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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    VR muss für eine mitwirkende Verursachung von Vorerkrankungen den Vollbeweis erbringen

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke

    Eine mitwirkende Verursachung des Todes durch Vorerkrankungen gemäß § 182 VVG ist nur anzunehmen, wenn der VR voll bewiesen hat, dass der (unfallbedingte) Tod des VN ohne die Vorerkrankungen nicht eingetreten wäre (OLG Karlsruhe 3.4.14, 9 U 123/13, Abruf-Nr. 141747).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der VN hatte eine Lebensversicherung nebst Unfalltod-Zusatzversicherung abgeschlossen, aus der seine Tochter, die Klägerin, bezugsberechtigt war. Der 75-jährige dialysepflichtige VN hatte sich bei einem häuslichen Sturz den Oberschenkelknochen gebrochen und war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dort entwickelten sich Druckgeschwüre, die zu einer Amputation mit anschließender Sepsis führten, an deren Folgen der VN verstorben ist.

     

    Der VR lehnte nach dem Tod des VN die aus der Zusatzversicherung versprochenen Leistungen ab. Der Tod beruhe ausschließlich auf Vorerkrankungen, nämlich der Niereninsuffizienz und arteriellen Problemen. Das LG hat der Klage zu 50 Prozent stattgegeben. Zwar liege ein für den Tod ursächlicher Unfall vor. Die Leistung sei, es war eine Bedingung entsprechend Ziff. 3 AUB 2008 vereinbart, aber hälftig zu kürzen, weil die Vorerkrankungen in diesem Umfang zum Tode beigetragen hätten. Die auf Zahlung der vollen Versicherungssumme gerichtete Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

     

    Das OLG Karlsruhe hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass eine mitwirkende Verursachung durch Vorerkrankungen nur dann berücksichtigt werden kann, wenn die mitwirkende Ursache im Sinne einer conditio sine qua non nachgewiesen ist. Dabei ist ein Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich. Es reicht nicht aus, wenn - wie vorliegend - eine Mitverursachung durch Vorerkrankungen lediglich plausibel oder wahrscheinlich erscheint (vgl. BGH VK 13, 27 und 13, 59). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dem VR der Beweis nicht gelungen, dass Vorerkrankungen mitursächlich waren. Zwar litt der VN unter einer Niereninsuffizienz, die seit 2010 dialysepflichtig war. Es bestanden auch weitere Vorerkrankungen, insbesondere eine arterielle Verschlusskrankheit. Es erscheint auch plausibel, dass diese Vorerkrankungen zum Tod des VN beigetragen haben können. Ein solcher Nachweis ist durch den VR jedoch nicht geführt worden.

     

    In der Ursachenkette, die letztlich zum Tod des VN geführt hat, spielten die im Krankenhaus aufgetretenen Dekubitus-Geschwüre eine entscheidende Rolle. Diese können, jedenfalls bei einem älteren Menschen, auch ohne Vorerkrankungen auftreten, wenn ein Patient eine gewisse Zeit im Krankenhaus liegen muss. Bei jedem Dekubitus-Geschwür besteht zumindest grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass sich eine tödlich verlaufende Sepsis entwickeln kann. Dass das auch hier so gewesen ist, ist nicht widerlegt.

     

    Praxishinweis

    Unfallursächlichkeit im Sinne von dafür ausreichender Mitursächlichkeit ist stets anzunehmen, wenn die Ursache - hier der Sturz - nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt. Die Weigerung des VR, überhaupt Leistungen aus der Zusatzversicherung zu erbringen, war deshalb, jedenfalls nach den mitgeteilten Gründen, von vornherein unverständlich.

     

    Der Unfallversicherer muss den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO dafür erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des VN) mitgewirkt haben. Er muss auch entsprechend beweisen, dass dieser Mitwirkungsanteil mindestens 25 Prozent beträgt, wenn ein solcher Mitwirkungsanteil Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt gekürzt werden kann (BGH a.a.O.). Erst wenn dieser Beweis geführt ist, kann die tatsächliche Höhe des Mitwirkungsanteils gem. § 287 ZPO geschätzt werden.

     

    Die Fragen der Verursachung können nicht ohne Begutachtung durch einen Mediziner entschieden werden. Diese kennen aber oft die rechtlichen Zusammenhänge nicht.

     

    Wichtig | Es ist, von Ausnahmen abgesehen, bei einem dem Mandanten ungünstigen Gutachten deshalb stets die mündliche Erläuterung des Gutachtens zu beantragen.

     

    • Beispiel

    Auch im Streitfall hatte der Sachverständige einen Mitwirkungsanteil der Vorerkrankungen von 50 Prozent „festgestellt“. Im zweiten Rechtszug hat er das dann mündlich dahin erläutert, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der VN ohne die bestehenden Vorerkrankungen nicht gestorben wäre. Andererseits wäre ein gleichartiger Verlauf - Entwicklung eines Dekubitus-Geschwürs im Krankenhaus mit später tödlicher Sepsis - mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit auch bei einem gesunden 75-jährigen Menschen in altersentsprechendem Zustand möglich. Das mag für einen Mediziner genügen, um die erstinstanzliche Beurteilung abzugeben. Für den Vollbeweis, dass die Vorerkrankungen beim Tod mitgewirkt haben, genügt es nicht.

     

    Deshalb hat das Berufungsgericht auch der Berufung zu Recht in vollem Umfang stattgegeben. Diese Erkenntnis wäre auch schon in erster Instanz möglich gewesen. Ohne den Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen wird es aber dazu nicht kommen. Der Antrag ist deswegen jedenfalls in allen Fällen, in denen Mediziner und Juristen abweichende Vorstellungen von für die Entscheidung erheblichen Begriffen haben können (z.B. Gebrechen, Kausalität, Beweislast, Beweismaßstab), selbst bei anscheinend eindeutigem Ergebnis des Gutachtens geboten. Wird dem nicht stattgegeben, begründet dies die Berufung und ggf. sogar, als Verstoß gegen das rechtliche Gehör, die Revision bzw. die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Das gilt bei der Berücksichtigung von Vorschäden: OLG Frankfurt a.M. VK 13, 184
    Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 195 | ID 42993873