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  • 07.09.2012

    Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 09.07.2012 – 1 Ta 118/12

    Eine Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt bei Verletzung der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Darstellung des wirtschaftlichen Verhältnisses nur in Betracht, wenn ein schwerwiegender Verstoß vorliegt. Verneint eine Partei die Übernahme der Kosten durch eine Rechtsschutzversicherung und lag im Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Deckungszusage vor, sieht diese Zusage die vertragliche Selbstbeteiligung der Partei vor, kann Prozesskostenhilfe nicht nachträglich entzogen werden.


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 05.06.2012 - 5 Ca 416/11 - aufgehoben.

    Das Beschwerdeverfahren ergeht gerichtskostenfrei.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin erhob mit am 08.06.2011 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - eingegangenem Schriftsatz Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.314,30 EUR Vergütung für Mai 2011. Gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Dem Antrag beigefügt war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Unter Buchstabe b) kreuzte die Klägerin an in dem Feld, ob eine Rechtsschutzversicherung oder eine andere Stelle/Person die Kosten der Prozessführung trägt, das Antwortfeld "Nein". Die Klägerin hat zwei Kinder, geboren im Jahr 1996 und 1991, der Sohn A. hat ein eigenes Einkommen von 300,00 EUR. Sie hat ein Nettoeinkommen von 945,00 EUR glaubhaft gemacht, den Bezug von Kindergeld in Höhe von 368,00 EUR und Wohngeld von 178,00 EUR. Für Miete mit Nebenkosten wendet sie auf monatlich 510,00 EUR, an Abzahlungsverpflichtungen bestehen Raten von 17,00 EUR, 34,00 EUR und 54,00 EUR für einen Laptop, einen Backofen und für Möbel.

    Das Arbeitsgericht bewilligte Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung in der Sitzung vom 05.07.2011. In dem Termin wurde gleichzeitig das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Klägerin erweiterte später ihre Klage um weitere 1.314,00 EUR. Für diese Klageerweiterung wurde Prozesskostenhilfe weder beantragt noch bewilligt.

    Zwischenzeitlich wurde nach Insolvenz der Beklagten die Forderung durch die Arbeitsagentur ausgeglichen.

    Mit Schreiben vom 15.05.2012 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausgehend von einem Gegenstandswert die Festsetzung der PKH-Vergütung in Höhe von 150,00 EUR. Hierbei gab er an, dass die Rechtsschutzversicherung von den gesetzlichen Gebühren und Auslagen in Höhe von 336,18 EUR 186,18 EUR abgerechnet hatte. Er legte vor die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung mit dem Schreiben vom 14.07.2011.

    Das Arbeitsgericht hat sodann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss aufgehoben mit der Begründung, die Klägerin habe bei der PKH-Beantragung falsche Angaben gemacht und wahrheitswidrig behauptet, sie habe keine Rechtsschutzversicherung. Es läge der Aufhebungsgrund nach § 124 Nr. 2 ZPO vor.

    Die Klägerin legte gegen den am 11.06.2012 zugegangenen Beschluss am 15.06.2012 sofortige Beschwerde ein mit der Begründung, die Klägerin habe keine bewusst falschen Angaben gemacht, da zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch keine Zusage der Rechtsschutzversicherung vorgelegen habe. Nach Eingang der Zusage unter Hinweis auf die Selbstbeteiligung sei diese Tatsache dann bei der Abrechnung berücksichtigt worden.

    Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen mit der wesentlichen Begründung, die Klägerin hätte abwarten müssen, ob die Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage erteilt, zumindest hätte sie dem Gericht zeitnah nach dem 14.07. die erfolgte Zusage mitteilen müssen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

    II.

    Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

    Sie hat auch in der Sache Erfolg.

    Unbeachtlich ist, dass hier der Richter entgegen § 20 Nr. 4 c) RPflG einen Beschluss nach § 124 Nr. 2 ZPO erlassen hat. Die Wirksamkeit der Entscheidung wird nicht dadurch betroffen, dass ein Richter statt eines Rechtspflegers das Geschäft wahrgenommen hat (§ 8 RPflG).

    Die Beschwerde ist auch begründet.

    Nach § 124 Nr. 2 1. Alternative ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe dann aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Diese Voraussetzungen kann die Beschwerdekammer nicht feststellen.

    So ist schon der Ausgangspunkt des Arbeitsgerichts nicht zutreffend, dass die Klägerin über den Bestand einer Rechtsschutzversicherung befragt worden wäre. In dem Formular wird ausdrücklich nicht entgegen früher verwendeten Formularen nach dem Bestand einer Rechtsschutzversicherung gefragt, sondern ob eine Rechtsschutzversicherung diese Kosten übernimmt.

    Die Auskunft der Klägerin war auch nicht insgesamt fehlerhaft. Die Klägerin hat eine Rechtsschutzversicherung mit Selbstbehalt abgeschlossen. Hinsichtlich des Selbstbehaltes von 150,00 EUR trägt die Rechtsschutzversicherung die Kosten der Rechtsverfolgung der Klägerin gerade nicht. Insoweit war die Angabe der Klägerin in ihrem Antrag schon gar nicht fehlerhaft.

