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  • 04.12.2012

    Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 01.11.2012 – 5 TaBV 13/12

    1.Nach § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitzende für den Fall der Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds nicht irgendein sondern "das" entsprechende Ersatzmitglied zu lasen. Die Reihenfolge der zu ladenden Ersatzmitglieder folgt zwingend aus § 25 Abs. 2 BetrVG und ist nicht dispositiv.

    2.Die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben hat Vorrang vor derjenigen aus dem Arbeitsvertrag, sodass Betriebsablaufstörungen, die durch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung bedingt sind, keinen Verhinderungsgrund i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG darstellen.


    Im Beschlussverfahren mit den Beteiligten
    pp.
    hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 01.11.2012 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
    b e s c h l o s s e n:

    Tenor:

    1.

    Die Beschwerde des Betriebsrates (Beteiligter zu 5) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 09.05.2012, Az. 4 BV 98 a/11, wird zurückgewiesen.

    2.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von internen Wahlen des Betriebsrats.

    In dem Betrieb der Beteiligten zu 6) (künftig: Arbeitgeberin) ist der Beteiligte zu 5) (künftig: Betriebsrat) gewählt, der aus 11 Mitgliedern besteht, davon eine Frau. Bei der Betriebsratswahl entfielen fünf Mitglieder auf die Liste "T. Betriebsräte Kompetenz im Betrieb" (Liste 1, Bl. 7 d.A.), ein Mitglied auf die Liste "Basisbetriebsräte" (Liste 2, Bl. 8 d.A.), zwei Mitglieder auf die Liste "Verkehrsgewerkschaft G. - Wir im Betrieb" (Liste 3, Bl. 8 d.A.) und drei Mitglieder auf die Liste "Freie Wählergemeinschaft Schleswig-Holstein" (Liste 4, Bl. 9 d.A.). Die antragstellenden Beteiligten zu 1) bis 4) (künftig: Antragsteller) sind Mitglieder des Betriebsrates.

    Am 04.11.2000 fand eine Sondersitzung des Betriebsrats statt. In dieser Sitzung wurden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder sowie Betriebsratsmitglieder für den Betriebsausschuss gemäß § 27 BetrVG sowie die Arbeitsausschüsse gemäß § 28 BetrVG gewählt. Für die Liste 1 waren anwesend die Betriebsratsmitglieder H., C., K. und K.. Für das erkrankte Betriebsratsmitglied H. D. (Antragstellerin zu 4) erschien das der Reihenfolge nach zweite weibliche Ersatzmitglied von der Liste 1. Das erste weibliche Ersatzmitglied von der Liste 1, Frau M. B., hatte zum Zeitpunkt der Sondersitzung Dienst. Ferner nahmen von der Liste 2 der Betriebsratsvorsitzende M., von der Liste 3 die gewählten Betriebsratsmitglieder K. B. (Antragsteller zu 2) und M. T. an der Sondersitzung teil. Von der Liste 4 waren die Betriebsräte S. (Antragsteller zu 1), H. und für den erkrankten Betriebsrat T. (Antragsteller zu 3) das Ersatzmitglied J. (lfd. Nr. 6 der Liste 4) anwesend. Der Reihenfolge nach war das erste Ersatzmitglied der Liste 4 Frau A. L. (lfd. Nr. 4) und das zweite Ersatzmitglied Herr G. (lfd. Nr. 5), die beide am 04.11.2011 zum Dienst eingeteilt waren.

    Unter Punkt 2 war hierzu in der Sitzungsniederschrift vermerkt (Bl. 11 d.A.):

    "Frage R. S.: warum wurde M. B. nicht zur heutigen Sondersitzung geladen? Antwort B. H. Kollegin M. B. konnte laut Aussage von BzL Herrn L., (Vertretung für PEP H. S.) nicht abgelöst werden. Nächstes Ersatzmitglied der Frauen ist L. S., nach Rücksprache mit ihr war sie bereit an ihrem Ruhetag zur Sitzung zu kommen"

    Auf der Sondersitzung wählten die anwesenden Betriebsratsmitglieder die drei freizustellenden Betriebsratsmitglieder sowie die Mitglieder für den Betriebsausschuss und weiterer Ausschüsse. Hinsichtlich der Listenwahlvorschläge und des Wahlergebnisses wird auf Seiten 2-8 der Niederschrift der Sondersitzung verwiesen (Bl. 12-18 d.A.).

