10.07.2018 · IWW-Abrufnummer 202225
Finanzgericht Sachsen: Beschluss vom 13.04.2018 – 8 V 311/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen
Beschl. v. 13.04.2018
Az.: 8 V 311/18
In dem Finanzrechtsstreit
Herr G. K.,- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Steuerberaterin S.,
gegen
Finanzamt, vertreten durch den Vorsteher,
- Antragsgegner -
wegen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 2010 bis 2014)
hat der 8. Senat am 13.04.2018beschlossen:
Tenor:
Die Vollziehung der geänderten Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2014 jeweils vom 16.01.2018 wird ab Fälligkeit aufgehoben und bis einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bzw. bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Antragsgegner die Einkommensteuerfestsetzungen 2010 bis 2014 nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO dergestalt ändern durfte, dass vorläufig berücksichtigte Verluste aus Gewerbebetrieb als nicht ausgleichbare Verluste aus sonstigen Einkünften im Sinne von § 22 Nr. 3 Sätze 1 und 3 EStG (Einkünfte aus Leistungen; hier: Aus der Vermietung beweglicher Gegenstände) zugrunde gelegt werden.
Der Antragsteller vermietete seit 2010 über einen Vercharterer eine Motoryacht und nutzte sie an wenigen Tagen in der Vor- und Nachsaison privat. Die hieraus erzielten Verluste berücksichtigte der Antragsgegner bei der Einkommensteuerfestsetzung jeweils erklärungsgemäß als Verluste aus Gewerbebetrieb mit dem Vermerk: "Die Festsetzung der Einkommensteuer ist vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, weil zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann. Die Vorläufigkeit umfasst auch die damit zusammenhängenden nachrangigen Fragen der Höhe der Betriebseinnahmen und der abziehbaren Betriebsausgaben."
Nachdem der Antragsteller zum 31.12.2015 Betriebsaufgabe erklärte, gelangte der Antragsgegner im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2015 zu der Auffassung, dass es sich bei den Einkünften aus der Vercharterung einer Motoryacht nicht um gewerbliche Einkünfte im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Abs. 2 EStG, sondern um sonstige Einkünfte im Sinne von § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG handele und daher die die Einnahmen übersteigenden Werbungskosten gemäß § 22 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 1 EStG nicht mit anderen Einkünften ausgeglichen werden könnten. Daraufhin erließ der Antragsgegner auch nach § 165 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für 2010 bis 2014, mit denen er die bisher vorläufig als Verluste aus Gewerbebetrieb anerkannten Beträge in gleicher Höhe als nicht ausgleichbare Werbungskostenüberschüsse aus sonstigen Einkünften aus Leistungen berücksichtigte.
Dagegen legte der Antragsteller am 13.02.2018 Einsprüche ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Mit Bescheid vom 20.02.2018 lehnte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ab.
Am 28.02.2018 hat der Antragsteller beim Sächsischen Finanzgericht Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung beantragt.
Er ist der Auffassung, die Entscheidung, ob der Gewinn/Verlust aus der Motoryachtvercharterung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen sei, habe Vorrang gegenüber der Frage, ob der Betrieb mit Gewinnerzielungsabsicht unterhalten werde. Die Vorläufigkeitsvermerke hätten sich nur auf die Gewinnerzielungsabsicht und nicht auf die Einkünftequalifikation bezogen.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 2010 bis 2014 vom 16.01.2018 ohne Sicherheitsleistung bis zur Entscheidung im Einspruchsverfahren auszusetzen und verwirkte Säumniszuschläge aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Nach Auffassung des Antragsgegners stellt die Zuordnung zu einer konkreten Einkunftsart, ebenso wie die Höhe der Einnahmen und Ausgaben, eine dem Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht nachrangige Frage dar. Über die Qualifizierung der Einkunftsart müsse nicht Klarheit bestehen, bevor über die Frage der Gewinnerzielungsabsicht entschieden werden könne. Liege nämlich keine Gewinnerzielungsabsicht vor, komme es auf die Frage der Einkunftsart nicht mehr an.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Finanzgericht auf Antrag die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung anordnen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder soweit die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen dann, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 8. Aufl. 2015, § 69 Rz. 160 m.w.N.).
