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  • 19.08.2021 · IWW-Abrufnummer 224164

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 14.06.2021 – 9 K 370/21 KG

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    1
    Tatbestand:

    2
    Die Klägerin bezog Kindergeld u. a. für ihre im Mai 1999 geborene Tochter … (im folgenden: T). Diese hatte im Anschluss an ihre Schulausbildung (Abitur) im September 2017 eine dreijährige Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (duales Studium) bei der Finanzverwaltung NRW begonnen und im August 2020 erfolgreich abgeschlossen. Die Beklagte (im folgenden: Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung zunächst ab August 2020 auf, weil T ihre Berufsausbildung voraussichtlich bis Juli 2020 beendet haben dürfte (Bescheid vom 1.07.2020).

    3
    Hiergegen wandte sich die Klägerin und wies nach, dass die Ausbildung erst im August 2020 abgeschlossen war und dass sich T zum Wintersemester 2020/21 an einer Hochschule beworben hatte; deshalb werde ihre aktuelle Berufsausbildung fortgeführt und voraussichtlich erst nach dem Mai 2024 (Vollendung des 25. Lebensjahres) beendet. Die Tochter habe nur die erste Etappe zum endgültigen Berufsziel „Finanzrichterin“ abgeschlossen; bereits nach dem Abitur habe sie sich Gedanken über den besten Weg zu einer qualifizierten Steuerrechtsausbildung gemacht. Das ab Oktober 2020 aufgenommene Studium der Rechtswissenschaft (mit dem Ziel: 1. Staatsexamen) an der …-Universität X-Stadt (Immatrikulationsbescheinigung wurde vorgelegt) stelle die Fortsetzung einer einheitlichen Erstausbildung dar. Der Monat September 2020 sei als Übergangszeit zu berücksichtigen.

    4
    Die Familienkasse gewährte der Klägerin daraufhin für den Monat August 2020 umgehend das Kindergeld (Bescheid vom 24.08.2020), lehnte aber eine weitergehende Kindergeldgewährung ab September 2020 ab (weiterer Bescheid vom 24.08.2020). Zur Begründung führte sie aus, T habe eine erste Berufsausbildung abgeschlossen und neben einer weiteren Ausbildung eine nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) schädliche Erwerbstätigkeit ausgeübt.

    5
    Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie erklärte, die Tochter habe ihr angestrebtes Berufsziel erkennbar noch nicht erreicht. Damit könne auch die weiterführende Ausbildung (Jurastudium) als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Entscheidend sei, dass neben dem zeitlichen Zusammenhang ein enger sachlicher Zusammenhang bestehe. Dieser liege vor, wenn die nachfolgende Ausbildung z. B. dieselbe Berufssparte oder denselben fachlichen Bereich betreffe. Die Tochter habe beim Finanzamt ein duales Studium mit Schwerpunkt Steuerrecht absolviert. Im Rahmen des theoretischen Teils seien weiterführend die Thematiken des privaten Rechts, sowie des öffentlichen Rechts umfassend besprochen worden. Die hohe Qualität dieses Fachhochschulstudiums ermögliche eine Anrechnung der dort geschriebenen Klausuren (Teilqualifikationen) im Rahmen des jetzigen Jura-Studiums. Auch das grundsätzlich im Rahmen des Jura-Studiums erforderliche Verwaltungspraktikum entfalle, weil T durch die Arbeit im Finanzamt bereits verwaltungsrechtliche Strukturen kenne. Die Tochter habe die …Universität X-Stadt insbesondere deswegen ausgewählt, weil hier die Wahl des Schwerpunktfachs „Steuerrecht" bestehe.

    6
    Der angestrebte Beruf der Tochter sei Finanzrichterin und nicht Sachbearbeiterin im Finanzamt. Hierfür spreche auch, dass diese bereits eine Teilzeit-Stelle auf 70 % beantragt und genehmigt erhalten habe. Eine Minderung der Arbeitszeit im Rahmen der Finanzverwaltung sei aber erst zum 01.12.2020 und zunächst auch lediglich auf 70% möglich, solange sich die Tochter noch in der Probezeit befinde. Andernfalls wäre unmittelbar eine Teilzeit auf 50°% (Arbeitszeit unter 20 Stunden/Woche) beantragt worden, weil der Fokus und der Berufsmittelpunkt der Tochter im Jura-Studium liege. Ein Ausscheiden aus der Finanzverwaltung komme nur deshalb nicht in Betracht, weil in diesem Fall eine „Ablösezahlung in Höhe von 25.000 €“ zu leisten wäre.

