06.08.2021 · IWW-Abrufnummer 223933
Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 25.02.2021 – 2 K 1395/20
Das Bestehen eines eigenen Haushaltes des Pflegekindes steht einem Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne von § 32 Abs 1 Nr. 2 EStG nicht entgegen.
Finanzgericht Saarland
In dem Rechtsstreit
Bevollmächtigt: Rechtsanwälte B,
gegen
Bundesagentur für Arbeit Familienkasse Rheinland-Pfalz/Saarland, 55149 Mainz,
- Beklagte -
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Klägerin war die Schwester des am XX.XX.1950 geborenen und am XX.XX.2018 verstorbenen C. C war von Geburt an schwerbehindert (100 GdB). Er litt zudem an epileptischen Anfällen. Aufgrund der mit seiner geistigen Behinderung einhergehenden Lernschwäche war C Analphabet. In seinem Schwerbehindertenausweis waren unter anderem die Merkzeichen "G" und "H" eingetragen. Es war ferner vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung besteht. C bezog Eingliederungshilfe sowie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 742,05 € monatlich (Bl. 13 KiG).
C wurde von seiner Mutter, die für ihn Kindergeld bezog, bis zu deren Tod im Mai 2017, seit einer schweren Erkrankung der Mutter 2004 zunehmend auch von der Klägerin, betreut. Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung von C. Am XX.08.2017 wurde sie vom Amtsgericht D auch zur gesetzlichen Betreuerin von C für die Aufgabenkreise Gesundheitsvorsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Sozialhilfe und Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt bestellt (Bl. 27).
C lebte ab 2004 zunächst in einer stationären Wohneinrichtung für geistig behinderte Menschen und später in einem Wohnprojekt des E e.V. dort zunächst in einer Wohngruppe und zuletzt in einer eigenen Wohnung. Er bedurfte zusätzlich ambulanter Betreuung, die durchschnittlich neun Stunden pro Woche durch den E e.V. erbracht wurde.
Der Klägerin oblag die Fürsorge für C, sie trug die Verantwortung für sein materielles Wohl: Sie telefonierte täglich mit C, erledigte Arztbesuche oder Einkäufe mit ihm zusammen, übernahm regelmäßig seine Wäsche und organisierte und bezahlte eine Putzhilfe für seine Wohnung. Bei der Klägerin verfügte C über ein eigenes Zimmer und lebte im Streitzeitraum an allen Wochenenden, Feiertagen und zu Familienfeiern im Haushalt und in der Familiengemeinschaft mit der Klägerin.
Am 16. Juni 2017 beantragte die Klägerin Kindergeld für ihren Bruder ab dem Monat Juni 2017, dessen Gewährung die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2017 ablehnte (Bl. 26 KiG). Den Einspruch der Klägerin vom 12. Juli 2017 (Bl. 29 KiG) wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 (Bl. 32 KiG) als unbegründet zurück.
Am 8. August 2017 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1, 2 K 1254/17). Mit Urteil vom 13. Dezember 2018 hat der Senat den Bescheid vom 20. Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen.
Auf die Revision der Beklagten hat der BFH mit Gerichtsbescheid vom 17. März 2020 (III R 9/19, BFH/NV 2021, 4) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang sei die Art der Behinderung aufzuklären, insbesondere, ob die Behinderung so schwer war, dass der Zustand von C dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Im Rahmen dessen sei auch der Umstand zu würdigen, dass C in einer eigenen Wohnung mit anscheinend nur geringer Hilfeleistung eigenständig leben konnte. Es seien Feststellungen zu treffen, die auf eine Erziehungsfunktion der Klägerin und ein Autoritätsverhältnis zu ihr schließen lassen. Außerdem müsse festgestellt werden, ob die ideelle Beziehung bereits vor dem Tod der Mutter über einen längeren Zeitraum bestanden habe.