Auch die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung wegen einer unbilligen, nicht durch überwiegende Interessen gebotenen Härte für den Betroffenen erfordert zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Sind nicht nur ernstliche, sondern überhaupt Rechtmäßigkeitszweifel fast ausgeschlossen, ist die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung selbst dann zu versagen, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (vgl. Stapperfend, a.a.O., § 69 Rz. 172 m.w.N.).
Im Streitfall bestehen Rechtmäßigkeitszweifel hinsichtlich der geänderten Einkommensteuerfestsetzungen 2010 bis 2014 insoweit, als unklar ist, ob die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Änderungsvorschrift des § 165 Abs. 2 Satz 1 AO vorliegen.
Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten sind. Nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO sind Umfang und Grund der Vorläufigkeit anzugeben. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde die Festsetzung aufheben oder ändern, soweit sie eine Steuer vorläufig festgesetzt hat. Nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit beseitigt ist.
Vorliegend bezogen sich die streitbefangenen Vorläufigkeitsvermerke in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden angabegemäß auf die innere Tatsache der Gewinnerzielungsabsicht. Offenbar geht der Antragsgegner davon aus, dass nach Aufgabe der Motoryachtvercharterung zum 31.12.2015 das Vorliegen einer Gewinn- bzw. Einkünfteerzielungsabsicht nicht mehr ungewiss ist, weil sich der Antragsteller damit folgerichtig im Sinne eines Einkünfteerzielungsbestrebens verhalten hat, nachdem ihm nach sechs Verlustjahren die Unmöglichkeit der Erzielung positiver Einkünfte aus dieser Betätigung in ihrer bisherigen Art und Weise klar geworden ist. Dies legt auch der erkennende Senat seiner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen und möglichen summarischen Prüfung zugrunde, ohne insoweit eigene Ermittlungen über den von den Beteiligten beigebrachten Verfahrensstoff hinaus anzustellen. Nachdem also unstreitig nach dem 31.12.2015 die Ungewissheit hinsichtlich der Einkünfteerzielungsabsicht aus der Motoryachtvercharterung entfallen war, wurden die Vercharterungseinkünfte zutreffend nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO im Wege von Änderungsfestsetzungen endgültig berücksichtigt. Auch diese Rechtsfolge ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Streitig und aus Sicht des erkennenden Senates auch objektiv rechtlich zweifelhaft ist aber, ob im Zuge dieser endgültigen Berücksichtigung der negativen Vercharterungseinkünfte gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO eine weitere Änderung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO dergestalt möglich war, diese Einkünfte von Gewinneinkünften aus Gewerbebetrieb zu nicht ausgleichbaren Überschusseinkünften im Sinne von § 22 Nr. 3 Sätze 1 und 3 EStG umzuqualifizieren. Das hängt - wovon die Beteiligten übereinstimmend und zutreffend ausgehen - maßgeblich davon ab, ob die Einkünftequalifikation gegenüber der Feststellung einer Gewinn- bzw. Einkünfteerzielungsabsicht eine vorrangige oder nachrangige Frage darstellt.
Denn nach der Rechtsprechung wird die angeordnete Vorläufigkeit auch auf nachrangige, die Verwirklichung des gesetzlichen Steuertatbestandes betreffende Fragen ausgedehnt. Das Finanzamt darf nachrangige Ermittlungen und Nachprüfungen zurückstellen, solange offen ist, ob ihnen bei der Steuerfestsetzung überhaupt eine Bedeutung zukommt (BFH-Urteil vom 15.09.2010 X R 16/08; BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BStBl. II 1988, 234). In diesem Rahmen kann das Finanzamt auch nachrangige Fehlbeurteilungen des Steuerpflichtigen vorläufig hinnehmen, unabhängig davon, ob die betreffenden Besteuerungsgrundlagen mit Ungewissheiten behaftet waren oder nicht (BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl. II 1997, 791). Folgt das Finanzamt mit der vorläufigen Steuerfestsetzung zunächst den rechtlichen Vorstellungen des Steuerpflichtigen, kann dieser in nachrangigen Einzelfragen auch dann nicht mit einem Fortbestand der rechtlichen Beurteilung rechnen, wenn sich das Finanzamt in der vorrangigen Hauptfrage nach Beseitigung der tatsächlichen Ungewissheit in seinem Sinne entscheidet (BFH-Urteil vom 17.03.2010 IV R 60/07; BFH-Beschluss vom 13.10.2009 X B 55/09). Bezieht sich die tatsächliche Ungewissheit ausschließlich auf eine Vorrangfrage und stellt das Finanzamt im Hinblick hierauf die Prüfung aller nachrangigen und von der Beantwortung der Vorrangfrage rechtlich abhängigen Folgefragen zurück, kann die Änderung des vorläufigen Steuerbescheides nach Beseitigung der Ungewissheit bezüglich der Vorrangfrage hinsichtlich der Folgefragen nicht auf § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO gestützt werden, sondern allein auf § 165 Abs. 2 Satz 1 AO.
