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  • 04.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231583

    Amtsgericht Norderstedt: Beschluss vom 15.09.2022 – 66 IN 90/19

    Die Energiepreispauschale gem. §§ 112 ff EStG ist pfändbar und unterfällt insbesondere dem Insolvenzbeschlag.




    In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen d.
    - Schuldner -
    Verfahrensbevollmächtigte:
    hat das Amtsgericht Norderstedt am 15.09.2022 durch den Rechtspfleger beschlossen:
    Tenor:

    Der Antrag des Schuldners vom 30.08.2022 auf Freigabe der Energiepreispauschale wird zurückgewiesen.
    Gründe

    Mit Beschluss vom 01.08.2019 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Dieses ist bislang nicht beendet worden.

    Mit Antrag vom 30.08.2022, eingegangen am 01.09.2022, hat der als angestellter Zahnarzt tätige Schuldner (s. letzter Bericht des Insolvenzverwalters) die Freigabe der Energiepreispauschale in Höhe von 300,- € beantragt. Diese sei aufgrund der Zweckbestimmung (Minderung der Belastungen durch die gestiegenen Energiekosten) gem. § 851 ZPO unpfändbar. Er verwies auf die Rechtsprechung des BGH zur Unpfändbarkeit der staatlichen Corona-Hilfen (BGH 10.03.2021, VII ZB 24/20).

    Des Weiteren benötige er die Zahlung dringend, um sein Existenzminimum zu sichern, sodass ein Anspruch auf Freigabe gem. § 765a ZPO bestehe.

    Der Insolvenzverwalter wurde gehört und hat keine Stellungnahme abgegeben. Der Schuldner hat trotz Aufforderung weder die Daten seines aktuellen Arbeitgebers noch einen Nachweis erbracht, dass er die Energiepreispauschale ausgezahlt bekommen soll. Auch hat er trotz Aufforderung keine Begründung für seinen auf § 765a ZPO gestützten Antrag geliefert.

    Der Antrag des Schuldners ist daher schon mangels Glaubhaftmachung und mangels nötigem Vortrag zurückzuweisen.

    In der Sache geht das Insolvenzgericht aber auch davon aus, dass die Energiepreispauschale pfändbar ist, sodass der Antrag auch bei weiterem Schuldnervortrag bzw. weiterer Glaubhaftmachung grundsätzlich zurückzuweisen ist.

    Die gesetzlichen Regelungen zur Energiepreispauschale finden sich in den §§ 112 ff. EStG. Sie beträgt einmalig 300,- €, § 112 Abs.2 EStG. Der Auszahlungsanspruch entsteht grundsätzlich am 01. September 2022, § 114 EStG und wird an Arbeitnehmer grundsätzlich (es gibt Ausnahmen: §§ 117 Abs.1 S.2, Abs.3 S. 3 EStG, weshalb es nötig ist, dass der Schuldner den tatsächlichen Bezug glaubhaft macht) durch den Arbeitgeber in diesem Monat ausgezahlt, wobei der Betrag aus dem einzubehaltenden Lohnsteuerbetrag zu entnehmen ist, § 117 Abs.2 S.2 EStG. Sie unterliegt grundsätzlich der Besteuerung, § 119 EStG, und die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung sind entsprechend anzuwenden, § 120 Abs.1 EStG.

    Regelungen zur (Un-) Pfändbarkeit der Energiepreispauschale hat der Gesetzgeber nicht geschaffen, was nach Wahrnehmung des Gerichts in der Vollstreckungspraxis zu spürbarer Unsicherheit bei Schuldnern, deren Beratern, Arbeitgebern und deren Beratern sowie bei Insolvenzverwaltern führt. Auch lässt sich nach Einschätzung des Gerichts aus dem Gesetzesentstehungsvorgang (insb. BT.-Drucks. 20/1765) keine Befassung mit der Frage der (Un-) Pfändbarkeit der Energiepreispauschale entnehmen.

    Das Bundesfinanzministerium (Homepage, FAQ-Bereich zur Energiepreispauschale, Stand 31.08.2022) geht davon aus, dass es sich bei der Energiepreispauschale nicht um Arbeitslohn handelt und deswegen auch nicht der Lohnpfändung unterfällt. Dem vermag sich das Insolvenzgericht anzuschließen.

    Zwar entstammt die Zahlung faktisch der Brutto-Lohnzahlung des Arbeitgebers. Da sie steuerrechtlich aber der einzubehaltenden Lohnsteuer zu entnehmen ist (§ 117 Abs.2 S.2 EStG), ist sie nicht dem Lohnbereich, sondern dem steuerlichen Bereich zugeordnet. Dass die Energiepreispauschale nicht als Arbeitslohn betrachtet wird, ist daher nachvollziehbar. Daher unterfällt sie nach Ansicht des Gerichts auch nicht der Lohnpfändung.

    Das hilft aber nur bedingt weiter. Zwar besteht hiermit Klarheit für eine im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung ausgebrachte Lohnpfändung, die also keine Abführungspflicht des Drittschuldners an den Gläubiger auslöst.