Der Senat hat am 3. Februar 2021 die Vernehmung der Herren F und G, die als Mitarbeiter des E e.V. Betreuungsleistungen gegenüber C erbracht haben, als Zeugen sowie die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin beschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 20. Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 aufzuheben und der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie habe spätestens nach dem Tod der Mutter deren Funktion im Hinblick auf die Betreuung von C übernommen. Der Umstand, dass C eine eigene Wohnung bewohnt habe, könne für die Gewährung von Kindergeld nicht entscheidend sein, zumal die Wohnsituation auch schon lange vor dem Tod der Mutter bestanden und der Gewährung von Kindergeld nicht entgegengestanden habe. C habe in der Wohnung der Klägerin ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestanden. Er habe sich an jedem Wochenende, an allen Feiertagen und - solange er noch gearbeitet habe - auch während der Betriebsferien im Haushalt der Klägerin aufgehalten. Die Klägerin habe C überdies auch materiell unterstützt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld lägen im Streitfall nicht vor, da C eine eigene Wohnung bewohnt habe. Ein Pflegekindschaftsverhältnis zur Klägerin habe daher nicht bestanden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte, die hinzugezogene Verwaltungsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
a) Nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für Kinder i.S. des § 32 Abs. 1 EStG, mithin auch für Pflegekinder i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
aa) Ein Pflegekind ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Da es sich bei diesen Umständen um echte Tatbestandsvoraussetzungen und nicht nur erläuternde Nebenbestimmungen handelt (vgl. BFH vom 19. Oktober 2017 III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739), bedarf es auch dann der Feststellung eines "familienähnlichen Bands", wenn - wie im Streitfall - ein "familiäres Band" besteht.
bb) Ein "familienähnliches Band" setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich, dass das Band besonders eng ist und - nach der Rechtsprechung des BFH in Abgrenzung zu einem "Kostgänger" - seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung als einer natürlichen Einheit von Versorgung, Erziehung und "Heimat" findet und das Kind in die familiäre Lebensgestaltung eingebunden ist (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
Die Erbringung umfänglicher Pflege- und Unterstützungsleistungen und ein damit verbundenes hohes Maß an persönlicher Zuwendung gegenüber dem behinderten Menschen genügt für die Annahme eines familienähnlichen Bandes nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH lässt sich ein "familienähnliches Band" mit einem bereits Volljährigen nur bei Vorliegen besonderer Umstände begründen; ein solches sei unter Gesamtwürdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nur anzunehmen, wenn die Behinderung so schwer sei, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspräche (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4). Der BFH leitet aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis zudem ab, dass auch zwischen dem Pflegeelternteil und dem Pflegekind ein "Autoritätsverhältnis" bestehen müsse, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils "unterwerfe" (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
cc) Der Prüfungsumfang der Finanzgerichte ist bei Klagen gegen Kindergeld-Ablehnungsbescheide nach höchstrichterlicher Rechtsprechung begrenzt bis zu dem Monat, in dem die Behörde die Einspruchsentscheidung erlassen hat (vgl. BFH vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920; vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446).
b) Bei Gesamtwürdigung aller besonderen Umstände des Streitfalls steht zur Überzeugung des Senats fest, dass zwischen der Klägerin und C ein "familienähnliches Band" im Sinne der nach § 126 Abs. 5 FGO zugrunde zu legenden rechtlichen Beurteilung des BFH bestand.