Dies führt zu einer kumulativen Anwendung der Sätze 1 und 2 des § 165 Abs. 2 AO bei Erlass des endgültigen Bescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BStBl. II 1988, 234).
Ob das Vorliegen einer Gewinn- bzw. Einkünfteerzielungsabsicht gegenüber der Zuordnung der zugrundeliegenden Betätigung zu einer konkreten Einkunftsart vorrangig oder nachrangig zu beurteilen ist, ist streitig. Während das FG München mit Urteil vom 19. Juni 2007 13 K 2602/03, auf das sich der Antragsgegner bezieht, die Einkunftserzielungsabsicht als gemeinsames, allen sieben Einkunftsarten immanentes Tatbestandsmerkmal für vorrangig hält, weil sich bei ihrem Fehlen die Zuordnung der fraglichen Betätigung zu einer bestimmten Einkunftsart erübrige, sehen das Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 6. Juni 2007 1 K 2445/05 und im Nachgang auch der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 17. März 2010 IV R 60/07 die Einkünftequalifikation jedenfalls dann als vorrangig an, wenn mit ihr die Entscheidung einhergeht, nach welchen Vorschriften die Einkünfte zu ermitteln sind. Das Finanzgericht Hamburg hat mit Urteil vom 02. April 2014 3 K 244/13 unter Bezugnahme auf das v.g. BFH-Urteil entschieden, dass die Frage, ob nicht ausgleichbare negative Einkünfte aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung im Sinne von § 15 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 EStG innerhalb der Einkunftsart Gewerbebetrieb gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 15 Abs. 1 und Abs. 2 EStG vorliegen, gegenüber der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht Nachrang hat, wobei diese Einkünftequalifikation innerhalb derselben Einkunftsart keine Auswirkung auf die Einkünfteermittlung hatte.
Ohne dies im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes endgültig entscheiden zu müssen, neigt der erkennende Senat dazu, die Frage der Zuordnung der Vercharterungsbetätigung des Antragstellers zu den Gewinneinkünften aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder zu den Überschusseinkünften im Sinne von § 22 Nr. 3 Sätze 1 und 3 EStG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) als vorrangig gegenüber der Frage des Vorliegens einer Einkünfteerzielungsabsicht anzusehen. Denn für die Prüfung der inneren Tatsache der Einkünfteerzielungsabsicht ist als Hilfstatsache die Beurteilung, ob eine Betätigung objektiv zur Erzielung positiver Einkünfte geeignet ist, maßgeblich. Letztere aber hängt entscheidend davon ab, ob bei einer Totalgewinnprognose ggf. stille Reserven im Betriebsvermögen zu berücksichtigen sind oder ob bei Überschusseinkünften ohne Betriebsvermögen nur auf den Überschuss der laufenden Einnahmen über die laufenden Werbungskosten abzuheben ist. Insbesondere wenn der Teilwert der streitbefangenen Motoryacht erheblich über den um die vorgenommenen Absetzungen für Abnutzung verminderten Anschaffungskosten liegen sollte - was der erkennende Senat nicht beurteilen kann und an dieser Stelle auch nicht beurteilen muss -, kann das entscheidenden Einfluss auf die Totalgewinnprognose haben. Ungeachtet dessen genügt es vorliegend festzustellen, dass jedenfalls die Zuordnung der Vercharterungsbetätigung des Antragstellers zu den Gewinneinkünften aus Gewerbebetrieb oder den Überschusseinkünften im Sinne von § 22 Nr. 3 Sätze 1 und 3 EStG entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht zweifelsfrei Nachrang gegenüber der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.