    7
    Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 19.01.2021). Zur Begründung führte die Familienkasse aus, die Tochter T habe bereits eine erstmalige Berufsausbildung im Rahmen des dualen Studiums als Dipl.-Finanzwirtin abgeschlossen. Nach den im BFH-Urteil vom 11.12.2018 III R 26/18 aufgestellten Prüfungskriterien sei im Rahmen einer Einzelfallprüfung insbesondere zu bewerten, ob hier die Berufstätigkeit oder die Ausbildung des Kindes im Vordergrund stehe. Stehe die Berufstätigkeit im Vordergrund, sei anzunehmen, dass das Kind den weiteren Ausbildungsabschnitt als Weiterbildung absolviere. So sei es im vorliegenden Fall. T habe zunächst in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis im Umfang von 41 Stunden wöchentlich gearbeitet, bei einer Minderung der Arbeitszeit ab Dezember 2020 auf 70 Prozent. Sie sei in ihrem ursprünglichen Ausbildungsbetrieb weiter tätig; die weitere Ausbildung finde berufsbegleitend statt. Die Ausbildungsmaßnahme sei der Arbeitstätigkeit eindeutig untergeordnet und stelle deshalb eine Weiterbildung, also eine Zweitausbildung, dar. Im Hinblick auf die anspruchsschädliche Erwerbstätigkeit sei eine Berücksichtigung der Tochter im Streitzeitraum nicht möglich.

    8
    Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin trägt ergänzend vor, die Tochter hätte die wöchentliche Stundenanzahl ihrer Berufstätigkeit unter 20 Stunden reduziert, wenn dies möglich gewesen wäre. Ihr Dienstherr sehe eine entsprechende Reduzierung der Stundenanzahl jedoch nicht vor, sodass der Tochter „faktisch die Hände gebunden“ seien. Dies solle sich im Übrigen zeitnah ändern, weil die Finanzverwaltung „für die nahe Zukunft“ plane, genau derartige Ausbildungsmodelle (Ausbildung bei der Finanzverwaltung mit anschließendem Studium der Rechtswissenschaften) zu fördern und künftig eine erweiterte Reduzierung der Stundenanzahl auf unter 20 Stunden pro Woche vorzusehen. Im Übrigen könne es nicht sein, dass es der Dienstherr der Tochter in der Hand hätte, darüber zu entscheiden, ob Kindergeld bezogen werden kann oder nicht, indem er die Möglichkeit, die Arbeitszeit halbschichtig zu reduzieren, einräumt oder versagt.

    9
    Die Klägerin beantragt,

    10
    die Familienkasse unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 24.08.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.01.2021 zu verpflichten, ihr für T Kindergeld für den Zeitraum September 2020 bis Januar 2021 zu gewähren;

    11
    hilfsweise: die Revision zuzulassen.

    12
    Die Familienkasse beantragt,

    13
    die Klage abzuweisen;

    14
    hilfsweise: die Revision zuzulassen.

    15
    Sie trägt ergänzend vor, das Arbeitsverhältnis der Tochter sei auf unbefristete, also auf längere und nicht absehbare Dauer geschlossen. Durch die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden, ab Dezember 2020 28 Stunden, bleibe für studienbezogene Tätigkeiten wenig Zeit übrig; es sei zu vermuten, dass für das Studium eine geringere Zeit aufgewendet werde als für die Erwerbstätigkeit, das Studium also zeitlich in den Hintergrund rücke. Darüber hinaus sei T weiter bei ihrem vorherigen Ausbildungsbetrieb (Finanzamt) angestellt; bei dieser Tätigkeit nutze T die zuvor erlangte Qualifikation. Auch seien Erwerbstätigkeit und Studium zeitlich nicht aufeinander abgestimmt, sodass die Erwerbstätigkeit priorisiert werde. Für den Kindergeldanspruch sei es unerheblich, ob eine weitere Reduzierung der Stundenanzahl vom Dienstherrn des Kindes verhindert werde.

