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  • 04.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220299

    Finanzgericht Brandenburg: Urteil vom 22.10.2020 – 10 K 10021/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Berlin-Brandenburg

    Urteil vom 22.10.2020


    In dem Rechtsstreit
    A... GmbH,
    Klägerin,
    bevollmächtigt:
    gegen
    Finanzamt Brandenburg,
    Beklagter,

    wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbeträge 2011 und 2012

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 10. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 22. Oktober 2020 durch
    die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht ...,
    die Richterin am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ...,
    die ehrenamtliche Richterin ... und
    die ehrenamtliche Richterin ...

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2011 und 2012 vom 05.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2016 werden dahingehend geändert, dass bei der Ermittlung des Jahresüberschusses bzw. des Gewinns aus Gewerbebetrieb die Wertpapiere des Umlaufvermögens statt in beiden Jahren mit 1.000.000,00 € auf den 31.12.2011 nur mit 540.000,00 € und auf den 31.12.2012 nur mit 500.000,00 € angesetzt werden unter Beachtung der gegenläufigen Reduzierung der Rückstellungen für Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer.

    Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Bestimmung des Teilwerts sogenannter hybrider Wertpapiere, hier von Anleihen ohne feste Laufzeit, die nur vom Emittenten, nicht aber vom Anleger gekündigt werden können, in den Streitjahren 2011 und 2012 bei der Ermittlung des Bilanzgewinns für die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag.

    I.

    Die Klägerin ist eine GmbH und hielt in ihrem Umlaufvermögen zwei Anleihen der DZ Bank in einem Bankdepot bei der C... Bank eG mit einem Nominalwert von je 500.000 €, zusammen 1.000.000 €, nämlich ISIN DE000A0GLDZ3 und DE000A0GWWW7 (beides DZ BANK ... [Jersey]-Anleihen). Die Zinszahlung erfolgt jeweils vierteljährlich, der Kupon ist variabel und vom Eurobor abhängig (3-Monats-Eurobor plus 0,8 % bzw. plus 1,1 %). Die Anleihen haben ein Volumen von 50 Mio. € bzw. 100 Mio. €, emittiert am 09.01.2006. bzw. am 04.09.2006.

    Der Kursverlauf der erstgenannten Anleihe stellt sich wie folgt dar:

    fg_berlinbrandenburg_20201022_10k1002117_urteil_as1
    Zum 31.12.2011 betrugen die Kurse der beiden Anleihen 55,00 % bzw. 53.00 %, zum 31.12.2012 betrugen die Kurse identisch 50,00 %. Die Kurswerte betrugen mithin zum 31.12.2011 275.000 € + 265.000 € = 540.000 € und zum 31.12.2012 250.000 € + 250.000 € = 500.000 €.

    Beide Anleihen sind bei Fälligkeit zu 100 % des Nennkapitals rückzahlbar, haben keine feste Laufzeit und können nur vom Emittenten zu bestimmten Zeitpunkten gekündigt werden, nicht aber vom Anleger. Die Kündigung war erstmals zum 09.01.2013 bzw. 04.09.2013 möglich und dann vierteljährlich zu den Zinszahlungsterminen.

    Wegen der Einzelheiten der Anleihebedingungen wird auf die jeweiligen "Endgültigen Bedingungen", die jeweiligen "Emissionsbedingungen" und den gemeinsamen "Basis-prospekt" Bezug genommen.

    Es handelt sich um Tier-1-Anleihen (nachrangige Bankschuldverschreibungen), die verbreitet wie folgt charakterisiert werden:

    "Tier 1-Anleihen sind ein bestimmter Typ nachrangiger Anleihen, die von Kreditinstituten begeben werden. Im Liquidationsfall sind sie nachrangig zu Senior-Anleihen (erstrangige Anleihen), nachrangigen Anleihen, Genussscheinen und stillen Beteiligungen. Ihre Ansprüche rangieren jedoch vor denen der Aktionäre. Tier 1-Anleihen werden in der Bilanz des Emittenten dem Kernkapital zugeordnet. Hierfür müssen noch folgende Ausstattungsmerkmale erfüllt werden:

    - Unendliche Laufzeit, jedoch Kündigungsrecht des Emittenten frühestens nach fünf Jahren, dann zu jedem Kupontermin

    - Kündigung kann nur erfolgen, wenn genügend Mittel für eine Rückzahlung vorhanden sind (aufsichtsrechtliche Zustimmung erforderlich)

    - Zinszahlung darf nur geleistet werden, wenn genug verteilbarer Gewinn vorhanden ist, ausgefallene Zinszahlungen dürfen nicht nachgezahlt werden

    - Zinszahlung kann fest oder variabel sein

    - Keine Besicherungen oder Garantien der Anleihe

    Vorteile:

    - Höhere Rendite als Senior-Anleihen

    - Kündigungsmodalitäten sind festgelegt

    Nachteile:

    - Kein Gläubigerschutz

    - Kein fester Rückzahlungstermin, nur durch Kündigung des Emittenten

    - Höhere Kursschwankungen durch höheres Ausfallrisiko"

    II.

