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  • · Fachbeitrag · Kfz-Kaskoversicherung

    Diebstahl eines Fahrzeugs nach Schlüsselverlust und Belassen des Fahrzeugscheins im Fahrzeug

    von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen

    • 1.Bleibt ungeklärt, wie das versicherte Fahrzeug entwendet wurde, ist der VR nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei, obwohl sich der Fahrzeugschein im Wagen befand und der VN einen früheren Schlüsselverlust nicht angezeigt hatte. Es fehlt an der vom VR zu beweisenden Kausalität zwischen Eintritt des Versicherungsfalls und dem zum Vorwurf gemachten Verhalten des VN.
    • 2.Das bewusste Belassen des Fahrzeugscheins im Wagen stellt keine Gefahrerhöhung dar. Das Entwendungsrisiko ist dadurch nicht erhöht.
    • 3.Bei Schlüsselverlust kommt eine ungewollte Gefahrerhöhung nur dann in Betracht, wenn sich aus den Umständen des Schlüsselverlusts das objektive Risiko eines Zugriffs Dritter auf das versicherte Fahrzeug ergibt. Der VN verletzt seine gesetzliche Anzeigeobliegenheit, wenn er die Gefahrerhöhung bei Kenntniserlangung dem VR nicht unverzüglich anzeigt. Die Kenntnis des VN hat der VR zu beweisen.

    (OLG Hamm 3.7.13, 20 U 226/12, Abruf-Nr. 132719)

     

    Sachverhalt

    Der VN nimmt den VR wegen Entwendung seines Pkw aus der Kaskoversi-cherung auf Zahlung an die finanzierende Bank in Anspruch. Nach Verlust eines Fahrzeugschlüssels in 2010 verblieb der Fahrzeugschein im Pkw. Der VR bestreitet den Diebstahl. Er hält sich wegen Obliegenheitsverletzungen des VN, grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls und Gefahrerhöhung für leistungsfrei.

     

    Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des VN hatte Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet. Der VN hat gemäß A.2.2.2 AKB einen Anspruch auf Zahlung von 5.265 EUR an die finanzierende Bank. Nach Anhörung des VN und der Aussage des Zeugen X ist das äußere Bild einer Entwendung und damit der Eintritt des Versicherungsfalls bewiesen.

     

    Die Leistungspflicht des VR entfällt nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 Abs. 2 VVG). Unabhängig davon, ob das Belassen des Fahrzeugscheins im Pkw, die Nichtanzeige des Schlüsselverlusts und das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen fahrlässig ist, hat der VR den ihm obliegenden Kausalitätsbeweis für das Herbeiführen des Versicherungsfalls nicht erbracht. Es mangelt am Nachweis, wie das Fahrzeug entwendet wurde und inwieweit Sicherungsmaßnahmen den Diebstahl verhindert hätten. Der VR ist auch nicht wegen vorsätzlicher Gefahrerhöhung leistungsfrei (§ 23 Abs. 1, § 26 Abs. 1 S. 1 VVG). Die bewusste Aufbewahrung des Fahrzeugscheins im Fahrzeug erhöht das Entwendungsrisiko nur unwesentlich und stellt keine Gefahrerhöhung dar. Gefahrerhöhung ist die nachträgliche Änderung der bei Vertragsschluss tatsächlich vorhandenen gefahrerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalls oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlich macht. Unabhängig davon, ob sich der Fahrzeugschein schon vor Vertragsschluss im Wagen befand, ist das versicherte Risiko nicht erhöht. Erlangt der Autodieb auch den Schein, erleichtert ihm dieser zwar die Gewahrsamssicherung. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass der von außen nicht sichtbare Fahrzeugschein einen Täter dazu motiviert, den ganzen Wagen zu stehlen, wenn er nur einzelne Gegenstände aus dem Innern entwenden wollte. Auch wussten nur der VN und der Zeuge X von der Aufbewahrung. Zwar wird durch den vorgefundenen Fahrzeugschein bei einer Totalentwendung das Wegschaffen des Fahrzeugs (z.B. bei Grenzübertritt) erleichtert. Dies und die Verringerung des Entdeckungsrisikos (z.B. bei einer Polizeikontrolle) beeinflusst das bereits verwirklichte Diebstahlsrisiko nicht.

     

    Der VR ist auch nicht aufgrund des nicht angezeigten Schlüsselverlusts wegen einer unabhängig vom Willen des VN eingetretenen Gefahrerhöhung leistungsfrei (§ 23 Abs. 3, § 26 Abs. 2 S. 1 VVG). Hiernach müsste sich aus den Umständen das objektive Risiko eines Zugriffs Dritter auf das Fahrzeug ergeben. Es ist ungeklärt, wie und wo der Schlüssel abhanden gekommen ist. Da der verlorene Schlüssel weder eine Fernbedienung noch einen sonstigen Hinweis auf den Pkw des VN aufwies, stellt der Fund dieses Schlüssels für einen Dritten keinen erleichterten Zugriff auf das Fahrzeug dar.

     

    Es kann dahinstehen, ob der VN den Schlüsselverlust hätte anzeigen müssen. Der VR muss die Kenntnis des VN von der Gefahrerhöhung beweisen. Der VN hatte jedoch keine sichere Kenntnis von Tatsachen, die als Gefahrerhöhung zu werten wären. Selbst wenn er Verdacht gegen einen Besucher geschöpft hätte, den Schlüssel vom Bund abgelöst zu haben, war dies nicht mehr als eine Vermutung und keine sichere Feststellung. Dazu kommt, dass der VN diesen Verdacht erst nach der Entwendung des Pkw hatte.