    Mit der am 17.11.2011 beim Arbeitsgericht eingegangen Antragsschrift haben die vier antragstellenden Betriebsräte die Wahlen angefochten.

    Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten,

    der Betriebsrat sei bei den Beschlussfassungen nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Anstelle der krankheitsbedingt verhinderten Betriebsrätin D. hätte das nächste weibliche Ersatzmitglied von der Liste 4, Frau M. B. geladen werden müssen.

    Die Antragsteller zu 1) bis 4) haben beantragt,

    1.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder B. H., U. M., R. S. unwirksam ist;

    2.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl von drei Mitgliedern in den Betriebsausschuss gemäß § 27 BetrVG, M. C., E. G. K. und R. S. sowie deren Vertreter H. A. K., M. T. und S. T. unwirksam ist;

    3.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl der drei Mitglieder in den Personalplanungsausschuss, U. M., B. H., R. S., unwirksam ist;

    4.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des Vorsitzenden des Personalplanungsausschusses, U. M., unwirksam ist;

    5.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden des Personalplanungsausschusses, B. H., unwirksam ist;

    6.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl der fünf Mitglieder des Arbeitszeitausschusses, M. C., E.-G. K., M. T., H. A. K., S. T., unwirksam ist;

    7.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des Vorsitzenden des Arbeitszeitausschusses, M. C., unwirksam ist;

    8.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden des Arbeitszeitausschusses, E.-G. K., unwirksam ist;

    9.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl der fünf Mitglieder des Sozialplanausschusses, E.-G. K., H. A. K., M. C., M. T., R. S., unwirksam ist;

    10.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des Vorsitzenden des Sozialplanausschusses, E.-G. K., unwirksam ist;

    11.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden des Sozialplanausschusses, H. A. K., unwirksam ist;

    12.

    festzustellen, dass die am 04.11.2011 durchgeführte Wahl der Mitglieder des Arbeits- und Gesundheitsausschusses, B. H., H. A. K., M. T., M. C. und S. T., unwirksam ist;

    Der Betriebsrat hat beantragt,

    die Anträge zurückzuweisen.

    Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten,

    es sei den Antragstellern verwehrt, sich auf einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften zu berufen, da es im Betrieb der Arbeitgeberin seit längerer Zeit gängige Praxis gewesen sei, nachrangige Ersatzmitglieder zu Betriebsratssitzungen einzuladen, sofern Mitglieder des Betriebsrats oder etwaige einzuladende Ersatzmitglieder dienstlich verhindert gewesen seien. Die Mitglieder des Betriebsrats hätten sich stillschweigend darauf verständigt, dass im Falle von Unabkömmlichkeiten von Betriebsratsmitgliedern wegen Personalmangels die Sicherheit des Zugverkehrs und die Vermeidung etwaigen Ausfalls von Zügen grundsätzlich vorgehe und deshalb auch in diesen Fällen - entgegen der ausdrücklichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - von einer zeitweiligen Verhinderung im Sinne von § 25 Abs. 1 BetrVG auszugehen sei, sodass stattdessen ein entsprechendes Ersatzmitglied eingeladen worden sei. So habe insbesondere auch der Antragsteller während seiner Zeit als Betriebsratsvorsitzender verfahren. Die Antragsteller verhielten sich mithin treuwidrig, wenn sie sich jetzt auf einen Verstoß gegen § 25 Abs. 2 BetrVG beriefen.

    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Sachbericht (Ziff. I) des angefochtenen Beschlusses einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen.

    Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 09.05.2012 den Anträgen in vollem Umfang stattgegeben. Betriebsinterne Wahlen seien entsprechend § 19 BetrVG anfechtbar. Die Anfechtungsfrist von zwei Wochen gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sei vorliegend gewahrt worden. Die Anfechtung sei auch begründet, da gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden sei. Die Wahl sei nicht auf einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung erfolgt, da für die verhinderte Betriebsrätin D. (Antragstellerin zu 4) nicht das erste weibliche Mitglied von der Liste 1, sondern das weitere Ersatzmitglied L. S. geladen worden sei. Dies habe nicht den Vorgaben des §§ 25 Abs. 2, 15 Abs. 2 BetrVG entsprochen. Unstreitig habe sich Frau B. im Dienst befunden und sei folglich nicht i.S.v. § 25 Abs. 2 BetrVG verhindert gewesen. Die zu beachtende Reihenfolge der Ersatzmitglieder sei zwingend geregelt und nicht dispositiv. Auch wenn dem Antragsteller zu 1) als ehemaligem Betriebsratsvorsitzenden möglicherweise treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden könnte, gelte dies nicht für die übrigen Antragsteller.

