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  • · Fachbeitrag · Krankentagegeldversicherung

    Arbeitsunfähigkeit: Jeder Handschlag schadet - wirklich jeder?

    von RA Marc O. Melzer, FA für MedR, SozR und VersR, Bad Lippspringe

    • 1.Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 1 MB/KT 2009 entfällt nicht, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben.
    • 2.Arbeitsunfähigkeit eines Rechtsanwalts ist gegeben, wenn diesem die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung der übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten fehlt.

    (BGH 3.4.13, IV ZR 239/11, Abruf-Nr. 131393)

     

    Praxishinweis

    Kann der Versicherte seine berufliche Tätigkeit nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft nicht mehr (zu über 50 Prozent) ausüben, wird das Versicherungsvertragsverhältnis gemäß § 15 MB/KT beendet.

     

    HINWEIS |  In der Berufsunfähigkeitsversicherung werden regelmäßig „mindestens 50 Prozent“ vereinbart, sodass Leistungen aus beiden Versicherungen nebeneinander möglich sind, wenn exakt 50 Prozent erreicht werden.

     

    Die Klausel ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 307 BGB nichtig (BGH VersR 92, 477). Sie führt damit nicht zu einer endgültigen Vertragsbeendigung. Dem VN muss vielmehr die Möglichkeit zum Abschluss einer Anwartschaftsversicherung angeboten werden. Diese sollte unter der Bedingung angenommen werden, dass tatsächlich BU im Sinne der MB/KT vorliegt.

     

    Dieses Vorliegen muss der VR beweisen.

    Demgegenüber muss der VN die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 MB/KT darlegen und beweisen, dass er „seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht.“

     

    Der Versicherte muss folglich vollständig (100 Prozent) arbeitsunfähig sein, sodass „jeder Handschlag“, eine nur eingeschränkte Möglichkeit der Berufsausübung bzw. die (teilweise) Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit dem Anspruch auf das vereinbarte Tagegeld schadet.

     

    • Beispiel
    • Bei einer Wiedereingliederung i.S.v. § 28 SGB IX, dazu AG Mönchengladbach 8.2.12, 2 C 12/13,
    • anders bei einer beruflichen Reha-Maßnahme nach § 74 SGB V, da der Versicherte in diesem Fall durch eine andere als die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit erst wieder an das Erwerbsleben herangeführt wird, dazu LG Dortmund 31.7.03, 2 O 208/03.
     

    Der Ansicht, dass nur Tätigkeiten von gewisser Art und gewissem Umfang den Tagegeldanspruch entfallen lassen können (OLG Hamm VersR 87, 1085; VersR 91, 452) ist der BGH - zunächst - nicht gefolgt. Vielmehr führt jedwede auch geringfügige Tätigkeit zum Anspruchsverlust (Akquisetätigkeit eines Architekten an drei Tagen, BGH VersR 07, 1260). Das wirft insbesondere bei Selbstständigen die Frage auf, ob leitende, aufsichtsführende oder kaufmännische Tätigkeiten möglich sind.

     

    HINWEIS  |  Die Berufung des VR kann bei nur ganz geringfügiger Berufsausübung des Versicherten allerdings nach § 242 BGB missbräuchlich sein (BGH VersR 93, 297). Das dürfte bei ganz unbedeutenden oder untergeordneten Hilfstätigkeiten geringen Ausmaßes vorliegen, mit denen keine Wertschöpfung verbunden ist (Versicherungsrechts-Handbuch/Tschersich, 2. Aufl. 2009, § 45 Rn. 96 m.w.N.).

     

    Der BGH hat nun klargestellt, dass die bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit nicht entfällt, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben. Zwar habe der Senat im Falle des Architekten (BGH a.a.O.) entschieden, dass dessen Akquisetätigkeit an drei Tagen zum Verlust des Tagegeldanspruchs führe, allerdings auch nur für jene drei Tage. Das ergab sich allein aus der Bestimmung „sie auch nicht ausübt“ in § 1 Abs. 3 MB/KT. Dieses selbstständige Tatbestandsmerkmal knüpfe an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit in Teilbereichen trotz insgesamt weiter vorliegender Arbeitsunfähigkeit an. Sanktionsfolge sei der Verlust des Tagegeldanspruchs. Der Senat habe indes aus der Fähigkeit zur Akquise - obwohl er hierin eine teilweise Berufsausübung gesehen hat - gerade nicht generell auf eine teilweise Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geschlossen. Er habe das dortige Berufungsurteil vielmehr hinsichtlich des weiteren Tagegeldanspruchs (für die anderen als die drei betroffenen Tage) aufgehoben und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

     

    Wann einzelne Tätigkeiten isoliert betrachtet keinen Sinn ergeben, hat der BGH zwar nicht verallgemeinerungsfähig ausgeführt. Allerdings dürfte der Senat die Berufsunfähigkeitsversicherung vor Augen gehabt haben, bei der es maßgeblich auf die prägenden, wertschöpfenden Tätigkeiten ankommt. Denn im Falle des Klägers, einem Rechtsanwalt, der nach einem leichten Schlaganfall an einer Lesestörung (Dyslexie) leidet, hat der BGH sehr deutlich gemacht, dass diesem die (Kern-)Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung der übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten fehlt.

     

    Da die Krankentagegeldversicherung nach § 192 Abs. 5 VVG den als Folge von Krankheit oder Unfall durch Arbeitsunfähigkeit verursachten Verdienstausfall ersetzen soll, darf aus der einzelnen Tätigkeit kein Wert geschöpft werden. Ansonsten macht die Tätigkeit Sinn, was zum Anspruchsverlust führt.

     

    Es ist Sache des Versicherten vorzutragen und zu beweisen, dass mit der einzelnen Tätigkeit kein sinnvolles Arbeitsergebnis, sprich kein Verdienst, erzielt werden kann. Neben dem medizinischen Sachverständigen dürfte daher künftig - ggf. nach einem richterlichen Hinweis - des Öfteren auch ein Berufskundler sitzen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 104 | ID 39663560