mai 2021, wonach eine Behinderung ab dem 25. Februar 2019 mit einem GdB von 30 festgestellt wurde und damit vor A‘ 25. Geburtstag am 2. Dezember 2019.
2. Die Kostenfolge richtet sich nach § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1, 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.
4. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.