    Gegen diesen ihm am 23.05.2012 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am Montag, den 25.05.2012, beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschwerde eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 23.08.2012 am 23.08.2012 begründet.

    Der Betriebsrat wiederholt und vertieft

    im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Ungeachtet des Vorliegens der objektiven Voraussetzungen einer Anfechtung der hier strittigen Wahlen analog § 19 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 25 Abs. 2 BetrVG lägen die subjektiven Voraussetzungen der Anfechtungsberechtigung nach § 19 Abs. 2 BetrVG hier nicht vor. Dies habe das Arbeitsgericht verkannt. Solange nicht eine Abkehr von der bisherigen, gesetzeswidrigen Heranziehungspraxis bezügliche der Ersatzmitglieder gegenüber dem Gremium angekündigt werde, hätten die Betriebsratsmitglieder dieser Legislaturperiode nicht die subjektive Anfechtungsberechtigung wegen eines Verstoßes gegen § 25 Abs. 2 BetrVG. Denn nicht nur der Antragsteller zu 1) sondern alle Antragsteller hätten die bisherige gesetzeswidrige Handhabung getragen. Erstmals mit der Antragsschrift sei diese Verfahrensweise gerügt worden.

    Der Betriebsrat beantragt,

    den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 09.05.2012, Az. 4 BV 98 a/11 abzuändern und die Anträge der Beteiligten zu 1) bis 4) zurückzuweisen.

    Die Antragsteller zu 1) bis 4) beantragen,

    die Beschwerde zurückzuweisen.

    Die Antragsteller verteidigen

    den angefochtenen Beschluss.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 01.11.2012 verwiesen.

    II.

    Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig, insbesondere ist sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 89 Abs. 1, Abs. 2; 89 Abs. 2; 66 Abs. 1; 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 518; 519 ZPO.

    In der Sache selbst hat die Beschwerde indessen keinen Erfolg.

    Das Arbeitsgericht hat den Anträgen zu Recht stattgegeben. Die hiergegen gerichteten Einwände des Betriebsrats rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann und soll auf Ziff. II. der Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden. Lediglich ergänzend und auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz sowie der Erörterungen in der Berufungsverhandlung eingehend wird noch auf Folgendes hingewiesen:

    1. Sowohl die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 BetrVG sowie die Wahl der Mitglieder des Betriebsausschusses und deren Vertreter gemäß § 27 BetrVG als auch die Wahlen der Mitglieder, des Vorsitzenden und dessen Vertreter der Ausschüsse "Personalplanung", "Arbeitszeit", Sozialplan" und "Arbeit- und Gesundheitsschutz" gemäß § 28 BetrVG sind entsprechend § 19 BetrVG als sogenannte betriebsratsinterne Wahlen analog § 19 BetrVG anfechtbar (BAG, Beschl. v. 16.11.2005 - 7 ABR 11/05 -, AP Nr. 7 zu § 28 BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 13.11.1991 - 7 ABR 8/91 -, AP Nr. 9 zu § 26 BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 13.11.1991 - 7 ABR 18/91 -, AP Nr. 3 zu § 27 BetrVG 1972; LAG Köln, Beschl. v. 03.02.1011 - 13 TaBV 73/10 -, zit. n. [...]; LAG Niedersachsen, Beschl. v. 05.09.2007 - 15 TaBV 3/07 -, zit. n. [...]).