aa) Die Behinderung des C war so schwer, dass sein geistiger Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. C konnte aufgrund der mit seiner geistigen Behinderung einhergehenden Lernschwäche nicht lesen, schreiben und rechnen. Die Zeugen F und G haben übereinstimmend und glaubhaft dargelegt, dass C bei fast allem Unterstützung benötigte. Er habe sich zwar selbst ein Brot belegen können, er sei aber beispielsweise nicht in der Lage gewesen, selbständig zu kochen. Der Herd in der Wohnung des C sei bis zum Schluss nicht betriebsbereit gewesen, weil das zu gefährlich gewesen wäre. In dem Wohnprojekt in H sei immer ein Ansprechpartner des E e.V. vor Ort gewesen und habe eine permanente Betreuung sicherstellen können. Nur deshalb habe C dort wohnen können. Die Annahme des BFH in der zurückverweisenden Entscheidung, dass C "mit anscheinend nur geringer Hilfeleistung eigenständig leben konnte", ist mithin nicht zutreffend.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erneut dargelegt, dass sie sich bereits vor dem Tod der Mutter - insbesondere seit diese 2004 an Darmkrebs erkrankt war - um C gekümmert und beispielsweise regelmäßig mit ihm gemeinsam die Mutter im Krankenhaus oder später zu Hause besucht hat. Die Zeugen F und G haben dies bestätigt: Die Klägerin sei die ständige Ansprechpartnerin von C gewesen, sie habe sich um alles gekümmert, habe mit C zum Beispiel Kleider eingekauft, sich um Arztbesuche gekümmert und ihn dorthin begleitet und sei immer da gewesen, wenn C sie gebraucht habe. Sie habe im Grunde "alles gemacht, was Eltern mit ihren Kindern machen". Bereits seit 2015, spätestens aber nach dem Tod der Mutter 2017 habe die Klägerin vollständig deren Rolle übernommen. An der Glaubhaftigkeit der Aussagen besteht für den Senat kein Zweifel.
Das besonders enge Band zwischen der Klägerin und C bestand bis zu dessen Tod. C war in die familiäre Lebensgestaltung der Klägerin voll und ganz eingebunden: Wie der Senat schon im ersten Rechtsgang festgestellt hat, verbrachte C im Streitzeitraum alle Wochenenden, Feiertage und Familienfeiern im Haushalt und in der Familiengemeinschaft der Klägerin. C gehörte - wie die Klägerin in ihrer erneuten Befragung glaubhaft bestätigt hat - auch für ihren Mann, ihre Kinder und Enkelkinder zur Familie. Er war - wie der Zeuge G es ausgedrückt hat - "ein Kind der Klägerin und ihres Ehemanns".
Im Hinblick auf die in der zurückverweisenden Entscheidung geforderte Feststellung eines "Erziehungs- und Autoritätsverhältnisses" zwischen der Klägerin und C folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin gesetzliche Betreuerin von C für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsvorsorge, Vermögenssorge, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Sozialhilfe und Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt war, dass ihr eine Rechtsstellung zukam, die - bezogen auf die Lebenswirklichkeit und Bedürfnisse von C - der Rechtsstellung von Eltern gegenüber ihren Kindern vergleichbar war (§§ 1626, 1631 BGB). Sie umfasste auch die Möglichkeit, Entscheidungen in Sorge und zum Wohl von C zu treffen. Solche Entscheidungen hat die Klägerin, wiewohl wenn ihr stets an einem Einvernehmen mit C gelegen war, auch getroffen. Die Zeugen haben dargelegt, dass die Klägerin in diesem Sinne über eine "gute Autorität" verfügt habe.
Ungeachtet dessen weist der Senat darauf hin, dass ein geistig oder seelisch behinderter Mensch, wenn er erwachsen ist, zwar weiterhin der Betreuung und Unterstützung bedarf, sich aber keiner aus einem Autoritätsverhältnis abzuleitenden "Erziehungsmacht unterwerfen" muss. Diese Formulierung des BFH in der zurückverweisenden Entscheidung geht offenbar auf eine Entscheidung des BSG vom 29. August 1962 (7 RKg 7/61, BSGE 17, 265) zurück. Es entspricht jedoch mittlerweile nicht mehr dem wissenschaftlichen Standard im Umgang mit behinderten erwachsenen Menschen, diese - wie Kinder - "zu erziehen" (zu der damit verbundenen diskriminierenden Wirkung Lutter, EFG 2019, 1828). Dies steht des Annahme eines "familienähnlichen Bands" i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG indes nicht entgegen (so auch Selder, jurisPR-SteuerR 24/2012 Anm. 3).
bb) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind im Streitfall gegeben, insbesondere war C (nicht zu Erwerbszwecken) in den Haushalt der Klägerin aufgenommen.
Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG entspricht im Wesentlichen dem gleichlautenden Begriff in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG (zu normspezifischen Besonderheiten des § 64 EStG vgl. BFH vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BStBl II 2008, 762). Danach liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist (BFH vom 24. Oktober 2006 III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238). Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BStBl II 2001, 713). Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt (BFH vom 18. Februar 2008 III B 69/07, BFH/NV 2008, 948), müssen aber alle gegeben sein (BFH vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788). Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme bezieht sich auf die gemeinsame Familienwohnung als ortsbezogener Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen (BFH vom 16. April 2008 III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326). Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein behindertes Kind trotz dauernder Heimunterbringung weiterhin zum Haushalt der (Pflege-)Eltern gehören, wenn es dort in einem zeitlich bedeutsamen Umfang betreut wird (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. BFH vom 14. November 2001 X R 24/99, BStBl II 2002, 244; vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324; vom 11. September 2012 VI B 67/12, BFH/NV 2012, 2023).
Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass C in den Haushalt der Klägerin aufgenommen war und dieser den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen bildete. Die Beweisaufnahme und die erneute Befragung der Klägerin haben bestätigt, dass die Aufenthalte des Bruders in der Wohnung der Klägerin keine bloßen Besuche darstellten, sondern von einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit geprägt waren und von einer Häufigkeit und Dauer, die weit über bloße Besuche hinausging. Eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer liegt auf jeden Fall bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als drei Monaten pro Jahr vor (BFH vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324). So verhält es sich im Streitfall. Auch der Umstand, dass im Haushalt der Klägerin Feste ihres Bruders begangen und von der Klägerin finanziert wurden (wie etwa ein jährliches Grillfest für den E e.V.), unterstreicht die Haushaltszugehörigkeit von C. Allein das Bestehen eines eigenen Haushalts des Pflegekindes schließt eine Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern nicht zwingend aus (vgl. z.B. FG Thüringen vom 5. September 2007 III 680/06, EFG 2008, 460).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 2 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen.
Urteil vom 25.02.2021
In dem Rechtsstreit
A,
- Klägerin -Bevollmächtigt: Rechtsanwälte B,
gegen
Bundesagentur für Arbeit Familienkasse Rheinland-Pfalz/Saarland, 55149 Mainz,
- Beklagte -
wegen Kindergeld
hat der 2. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes durch die Präsidentin des Finanzgerichts Dr. Anke Morsch als Vorsitzende, die Richterinnen am Finanzgericht Nicole Mychajluk und Tina Jacoby sowie die ehrenamtlichen Richter Wolfpeter Schütze und Werner Konz
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2021 für Recht erkannt:Tenor:
Der Bescheid vom 20. Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 wird aufgehoben und der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 bewilligt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtszug. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob zwischen der Klägerin und ihrem Bruder ein Pflegekindschaftsverhältnis i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG bestand.
Die Klägerin war die Schwester des am XX.XX.1950 geborenen und am XX.XX.2018 verstorbenen C. C war von Geburt an schwerbehindert (100 GdB). Er litt zudem an epileptischen Anfällen. Aufgrund der mit seiner geistigen Behinderung einhergehenden Lernschwäche war C Analphabet. In seinem Schwerbehindertenausweis waren unter anderem die Merkzeichen "G" und "H" eingetragen. Es war ferner vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung besteht. C bezog Eingliederungshilfe sowie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 742,05 € monatlich (Bl. 13 KiG).
C wurde von seiner Mutter, die für ihn Kindergeld bezog, bis zu deren Tod im Mai 2017, seit einer schweren Erkrankung der Mutter 2004 zunehmend auch von der Klägerin, betreut. Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung von C. Am XX.08.2017 wurde sie vom Amtsgericht D auch zur gesetzlichen Betreuerin von C für die Aufgabenkreise Gesundheitsvorsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Sozialhilfe und Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt bestellt (Bl. 27).
C lebte ab 2004 zunächst in einer stationären Wohneinrichtung für geistig behinderte Menschen und später in einem Wohnprojekt des E e.V. dort zunächst in einer Wohngruppe und zuletzt in einer eigenen Wohnung. Er bedurfte zusätzlich ambulanter Betreuung, die durchschnittlich neun Stunden pro Woche durch den E e.V. erbracht wurde.
