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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    Muss ein Transplantat unfallbedingt entferntwerden, ist eine Vorschädigung zu berücksichtigen

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    • 1. Bei dem unfallbedingten Verlust einer (nach Funktionsuntüchtigkeit beider körpereigenen Nieren) transplantierten Niere ist regelmäßig von einer Vorinvalidität von 50 Prozent auszugehen.
    • 2. Ein Privatgutachten kann eine gerichtliche Beweisaufnahme nur dann überflüssig machen, wenn der Gegner keine substanziierten Einwendungen erhebt.

    (OLG Köln 2.3.12, 20 U 234/11, Abruf-Nr. 142265)

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Nach einem Sturz musste dem VN das die körpereigenen Nieren ersetzende Transplantat entfernt werden. Seitdem ist er wieder dialysepflichtig. Der VR hat ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 60 Prozent unter Abzug einer Vorinvalidität von 10 Prozent nach einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent entschädigt. Der VN meint, er sei ohne Abzug einer Vorinvalidität nach einem Invaliditätsgrad von 60 Prozent zu entschädigen. Die transplantierte Niere habe nämlich zu 100 Prozent funktioniert.

     

    Die Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg. Das LG hat schon die Einholung eines Gerichtsgutachtens wegen unsubstanziierter Angriffe gegen das Privatgutachten abgelehnt. Für das Berufungsgericht war maßgeblich:

     

    • Zwar darf ein Privatgutachten ausnahmsweise als qualifizierter Parteivortrag verwertet werden. Es kann eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts entbehrlich machen, wenn die Beweisfrage allein schon aufgrund dieses substanziierten Parteivortrags zuverlässig beantwortet werden kann (BGH VersR 93, 899). Erhebt der Gegner indes Einwendungen gegen ein Privatgutachten, wird in aller Regel nicht ohne die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens entschieden werden können. Dabei dürfen die Anforderungen an ein substanziiertes Vorbringen, das zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zwingt, nicht überspannt werden. Hier wurden die Feststellungen des Privatgutachters hinreichend konkret angegriffen. Es wurde substanziiert eine höhere unfallbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit behauptet sowie die vom Sachverständigen mit 10 Prozent bewertete Vorschädigung bestritten. Mehr kann nicht verlangt werden.

     

    • Es war gleichwohl kein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, weil schon aus Rechtsgründen kein Anspruch auf eine höhere als die gezahlte Entschädigung nach einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent besteht. Unterstellt man, dass der VN unfallbedingt durch den Verlust der transplantierten Niere und der dadurch ausgelösten Dialysepflichtigkeit zu 100 Prozent in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt war, muss zu seinen Lasten der Umstand berücksichtigt werden, dass er schon vor dem Unfallereignis beide körpereigenen Nieren verloren hatte. Dies ist als ein an den Folgen des Verlusts der transplantierten Niere mitwirkendes Gebrechen mit einem Mitwirkungsanteil von 50 Prozent zu berücksichtigen. Der Invaliditätsgrad von (unterstellt) 100 Prozent ist gemäß Nr. 3. der AUB 2008 um den Prozentsatz des Mitwirkungsanteils von hier anzunehmenden 50 Prozent zu kürzen. Damit ist die Entschädigung auf Basis eines gekürzten Invaliditätsgrads von 50 Prozent zu berechnen.

     

    • Dass der VN über keine körpereigenen Nieren mehr verfügte, ist ein Gebrechen. Ein Gebrechen ist ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Trägt eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen bei, so ist darin ein Gebrechen zu sehen (BGH VK 10, 6). Zwar mag davon ausgegangen werden, dass die gesundheitlichen Nachteile, die als Folge des Verlusts beider körpereigenen Nieren eingetreten waren, durch die Transplantatniere ausgeglichen worden sind. Als Folge der unfallbedingt erforderlichen Entfernung der Transplantatniere wirkte sich indes der frühere Verlust beider körpereigenen Nieren jetzt wieder aus. Die nunmehr gegebene Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist mithin nicht alleine durch den Verlust der Transplantatniere verursacht worden, sondern auch bedingt durch den Umstand, dass beide körpereigenen Nieren nicht mehr vorhanden sind. Da sich das Ausmaß der Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit in einem solchen Fall erst aus dem Zusammenwirken des Verlusts beider Nieren ergibt, erscheint es nach Auffassung des Senats sachgerecht, die Mitwirkungsanteile gleich hoch zu bewerten. Gleiches muss dann für den hier zu beurteilenden Fall gelten, in dem eine Transplantatniere nach Verlust beider körpereigenen Nieren die Funktion einer gesunden Niere übernommen hat und diese unfallbedingt entfernt werden muss.

     

    Praxishinweis

    Zu Recht ist das OLG der Unsitte vieler Tatgerichte entgegengetreten, Beweisanträge abzulehnen, weil der Vortrag oder der Angriff gegen ein Privatgutachten nicht genügend substanziiert sei. Substanz kann in Medizin und Technik nur ein Fachkundiger aufzeigen. Der normale VN gehört nicht dazu. In der dritten Instanz könnte das die Gehörsrüge begründen.

     

    In der Sache selbst erscheint die Begründung nachvollziehbar und begegnet gleichwohl erheblichen Bedenken. Wenn der unfallbedingte Verlust einer Niere, weil die verbleibende andere Niere deren Funktion in vollem Umfang übernimmt, keine Entschädigungsansprüche auslöst (OLG Celle VK 08, 24), kann der unfallbedingte Verlust auch der anderen Niere nicht nur mit der hälftigen Summe entschädigt werden. Das wäre schlechthin unverständlich, weil beim gleichzeitigen Verlust beider Nieren unproblematisch die volle Entschädigung zu zahlen wäre. Sinnvollerweise sieht man in dem Verlust eines paarigen Organs, wenn das andere die Funktion vollständig übernimmt, kein Gebrechen. Dann wäre auch bei dem Verlust einer transplantierten Niere von der vollen Entschädigung auszugehen. Die Probleme sind der unglücklichen Entscheidung BGH VK 10, 6 geschuldet. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH sich der Frage (noch einmal) annimmt.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 135 | ID 42772856