    2. Die Anfechtung der strittigen betriebsinternen Wahlen ist zulässig.

    a) Die Antragsteller sind als Betriebsratsmitglieder - jeder für sich - gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG antragsberechtigt. Zwar sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Anfechtung einer Betriebsratswahl nur mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber berechtigt. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 19 BetrVG auf eine betriebsratsinterne Wahl tritt an die Stelle der Anfechtungsbefugnis von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern die Anfechtungsbefugnis eines einzelnen Betriebsratsmitglieds (BAG, Beschl. v. 21.07.2004 - 7 ABR 62/03 -, AP Nr. 4 zu § 51 BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 13.11.1991 - 7 ABR 8/91 -, AP Nr. 9 zu § 26 BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 13.11.1991 - 7 ABR 18/91 -, AP Nr. 3 zu § 27 BetrVG 1972). Deshalb ist zur Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen jedes Betriebsratsmitglied befugt, das geltend macht, in seiner Rechtsstellung als Betriebsratsmitglied oder einer Schutz genießenden Minderheit verletzt zu sein (BAG, Beschl. v. 15.08.2001 - 7 ABR 2/99 - AP Nr. 10 zu § 47 BetrVG 1972). Dies trifft auf die vier antragstellenden Betriebsratsmitglieder - jedes für sich genommen - zu.

    b) Die Antragsteller haben auch die zweiwöchige Anfechtungsfrist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gewahrt. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 17.11.2011 per Fax eingegangen.

    3. Die Anfechtung ist auch begründet und führt letztlich zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen internen Betriebsratswahlen.

    Nach dem entsprechend anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl der freizustellenden Betriebsräte, die Wahl der Mitglieder des Betriebsausschusses sowie der Mitglieder und des Vorsitzenden der Arbeitsausschüsse angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

    a). Die betriebsratsinternen Wahlen gemäß §§ 38 Abs. 2; 27 Abs. 1 Satz 3; 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind nicht auf einer ordnungsgemäß einberufenen Betriebsratssitzung erfolgt. Der Betriebsratsvorsitzende hat entgegen den zwingenden Vorgaben des § 29 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 2 BetrVG die falschen Ersatzmitglieder zur Betriebsratssitzung am 04.11.2011 geladen.

    Nach § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitzende für den Fall der Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds nicht irgendein sondern "das" entsprechende Ersatzmitglied zu laden. Bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt, dass der Betriebsratsvorsitzende gerade kein Wahlrecht hat, welches Ersatzmitglied er zur Sitzung einlädt. Vielmehr ergibt sich die Reihenfolge der zu ladenden Ersatzmitglieder aus § 25 Abs. 2 BetrVG. Ersatzmitglieder rücken in der in dieser Norm zwingend vorgegebenen Reihenfolge nach. Diese Reihenfolge ist zwingend, sodass das an erster Stelle stehende Ersatzmitglied vor dem folgenden nachrückt (BAG, Beschl. v. 18.01.2006 - 7 ABR 25/06 -, zit. n. [...]; BAG, Beschl. v. 06.09.1979 - 2 AZR 548/77 -, AP Nr. 7 zu § 15 KSchG 1969; Fitting, BetrVG, 26. Auf., Rn. 24 zu § 25; ErfK/Koch, 12. Aufl., Rn. 5 zu § 25 BetrVG). Eine fehlerhafte Heranziehung der Ersatzmitglieder wirkt sich auf die Wahlberechtigung gemäß §§ 38 Abs. 2; 27 Abs. 1 Satz 3; 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG aus und verhindert somit nicht nur eine wirksame Beschlussfassung, sondern führt auch zur Anfechtbarkeit betriebsratsinterner Wahlen

    b) Nach diesen Grundsätzen sind zu der Betriebsratssitzung am 04.11.2011 sowohl die Ersatzmitglieder O. J. (Liste 4) als auch L. S. (Liste 1) fehlerhaft geladen worden. Sie hätten an der Betriebsratssitzung nicht teilnehmen dürfen und waren somit auch nicht wahlberechtigt.