     

    Die Leistungsfreiheit des VR scheitert daran, dass der VN eine etwaige Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Zwar geht das Gesetz von einer Vermutung für Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit aus. Der VN trägt die Beweislast für unvorsätzliches bzw. nicht grob fahrlässiges Verhalten. Diesen Beweis hat er geführt. Vorsatz setzt voraus, dass dem VN nicht nur die Umstände der Gefahrerhöhung bewusst waren, sondern auch seine Verpflichtung, den VR davon in Kenntnis zu setzen. Der Senat schließt Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wegen der eingeschränkten Auffassungsgabe und der persönlichen Situation des VN zum Zeitpunkt des Schlüsselverlusts aus. Der VN war seinerzeit nicht in der Lage, seine Obliegenheiten gegenüber dem VR zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung befasst sich mit häufigen Streitfragen aus der Regulierungspraxis. Der Fahrzeugschein verbleibt im Fahrzeug und ein Schlüsselverlust wird nicht angezeigt. Der VR lehnt Leistungen unter Berufung auf grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 Abs. 2 VVG) und Gefahrerhöhung (§§ 23, 26 VVG) ab.

     

    Zutreffend verneint das OLG Leistungsfreiheit aus § 81 Abs. 2 VVG. Der VR trägt die Beweislast für grobe Fahrlässigkeit und Kausalität des Verhaltens des VN zur Herbeiführung des Versicherungsfalls. Der Versicherungsfall muss infolge der groben Fahrlässigkeit eingetreten sein. Das dem VN zum Vorwurf gemachte Verhalten muss sich hierauf zumindest mitursächlich ausgewirkt haben. Dies ist hier nicht der Fall.

     

    Bezüglich des Fahrzeugscheins im Wagen wird der Täter den Diebstahlsentschluss in der Regel bereits beim Aufbrechen des Fahrzeugs gefasst haben. Dies gilt unabhängig davon, ob er das Fahrzeug mit oder ohne Schein entwendet. Die denkbare Alternative, zunächst nur Teile stehlen zu wollen, sich jedoch nach Entdecken des Scheins zum Diebstahl des ganzen Fahrzeugs entschlossen zu haben, wird der VR nicht beweisen können, es sei denn, er hätte den Täter und insoweit dessen glaubhaftes Geständnis.

     

    Bei Schlüsselverlust muss der VR zur Kausalität nachweisen, dass das Fahrzeug mit diesem Schlüssel entwendet worden ist. Dieser Nachweis ist schwer zu führen. In der Regel lässt sich wie im Besprechungsfall nicht feststellen, wie der Wagen entwendet worden ist. Meist werden die Fahrzeuge nicht wieder aufgefunden. So bleibt offen, ob der Täter den Schlüssel überhaupt an sich genommen und zum Diebstahl benutzt hat. Gleichermaßen hat das OLG Leistungsfreiheit wegen Nichtanzeige des Schlüsselverlusts und Unterlassung von Sicherungsmaßnahmen mangels Kausalität zutreffend verneint.

     

    Dasselbe gilt im Ergebnis für die Ablehnung von Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung. Hier ist lediglich darauf hinzuweisen, dass es für den Zeitpunkt der Gefahrerhöhung entgegen §§ 23, 27 VVG a.F. nicht mehr auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auf die Abgabe der Vertragserklärung des VN ankommt (§ 23 Abs. 1, Abs. 3 VVG). In der Regel ist dies der Antrag des VN, der zeitlich vor dem Vertragsschluss liegt. Relevant sind Gefahrerhöhungen nach der Abgabe der Vertragserklärung des VN.

     

    Das OLG sieht das Zurücklassen des Fahrzeugscheins im Wagen im Besprechungsfall nicht als Gefahrerhöhung an. Das Entwendungsrisiko wurde u.a. nicht erhöht, weil der Schein von außen nicht sichtbar war und außer dem VN und dem Zeugen kein Dritter den Sachverhalt kannte. Dem ist zuzustimmen. Im Übrigen vermag die Verminderung des Entdeckungsrisikos durch den Besitz des Scheins nach begangener Entwendung eine Gefahrerhöhung nicht zu begründen. Bei Schlüsselverlust kommt eine ungewollte Gefahrerhöhung gem. § 23 Abs. 3 VVG in Betracht, die hier zu verneinen ist. Schlüsselverlust bedeutet nicht automatisch Gefahrerhöhung. Es ist ungeklärt, wann und wo der Schlüssel abhanden gekommen ist. Somit kann auch nicht festgestellt werden, dass er z.B. nahe am Fahrzeug verloren wurde oder beim Auffinden an anderer Stelle von einem Dritten dem Fahrzeug zugeordnet werden konnte. Zudem gibt es Fälle, in denen der Schlüssel lediglich verlegt und nicht wieder aufgefunden wird. Fehlt es schon an dem Tatbestand einer Gefahrerhöhung, entfällt auch die in § 23 Abs. 3 VVG normierte Anzeigepflicht des VN.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Verlust von Fahrzeugschlüsseln: Wann ist der Versicherer leistungsfrei? VK 06, 102
    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 210 | ID 42375304