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  • · Fachbeitrag · Regress

    Vorsicht: In diesen Fällen kann der VR bei zwei Pflichtverletzungen doppelt Regress kassieren

    | Begeht der VN mehrere Pflichtverletzungen, kann der VR in bestimmten Fällen die Obergrenze seiner Leistungsfreiheit (Regressgrenze) mehrfach ansetzen. Das zeigt eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. |

     

    Sachverhalt

    Der Beklagte verursachte mit dem beim VR haftpflichtversicherten Pkw einen Verkehrsunfall. Er war nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis. Obwohl er den Unfall bemerkt hatte, verließ er zu Fuß die Unfallstelle. Er wurde deshalb vom Amtsgericht wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt.

     

    Der Schaden betrug ca. 9.100 EUR. Der VR nimmt den Beklagten wegen dieses Betrags in Regress. Der Beklagte meint, dem VR stehe ein Regressanspruch nur in Höhe von 5.000 EUR zu. Dies sei die Regressobergrenze.

     

    Der VR meint dagegen, dass zwei Pflichtverletzungen vorliegen würden. Der Beklagte habe zunächst das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ohne die erforderliche Fahrerlaubnis benutzt. Nach dem Unfall habe er sich vom Unfallort entfernt sowie seine Aufklärungspflicht verletzt. Die Leistungsfreiheit sei der Höhe nach für die Obliegenheitsverletzung „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ (in Entsprechung zu § 5 Abs. 3 S. 1 KfzPflVV) und für die Obliegenheitsverletzung „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ (in Entsprechung zu § 6 Abs. 3 S. 2 KfzPflVV) jeweils auf 5.000 EUR beschränkt. Die Regressbeträge seien zu addieren, wenn ‒ wie hier ‒ die eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls und die andere im Anschluss daran begangen worden sei. Komme die Verletzung von Obliegenheiten, die vor und nach dem Versicherungsfall zu erfüllen seien, zusammen, erhöhe sich die Grenze bis auf 10.000 EUR.

     

    Das LG hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt.

     

    Entscheidungsgründe

    Das OLG Frankfurt a. M. hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Entscheidung des LG bestätigt (27.12.17, 10 U 218/16, Abruf-Nr. 201958). Das LG hat den Beklagten zu Recht nicht nur zur Zahlung von 5.000 EUR, sondern zum Ersatz des gesamten Schadens verurteilt.

     

    Der VR ist bei seinem Rückgriff nicht auf den Betrag von 5.000 EUR beschränkt. Vielmehr sind bei Verletzung von Obliegenheiten, die den Versicherten vor und die ihn nach dem Versicherungsfall treffen, die Beträge zu addieren, für die Leistungsfreiheit besteht. Insoweit ist der herrschenden und vom BGH vertretenen Auffassung zu folgen (z. B. BGH NJW 06, 147, 148 Tz. 8; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 15, 276, 277; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., AKB D.2 Rn. 73).

     

    Rechtsgrundlage für diese Verdoppelung ist die Auslegung der Versicherungsbedingungen (BGH a. a. O.). Sie steht nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht wie der KfzPflVV, die in den §§ 5 und 6 ebenfalls zwischen Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall unterscheidet. Bei dieser Argumentation kommt man auch nicht zu einer noch höheren Vervielfachung des Betrags der Leistungsfreiheit, wenn der Versicherte gegen weitere Obliegenheiten verstoßen hat.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung ist für den Betroffenen negativ. Im schlimmsten Fall haftet er bis zu 10.000 EUR. Allerdings gilt nicht die Gleichung „2 x Obliegenheitsverletzung = doppelter Regressbetrag“. Als Anwalt des Betroffenen müssen Sie im Auge behalten, worin die Obliegenheitsverletzungen liegen.

     

    • Die Erhöhung des Betrags der Leistungsfreiheit auf das Doppelte knüpft nämlich nicht an die Zahl der insgesamt verletzten Obliegenheiten an. Entscheidend ist vielmehr allein die Unterscheidung von Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall.

     

    • Hat der VN mehrere Obliegenheiten verletzt, die er vor dem Versicherungsfall zu erfüllen hat, beschränkt sich die Leistungsfreiheit gleichwohl auf 5.000 EUR. Das gleiche gilt bezüglich der Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall.

     

    Sie haben auch noch einen zweiten Ansatzpunkt. Es wird nämlich auch danach unterschieden, wie schwer die Obliegenheitsverletzung war. So liegt die Regressobergrenze bei einer einfachen Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall bei 2.500 EUR. Nur bei einer besonders schwerwiegenden vorsätzlich begangenen Verletzung der Aufklärungspflicht i. S. des § 6 Abs. 3 KfzPflVV greift die Obergrenze der Leistungsfreiheit des VR von 5.000 EUR.

     

    Grundsätzlich ist nicht bereits das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ein besonders schwerwiegender Verstoß. Vielmehr müssen weitere erschwerende Umstände hinzukommen. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte zudem noch bestritten, das Unfallfahrzeug gefahren zu haben. Im Strafverfahren führt das nicht zu einer Strafschärfung. Im Versicherungsrecht sieht das jedoch anders aus. Dort führte das dazu, dass von einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Aufklärungspflicht ausgegangen wurde.

     

     

    Quelle: Ausgabe 07 / 2018 | Seite 112 | ID 45292946