    aa) Unstreitig waren die ordentlichen Betriebsratsmitglieder H. D. (Liste 1) und S. T. (Liste 4) an der Sitzungsteilnahme wegen Krankheit i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verhindert. Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hätte mithin für die verhinderten Betriebsratsmitglieder das jeweils erste Ersatzmitglied der jeweiligen Liste geladen werden müssen. Im Falle der verhinderten Betriebsrätin D. wäre dies das erste Ersatzmitglied von der Liste 1, mithin H. A. K., und im Falle des verhinderten Betriebsratsmitglieds T. das erste Ersatzmitglied von der Liste 4, mithin A. L., gewesen. Damit wäre die nach § 15 Abs. 2 BetrVG zu beachtende Minderheitenquote des Geschlechts (hier: Frauenquote) auch gewahrt worden. Diese der Reihenfolge nach zuständigen Ersatzmitglieder wurden indessen unstreitig nicht geladen, sondern von der 4. Liste erst das dritte Ersatzmitglied J. und dann - aufgrund der sodann zu beachtenden Frauenquote - von der Liste 1 erst das 12. Ersatzmitglied L. S.

    bb) Der Betriebsrat kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die der Reihenfolge nach ersten Ersatzmitglieder der jeweiligen Listen 1 und 4 ihrerseits i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG verhindert waren.

    Nach § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied nur dann zeitweilig verhindert, wenn es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die ihm zukommenden Amtsgeschäfte zu besorgen. Anerkannte Verhinderungsgründe in diesem Sinne sind u.a. Krankheit, Kuraufenthalt, Urlaub, Dienstreise, auswärtiger Montageeinsatz, Teilnahme an Schulungsveranstaltungen, Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz, Elternzeit, Zivildienst oder Wehrdienst (Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 13. Aufl., Rn. 16 zu § 25; Fitting, BetrVG, 12. Aufl., Rn. 4 zu § 25; Hess/Schlochauer/Worzalla/Nicolai/Rose, BetrVG, 8. Aufl., Rn. 8 zu § 25). Die Verhinderung muss objektiv begründet und notwendig sein, sodass es für das Betriebsratsmitglied unzumutbar ist, sein Amt auszuüben. Bei krankheitsbedingter Abwesenheit und Urlaub besteht eine Vermutung für die Amtsunfähigkeit des Betriebsratsmitglieds (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 26.05.2005 - 4 TaBV 27/04 -, zit. n. [...]). Der Betriebsratsvorsitzende kann in diesen Fällen das nachrückende Ersatzmitglied sogleich zur Sitzung einladen bzw. das Ersatzmitglied benachrichtigen, ohne den angegebenen Verhinderungsgrund selbst nachprüfen zu müssen (ErfK/Koch, 12. Aufl., Rn. 3 zu § 25). Dies bedeutet aber nicht, dass der Betriebsratsvorsitzende sozusagen in eigener Kompetenz stets darüber entscheiden kann, ob ein Betriebsratsmitglied im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz BetrVG zeitweilig verhindert ist. Vielmehr hat einzig und allein das Betriebsratsmitglied selbst zu beurteilen, ob es trotz Arbeitsunfähigkeit, Urlaub oder auswärtigem Diensteinsatz sein Amt ausüben und an einer Betriebsratssitzung teilnehmen will. In den Fällen, in denen üblicherweise die Verhinderung vermutet wird, wie z.B. Krankheit oder Urlaub, muss dann das betreffende Betriebsratsmitglied dem Betriebsratsvorsitzenden mitteilen, dass es gleichwohl an der vorgesehenen Betriebsratssitzung teilnehmen will.

    Indessen steht es dem Betriebsratsmitglied nicht zu, sich willkürlich nach freiem Ermessen vertreten lassen, indem es sich weigert, an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen, weil diese z.B. außerhalb seiner individuellen Arbeitszeit liegt. Insbesondere kann das Betriebsratsmitglied nicht frei darüber entscheiden, ob es seinen arbeitsvertraglichen Dienst ausübt oder an der Betriebsratssitzung teilnimmt. Die Erfüllung der Betriebsratsaufgaben hat Vorrang gegenüber derjenigen aus dem Arbeitsvertrag. Dies ergibt sich bereits aus § 37 Abs. 2 BetrVG. Danach sind Mitglieder des Betriebsrats vom Arbeitgeber für die erforderliche Ausübung ihres Amtes insoweit von der Arbeitspflicht freizustellen. Dies gilt auch für Ersatzmitglieder. Sofern ein Betriebsratsmitglied ohne triftigen Verhinderungsgrund der Betriebsratssitzung fern bleibt, darf kein Ersatzmitglied geladen werden.

    cc) Hieran gemessen, waren zwar die ordentlichen Betriebsratsmitglieder D. und T. wegen Krankheit verhindert, an der Betriebsratssitzung am 04.11.2011 teilzunehmen, indessen nicht die jeweils listenmäßig ersten Ersatzmitglieder L. und K..