Der Klägerin oblag die Fürsorge für C, sie trug die Verantwortung für sein materielles Wohl: Sie telefonierte täglich mit C, erledigte Arztbesuche oder Einkäufe mit ihm zusammen, übernahm regelmäßig seine Wäsche und organisierte und bezahlte eine Putzhilfe für seine Wohnung. Bei der Klägerin verfügte C über ein eigenes Zimmer und lebte im Streitzeitraum an allen Wochenenden, Feiertagen und zu Familienfeiern im Haushalt und in der Familiengemeinschaft mit der Klägerin.
Am 16. Juni 2017 beantragte die Klägerin Kindergeld für ihren Bruder ab dem Monat Juni 2017, dessen Gewährung die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2017 ablehnte (Bl. 26 KiG). Den Einspruch der Klägerin vom 12. Juli 2017 (Bl. 29 KiG) wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 (Bl. 32 KiG) als unbegründet zurück.
Am 8. August 2017 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1, 2 K 1254/17). Mit Urteil vom 13. Dezember 2018 hat der Senat den Bescheid vom 20. Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen.
Auf die Revision der Beklagten hat der BFH mit Gerichtsbescheid vom 17. März 2020 (III R 9/19, BFH/NV 2021, 4) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang sei die Art der Behinderung aufzuklären, insbesondere, ob die Behinderung so schwer war, dass der Zustand von C dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Im Rahmen dessen sei auch der Umstand zu würdigen, dass C in einer eigenen Wohnung mit anscheinend nur geringer Hilfeleistung eigenständig leben konnte. Es seien Feststellungen zu treffen, die auf eine Erziehungsfunktion der Klägerin und ein Autoritätsverhältnis zu ihr schließen lassen. Außerdem müsse festgestellt werden, ob die ideelle Beziehung bereits vor dem Tod der Mutter über einen längeren Zeitraum bestanden habe.
Der Senat hat am 3. Februar 2021 die Vernehmung der Herren F und G, die als Mitarbeiter des E e.V. Betreuungsleistungen gegenüber C erbracht haben, als Zeugen sowie die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin beschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 20. Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2017 aufzuheben und der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie habe spätestens nach dem Tod der Mutter deren Funktion im Hinblick auf die Betreuung von C übernommen. Der Umstand, dass C eine eigene Wohnung bewohnt habe, könne für die Gewährung von Kindergeld nicht entscheidend sein, zumal die Wohnsituation auch schon lange vor dem Tod der Mutter bestanden und der Gewährung von Kindergeld nicht entgegengestanden habe. C habe in der Wohnung der Klägerin ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestanden. Er habe sich an jedem Wochenende, an allen Feiertagen und - solange er noch gearbeitet habe - auch während der Betriebsferien im Haushalt der Klägerin aufgehalten. Die Klägerin habe C überdies auch materiell unterstützt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld lägen im Streitfall nicht vor, da C eine eigene Wohnung bewohnt habe. Ein Pflegekindschaftsverhältnis zur Klägerin habe daher nicht bestanden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte, die hinzugezogene Verwaltungsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist zulässig und begründet.
a) Nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für Kinder i.S. des § 32 Abs. 1 EStG, mithin auch für Pflegekinder i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
aa) Ein Pflegekind ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Da es sich bei diesen Umständen um echte Tatbestandsvoraussetzungen und nicht nur erläuternde Nebenbestimmungen handelt (vgl. BFH vom 19. Oktober 2017 III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739), bedarf es auch dann der Feststellung eines "familienähnlichen Bands", wenn - wie im Streitfall - ein "familiäres Band" besteht.