    Auf den Umstand, dass die Klägerin eventuell verpflichtet gewesen wäre, nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung hinzuweisen, kommt es entscheidungserheblich nicht an. Dies könnte allenfalls dazu führen, dass nach § 124 Nr. 3 ZPO wegen einer nachträglichen Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine abweichende Bewilligung der Prozesskostenhilfe bis zum Maximalbetrag von 150,00 EUR hätte erfolgen müssen.

    Da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Kostenerstattungsantrag lediglich diese 150,00 EUR lediglich geltend gemacht hat, wäre dies im Ergebnis gleichbleibend.

    Die Kammer hat keine Veranlassung, die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bestehende Streitfrage abschließend zu entscheiden, ob § 124 Nr. 2 ZPO es verbietet, bei absichtlich unrichtigen Angaben der Partei zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eine Anpassung an die zutreffenden Verhältnisse vorzunehmen (so OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.02.2005 - 8 W 4/05) oder ob das nach § 124 ZPO auszuübende Ermessen vor einer Aufhebung voraussetzt, dass der Partei bei vollständiger und richtiger Angabe Prozesskostenhilfe nicht oder nur zu ungünstigen Bedingungen gewährt worden wäre (OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.04.2011 - 12 W 67/00).

    Auch im Beschluss des OLG Braunschweig (a.a.O.) wird entscheidend darauf abgestellt, ob ein bedeutsamer Verstoß gegen die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt und wie dieser Verstoß zu werten ist. So ist zwar in § 124 ZPO nur von Aufhebung, nicht aber von Abänderung oder Anpassung die Rede. Es spricht dafür, dass nicht in erster Linie darauf abzustellen ist, welches Ergebnis ein Prozesskostenhilfeantrag bei wahrheitsgemäßer und vollständiger Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse gehabt hätte, sondern das Gericht muss die Entscheidung vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen davon abhängig machen, ob ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht vorliegt und wie bedeutsam dieser anzusehen ist. Für eine derartige Ermessensregelung spricht auch, dass dem Gesetzeswortlaut nach die Gewährung von Prozesskostenhilfe aufgehoben werden "kann" auch wenn und nicht nur soweit die Tatbestände Nr. 1 bis 4 erfüllt sind. Bei leichteren Verstößen gegen die Wahrheitspflicht kann es billigem Ermessen entsprechen, die PKH-Bewilligung auf dasjenige Maß zurückzuführen, auf das der Antragsteller bei sofortiger wahrheitsgemäßer Darstellung Anspruch gehabt hätte. Bei schweren Verstößen gegen die Wahrheitspflicht ist dagegen eine völlige Aufhebung der PKH-Bewilligung sachgerecht (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.02.2005 a.a.O. nach [...] RdNr. 17 am Ende m.w.N.).

    Die Vordrucke sind unscharf formuliert. Es wird wie dargestellt nicht danach gefragt, ob überhaupt eine Rechtsschutzversicherung besteht, sondern ob eine Rechtsschutzversicherung diese Kosten übernimmt. Wie dargestellt war insoweit die Auskunft der Klägerin bezüglich der letztlich noch verbliebenen 150,00 EUR nicht fehlerhaft. Von einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen unrichtigen Angabe kann daher nicht die Rede sein.

    Auch die Hinweise zur Ausfüllung des Vordruckes für die Erklärung sind insofern unscharf gehalten. Hier ist ausgeführt, dass ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe nicht besteht, wenn eine Rechtsschutzversicherung oder eine andere Stelle die Kosten übernimmt. Die noch verbliebenen 150,00 EUR sind von der Rechtsschutzversicherung nicht übernommen worden. Wenn weiter in den Ausfüllhinweisen angeregt wird, bei der Rechtsschutzversicherung zunächst zu prüfen, ob diese die Kosten übernimmt und im Zweifelsfall bei der Versicherung oder dem Anwalt nachzufragen ist, führt dies ebenfalls nicht zu einer klaren Fragestellung, die mit den Angaben der Klägerin als falsch beantwortet wurde.

    Hier mag zwar noch unterstellt werden, dass die Klägerin unter Umständen das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung mit Selbstbeteiligung hätte angeben müssen, ihre Erklärung war aber nicht 100%-ig falsch, denn bezüglich der schließlich abgerechneten Kosten trat die Rechtsschutzversicherung gerade nicht ein.

    All dies gebietet es, bei dem auszuübenden Ermessen einen eher leichten Verstoß anzunehmen, der auch dadurch nicht begründet werden kann, dass nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe die Klägerin die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung mit der Selbstbeteiligung zugesagt hat, was allenfalls dann dazu geführt hätte, dass der Klägerin nur für die Kosten in Höhe von 150,00 EUR Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden müssen.

    Jedenfalls liegt kein derartig schwerwiegender Verstoß vor, der es rechtfertigt, die Klägerin mit der Sanktion wegen absichtlicher oder aus grober Nachlässigkeit gemachter unrichtiger Angaben mit dem Entzug der Prozesskostenhilfe zu belangen.

    Nach alledem musste die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert werden. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 05.06.2012 war ersatzlos aufzuheben.

    Da die Beschwerde erfolgreich war, fallen keine Gerichtsgebühren an. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Notwendigkeit.