    In der Beschwerdeverhandlung hat der Betriebsratsvorsitzende eingeräumt, dass er Frau L. (Liste 4) nur deshalb nicht geladen habe, weil diese - ebenso wie die vorrangig zu ladenden Ersatzmitglieder G. (Liste 4) und M. B. (Liste 1) - zum Fahrdienst eingeteilt gewesen sei. Der Betriebsrat verkennt an dieser Stelle nachhaltig, dass die einzelnen Betriebsratsmitglieder sowie die Ersatzmitglieder aufgrund ihres Listenplatzes ein betriebspolitisches Mandat von der Belegschaft erhalten haben. Es steht dem Betriebsrat deshalb auch nicht zu, frei darüber zu befinden, in welcher Zusammensetzung er Beschlüsse fasst oder betriebsinterne Wahlen durchführt. Die Zusammensetzung des Gremiums ist gerade nicht dispositiv, sondern zwingend gesetzlich normiert. Der Betriebsrat hat vorliegend gesetzeswidrig ausschließlich oder zumindest vorrangig diejenigen Ersatzmitglieder zu den Sitzungen herangezogen, die Freischichten hatten, um Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Punkt 2 der Sitzungsniederschrift legt zudem nahe, dass der Betriebsratsvorsitzende die nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG eigentlich zuständigen Ersatzmitglieder L. und K. gar nicht erst informiert hat, sondern aufgrund deren Einteilung zum Dienst von vornherein deren Verhinderung unterstellt hat. Damit hat sich der Betriebsrat aber zum Interessenvertreter des Arbeitgebers gemacht. Mögliche betriebliche Interessen des Arbeitgebers (Vermeidung von Betriebsablaufstörungen) dürfen jedoch keinen Einfluss auf die jeweilige Zusammensetzung des Betriebsrats haben. Lediglich bezüglich der zeitlichen Lage der erforderlichen Betriebsratsarbeit hat der Betriebsrat nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ggfs. die betrieblichen Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen, vgl. §§ 30 Satz 2; 37 Abs. 3 BetrVG.

    c) Das Arbeitsgericht hat ferner zu Recht festgestellt, dass nicht auszuschließen ist, dass durch diesen Verstoß, d.h. die Beteiligung zweier nicht wahlberechtigter Ersatzmitglieder an den betriebsratsinternen Wahlen, auch das Ergebnis der strittigen betriebsratsinternen Wahlen beeinflusst werden konnte. Es ist nicht auszuschließen, dass die Wahl der drei freizustellenden Betriebsratsmitglieder, sowie der drei weiteren Betriebsausschlussmitglieder und deren Vertreter gemäß § 27 BetrVG sowie die Wahlen der Mitglieder, des Vorsitzenden und dessen Vertreter der Ausschüsse "Personalplanung", "Arbeitszeit", Sozialplan" und "Arbeit- und Gesundheitsschutz" gemäß § 28 BetrVG anders ausgefallen wären, wenn anstelle der anwesenden 11 Betriebsrats- und Ersatzmitglieder nur neun wahlberechtigte Betriebsratsmitglieder oder anstelle der anwesenden Ersatzmitglieder L. S. und O. J. die nach § 25 Abs. 2 BetrVG allein zuständigen Ersatzmitglieder A. L. und H. A. K. gewählt hätten.

    d) Schlussendlich hat der Beschwerdeführer und Betriebsrat diesen wesentlichen Verfahrensfehler und dessen mögliche Auswirkung auf die Wahlergebnisse in der Beschwerdeverhandlung auch zugestanden.

