01.12.2022 · IWW-Abrufnummer 232565
Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.08.2022 – 13 K 559/19 G, F
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
13 K 559/19 G,F
Tenor:
Der Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 27.2.2018 und der Gewerbesteuermessbescheid für 2013 vom 8.3.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 30.1.2019, werden geändert und die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb sowie die Einkünfte des Beigeladenen aus Gewerbebetrieb um 386.551 € vermindert. Der Beklagte hat die festzustellenden und festzusetzenden Beträge zu errechnen und mitzuteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand:
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Streitig ist, ob aufgrund der Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens ein Gewinn durch eine sog. passiven Entstrickung im Streitjahr 2013 entstanden ist und, sofern dies der Fall ist, ob ein Ausgleichsposten gem. § 4g des Einkommensteuergesetzes ‒ EStG ‒ gebildet werden kann und ob die Steuerforderungen zu stunden und die bereits gezahlten Steuern zu erstatten sind.
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Die Klägerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts C. unter HRA ... eingetragene Kommanditgesellschaft. Persönlich haftende Gesellschafterin ist die im Handelsregister des Amtsgerichts C. unter HRB ... eingetragene X. Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH, D.. Kommanditisten waren im Streitjahr A. X., wohnhaft in D., mit einer Einlage von 51.000 € sowie B. X., wohnhaft in .../Schweiz, mit einer Einlage von 49.000 €. Der erstgenannte Kommanditist ist der Beigeladene.
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Die beiden Kommanditisten der Klägerin waren zugleich zu jeweils 50 % beteiligt an der Y. Z. S.L. mit Sitz in Spanien, einer spanischen Kapitalgesellschaft (im Folgenden: „S.L.“). Die Anteile an der S.L. waren dem Sonderbetriebsvermögen II bei der Klägerin zugeordnet. Die S.L. wies in ihrer Bilanz zum 31.12.2012 eine Bilanzsumme von 1.547.146,18 € aus. Auf der Aktivseite war unbewegliches Vermögen i.H.v. 911.141,89 € ausgewiesen, was 58,89 % der Bilanzsumme entsprach.
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Am 18.10.2012 trat ein neues Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Spanien ‒ DBA Spanien ‒ in Kraft (Bundesgesetzblatt ‒ BGBl ‒ II 2013, 329). Dieses enthält in Art. 13 Abs. 2 die folgende Regelung: „Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft - oder vergleichbarer Beteiligungen - erzielt, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar aus unbeweglichem Vermögen besteht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können im anderen Staat besteuert werden.“ Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sieht Art. 22 Abs. 2 Buchst. b DBA Spanien u.a. für Einkünfte nach Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien das Verfahren der Steueranrechnung vor. Das zuvor geltende Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat vom 5.12.1966 (BGBl II 1968, 10) enthielt keine dem Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien vergleichbare Regelung.
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Die Klägerin gab für das Streitjahr eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung ab und erklärte laufende Einkünfte i.H.v. 284.568,96 €, Vergütungen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage i.H.v. 89.490,29 € und einen Saldo aus Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben in Höhe von ./. 36.734,04 €. Die Sonderbetriebseinnahmen und ‑ausgaben wurden in der Anlage FE1 zur Feststellungserklärung in voller Höhe dem Beigeladenen zugeordnet. Der Beklagte veranlagte die Klägerin erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ‒ AO ‒.
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Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung ... (im Folgenden: „GKBP“) führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch, die auch die Auslandsbeziehungen umfasste. In ihrem Bericht vom 14.12.2017 vertrat die Prüferin die Auffassung, die Neuregelung in Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien, welche die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Immobiliengesellschaftsanteilen betreffe, löse in Fällen, in denen spanische Immobilien über sog. Grundstückskapitalgesellschaften gehalten würden, eine passive Entstrickung der in den Anteilen ruhenden stillen Reserven zum 1.1.2013 aus. Das gelte zumindest für in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtige Gesellschafter, hier den Beigeladenen. Im Streitfall sei die S.L. eine Grundstückskapitalgesellschaft, da ihr Aktivvermögen zu mehr als 50 v.H. (58,89 %) aus unbeweglichem Vermögen in Spanien bestehe. Daher gelte der Gesellschaftsanteil des in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Beigeladenen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zum 1.1.2013 als fiktiv entnommen. Die Entnahme erfolge gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG zum gemeinen Wert. Der anzusetzende und dem Beigeladenen zuzurechnende Entnahmegewinn berechne sich wie folgt:
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Substanzwert der S.L.: 778.742 €
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davon 50 % für den Beigeladenen 389.371 €
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abzüglich Buchwert S.L.-Anteile - 2.820 €
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Entnahmegewinn 386.551 €
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Der Entnahmegewinn sei gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. a EStG dem Teileinkünfteverfahren zu unterwerfen und zu 40 % steuerfrei. Ein Ausgleichsposten gem. § 4g EStG a.F. könne nicht gebildet werden.
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Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Prüferin an und erließ auf der Grundlage des § 164 Abs. 2 AO Änderungsbescheide. Mit Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 27.2.2018 stellte er die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb mit 728.629,50 € fest. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus laufenden Einkünften (nach Quote verteilt) i.H.v. 289.149,09 €, einem Gewinn aus Gesamthandsbilanz (nicht nach Quote verteilt) i.H.v. 89.663,26 € und einem Gewinn aus Sonderbetriebsvermögen i.H.v. 349.817,15 €. Weiter stellte der Beklagte fest, in den vorstehenden Einkünften seien laufende Einkünfte enthalten, die unter die §§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG (100 %) in Höhe von 386.551 € fielen. In Bezug auf den Beigeladenen stellte er in demselben Bescheid Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 563.615,60 € fest. Darin war ein Gewinn aus Sonderbetriebsvermögen i.H.v.349.817,15 € enthalten. Auch in Bezug auf den Beigeladenen stellte er fest, dass in den vorstehenden Einkünften laufende Einkünfte enthalten waren, die unter die §§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG (100 %) in Höhe von 386.551 € fielen.