bb) Ein "familienähnliches Band" setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich, dass das Band besonders eng ist und - nach der Rechtsprechung des BFH in Abgrenzung zu einem "Kostgänger" - seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung als einer natürlichen Einheit von Versorgung, Erziehung und "Heimat" findet und das Kind in die familiäre Lebensgestaltung eingebunden ist (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
Die Erbringung umfänglicher Pflege- und Unterstützungsleistungen und ein damit verbundenes hohes Maß an persönlicher Zuwendung gegenüber dem behinderten Menschen genügt für die Annahme eines familienähnlichen Bandes nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH lässt sich ein "familienähnliches Band" mit einem bereits Volljährigen nur bei Vorliegen besonderer Umstände begründen; ein solches sei unter Gesamtwürdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nur anzunehmen, wenn die Behinderung so schwer sei, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspräche (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4). Der BFH leitet aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis zudem ab, dass auch zwischen dem Pflegeelternteil und dem Pflegekind ein "Autoritätsverhältnis" bestehen müsse, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils "unterwerfe" (BFH vom 17. März 2020 III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
cc) Der Prüfungsumfang der Finanzgerichte ist bei Klagen gegen Kindergeld-Ablehnungsbescheide nach höchstrichterlicher Rechtsprechung begrenzt bis zu dem Monat, in dem die Behörde die Einspruchsentscheidung erlassen hat (vgl. BFH vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920; vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446).
b) Bei Gesamtwürdigung aller besonderen Umstände des Streitfalls steht zur Überzeugung des Senats fest, dass zwischen der Klägerin und C ein "familienähnliches Band" im Sinne der nach § 126 Abs. 5 FGO zugrunde zu legenden rechtlichen Beurteilung des BFH bestand.
aa) Die Behinderung des C war so schwer, dass sein geistiger Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. C konnte aufgrund der mit seiner geistigen Behinderung einhergehenden Lernschwäche nicht lesen, schreiben und rechnen. Die Zeugen F und G haben übereinstimmend und glaubhaft dargelegt, dass C bei fast allem Unterstützung benötigte. Er habe sich zwar selbst ein Brot belegen können, er sei aber beispielsweise nicht in der Lage gewesen, selbständig zu kochen. Der Herd in der Wohnung des C sei bis zum Schluss nicht betriebsbereit gewesen, weil das zu gefährlich gewesen wäre. In dem Wohnprojekt in H sei immer ein Ansprechpartner des E e.V. vor Ort gewesen und habe eine permanente Betreuung sicherstellen können. Nur deshalb habe C dort wohnen können. Die Annahme des BFH in der zurückverweisenden Entscheidung, dass C "mit anscheinend nur geringer Hilfeleistung eigenständig leben konnte", ist mithin nicht zutreffend.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erneut dargelegt, dass sie sich bereits vor dem Tod der Mutter - insbesondere seit diese 2004 an Darmkrebs erkrankt war - um C gekümmert und beispielsweise regelmäßig mit ihm gemeinsam die Mutter im Krankenhaus oder später zu Hause besucht hat. Die Zeugen F und G haben dies bestätigt: Die Klägerin sei die ständige Ansprechpartnerin von C gewesen, sie habe sich um alles gekümmert, habe mit C zum Beispiel Kleider eingekauft, sich um Arztbesuche gekümmert und ihn dorthin begleitet und sei immer da gewesen, wenn C sie gebraucht habe. Sie habe im Grunde "alles gemacht, was Eltern mit ihren Kindern machen". Bereits seit 2015, spätestens aber nach dem Tod der Mutter 2017 habe die Klägerin vollständig deren Rolle übernommen. An der Glaubhaftigkeit der Aussagen besteht für den Senat kein Zweifel.
Das besonders enge Band zwischen der Klägerin und C bestand bis zu dessen Tod. C war in die familiäre Lebensgestaltung der Klägerin voll und ganz eingebunden: Wie der Senat schon im ersten Rechtsgang festgestellt hat, verbrachte C im Streitzeitraum alle Wochenenden, Feiertage und Familienfeiern im Haushalt und in der Familiengemeinschaft der Klägerin. C gehörte - wie die Klägerin in ihrer erneuten Befragung glaubhaft bestätigt hat - auch für ihren Mann, ihre Kinder und Enkelkinder zur Familie. Er war - wie der Zeuge G es ausgedrückt hat - "ein Kind der Klägerin und ihres Ehemanns".