    4. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats haben die vier Antragsteller ihr Anfechtungsrecht aber auch nicht allesamt verwirkt. Insbesondere erschließt sich der Beschwerdekammer nicht, inwieweit die Anfechtung betriebsinterner Wahlen entsprechend § 19 BetrVG neben der Anfechtungsbefugnis gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG noch weitergehende subjektive Voraussetzungen fordert.

    a) Hinter dieser vermeintlich fehlenden subjektiven Tatbestandsvoraussetzung der Anfechtung betriebsinterner Wahlen verbirgt sich vielmehr die Auffassung des Betriebsrats, dass sich der Antragsteller S. rechtsmissbräuchlich verhalte, weil er selbst während der Zeit, als er den Vorsitz des Betriebsrats innegehabt habe, bei der Ladung von Ersatzmitgliedern diejenigen ausgelassen habe, die zum Dienst eingeteilt waren. Alle Betriebsratsmitglieder hätten diese Praxis stillschweigend akzeptiert. Aber auch nach dem das gesamte Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ist es den Antragstellern vorliegend nicht verwehrt, sich auf den Verstoß gemäß §§ 29 Abs. 2 Satz 6, 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu berufen und die betriebsratsinternen Wahlen analog § 19 BetrVG anzufechten.

    b) Die Ausübung eines Rechts ist in der Regel dann gemäß § 242 BGB missbräuchlich, wenn der Berechtigte es durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten selbst erworben hat (BAG, Urt. v. 23.11.2006 - 8 AZR 349/06 -, AP Nr. 1 zu § 613a BGB 'Wiedereinstellung'). Der Rechtsmissbrauch muss sich mithin auf die Geltendmachung des konkreten Rechts beziehen. Das hier allein in Rede stehende Recht ist die Anfechtung der betriebsratsinternen Wahlen vom 04.11.2011. Rechtsmissbräuchlich könnte es mithin sein, wenn der stellvertretende Betriebsrat selbst die falschen Ersatzmitglieder zur Betriebsratssitzung vom 04.11.2011 herangezogen hätte, um hernach - je nach dem Ausgang der Wahl - die durchgeführten betriebsinternen Wahlen als Antragsteller anzufechten.

    Ein solcher Fall ist hier indessen nicht gegeben. Das Gegenteil ist der Fall. Der Antragsteller S. hat in der Betriebsratssitzung ausdrücklich nachgefragt, warum das erste weibliche Ersatzmitglied der Liste 1 (M. B.) nicht für die verhinderte Betriebsrätin D. geladen worden sei. Aus dieser Nachfrage wird deutlich, dass auch der Antragsteller S. auf die Reihenfolge der Heranziehung der Ersatzmitglieder gemäß § 25 Abs. 2 BetrVG nicht bewusst verzichten wollte.

    Auch wenn alle Betriebsratsmitglieder stillschweigend die gesetzeswidrige Heranziehung der Ersatzmitglieder durch den jeweiligen Betriebsratsvorsitzenden bislang geduldet haben, so kann dieser Umstand nicht dazu führen, dass ihnen das Recht der Anfechtung nach § 19 BetrVG dauerhaft bis zu einer vorherigen Ankündigung, nunmehr auf die Einhaltung des Gesetzes bestehen zu wollen, nach Treu und Glauben nicht zusteht. Der Betriebsrat hat im falsch verstandenen Interesse der Arbeitgeberin vorliegend über Jahre schlicht Glück gehabt, dass gleich dem Motto "Wo kein Kläger, da kein Richter" niemand die auf nicht ordnungsgemäß besetzten Betriebsratssitzungen getroffenen Wahlen angefochten hat. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass auch künftig alle Betriebsratsmitglieder mit der gesetzeswidrigen Heranziehung nicht zuständiger Ersatzmitglieder einverstanden sind, konnte daraus nicht entstehen.

    Zudem hat der Antragsteller S. in der Beschwerdeverhandlung eingewandt, dass bei konstituierenden Betriebsratssitzungen sowie bei betriebsratsinternen Wahlen im Falle heranzuziehender Ersatzmitglieder die nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vorgeschriebene Listenreihenfolge auch stets beachtet worden sei.

    c) Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsteller D. und B. zu keinem Zeitpunkt den Vorsitz bzw. stellvertretenden Vorsitz des Betriebsrats inne hatten und somit auch keine Einladungen zu Betriebsratssitzungen gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 und 6 BetrVG veranlassten. Der Betriebsrat hat nicht im Ansatz dargelegt, warum es diesen beiden Antragstellern wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt sein sollte, ihr Anfechtungsrecht auszuüben. Jeder Antragsteller ist für sich genommen antragsbefugt.

    5. Nach alledem war die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

    Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde lag nicht vor, §§ 92, Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

    Verkündet am 01.11.2012