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Mit Gewerbesteuermessbescheid vom 8.3.2018 setzte der Beklagte zudem den Gewerbesteuermessbetrag 2013 für die Klägerin auf 25.399 € fest. Hierbei ging er von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 728.629 € aus. In diesem Betrag war der beschriebene Gewinn enthalten, und zwar ohne Anwendung des Teileinkünfteverfahrens.
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Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 8.3.2018 und 16.3.2018 Einsprüche ein. Ihre Einsprüche begründete sie im Schriftsatz vom 4.6.2018 u.a. auch damit, dass § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 des Außensteuergesetzes ‒ AStG ‒ in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2014 (BGBl I 2014, 2417) für Personen, welche Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Privatvermögen hielten, im Falle eines Entstrickungstatbestandes die Möglichkeit einer zinslosen Stundung vorsehe. Dass diese Möglichkeit für die im Betriebsvermögen gehaltenen Anteile nicht bestehe, stelle einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot gemäß Art. 3 des Grundgesetzes ‒ GG ‒ dar. Der Beklagte erklärte im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 18.7.2018, die von der Klägerin aufgezeigte Ungleichbehandlung bestehe tatsächlich. Gegebenenfalls sei ein Antrag auf Stundung nach § 222 AO zu stellen. Mit Schreiben vom 8.8.2018 stellte der Beklagte aufgrund eines zuvor geführten Telefonats klar, dass ein Antrag auf Stundung nach § 222 AO gestellt werden könnte und er diesen Antrag zu prüfen hätte. Da die festgesetzte Steuer inzwischen allerdings gezahlt worden sei, erübrige sich die Stellung des Antrags auf Stundung.
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Mit Einspruchsentscheidungen vom 30.1.2019 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Dies begründete er damit, er habe aufgrund der Änderung des DBA Spanien zutreffend eine passive Entstrickung der in den Anteilen ruhenden stillen Reserven festgestellt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG stehe einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich. Diese Beschränkung des Besteuerungsrechts sei durch die Änderung des DBA Spanien am 18.10.2012 bewirkt worden. Nach der zuvor geltenden Fassung des DBA Spanien von 1966 habe dagegen Deutschland das ausschließliche Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften zugestanden. Die Entnahme sei mit dem gemeinen Wert anzusetzen, der mit 386.551 € korrekt beziffert worden und nach § 3 Nr. 40 Buchst. a Satz 1 EStG zu 40 % steuerfrei sei. Soweit sich die Klägerin auf die gesetzliche Ungleichbehandlung zum Privatvermögen berufe, für welches der Gesetzgeber eine Stundungsregelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG 2014 geschaffen habe, wies der Beklagte auf die allgemeine Stundungsregelung nach § 222 AO hin. Da die Zahlung zwischenzeitlich erfolgt sei, erübrige sich allerdings die Stellung eines entsprechenden Antrags durch die Klägerin.
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Daraufhin hat die Klägerin am 22.2.2019 Klage erhoben.
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Mit ihrer Klage begehrt sie, die im Feststellungsbescheid festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie die dem Beigeladenen zugerechneten Einkünfte aus Gewerbebetrieb um den Entnahmegewinn i.H.v. 386.551 € zu vermindern. Ebenso begehrt sie, im Gewerbesteuermessbescheid den zugrunde gelegten Gewinn aus Gewerbebetrieb in derselben Höhe zu vermindern. Dies begründet sie damit, entgegen der Auffassung des Beklagten sei § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Streitfall nicht anwendbar. Die Änderung des DBA Spanien könne ihr nicht zugerechnet werden. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gelange nur dann zur Anwendung, wenn der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland die Folge einer aktiven Handlung des Steuerpflichtigen sei, so etwa im Falle des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG, also im Falle einer Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Betrieb in eine ausländische Betriebsstätte. Die im Streitfall vorliegende sog. passive Entstrickung falle mangels aktiver Handlung nicht unter den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. Dies ergebe sich auch aus den Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG durch das Gesetz vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) lediglich das Ziel verfolgt, die zuvor vom Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒ vertretene sog. finale Entnahmetheorie gesetzlich zu verankern (BT-Drucks. 16/2710, Seite 28). Die finale Entnahmetheorie des BFH habe aber im Falle einer nicht auf einer Handlung des Steuerpflichtigen beruhenden passiven Entstrickung nicht zu einer Realisation von stillen Reserven geführt. Folglich sei es auch nicht die Zielsetzung des Gesetzgebers gewesen, eine solche einzuführen. Der Gedanke, dass die Besteuerung an eine aktive Handlung des Steuerpflichtigen anknüpfen müsse, finde sich auch in der Entscheidung des FG Münster vom 28.11.2018 (1 K 71/16 E, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒ EFG ‒ 2019, 98), wonach eine Enteignung nicht geeignet sei, den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S.d. § 23 EStG zu verwirklichen. Die Besteuerung einer fiktiven Gewinnrealisation ohne eine Handlung des Steuerpflichtigen würde zudem gegen das aus Art. 3 GG abgeleitete Folgerichtigkeitsgebot verstoßen.
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Selbst wenn die passive Entstrickung in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fiele, wäre der Tatbestand der Norm gleichwohl nicht erfüllt. Durch die Änderung des DBA Spanien sei es nicht zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gekommen. Das neue DBA Spanien gelte nämlich erst ab dem 1.1.2013, sodass die bis zum 31.12.2012 gebildeten stillen Reserven ausschließlich im Inland besteuert werden könnten. Dies werde durch die BFH-Urteile vom 17.7.2008 I R 77/06 (BStBl II 2009, 464) und vom 28.10.2010 (I R 99/08, BStBl II 2011, 1019) sichergestellt.
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Wäre hingegen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auf den Fall einer durch Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens ‒ DBA ‒ eintretenden passiven Entstrickung anwendbar, so würde eine sofort fällig werdende Einkommensteuer gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 7.6.2016 ‒ AEUV ‒ verstoßen. Die Norm hätte eine diskriminierende Wirkung, weil sie lediglich an das Vorhandensein ausländischer Immobilien anknüpfen würde, so die Klägerin. Diese Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit sei nicht gerechtfertigt, und zwar auch nicht durch den Vorbehalt des Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV, wonach die Mitgliedstaaten die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anwenden dürften, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandelten. Dies dürfe aber nicht zu einer „verschleierten Beschränkung“ der Kapitalverkehrsfreiheit führen. Die Ausnahmevorschrift des Art. 65 Abs. 1 AEUV sei eng auszulegen. Im Streitfall liege kein solcher Ausnahmefall vor, weil die vom Beklagten angesetzte Besteuerung eine unverhältnismäßige Belastung für die Klägerin darstelle. Die Belastung für die Klägerin werde auch nicht auf andere Weise, etwa durch Anwendung des § 4g Abs. 1 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) gelöst, da die vorgenannte Vorschrift eine aktive Zuordnung zu einer anderen Betriebsstätte voraussetze, welche im Streitfall nicht gegeben sei. Auch die Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG durch das Gesetz vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035) sei für den Streitfall nicht relevant, da die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht rückwirkend geheilt werden könne. Die Gesetzesänderung sei erst nach Ablauf der in der Norm vorgesehenen Fünf-Jahres-Frist erfolgt, so dass im Streitfall kein Ausgleichsposten mehr gebildet und aufgelöst werden könnte.
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Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zudem hilfsweise, die Bildung eines Ausgleichspostens gem. § 4g Abs. 1 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035) rückwirkend zuzulassen. Weiter begehrt sie hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die aus dem Entnahmegewinn resultierende Einkommen- und Gewerbesteuer zinslos ohne Sicherheiten zu stunden, bis die Anteile an der S.L. veräußert oder die S.L. liquidiert wird, und die bereits geleisteten Zahlungen zu erstatten. Nach ihrer Auffassung handelt es sich nicht um eine Stundung im Sinne des § 222 AO, sondern sie begehrt eine Stundung analog § 6 Abs. 5 AStG. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt, da die Steuer jedenfalls europarechtswidrig sei. Wenn nicht bereits die Festsetzung europarechtswidrig sei, so sei jedenfalls die Erhebung europarechtswidrig. Verfahrensrechtlich könne die Stundung mit der entsprechenden Festsetzung bzw. Feststellung verbunden werden. Auch das erforderliche Vorverfahren sei gegeben. Der Beklagte habe nämlich den Stundungsantrag mit Schreiben vom 18.7.2018 und 8.8.2018 abgelehnt. Der entsprechende Gegenvortrag im Verwaltungsverfahren sei als Einspruch auszulegen. Auch die Einspruchsentscheidungen hätten sich auf den Stundungsantrag bezogen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 27.2.2018 und den Gewerbesteuermessbescheid für 2013 vom 8.3.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 30.1.2019, zu ändern und die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb sowie die Einkünfte des Beigeladenen um 386.551 € zu vermindern,
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hilfsweise, die angefochtenen Bescheide in der Weise zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 80 % von 386.551 € gemäß § 4g EStG vermindert wird,
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hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die aus einem Entnahmegewinn i.H.v. 386.551 € resultierende Einkommensteuer nebst darauf entfallender steuerlicher Nebenleistungen sowie die entsprechende Gewerbesteuer nebst steuerlicher Nebenleistungen zinslos und ohne Sicherheit zu stunden bis zu einer Veräußerung oder Liquidation der Y. Z. S.L. und die bereits auf die festgesetzten Beträge geleisteten Zahlungen zu erstatten.
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wiederum hilfsweise,
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die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Er verweist auf seine Einspruchsentscheidungen. Nach seiner Auffassung ist die passive Entstrickung vom Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst. Dies ergebe sich auch aus der Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG durch das Gesetz vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035). Nach der Neufassung des Gesetzes erfasse § 4g Abs. 1 EStG den Fall der passiven Entstrickung und ermögliche auf Antrag die Bildung eines gewinnmindernden Ausgleichspostens in Höhe des Entstrickungsgewinns. Die Neuregelung sei gemäß § 52 Abs. 8a EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.6.2021 in allen offenen Fällen anzuwenden.
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Zu dem Hilfsantrag der Klägerin auf Stundung und Erstattung trägt der Beklagte vor, gem. § 21 Abs. 23 AStG in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2014 (BGBl I 2014, 2417) könne eine bereits gezahlte Steuer nicht mehr gestundet werden. Im Übrigen sei eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 AStG nicht möglich, da sich diese Vorschrift nur auf im Privatvermögen gehaltene wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften beziehe. Zudem könne verfahrensrechtlich die Stundung nicht mit der hier streitgegenständlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen verbunden werden.
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Mit Beiladungsbeschluss vom 29.3.2021 ist Herr A. X. zu dem Verfahren beigeladen worden.
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Der Senat hat am 10.8.2022 eine mündliche Verhandlung, der Berichterstatter des Senats am 22.3.2021 einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat Erfolg.
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Die Klage gegen den Feststellungsbescheid richtet sich ‒ wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat ‒ nur gegen die Feststellung der Einkünfte der Klägerin und des Beigeladenen aus Gewerbebetrieb, nicht hingegen gegen die Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG.
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I. Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag zulässig und begründet
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Der Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 27.2.2018 und der Gewerbesteuermessbescheid für 2013 vom 8.3.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 30.1.2019, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb sowie die Einkünfte des Beigeladenen aus Gewerbebetrieb um je 386.551 € zu vermindern. Dabei begegnet nicht die von der GKBP vorgenommene Berechnung der Höhe des Gewinns aus einer passiven Entstrickung rechtlichen Bedenken, da die Beteiligten übereinstimmend und in nicht zu beanstandender Weise von einer Gewinnberechnung in Höhe von 386.551 € ausgegangen sind. Vielmehr ist ein solcher Gewinn gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG dem Grunde nach nicht entstanden.
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1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (für die Gewerbesteuer i.V.m. § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes ‒ GewStG ‒) in der im Streitjahr geltenden Fassung ist Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Entnahmen alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen), die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, welcher durch das Gesetz vom 7.12.2006 über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften ‒ SEStEG ‒ (BGBl I 2006, 2782) eingeführt wurde, steht einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts liegt insbesondere dann vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG, eingeführt durch das Jahressteuergesetz ‒ JStG ‒ 2010 vom 8.12.2010, BGBl I 2010, 1768).
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a) Bislang ist nicht geklärt, ob der ‒ hier streitige ‒ Fall der sog. passiven Entstrickung unter § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu subsumieren ist. Unter einer passiven Entstrickung versteht man den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland ohne Zutun des Steuerpflichtigen, etwa aufgrund des Inkrafttretens eines neuen DBA. Es liegen ‒ soweit ersichtlich ‒ bislang nur wenige Entscheidungen der Rechtsprechung zur passiven Entstrickung vor. Zwar wurde bereits über den Fall einer Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte zu einer ausländischen Betriebsstätte, also über den Fall einer aktiven Entstrickung entschieden (FG Köln, Urteil vom 16.2.2016 10 K 2335/11, EFG 2016, 793, rkr.; FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2015 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209, Rev. anhängig vor dem BFH unter dem Az. I R 95/15, nach Abgabe XI R 24/15, ausgesetzt durch Beschluss vom 14.6.2017 bis zur Entscheidung des BVerfG über das Normenkontrollersuchen des BFH durch Beschluss vom 10.04.2013 I R 80/12, Az. des BVerfG: 2 BvL 8/13). Jedoch liegen keine rechtskräftigen Entscheidungen in Bezug auf eine passive Entstrickung wegen des Inkrafttretens eines neuen DBA vor. Zwar hat das FG des Saarlands im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in Frage gestellt, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG zur Anwendung komme, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland durch rein staatliches Handeln ausgeschlossen oder eingeschränkt werde (FG des Saarlands, Beschluss vom 30.3.2021 1 V 1374/20, EFG 2021, 1122, Rz. 42). Der BFH hat im Beschwerdeverfahren diese Frage aber aus verfahrensrechtlichen Gründen offen lassen können (BFH-Beschluss vom 24.11.2021 I B 44/21 (AdV), BFHE 275, 136, Rz. 29). Zudem hat sich das FG Köln zu einer passiven Entstrickung im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG kritisch geäußert, der Klage aber aus verfahrensrechtlichen Gründen stattgegeben (FG Köln, Urteil vom 17.6.2021 15 K 888/18, EFG 2021, 1876, Rz. 36 ff, Rev. anhängig, Az. des BFH: I R 32/21). Die Entscheidung des FG Köln ist nicht rechtskräftig und betraf im Übrigen ‒ anders als im Streitfall ‒ die Veräußerung von Anteilen durch eine natürliche Person.
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b) Im Schrifttum ist umstritten, ob rein rechtliche Vorgänge wie das Inkrafttreten eines neuen DBA den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auslösen können. Nach einer Auffassung im Schrifttum wird der Fall, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland durch den Abschluss oder die Änderung eines DBA ausgeschlossen oder beschränkt wird (passive Entstrickung), von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst (Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 EStG Rz. 230; Loschelder in Schmidt, EStG, 41. Auflage, § 4 Rz. 246; zur Parallelvorschrift des § 12 KStG: Pfirrmann in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 12 KStG Rz. 40; Mundfortz in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 12 KStG, Rz. 29; Lampert in Gosch, KStG, 4. Auflage, § 12 Rz. 103; Benecke/Staats in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 12 KStG Rz. 304; Lenz in Erle/Sauter, KStG, 3. Auflage, § 12 Rz. 33; Mückl in Streck, KStG, 10. Auflage, § 12 Rz. 13; ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‒ BMF ‒ vom 26.10.18, BStBl I 2018, 1104 unter Nr. 1). Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob der Entstrickung eine Handlung des Steuerpflichtigen zugrunde liegt oder ob sie von dessen Willen getragen ist (Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.; Pfirrmann in Brandis/Heuermann, a.a.O.; Mundfortz in Frotscher/Drüen, a.a.O.; Benecke/Staats in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, a.a.O.). Dies wird damit begründet, dass die Entstrickungstatbestände bewusst auf ein willentliches Handeln des Steuerpflichtigen als Tatbestandsmerkmal verzichteten (Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.).
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c) Nach der im Schrifttum vertretenen Gegenauffassung ist der Fall der sog. passiven Entstrickung von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht erfasst (Bode in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Auflage, § 4 Rz. 107; Meurer in Lademann, EStG, § 4 Rz. 349b; Meyer in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, 13. Edition, § 4 Rz. 663; Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz, 3. Auflage, Anhang 7 Rz. 58 ff; Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 69; Hackemann in Bott/Walter, KStG, § 12 Rz. 31; Ditz/Rupp, Internationale Steuer-Rundschau ‒ ISR ‒ 2021, 413, 420; Kessler/Spychalski, Internationales Steuerrecht ‒ IStR ‒ 2019, 193; Lindauer/Kutschka, Betriebsberater ‒ BB ‒ 2016, 669, 670; Ditz/Quilitzsch, DStR 2015, 545, 551; Dürrschmidt, IStR 2015, 617, 624; Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628, 631 f; Pietrek/Busch/Mätzig, IStR 2014, 660, 662 f; Herbort/Sendke, IStR 2014, 499, 504; Bron, IStR 2012, 904; Reiter, IStR 2012, 357; Schönfeld, IStR 2010, 133, 137). Dies wird damit begründet, dass eine Entstrickung ein aktives Handeln des Steuerpflichtigen voraussetze. Ansonsten könne die Verwirklichung des Steuertatbestands dem Steuerpflichtigen nicht zugerechnet werden. Der Abschluss eines DBA sei jedoch keine dem Steuerpflichtigen zuzurechnende Handlung, sondern eine staatliche Maßnahme (Bode in Kirchhof/Seer, a.a.O.; Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, a.a.O.; Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193, 199 ff). Teilweise werden auch verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, da dem Entnahmegewinn kein Liquiditätszufluss zugrunde liege (Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, a.a.O.).
45
Darüber hinaus wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass, wenn das neue bzw. geänderte DBA lediglich eine Verpflichtung zur Anrechnung der ausländischen Steuer (sog. Anrechnungsmethode) und nicht eine Freistellung des Gewinns von der Bemessungsgrundlage (sog. Freistellungsmethode) vorsehe, keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vorliege (Mückl in Streck, KStG, 10. Auflage, § 12 Rz. 11; Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193, 196). Nach dieser Auffassung soll zumindest im Fall der Anrechnungsmethode der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht verwirklicht sein.
46
2. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ist nach Auffassung des Senats im Streitfall nicht erfüllt.
47
a) Es kann offen bleiben, ob das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts im Streitfall beschränkt wurde.
48
aa) Bei dem fraglichen Wirtschaftsgut handelt es sich um die Anteile an der S.L., die vom Beigeladenen gehalten wurden und dem Sonderbetriebsvermögen II der Klägerin zugeordnet worden sind. Dabei gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Zuordnung der Anteile an der S.L. zum Sonderbetriebsvermögen II rechtlich zutreffend ist. Der Senat teilt diese Sichtweise.
49
bb) Es kann dahinstehen, ob das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung dieser Anteile durch den Abschluss des DBA Spanien vom 3.2.2011 (ratifiziert durch Gesetz vom 16.1.2012, BGBl II 2012, 18), das am 1.1.2013 in Kraft getreten ist, beschränkt wurde. Nach Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien können Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft ‒ oder vergleichbarer Beteiligungen ‒ erzielt, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar aus unbeweglichem Vermögen besteht, das im anderen Vertragsstaat liegt, im anderen Staat besteuert werden. Art. 22 Abs. 2 Buchst. b DBA Spanien sieht u.a. für Einkünfte nach Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien das Verfahren der Steueranrechnung vor. Hiernach wird für diese Einkünfte auf die deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts über die Anrechnung ausländischer Steuern die spanische Steuer angerechnet, die nach dem Recht des Königreichs Spanien und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlt worden ist. Das zuvor geltende DBA zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat vom 5.12.1966 (BGBl II 1968, 10) enthielt hingegen keine dem Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien vergleichbare Regelung. Vielmehr konnten Gewinne aus der Veräußerung bestimmter Vermögensgegenstände, zu denen auch Anteile an Kapitalgesellschaften gehörten, gemäß Art. 13 Abs. 3 DBA Spanien 1966 nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig war, mithin in der Bundesrepublik Deutschland.
50
Im Streitfall handelt es sich bei der S.L. um eine Gesellschaft, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 % aus unbeweglichem Vermögen besteht. Denn die S.L. wies in ihrer Bilanz zum 31.12.2012 eine Bilanzsumme von 1.547.146,18 € aus. Auf der Aktivseite war unbewegliches Vermögen i.H.v. 911.141,89 € ausgewiesen, was 58,89 % der Bilanzsumme entsprach. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Senat hat keine Veranlassung, diese Feststellungen zu beanstanden. Da die Grenze von 50 % überschritten ist, sind die Voraussetzungen für eine Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an der S.L. in Spanien erfüllt.
51
cc) Der Senat zweifelt allerdings, ob bereits in dem Wechsel vom alleinigen Besteuerungsrecht zu einer Besteuerung unter Anrechnung einer ausländischen Steuer eine Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu erblicken ist. Dagegen spricht, dass die Bundesrepublik Deutschland auch nach Inkrafttreten des DBA Spanien am 1.1.2013 ihr Besteuerungsrecht behält und lediglich nach Art. 22 Abs. 2 Buchst. b DBA Spanien die spanische Steuer anrechnen muss, die nach dem Recht des Königreichs Spanien gezahlt worden ist. Zu einer Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG würde es demnach erst dann kommen, wenn tatsächlich nach dem Recht des Königreichs Spanien eine Steuer gezahlt worden und diese auf die inländische Steuer anzurechnen ist. Ob und ggf. wann dies der Fall ist bzw. sein wird, kann erst in Zukunft festgestellt werden, da der Beigeladene bislang seine Anteile an der S.L. noch nicht veräußert hat und mithin auch keinen in Spanien steuerbaren Veräußerungsgewinn erzielt hat. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedenfalls noch nicht zu einer derartigen Besteuerung gekommen, sondern es verbleibt ‒ anders als bei der Freistellungsmethode ‒ bei dem deutschen Besteuerungsrecht. Von Teilen des Schrifttums wird die Vereinbarung der Anrechnungsmethode durch ein neues DBA daher nicht als ein Fall der Beschränkung des Besteuerungsrechts gesehen (Mückl in Streck, KStG, 10. Auflage, § 12 Rz. 11; Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193, 196).
52
Von einer Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG könnte in der Konstellation der Anrechnungsmethode daher nur dann gesprochen werden, wenn der Begriff der Beschränkung des Besteuerungsrechts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG als eine Gefährdung des Besteuerungsrechts betrachtet wird. Der Begriff müsste weit gefasst werden in dem Sinne, dass bereits die Gefahr einer zukünftigen Steueranrechnung genügt (so die wohl herrschende Auffassung, vgl. Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 EStG Rz. 230; Drüen in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 4 Rz. 486c; Lampert in Gosch, KStG, 4. Auflage, § 12 Rz. 100; Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz. 66; a.A. Wissenschaftlicher Beirat von Ernst & Young tax DB 2010, 1776, unter II. 2. und III. 4.). Ob sich der Senat einer solchen Auffassung anschließen könnte, muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden.
53
b) Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ist im Streitfall jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Änderung des DBA Spanien durch den Abschluss des bilateralen Abkommens vom 3.2.2011 und das deutsche Ratifizierungsgesetz vom 16.1.2012 (BGBl II 2012, 18) der Klägerin bzw. dem Beigeladenen nicht zurechenbar ist.
54
aa) Nach Auffassung des Senats kann eine bloße Änderung der Rechtslage nicht zur Verwirklichung eines Besteuerungstatbestands führen, wenn diese dem Steuerpflichtigen nicht zuzurechnen ist, sondern die Änderung der Rechtslage allein darauf zurückzuführen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland in eigener Souveränität ihr Besteuerungsrecht ohne Mitwirkungshandlung des Steuerpflichtigen in völkerrechtlichen Verträgen neu ordnet (vgl. FG Köln, Urteil vom 17.6.2021 15 K 888/18, EFG 2021, 1876, Rz. 38).
55
bb) Zur Begründung dieser Rechtsauffassung bedient sich der Senat allerdings nicht einer teleologischen Reduktion des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG (dies hält Mundfortz in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 12 KStG, Rz. 29 für „technisch“ erforderlich).
56
Vielmehr leitet der Senat seine Rechtsauffassung aus dem systematischen Zusammenhang des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Normgefüge des § 4 Abs. 1 EStG ab. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der im Streitjahr anwendbaren Fassung stellt den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland „einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke“ „gleich“. Zwar kann aus der „Gleichstellung“ nicht gefolgert werden, dass die Voraussetzungen einer Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG vorliegen müssten. Vielmehr genügt bereits der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts, um den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu verwirklichen und die Gleichstellung mit der Entnahme zu bewirken. Aus der Gleichstellung mit der Entnahme folgert der Senat jedoch, dass zumindest ein dem Steuerpflichtigen zurechenbares Verhalten vorliegen muss, um den Tatbestand zu verwirklichen. Es muss eine dem Steuerpflichtigen zurechenbare Handlung zum Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen. Würde es hieran fehlen, so könnte ein der Entnahme gleichgestellter Tatbestand außerhalb der Einflusssphäre des Steuerpflichtigen verwirklicht werden und bei diesem ohne sein Zutun zu einer Gewinnbesteuerung führen. Ein Verhalten, das von einem Dritten ‒ hier der Bundesrepublik Deutschland durch Abschluss eines DBA ‒ beherrscht bzw. beeinflusst würde, würde eine Steuerpflicht auslösen. Dieser Gedanke ist der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG fremd. Die gesetzgeberische Wertung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, den Vorgang mit einer Entnahme gleichzustellen, würde leerlaufen. Daher wird auch im Schrifttum zu Recht argumentiert, eine reine Rechtsänderung könne keine Entnahmewirkung hervorrufen (Meyer in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, 13. Edition, § 4 Rz. 663.1). In der Folge kann die Änderung eines DBA, welche dem Steuerpflichtigen nicht zuzurechnen ist, nicht den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG verwirklichen.
57
cc) Dies folgt nach Auffassung des Senats auch aus der Gesetzeshistorie. Die Gesetzesbegründung zum SEStEG ist so verstehen, dass der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht den Fall der passiven Entstrickung erfassen wollte. Vielmehr sollte die Neuregelung „eine Klarstellung zum geltenden Recht“ beinhalten (BT-Drucks. 16/2710, Seite 28). Der „bisher bereits bestehende höchstrichterlich entwickelte und von der Finanzverwaltung angewandte Entstrickungstatbestand der Aufdeckung der stillen Reserven bei Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts auf Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens“ werde „nunmehr gesetzlich geregelt und in das bestehende Ertragssteuersystem eingepasst“, so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/2710, Seite 28). Mit dem höchstrichterlich entwickelten Entstrickungstatbestand war die sog. Theorie von der finalen Entnahme gemeint, welche der BFH in früherer Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen entwickelt hatte (z.B. BFH-Urteile vom 16.7.1969 I 266/65, BFHE 97, 342, BStBl II 1970, 175; vom 19.2.1998 IV R 38/97, BFHE 186, 42, BStBl II 1998, 509; ebenso BMF-Schreiben vom 20.12.1977, BStBl I 1978, 8). Nach der Theorie von der finalen Entnahme sah der BFH in der Überführung von Einzelwirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte stets eine gewinnverwirklichende Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. (vgl. BFH-Urteil vom 17.7.2008 I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464, Rz. 42). Das „geltende Recht“ (BT-Drucks. 16/2710, Seite 28), welches nach dem Willen des Gesetzgebers gesetzlich klargestellt werden sollte, erfasste also lediglich den Fall der aktiven Entstrickung, nicht aber denjenigen der passiven Entstrickung.
58
Ein davon abweichender Wille des Gesetzgebers ist auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in der Fassung des JStG 2010 vom 8.12.2010 (BGBl I 2010, 1768) abzuleiten. Diese Vorschrift behandelt den Fall einer Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG liegt ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG „insbesondere“ in der von § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG beschriebenen Konstellation der aktiven Entstrickung vor. Aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ kann aber nicht gefolgert werden, dass § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Übrigen auch den Fall der passiven Entstrickung erfassen würde. Denn nach der Gesetzesbegründung zum JStG 2010, welches insoweit auf eine Initiative des Bundesrates zurückgeht, sollte § 4 Abs. 1 Satz 4 „klarstellend den Hauptanwendungsfall des § 4 Absatz 1 Satz 3 EStG mittels eines Regelbeispiels“ erläutern (BT-Drucks. 17/2823, Seite 3). Aus dieser „Klarstellung“ bzw. Erläuterung kann nicht gefolgert werden, dass mit dem JStG 2010 nunmehr eine Fallgruppe von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst werden sollte, welche nach der Gesetzesbegründung des SEStEG zuvor nicht erfasst war.
59
Nichts anderes ergibt sich nach Auffassung des Senats aus der Begründung des Gesetzentwurfs vom 19.4.2021 für das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie ‒ ATAD-Umsetzungsgesetz ‒ (BT-Drucks. 19/28652). Im Zusammenhang der Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG, welche später durch das ATATD-Umsetzungsgesetz vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035) in Kraft trat, wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass der Ausgleichsposten des § 4g Abs. 1 EStG „auch in Fällen einer sog. passiven Entstrickung gebildet“ werden könne (BT-Drucks. 19/28652, Seite 33). Der Ausgleichsposten nach § 4g Abs. 1 EStG bezieht sich auf den Gewinn, soweit das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG beschränkt oder ausgeschlossen wird. Diese Formulierung in der Gesetzesbegründung vom 19.4.2021, die zudem als „Klarstellung“ bezeichnet wird, könnte in der Weise verstanden werden, dass der Gesetzgeber davon ausgehe, dass der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auch eine passive Entstrickung erfasse. Nach Auffassung des Senats kann hingegen die bei der Entstehung des ATAD-Umsetzungsgesetzes gefasste Intention nicht zurückwirken auf die gesetzeshistorische Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der Fassung des SEStEG und des JStG 2010, welche im Streitjahr 2013 anzuwenden ist. Daher versteht der Senat zumindest für das Streitjahr die Gesetzeshistorie so, dass der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht den Fall der passiven Entstrickung erfassen wollte.
60
dd) Zur Begründung dafür, dass der der Entnahme gleichgestellte Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eines dem Steuerpflichtigen zurechenbaren Verhaltens bedarf, muss nicht auf § 38 AO zurückgegriffen werden (so aber Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz, 3. Auflage, Anhang 7 Rz. 58; Bron, IStR 2012, 904, 906). Gemäß § 38 AO entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Diese Vorschrift stellt jedoch keine Zurechnungsnorm dar, sondern setzt eine Verwirklichung des Tatbestands voraus, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. In welcher Weise der Tatbestand verwirklicht wird, definiert § 38 AO nicht. Daher kann aus § 38 AO auch nicht auf die Voraussetzungen der Tatbestandsverwirklichung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG geschlossen werden (so auch Mundfortz in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/ UmwStG, § 12 KStG, Rz. 29; Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193, 199).
61
3. Wenn der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eine passive Entstrickung erfassen würde, so wäre die Vorschrift nach Auffassung des Senats zudem insoweit europarechtswidrig.
62
a) Die Europarechtskonformität der Besteuerung einer passiven Entstrickung ist im Ausgangspunkt zu beurteilen anhand des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ‒ EuGH ‒ vom 21.5.2015 C-657/02 „Verder LabTec“ (Amtsblatt der Europäischen Union ‒ ABl EU ‒ 2015, Nr. C 236, 11, IStR 2015, 440). Diese Entscheidung betraf deutsches Recht und erging zur Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV. Nach dem EuGH-Urteil ist eine Steuerregelung eines Mitgliedstaats, die zu einer sofortigen Besteuerung der stillen Reserven führt, in dem Fall, dass Wirtschaftsgüter auf eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte überführt werden, während diese bei einer vergleichbaren Überführung innerhalb des nationalen Hoheitsgebiets nicht besteuert würden, geeignet, eine im ersten Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft davon abzuhalten, ihre Wirtschaftsgüter aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern. Sie stelle daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar (EuGH-Urteil vom 21.5.2015 C-657/02 „Verder LabTec“, ABl EU 2015, Nr. C 236, 11, Rz. 36). Hinsichtlich einer Rechtfertigung dieser Beschränkung hat der EuGH zum einen darauf hingewiesen, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ein vom EuGH anerkanntes legitimes Ziel sei und dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt blieben, zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (EuGH-Urteil vom 21.5.2015 C-657/02 „Verder LabTec“, ABl EU 2015, Nr. C 236, 11, Rz. 42). Zum anderen habe ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte das Recht, die in seinem Hoheitsgebiet vor der Überführung entstandenen stillen Reserven zum Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen zu besteuern (Rz. 43 des EuGH-Urteils). Zur Erhebung einer solchen Steuer hat der EuGH aber entschieden, dass dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen der sofortigen Zahlung dieser Steuer oder dem Aufschub ihrer Zahlung, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der anwendbaren nationalen Regelung, zu lassen sei (Rz. 49 des EuGH-Urteils). Eine auf fünf Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven statt einer sofortigen Erhebung sei als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels anzusehen (Rz. 52 des EuGH-Urteils).
63
Das EuGH-Urteil vom 21.5.2015 C-657/02 „Verder LabTec“ kann als eine Fortentwicklung der früheren Rechtsprechung des EuGH angesehen werden, welche auf dem EuGH-Urteil vom 11.3.2004 C-9/02 „De Lasteyrie du Saillant“ (ABl EU 2004, Nr. C 94, 5, IStR 2004, 236) fußte (zur Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung: Meyer in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, 13. Edition, § 4 Rz. 628 ff). Diese EuGH-Entscheidung betraf die Niederlassungsfreiheit in einem Fall der Verlagerung des steuerlichen Wohnsitzes ins EU-Ausland. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Besteuerung stiller Reserven hätte demnach durch einen Zahlungsaufschub geheilt werden können (Rz. 47 des EuGH-Urteils). Auch in Folgeentscheidungen zum EuGH-Urteil vom 21.5.2015 C-657/02 „Verder LabTec“ hat der EuGH bestätigt, dass eine Besteuerung stiller Reserven im Fall der Übertragung von Wirtschaftsgütern ins EU-Ausland gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn kein Aufschub bei der Beitreibung einer solchen Steuer ermöglicht wird (z.B. EuGH-Urteile vom 23.11.2017 C-292/16 „A Oy“, ABl EU 2018, Nr. C 22, 11; IStR 2018, 32; vom 21.12.2016 C-503/14 „Kommission/Portugal“, ABl EU 2017, Nr. C 53, 2; IStR 2017, 69). Eine vergleichbare Rechtsprechung findet sich zudem im Zusammenhang mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV. Nach dem EuGH-Urteil vom 23.1.2014 C-164/12 „DMC“ (ABl EU 2014, Nr. C 93, 6, IStR 2014, 106) kann das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten eine nationale Regelung rechtfertigen, wonach Vermögen, das eine Kommanditgesellschaft in das Kapital einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einbringt, mit seinem Teilwert anzusetzen ist, wodurch die in diesem Hoheitsgebiet entstandenen stillen Reserven im Zusammenhang mit diesem Vermögen vor ihrer tatsächlichen Realisierung steuerpflichtig werden, wenn ‒ was vorliegend in Anbetracht des Umstandes, dass die Klägerin weiterhin im Inland ansässig ist und auch die Beteiligung an der S.L. nicht ins Ausland überführt wurde, bereits in erheblichem Maße zweifelhaft erscheint (siehe zu diesem Aspekt etwa Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz. 7.236 sowie Desens, FR 2022, 681, 686 unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil vom 18.7.2013 C-261/11 „Kommission / Dänemark“, ABl EU 2013, Nr. C 260, 5; vgl. auch BFH-Urteil vom 30.5.2018 I R 31/16, BFHE 262, 45, BStBl II 2019, 136, Rz. 39) ‒ der genannte Mitgliedstaat seine Besteuerungsbefugnis hinsichtlich dieser stillen Reserven bei ihrer tatsächlichen Realisierung tatsächlich nicht ausüben kann (Rz. 58 des Urteils). Jedoch muss dem Steuerpflichtigen jedenfalls die Möglichkeit einer Stundung eingeräumt werden (Rz. 61 des Urteils).
64
b) Der vorstehend zitierten Rechtsprechung des EuGH ist als gemeinsamer Gedanke zu entnehmen, dass die Besteuerung stiller Reserven aufgrund der Änderung des nationalen Besteuerungsrechts nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar grundsätzlich gerechtfertigt sein kann im Hinblick auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten, allerdings eines Aufschubs bei der Beitreibung der Steuer bedarf. Dementsprechend stellen Fälle der aktiven Entstrickung, in welchen Wirtschaftsgüter von einem Betriebsvermögen in das in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegene Betriebsvermögen übertragen werden, grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV oder der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV dar, die indes unter den genannten Bedingungen europarechtskonform sein kann. Ebenso würde die Besteuerung einer passiven Entstrickung, wenn sie durch den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst wäre, zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder der Kapitalverkehrsfreiheit führen. Im Streitfall wäre die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV betroffen, da es vorliegend um die Besteuerung stiller Reserven aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft unabhängig von der Höhe der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft geht (zur Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit vgl. EuGH-Urteil vom 23.1.2014 C-164/12 „DMC“, ABl EU 2014, Nr. C 93, 6, IStR 2014, 106, Rz. 31 ff).
65
Aufgrund der Beschränkung der Niederlassungs- bzw. Kapitalverkehrsfreiheit hat der Gesetzgeber den vom EuGH geforderten Zahlungsaufschub in § 4g Abs. 1 EStG vorgesehen. Nach der im Streitjahr 2013 geltenden Fassung des § 4g Abs. 1 EStG kann ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert und dem nach § 6 Absatz 1 Nr. 4 Satz 1, 2. Halbsatz EStG anzusetzenden Wert eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens auf Antrag einen Ausgleichsposten bilden, soweit das Wirtschaftsgut infolge seiner Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG als entnommen gilt. Der Ausgleichsposten ist gem. § 4g Abs. 2 Satz 1 EStG im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen. Diese Fassung des § 4g EStG, welche durch das SEStEG vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) eingeführt wurde, betraf jedoch lediglich den Fall einer Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat der EU, mithin den Fall der aktiven Entstrickung. Eine passive Entstrickung war von § 4g Abs. 1 EStG i.d.F. des SEStEG nicht erfasst. Wegen des Fehlens der Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs wäre die Besteuerung einer passiven Entstrickung nach der durch das SEStEG implementierten Rechtslage, wenn § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sie vorsähe, wie beschrieben europarechtswidrig.
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c) Diese Europarechtswidrigkeit wäre auch nicht aufgrund der Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035) geheilt worden. Gem. § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des ATAD-Umsetzungsgesetzes kann der Steuerpflichtige in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert und dem nach § 6 Absatz 1 Nr. 4 Satz 1, 2. Halbsatz EStG anzusetzenden Wert eines Wirtschaftsguts auf Antrag einen Ausgleichsposten bilden, soweit das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts zugunsten eines Staates im Sinne des § 36 Abs. 5 Satz 1 EStG beschränkt oder ausgeschlossen wird (§ 4 Absatz 1 Satz 3 EStG). Diese Fassung des § 4g Abs. 1 EStG ist gemäß § 52 Abs. 8a EStG i.d.F. des ATAD-Umsetzungsgesetzes in allen offenen Fällen anzuwenden.
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Sofern die Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG auch den Fall der passiven Entstrickung erfassen sollte, was in der Gesetzesbegründung so angenommen wird (BT-Drucks. 19/28652, Seite 33), so hätte das Gesetz die Zielsetzung, einer zuvor europarechtswidrigen gesetzlichen Regelung rückwirkend die Europarechtskonformität zu verleihen und auf diese Weise die Besteuerung stiller Reserven rückwirkend zu erlauben. Gegen eine solche Zielsetzung wären aber europarechtliche sowie verfassungsrechtliche Bedenken zu erheben, da es zu einer sog. echten Rückwirkung käme. Im Steuerrecht liegt eine ‒ grundsätzlich unzulässige ‒ echte Rückwirkung vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. zum Europarecht Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz. 12.42 m.w.N.; zum inländischen Verfassungsrecht vgl. Bundesverfassungsgericht ‒ BVerfG ‒, Beschlüsse vom 10.10.2012 1 BvL 6/07, Entscheidungen des BVerfG ‒ BVerfGE ‒ 132, 302, 319; vom 17.12.2013 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1). Dies wäre der Fall, wenn für das Streitjahr 2013 die europarechtswidrige Besteuerung eines Gewinns aus einer passiven Entstrickung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.6.2021 rückwirkend als europarechtskonform anzusehen wäre, da die Nichtbesteuerung der stillen Reserven durch eine zeitlich gestreckte Besteuerung der stillen Reserven ersetzt würde. Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer solchen echten Rückwirkung hat auch das FG Köln im (vergleichbaren) Kontext des § 6 Abs. 5 AStG thematisiert (FG Köln, Urteil vom 17.6.2021 15 K 888/18, EFG 2021, 1876, Rz. 39, Rev. anhängig, Az. des BFH: I R 32/21).
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Da jedoch nach Auffassung des Senats der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vorliegend nicht eine passive Entstrickung auslöst, muss der Frage der Europarechts- oder Verfassungswidrigkeit nicht weiter nachgegangen werden.
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4. Die Frage, ob der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, kann vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen dahinstehen.
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II. Da die Klage mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat, muss der Senat über die von der Klägerin gestellten Hilfsanträge nicht mehr entscheiden. Es kann daher auch dahinstehen, ob der Beklagte im Einspruchsverfahren mit den Schreiben vom 18.7.2018 und vom 8.8.2018 sowie in den Einspruchsentscheidungen vom 30.1.2019 über einen Stundungsantrag der Klägerin entschieden hat und ob dieser zulässigerweise Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein könnte.
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III. Die Entscheidung, dass der Beklagte die festzusetzenden und festzustellenden Beträge zu errechnen und mitzuteilen hat, folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht erstattungsfähig sind, folgt aus § 139 Abs. 4 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.