Im Hinblick auf die in der zurückverweisenden Entscheidung geforderte Feststellung eines "Erziehungs- und Autoritätsverhältnisses" zwischen der Klägerin und C folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin gesetzliche Betreuerin von C für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsvorsorge, Vermögenssorge, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Sozialhilfe und Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt war, dass ihr eine Rechtsstellung zukam, die - bezogen auf die Lebenswirklichkeit und Bedürfnisse von C - der Rechtsstellung von Eltern gegenüber ihren Kindern vergleichbar war (§§ 1626, 1631 BGB). Sie umfasste auch die Möglichkeit, Entscheidungen in Sorge und zum Wohl von C zu treffen. Solche Entscheidungen hat die Klägerin, wiewohl wenn ihr stets an einem Einvernehmen mit C gelegen war, auch getroffen. Die Zeugen haben dargelegt, dass die Klägerin in diesem Sinne über eine "gute Autorität" verfügt habe.
Ungeachtet dessen weist der Senat darauf hin, dass ein geistig oder seelisch behinderter Mensch, wenn er erwachsen ist, zwar weiterhin der Betreuung und Unterstützung bedarf, sich aber keiner aus einem Autoritätsverhältnis abzuleitenden "Erziehungsmacht unterwerfen" muss. Diese Formulierung des BFH in der zurückverweisenden Entscheidung geht offenbar auf eine Entscheidung des BSG vom 29. August 1962 (7 RKg 7/61, BSGE 17, 265) zurück. Es entspricht jedoch mittlerweile nicht mehr dem wissenschaftlichen Standard im Umgang mit behinderten erwachsenen Menschen, diese - wie Kinder - "zu erziehen" (zu der damit verbundenen diskriminierenden Wirkung Lutter, EFG 2019, 1828). Dies steht des Annahme eines "familienähnlichen Bands" i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG indes nicht entgegen (so auch Selder, jurisPR-SteuerR 24/2012 Anm. 3).
bb) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind im Streitfall gegeben, insbesondere war C (nicht zu Erwerbszwecken) in den Haushalt der Klägerin aufgenommen.
Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG entspricht im Wesentlichen dem gleichlautenden Begriff in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG (zu normspezifischen Besonderheiten des § 64 EStG vgl. BFH vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BStBl II 2008, 762). Danach liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist (BFH vom 24. Oktober 2006 III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238). Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BStBl II 2001, 713). Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt (BFH vom 18. Februar 2008 III B 69/07, BFH/NV 2008, 948), müssen aber alle gegeben sein (BFH vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788). Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme bezieht sich auf die gemeinsame Familienwohnung als ortsbezogener Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen (BFH vom 16. April 2008 III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326). Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein behindertes Kind trotz dauernder Heimunterbringung weiterhin zum Haushalt der (Pflege-)Eltern gehören, wenn es dort in einem zeitlich bedeutsamen Umfang betreut wird (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. BFH vom 14. November 2001 X R 24/99, BStBl II 2002, 244; vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324; vom 11. September 2012 VI B 67/12, BFH/NV 2012, 2023).
Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass C in den Haushalt der Klägerin aufgenommen war und dieser den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen bildete. Die Beweisaufnahme und die erneute Befragung der Klägerin haben bestätigt, dass die Aufenthalte des Bruders in der Wohnung der Klägerin keine bloßen Besuche darstellten, sondern von einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit geprägt waren und von einer Häufigkeit und Dauer, die weit über bloße Besuche hinausging. Eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer liegt auf jeden Fall bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als drei Monaten pro Jahr vor (BFH vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324). So verhält es sich im Streitfall. Auch der Umstand, dass im Haushalt der Klägerin Feste ihres Bruders begangen und von der Klägerin finanziert wurden (wie etwa ein jährliches Grillfest für den E e.V.), unterstreicht die Haushaltszugehörigkeit von C. Allein das Bestehen eines eigenen Haushalts des Pflegekindes schließt eine Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern nicht zwingend aus (vgl. z.B. FG Thüringen vom 5. September 2007 III 680/06, EFG 2008, 460).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 2 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen.