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  • 05.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142265

    Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 02.03.2012 – 20 U 234/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Köln

    20 U 234/11

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 9. November 2011 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 3/10 - wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.
    Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 25. Juni 2010 verstorbenen Lebensgefährten, des ursprünglichen Klägers E. Dieser unterhielt bei der Beklagten eine private Unfallversicherung; in den Vertrag waren die AUB 2005 (Anlage B 4) und die Besonderen Bedingungen zur Unfallversicherung (Anlage B 5) einbezogen. Die Versicherungsgrundsumme bei Invalidität betrug 40.000,-€; es war eine Progression von 300% nach Maßgabe der Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel vereinbart.

    Herr E stolperte am 12. September 2008 in einer Fußgängerzone und fiel mit dem Bauch auf einen größeren Stein. Infolge der Unfallverletzungen musste eine im Jahr 1994 implantierte Niere entfernt werden, die beide zuvor entfernten körpereigenen Nieren ersetzt hatte. Aufgrund dessen wurde Herr E dialysepflichtig. Die Beklagte entschädigte den Kläger auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. L mit einem Betrag von 40.000,- €, ausgehend von einer unfallbedingten Invalidität von 60% unter Anrechnung einer durch den Verlust der körpereigenen Nieren trotz funktionstüchtiger Transplantatniere verbleibenden Vorinvalidität von 10% (Abrechnungsschreiben vom 22. Oktober 2009). Mit der Klage verlangt die Klägerin eine weitere Invaliditätsentschädigung von 32.000,- € sowie eine Übergangsleistung von 40.000,- €.
    Die Klägerin hat behauptet, Herr E sei wegen der unfallbedingten Dialysebehandlung in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu insgesamt mindestens 70% eingeschränkt gewesen. Sowohl für den von der Beklagten angesetzten Invaliditätsgrad von 60% als auch für den Abzug einer Vorinvalidität von 10% fehle es an einer nachvollziehbaren Begründung. Darüber hinaus sei auch eine Übergangsleistung vom Versicherungsschutz erfasst. Davon sei die Beklagte selbst in der vorgerichtlichen Korrespondenz ausgegangen; jedenfalls habe sie einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt.

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an sie 72.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.
    Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine höhere Invaliditätsentschädigung als die geleisteten 40.000,- € stehe der Klägerin nicht zu. Eine Übergangsleistung sei nicht geschuldet.

    Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. November 2011, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Übergangsleistung sei nicht vereinbart; sie könne von der Klägerin auch nicht nach Rechtsscheinsgrundsätzen beansprucht werden. Soweit die Zahlung einer weiteren Invaliditätsentschädigung beansprucht werde, kämen die Grundsätze über das qualifizierte Parteivorbringen zur Anwendung. Die Klägerin habe das überzeugende Privatgutachten von Prof. Dr. L nicht hinreichend konkret angegriffen; die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens sei daher nicht erforderlich.

    Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Antrag in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, die Beklagte habe nach Rechtsscheingrundsätzen die Übergangsleistung zu erbringen. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht es unterlassen, ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen; ihr unter Beweis gestellter Vortrag sei hinreichend substantiiert.

    Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.

    Wegen aller weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

    1.

    Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend einen Anspruch der Klägerin auf eine weitere Invaliditätsentschädigung verneint. Die Klägerin kann aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis keine höhere Invaliditätsleistung als die von der Beklagten gezahlten 40.000,- € beanspruchen.

    a) Dass der unfallbedingt zu entschädigende Invaliditätsgrad nicht höher als 50% angesetzt werden kann, steht allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht schon aufgrund der Feststellungen des von der Beklagten vorgerichtlich beauftragten Gutachters Prof. Dr. L fest.

    Zwar darf ein Privatgutachten ausnahmsweise als qualifizierter Parteivortrag verwertet werden und kann eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts entbehrlich machen, wenn die Beweisfrage allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrags zuverlässig beantwortet werden kann (BGH VersR 1993, 899; OLG Köln, 5. Zivilsenat, VersR 2001, 755 sowie Senat, Entscheidung vom 14.01.2008, 20 U 161/07, zitiert nach juris). Erhebt der Gegner indes Einwendungen gegen ein Privatgutachten, wird in aller Regel nicht ohne die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens entschieden werden können. Dabei dürfen die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen, das zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zwingt, nicht überspannt werden. Die Klägerin hat vorliegend die Feststellungen des Privatgutachters Prof. Dr. L hinreichend konkret angegriffen, indem sie substantiiert eine höhere unfallbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit behauptet sowie die vom Sachverständigen mit 10% bewertete Vorschädigung bestritten hat; mehr kann von ihr nicht verlangt werden.

