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  • · Fachbeitrag · Belehrungspflicht

    Belehrungspflicht des VR über Verletzungder Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit

    von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen

    • 1. Dem Erfordernis einer gesonderten Mitteilung in Textform i.S. von § 28 Abs. 4 VVG genügt es, wenn der VR die Belehrung des VN in einen Fragebogen zur Schadenmeldung oder ein sonstiges Schreiben aufnimmt, in welchem dem VN Fragen zur Aufklärung des Versicherungsfalls gestellt werden.
    • 2. In diesen Fällen muss sich die Belehrung durch ihre Platzierung und drucktechnische Gestaltung vom übrigen Text derart abheben, dass sie für den VN nicht zu übersehen ist.

    (BGH 9.1.13, IV ZR 197/11, Abruf-Nr. 130300)

    Sachverhalt

    Der VN nimmt den VR aus einer Firmenschutzversicherung auf Leistungen wegen eines Einbruchs in seinen Betrieb in Anspruch. Bei Regulierungsverhandlungen mit dem Beauftragten des VR unterzeichnete der VN ein Formular „Vergleich und Abfindungserklärung“. Dort heißt es u.a.: „Mit Bewilligung einer Vergütung von 31.000 EUR erkläre ich mich hinsichtlich aller Entschädigungsansprüche, die ich anlässlich meines Versicherungsfalls vom 29.5.09 (...) erhebe, für abgefunden. (...) An diesen Vergleichsvorschlag halte ich mich nur gebunden, wenn die oben genannte Gesellschaft innerhalb von 20 Tagen nach Erhalt dieser Erklärung ihre Annahme durch Zahlung erklärt.“

     

    Der VR zahlte nicht. Mit Schreiben vom 3.9.09 forderte er den VN auf, weitere zahlreiche Fragen zur Sachverhaltsaufklärung zu beantworten. Es lautet am Ende: „Abschließend erteilen wir Ihnen folgende Belehrung: (Mitteilungen über die Folgen bei Verletzung von Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach dem Versicherungsfall) …“ Der nachfolgende Belehrungstext erstreckt sich über vier Absätze. Er unterscheidet sich nicht von dem sonstigen Schriftbild des Schreibens. Lediglich das einleitende Wort „Belehrung“ ist fett, der nachfolgende Klammerzusatz ist kursiv gedruckt.

     

    Die Klage blieb bei LG und OLG erfolglos. Auf die Revision des VN hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Offen bleiben kann, ob der VN seine Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit verletzt hat. Vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des VR nach § 28 Abs. 2 VVG kann schon deshalb nicht eintreten, weil die dem VN erteilte Belehrung über diese Rechtsfolgen den Anforderungen des § 28 Abs. 4 VVG nicht genügt. Allerdings nimmt das OLG zu Recht an, dass eine schriftliche Belehrung des VN auf einem Schadenmeldungsfragebogen oder - wie hier - in einem individuellen Schreiben des VR, in welchem dem VN Fragen zum Versicherungsfall gestellt werden, das Erfordernis einer „gesonderten Mitteilung in Textform“ i.S. des § 28 Abs. 4 VVG erfüllt.

     

    Der Gesetzeswortlaut macht nicht hinreichend deutlich, ob „gesondert“ eine absolute Trennung der Mitteilung von jeglichen anderen Texten oder lediglich von bestimmten Dokumenten fordert. Teils wird angenommen, dass die Belehrung nur mittels einer eigens verfassten Urkunde, die als „Extrablatt“ daneben keine weiteren Informationen enthalten dürfe, wirksam erfolgen könne. Dem ist nicht zuzustimmen. Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung kann die Belehrung zusammen mit schriftlichen Fragen des VR innerhalb eines Dokuments erteilt werden. Das folgt aus dem Gesetzeszweck. Eine gesonderte Mitteilung in Textform i.S. des § 28 Abs. 4 VVG ist als eine anlassbezogene, von den allgemeinen Vertragsunterlagen, insbesondere dem Versicherungsschein, aber auch den Versicherungsbedingungen und dem Produktinformationsblatt, getrennte Form des Hinweises zu verstehen.

     

    • Die Belehrung soll dem VN eindringlich vor Augen führen, welche Bedeutung die vollständige, rechtzeitige und wahrheitsgemäße Information des VR für dessen Leistungspflicht hat. Der VN soll zu einer ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheiten angehalten und vor den ihm anderenfalls drohenden Rechtsnachteilen gewarnt werden. Deshalb ist erst dann zu belehren, wenn vom VN Angaben zum konkreten Versicherungsfall erwartet werden.

     

    • Der Zweck der Belehrung kann einerseits mittels eines „Extrablatts“ erreicht werden. Mit dem Gesetzeszweck lässt es sich ebenso vereinbaren, die Belehrung auf einem Schadenmeldungsfragebogen oder in einem Schreiben zu erteilen, in dem der VR Fragen zur Aufklärung des Versicherungsfalls stellt. Die Belehrung wird ihrer Warnfunktion gerade dann gerecht, wenn sie dem VN im unmittelbaren zeitlichen und auch räumlichen Zusammenhang mit den an ihn gerichteten Fragen erteilt wird.

     

    Die drucktechnische Gestaltung der Belehrung im Schreiben des VR vom 3.9.09 genügt nicht den Anforderungen an eine Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG. Bereits in der Relevanzrechtsprechung zu § 6 Abs. 3 VVG a.F. war anerkannt, dass die Belehrung sowohl drucktechnisch als auch hinsichtlich ihrer Platzierung so ausgestaltet werden musste, dass sie für den VN nicht zu übersehen war. Aus den Gesetzesmaterialien zum neuen VVG ergibt sich, dass die Formerfordernisse der Belehrung verschärft werden sollten. Die Belehrungspflicht gilt nunmehr für alle Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach dem Versicherungsfall. Lässt man die Belehrung in einem Fragebogenformular oder in einem Schreiben des VR mit Fragen an den VN zu, muss sie so gestaltet sein, dass sie sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom VN nicht übersehen werden kann.

     

    Dem genügt die vorliegende Belehrung nicht:

     

    • Ihr Text hebt sich weder in Schriftart oder -größe noch in Bezug auf Fett-, Kursiv- oder Normaldruck, Zeilenabstand, Zeilen- oder Absatzeinzüge oder Schriftfarbe ausreichend vom übrigen Text des Schreibens vom 3.9.09 ab.

     

    • Andere grafische Mittel zur Hervorhebung wie Balken, Kästen, Pfeile oder eine besondere Hintergrundfärbung werden ebenfalls nicht eingesetzt.

     

    • Allein das fett gedruckte Wort „Belehrung“ und die Kursivstellung des nachfolgenden Klammerzusatzes, die beide im Fließtext integriert und nicht nach Art einer Überschrift hervorgehoben sind, reichen nicht aus, die Aufmerksamkeit des VN in besonderem Maße auf den nachfolgenden, normal gedruckten Belehrungstext zu lenken, der sich über vier Absätze erstreckt.

     

    Anders als der VN meint, ist der Klage nicht bereits aufgrund eines zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichs stattzugeben. In der neuen Verhandlung muss nunmehr geprüft werden, ob ein Versicherungsfall vorliegt und in welchem Umfang der VN ggf. Schäden erlitten hat.

     

    Praxishinweis

    Die Bedeutung der vorliegenden Entscheidung erschließt sich schon daraus, dass sie in die Amtliche Sammlung BGHZ aufgenommen wird. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze für die Belehrung durch den VR sind zudem nicht auf die Verletzung der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit nach dem Versicherungsfall beschränkt. Die Belehrungspflicht des VR „durch gesonderte Mitteilung in Textform“ findet sich auch in § 19 Abs. 5 VVG (vorvertragliche Anzeigepflicht), § 37 Abs. 2 S. 2 VVG (Nichtzahlung der Erstprämie) sowie § 51 Abs. 1, § 52 Abs. 1 S. 2 VVG (vorläufige Deckung).

     

    Der BGH folgt der herrschenden Meinung, wonach die Belehrung nicht strikt getrennt auf einem „Extrablatt“ erfolgen muss. Sie ist auch dann wirksam, wenn sie anlassbezogen im Zusammenhang mit Fragen des VR zum Versicherungsfall in demselben Schriftstück erteilt wird. Die Belehrung muss sich vom übrigen Text so abheben, dass sie vom VN nicht übersehen werden kann.

    Der BGH hat die drucktechnischen Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen beispielhaft aufgezeigt. Da der VR diese Möglichkeiten im Besprechungsfall nicht genutzt hatte, kam Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit vorliegend nicht in Betracht.

     

    Vorliegend hatte der BGH keinen Anlass zu prüfen, ob die Belehrung auch für die Leistungsfreiheit des VR wegen Arglist des VN erforderlich ist. Es ist nicht zu übersehen, dass bei Vorsatz des VN nicht selten auch Arglist angenommen wird. Der Anwalt des VN sollte immer darauf achten, ob die dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der VN einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung beeinflussen kann. Anders als in § 28 Abs. 3 S. 2 VVG ist in Abs. 4 keine Ausnahmeregelung für Arglist enthalten. Nach zutreffender herrschender Meinung ist im Arglistfall keine Belehrung des VN durch den VR erforderlich. Das entspricht auch der Begründung zur VVG-Reform. Ausdrücklich heißt es dort: „ Im Falle der Arglist des VN bedarf es keiner Belehrung nach Absatz 4.“ Dieses ergibt sich auch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz , wonach der arglistig Täuschende keinen Schutz verdient.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Weitere Entscheidungen zu § 28 Abs. 4 VVG: OLG Karlsruhe VK 11, 3; LG Nürnberg/Fürth VK 11, 182; OLG Bremen VK 12, 215 (Vorinstanz)
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 40 | ID 37825310