    1.

    Die Klägerin bewertete die Anleihen jeweils zum Kurswert. Die am 07.01.2013 bzw. 30.07.2013 ergangenen Bescheide für 2011 bzw. 2012 ergingen erklärungsgemäß und unter Vorbehalt der Nachprüfung.

    2.

    Vom 01.07.2013 bis 24.10.2013 fand eine Außenprüfung (Betriebsprüfung - Bp -) für die Jahre 2011 und 2012 statt. Im Bp-Bericht vom 09.12.2013 vertrat die Prüferin die Auffassung, der Investor trage das Kursrisiko nur bei einem vorzeitigen Verkauf. Die Laufzeit sei nicht unendlich, sondern lediglich unbestimmt, da eine Kündigung des Emittenten vierteljährlich möglich sei. Die Bonität der DZ Bank sei gut (Juni 2012 bei Moody's A1, bei Standard & Poor's AA, bei Fitch A+), ein Ausfallrisiko habe nicht bestanden. Im Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 08.06.2011 I R 98/10 zu festverzinslichen Wertpapieren sei der Teilwert daher der Nominalwert und nicht der Kurswert.

    Die Gewinnauswirkung vor Steuerrückstellungen betrug im Jahr 2011 + 461.030,22 € und im Jahr 2012 + 38.970,00 €, zusammen + 500.000,22 €.

    Das beklagte Finanzamt - FA - erließ am 05.05.2014 entsprechende Änderungsbescheide unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, mit der auch die andren, unstreitigen Ergebnisse der Bp umgesetzt wurden.

    3.

    Die Klägerin legte mit Schreiben vom 26.05.2014 Einspruch ein. Sie wies insbesondere darauf hin, dass eine Rückzahlung nur bei Kündigung seitens des Emittenten erfolge. Es liege keine feste Laufzeit vor, was praktisch einer unendlichen Laufzeit gleichzuerachten sei. Es handele sich nicht um endfällige Papiere.

    4.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 20.12.2016 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zwar sei weder durch die Rechtsprechung noch durch Verwaltungsanweisungen bisher entschieden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei variabel verzinsten Hybridanleihen mit unbestimmter Laufzeit eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliege. Nach Auffassung des FA sei die Rechtsprechung des BFH zu festverzinslichen Wertpapieren jedoch entsprechend anzuwenden. Denn für den BFH sei nicht die Festverzinslichkeit ausschlaggebend gewesen, sondern dass die Wertpapiere eine Forderung in Höhe des Nominalwerts verbrieften. Der Inhaber von Hybridanleihen habe aber zu jedem Bilanzstichtag die Sicherheit, am Ende der Laufzeit den Nominalwert zu erhalten. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine Kündigung durch den Emittenten nicht allein wegen des niedrigen Börsenkurses wirtschaftlich ausgeschlossen. Vielmehr werde der Emittent bei fallenden Zinsen die hochverzinslichen Hybridanleihen ablösen.

    III.

    Die Klägerin erhob am 19.01.2017 Klage. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Es habe eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorgelegen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2011 und 2012 vom 05.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2016 dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung des Jahresüberschusses bzw. des Gewinns aus Gewerbebetrieb die Wertpapiere des Umlaufvermögens statt mit 1.000.000,00 € auf den 31.12.2011 nur mit 540.000,00 € und auf den 31.12.2012 nur mit 500.000,00 € angesetzt werden unter Beachtung der gegenläufigen Reduzierung der Rückstellungen für Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung.

    IV.

    1.

    Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

    2.

    Folgende Steuerakten lagen vor:

    Rb-Akte, Bilanzakte Bd. 9, Bp-Akte Bd. 1-3, KSt-Akte Bd. 7, GewSt-Akte

    Zur Streitakte gehört auch der Ordner "SS 11.9.2020 10 K 10021/17", in dem sich die Anleihebedingungen befinden.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet.

    Die angefochtenen Bescheide sind im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

    I.

    Die Wertpapiere des Umlaufvermögens der Klägerin waren zu den Bilanzstichtagen (31.12.2011 und 31.12.2012) nur mit dem Kurswert als niedrigerem Teilwert anzusetzen, weil eine dauernde Wertminderung vorlag (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 i. V. m. Nr. 2 Satz 2 EStG).