    b) Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist indes gleichwohl nicht erforderlich, weil der Klägerin aus Rechtsgründen keine höhere als die tatsächlich von der Beklagten erbrachte Entschädigung nach einem Invaliditätsgrad von 50% zusteht. Unterstellt man zugunsten der Klägerin, dass Herr E unfallbedingt durch den Verlust der transplantierten Niere und der dadurch ausgelösten Dialysepflichtigkeit zu 100% in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt war, so muss zu seinen Lasten der Umstand, dass er schon vor dem Unfallereignis beide körpereigenen Nieren verloren hatte, als an den Folgen des Verlustes der transplantierten Niere mitwirkendes Gebrechen mit einem Mitwirkungsanteil von 50% berücksichtigt werden. Der Invaliditätsgrad von – unterstellt – 100% ist gemäß Ziffer 3. der AUB 2005 (ebenso gemäß den Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel) um den Prozentsatz des Mitwirkungsanteils von hier anzunehmenden 50% zu kürzen, so dass der Klägerin höchstens eine Entschädigung auf der Basis eines gekürzten Invaliditätsgrades von 50% zusteht. Dies macht unter Berücksichtigung der Progression einen Betrag von 40.000,- € aus; diesen hat die Beklagte gezahlt.

    Dass Herr E über keine körpereigenen Nieren mehr verfügte, stellt ein Gebrechen dar. Ein Gebrechen ist ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Trägt eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen bei, so ist darin ein Gebrechen zu sehen (BGH, VersR 2009, 1525). Zwar mag davon ausgegangen werden, dass die gesundheitlichen Nachteile, die als Folge des Verlustes beider körpereigenen Nieren eingetreten waren, durch die Transplantatniere ausgeglichen worden sind. Als Folge der unfallbedingt erforderlichen Entfernung der Transplantatniere wirkte sich indes der frühere Verlust beider körpereigenen Nieren jetzt wieder aus. Die nunmehr gegebene Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist mithin nicht alleine durch den Verlust der Transplantatniere verursacht worden, sondern auch bedingt durch den Umstand, dass beide körpereigenen Nieren nicht mehr vorhanden sind. Zwar kann in der Regel der Verlust einer körpereigenen Niere durch die andere, gesunde Niere aufgefangen werden (vgl. OLG Celle, VersR 2007, 1688). Der unfallbedingte Verlust der zweiten Niere führt indes regelmäßig zu einer deutlichen Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die in der privaten Unfallversicherung zu entschädigen ist, wobei in diesem Fall der Verlust der ersten Niere als mitwirkendes Gebrechen mindernd berücksichtigt werden muss, weil insoweit ein abnormer Gesundheitszustand besteht. Da sich das Ausmaß der Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit in einem solchen Fall erst aus dem Zusammenwirken des Verlustes beider Nieren ergibt, erscheint es nach Auffassung des Senats sachgerecht, die Mitwirkungsanteile gleich hoch zu bewerten. Gleiches muss dann für den hier zu beurteilenden Fall gelten, in dem eine Transplantatniere nach Verlust beider körpereigenen Nieren die Funktion einer gesunden Niere übernommen hat und diese unfallbedingt entfernt werden muss.

    2.

    Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung einer Übergangsleistung zu; diese ist vom Versicherungsschutz nicht umfasst. Gemäß Ziff. 2 AUB 2005 ergeben sich die vereinbarten Leistungsarten und die Versicherungssummen aus dem Vertrag. Dass eine Übergangsleistung vereinbart worden ist, geht aus dem Versicherungsschein nicht hervor. Das von der Klägerin herangezogene Hinweisblatt vom 24. Oktober 2008, in dem auch eine Übergangsleistung erwähnt ist, ist ersichtlich nicht fallbezogen formuliert. Das Schreiben der Beklagten vom 16. April 2009, mit dem ein Anspruch auf eine Übergangsleistung abgelehnt wird, mag dahin verstanden werden können, dass die Beklagte versehentlich angenommen hatte, ein Anspruch auf Übergangsleistung sei vereinbart. Dem Schreiben kann aber keine anspruchsbegründende Wirkung beigemessen werden.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

    Berufungsstreitwert: 72.000,- €