    16
    Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben über den Werdegang und die näheren Umstände des Studiums der Tochter T durch deren Anhörung als Zeugin. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll und die Ausführungen in den Entscheidungsgründen verwiesen.

    17
    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogene Kindergeldakte der Familienkasse Bezug genommen.

    18
    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

    19
    Die Klage ist unbegründet.

    20
    Die Familienkasse hat die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin für die Tochter T ab September 2020 bis Januar 2021 zu Recht versagt. Denn die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung als Kind i. S. d. § 32 Abs. 4 EStG waren in diesen Monaten nicht gegeben.

    21
    Zwar bestand für diese Monate ein Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) und c) EStG, weil sich die Tochter T für das Jurastudium angemeldet bzw. das Studium betrieben hat. Aber es greift der Ausschlusstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein: Denn T ist nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung einer „schädlichen“ Erwerbstätigkeit (von wöchentlich 40 bzw. 28 Stunden) nachgegangen.

    22
    1. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind insoweit unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

    23
    a) Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt (BFH-Urteil vom 3.07.2014 III R 52/13, Bundessteuerblatt ‑ BStBl - II 2015, 152, Rz 19 ff.) und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.). Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG begrenzenden Kriterien hat der BFH dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen: Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 24). Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 24). Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildendenden Schule erfolgen soll (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 24). Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 27). In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 30). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil in BStBl II 2015, 152, Rz 30). An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient (BFH-Urteil vom 4.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615, Rz 15).

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    b) In diesem Sinne besteht im Streitfall ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der dualen Ausbildung in der Finanzverwaltung und dem anschließenden Jurastudium ‒ T hat das Studium in unmittelbarem Anschluss (bei lediglich einem Monat Übergangszeit/ Wartezeit) an die bestandene Prüfung zur Dipl.-Finanzwirtin begonnen.

    25
    c) Ein enger sachlicher Zusammenhang ist ebenfalls zu bejahen. Zwar ist nach bestandenem Abitur die Ausbildung in der Finanzverwaltung keine Voraussetzung für ein Studium der Rechtswissenschaft; T hätte also auch direkt nach dem Abitur mit dem Jurastudium beginnen können. Entscheidend für den Weg der Berufsausbildung ist aber die Vorstellung des Kindes selbst; dieses besitzt bei der Ausgestaltung seiner Ausbildung einen weiten Entscheidungsspielraum. T strebt hier die Berufsausbildung zur Volljuristin mit der Spezialisierung (insbesondere) im Steuerrecht an ‒ der Vorbereitung auf dieses Berufsziel dienen alle Maßnahmen, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, also nicht nur die unbedingt notwendigen Qualifikationen. Hier bietet die vorgeschaltete Ausbildung in der Finanzverwaltung beste Bedingungen für ein anschließendes Jurastudium mit Schwerpunkt Steuerrecht ‒ der “rote Faden“ im Hinblick auf das angestrebte Berufsziel ist eindeutig erkennbar.

    26
    2. Der Begriff der Erstausbildung erfordert daneben allerdings weitere Voraussetzungen. So hat der BFH die Rechtsprechungsgrundsätze für Fälle fortentwickelt und präzisiert, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist (z. B. BFH-Urteil vom 11.12.2016 III R 26/18, BStBl II 2019, 765 und vom 22.05.2019 III R 69/18, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‑ BFH/NV ‑ 2019, 1231).

    27
    a) Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/ oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden. Hierfür hat der BFH auf die nachfolgend zitierten Kriterien abgestellt (BFH-Urteil vom 11.12.2016 III R 26/18, BStBl II 2019, 765 Rz 17 ‒ 19):

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    „17

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    aa) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stundengrenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Führt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an der Universität durch, kann auch weiter der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen (s. hierzu etwa BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166).

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    bb) Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Wird z.B. ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z.B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z.B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben 3 Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.

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    cc) Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätigkeit" durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.

    34
    b) Stellt man maßgeblich auf die Unterscheidung zwischen Hauptsache und Nebensache ab, lässt sich im Streitfall nicht ableiten, dass die Tätigkeit als Steuerinspektorin im Finanzamt die Hauptsache und das Jurastudium (mit Schwerpunkt Steuerrecht) die Nebensache darstellt.