    1.a)

    Für den Teilwert ist grundsätzlich der Wiederbeschaffungswert maßgeblich. Es kommt auf die objektiven Erwägungen zum Wert durch einen gedachten Erwerber des Betriebs an (BFH, Urteil vom 07.11.1990 BStBl II 1991, 342 [BFH 07.11.1990 - I R 116/86], Juris Rn. 12-15). Daher sind Wertpapiere in der Regel mit dem Kurswert anzusetzen, es sei denn ein Kursverlust ist absehbar vorübergehend oder bewegt sich innerhalb der Marge von 5 %, was beides hier - unstreitig - nicht vorliegt.

    b)

    Abweichend von diesen Grundsätzen hat der BFH speziell für festverzinsliche Wertpapiere mit fester Laufzeit, die bei Laufzeitende zum Nominalbetrag rückzahlbar sind, ausgesprochen, dass hier regelmäßig allein wegen des gefallenen Kurses keine dauernde Wertminderung vorliege, es sei denn es bestehe zusätzlich beim Emittenten ein Insolvenzrisiko (BFH, Urteil vom 08.06.2011 I R 98/10, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2011, 1556, Juris Rn. 14, 20; BFH, Urteil vom 18.04.2018 I R 37/16, DStR 2018, 1476, Juris Rn. 14).

    2.

    Für den BFH war jedoch entscheidend, dass der Inhaber "am Ende der Laufzeit" ("bei Endfälligkeit") den Nominalwert erhalten würde, was zwischenzeitliche Kursverluste grundsätzlich zu vorübergehenden mache.

    Nach Auffassung des Senats lassen sich daher die Erwägungen des BFH nicht auf Wertpapiere ohne feste Laufzeit, die nur vom Emittenten, nicht aber vom Anleger gekündigt werden können, übertragen.

    Denn der Inhaber eines endfälligen Wertpapiers, das bei Laufzeitende zu 100 % zurückzuzahlen ist, braucht bei gesunkenem Börsenkurs lediglich das Ende der Laufzeit abzuwarten, um 100 % des Nennwerts zu bekommen (mit der praktischen Folge, dass der Kurs entsprechender Wertpapiere, die sich zeitlich ihrer Endfälligkeit nähern, mit zunehmender Nähe der Endfälligkeit sich immer mehr an 100 % des Nominalwerts annähert).

    Mangels Endfälligkeit und mangels Kündigungsmöglichkeit des Inhabers tritt dieser Effekt hier jedoch nicht ein. Durch bloßes Zuwarten kann die Annäherung des Werts an den Nominalbetrag nicht erreicht werden, denn die Laufzeit ist potentiell unendlich. Hat der Emittent fortdauernden Kapitalbedarf und sind die Zinsbedingungen der Anleihe für den Emittenten günstig oder zumindest marktgemäß, so dass eine neue Anleihe für den Emittenten keine besseren Zinsbedingungen erbringen wird, so wird der Emittent die Anleihe nicht kündigen, auch nicht nach sehr langer Zeit. Durch den flexiblen Zinssatz und dessen Anknüpfung an einen die Marktsituation abbildenden Index wird der Zinssatz - entgegen der Auffassung des FA - auch marktgemäß bleiben. Eine Kündigung war daher zu den Bilanzstichtagen unabsehbar.

    Würde jemand die Anteile an der klägerischen GmbH kaufen, würde er oder sie (auch) erwägen, was denn die zu bewertenden Wertpapiere wert sind. Das ist primär der Kurswert. Ein höherer Wert kommt, anders als bei Wertpapieren mit einem festen Endfälligkeitsdatum, bei Wertpapieren mit unbestimmter Laufzeit und Kündigungsmöglichkeit allein des Emittenten nur dann in Betracht, wenn aufgrund der Marktgegebenheiten eine zumindest gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Emittent in absehbarer Zeit von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen wird (mit der Folge der Rückzahlung zu 100 % des Nominalwerts). Solche Umstände an den Bilanzstichtagen hat das FA aber weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.

    Gilt bei festen Wertpapieren mit fester Laufzeit nach der Rechtsprechung des BFH, dass Kursverluste nur zu einem niedrigeren Teilwert führen, wenn beim Emittenten ein Insolvenzrisiko besteht, gilt bei Wertpapieren ohne feste Laufzeit und Kündigungsmöglichkeit nur des Emittenten nach Auffassung des Senats gerade umgekehrt, dass ein Kursrückgang regelmäßig zu einer dauerhaften Wertminderung führt, es sei denn eine Kündigung durch den Emittenten ist absehbar.

    II.1.

    Die Übertragung der Berechnung der Steuer bzw. des Messbetrages auf das FA fußt auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

    2.

    Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zugelassen. Es erscheint klärungswürdig und klärungsbedürftig, ob die Rechtsprechungsgrundsätze, die der BFH für festverzinsliche Wertpapiere mit fester Laufzeit entwickelt hat, auch auf sog. hybride Wertpapiere Anwendung finden.

    3.a)

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    b)

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

    4.

    Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung aufgrund des Verzichts der Beteiligten, § 90 Abs. 2 FGO.

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