    35
    - Zwar ist das Kriterium der „längerfristigen Bindung an einen Arbeitgeber“ (BFH-Urteil a.a.O., Rz 17) erfüllt. Die Berufstätigkeit der T bei der Finanzverwaltung ist auf längere Dauer angelegt und hat für sich genommen keinen Ausbildungscharakter. Es handelte sich hier um eine Vollzeittätigkeit (August bis November 2020) bzw. eine überwiegende Teilzeittätigkeit (ab Dezember 2020) in einem anspruchsvollen Arbeitsfeld im Rahmen eines zeitlich längerfristigen Beschäftigungsverhältnisses.

    36
    - Der Ausbildungscharakter des Studiums tritt deswegen aber nicht in den Hintergrund. Neben der arbeitstäglichen Berufstätigkeit von 6.00 Uhr bis 11.45 Uhr lässt sich das Jurastudium - wie T glaubhaft erläutert hat ‒ ernsthaft, konsequent und erfolgreich betreiben.

    37
    - In diesem Zusammenhang lässt sich auch weder von einer zeitlichen Unterordnung des Studiums unter die Berufstätigkeit noch von der zeitlichen Unterordnung der Berufstätigkeit unter das Studium sprechen (vgl. BFH-Urteil a.a.O., Rz 19). Nach dem äußeren Erscheinungsbild wird beides von T gut nebeneinander organisiert und miteinander vereinbart. Das Studium ist die berufliche Zukunft, die Berufstätigkeit fußt auf der absolvierten Ausbildung und repräsentiert die gegenwärtige finanzielle Absicherung. Beides erscheint gleichermaßen wichtig.

    38
    Ungeachtet der gleichgewichtigen und nicht eindeutigen Indizienlage schließt es der Senat jedenfalls aus, die (beabsichtigten) weiteren Ausbildungsmaßnahmen der T (Jurastudium, 1. Staatsexamen, Referendariat und 2. Staatsexamen) als auf Weiterbildung und/ oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Beruf gerichtet (Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung) und damit als „Nebensache“ zu qualifizieren.

    39
    3. Trotzdem beurteilt der Senat die Ausbildung der T zur Dipl.-Finanzwirtin als eine abgeschlossene Erstausbildung. Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei dem Begriff der „erstmaligen Berufsausbildung“ (i. S. d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) um einen Typusbegriff (vgl. Drüen in Tipke/ Kruse, § 4 AO Rz 395 ff.) handelt, der sich nur durch die Kombination einzelner Merkmale, Indizien und Fallgruppen hinreichend erfassen bzw. beschreiben lässt.

    40
    Wesentliches Kriterium ist hier die Nutzung der durch den ersten Abschluss als Dipl.-Finanzwirtin erlangten abgeschlossenen Qualifikation als eigenständiges „Sprungbrett“, das für den künftigen Werdegang eine finanzielle Absicherung und die Basis für eine berufliche bzw. wissenschaftliche Weiterentwicklung darstellt (vgl. BFH-Urteil a.a.O., Rz 18). In diesem Zusammenhang hat der Senat folgende Erwägungen einbezogen:

    41
    - Die Ausbildung zur Dipl.-Finanzwirtin ist kein integrativer Teil einer weitergehenden einheitlichen Ausbildung, stellt also keine typische Zwischenstufe dar, sondern beinhaltet eine abgeschlossene Qualifikation. Diese bietet die Basis für eine qualifizierte Berufsausübung.

    42
    - Bereits während der Ausbildung zur Dipl.-Finanzwirtin ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit durch die Ausbildungsvergütung gewährleistet; die anschließende Berufstätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung sichert die wirtschaftliche Existenz auch während der Studienzeit ab.

    43
    - Die Berufstätigkeit ermöglicht Berufserfahrung und hat im Lebenslauf auch ein eigenes Gewicht.

    44
    Dies reicht aus, um die Ausbildung zur Dipl.-Finanzwirtin als erstmalige Berufsausbildung zu qualifizieren, obwohl das anschließende Jurastudium keine berufliche Fortbildung oder berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme darstellt.

    45
    4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

    46
    5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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