    Auch wenn sich nach der Beendigung eines Insolvenzverfahrens die Wohlverhaltensphase anschließt, in der der Insolvenzbeschlag entfallen und im Wesentlichen nur noch aufgrund der Abtretungserklärung pfändbare Lohnbestandteile des Schuldners an den Treuhänder abzuführen sind, dürfte nach Ansicht des Gerichts mithin aus denselben Gründen keine Abführungspflicht mehr bestehen.

    Anders ist das nach hiesiger Ansicht aber im eröffneten Insolvenzverfahren zu beurteilen. Hier umfasst der Insolvenzbeschlag gem. § 35 Abs.1, 36 Abs.1 InsO alle - auch künftigen - pfändbaren Beträge. Die Frage der (Un-) Pfändbarkeit der Energiepreispauschale wird zudem auch Vollstreckungsgerichte im Rahmen von Kontofreigabeanträgen beschäftigen, wenn die Energiepreispauschale auf das Pfändungsschutzkonto von Schuldnern ausgezahlt wurde und dort der vorgemerkte unpfändbare P-Konto-Betrag überschritten wird.

    Zunächst ist nach Ansicht des Gerichts festzuhalten, dass die §§ (36 Abs.1, 4 InsO i.V.m.) 850 ff ZPO keine Anwendung finden dürften, weil diese Vorschriften grundsätzlich voraussetzen, dass Arbeitseinkommen des Schuldners vorliegt. So lassen sich insbesondere aus den §§ 850 a (auch kein Fall der darin genannten Beihilfen) und f ZPO keine Freigabemöglichkeiten herleiten.

    Auch § 850i ZPO findet nach Ansicht des Gerichts keine Anwendung. Dieser lässt zwar auch Freigaben bezüglich solcher Einnahmen des Schuldners zu, die kein Arbeitseinkommen sind, setzt aber voraus, dass die Einnahmen vom Schuldner eigenständig, etwa aus kapitalistischer Tätigkeit, also durch Handeln des Schuldners erwirtschaftet werden. So sollte der Schuldner motiviert werden, Einkünfte selber zu erzielen (z.B. BGH, 26.06.2014, IX ZB 88/13). Die Energiepreispauschale wird jedoch ohne jegliches Zutun des Schuldners ausgezahlt, mithin nicht vom Schuldner "erwirtschaftet".

    § 850i ZPO stellt letztlich auch auf einen freizugebenden Betrag ab, der dem entspricht, was dem Schuldner bei laufendem Arbeits- oder Dienstlohn zustünde. Empfänger der Energiepreispauschale haben aber schon ein reguläres Einkommen (so auch vorliegend der als Zahnarzt angestellte Schuldner), sodass für ergänzende Freigaben nach § 850i ZPO kein Raum bestehen dürfte, jedenfalls nicht grundsätzlich.

    Nach Ansicht des Gerichts kommt die Energiepreispauschale aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung am ehesten einer (vorzeitigen) Steuererstattung gleich. Der Staat verzichtet auf einen Lohnsteueranteil, wodurch eine Auszahlung an den Bürger generiert werden kann. Steuererstattungsansprüche sind gem. § 46 Abs.1 AO grundsätzlich pfändbar. Auch diese Betrachtung führt daher zu der Annahme, dass die Energiepreispauschale pfändbar ist.

    Fraglich ist, ob eine Unpfändbarkeit gem. § 851 ZPO angenommen werden kann.

    Nach § 851 Abs.1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist die Norm unter anderem auf § 399 BGB. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Hierzu gehören zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt (BGH, 10.03.2021, VII ZB 24/20).

    Für den Fall der staatlichen Corona-Hilfe hat der BGH (BGH, 10.03.2021, VII ZB 24/20) das Vorliegen dieser Voraussetzungen angenommen. Diese diene nach den Ausführungen des BGH zur Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie sollte jedoch nicht laufenden Lebensunterhalt abdecken, sondern insb. Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken. Ausdrücklich nicht erfasst waren wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Liquiditätsengpässe, die vor dem 01.03.2020 entstanden waren. Die Mittel waren nach BGH zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen. Der Zahlungsempfänger hatte dabei auch die zweckentsprechende Verwendung zu verantworten und wäre sogar zur Rückzahlung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen der Bewilligung nicht vorgelegen haben.

    In den Corona-Soforthilfe-Bewilligungsbescheiden, die das hier entscheidende Gericht bislang gesehen hat, war zudem auch eine Regelung enthalten, die Abtretung und (Ver-) Pfändung der Corona-Soforthilfe ausschloss.

    Mit dieser Sachlage ist der Fall der Zahlung der Energiepreispauschale nicht vergleichbar.

    Es ist nach Ansicht des Gerichts schon nicht ganz klar, welchen Zweck die Energiepreispauschale verfolgt. Nach subjektivem Eindruck des Gerichts suggerieren die Wortwahl ("Energiepreispauschale") und auch die mediale Berichterstattung zwar den Zweck, gestiegene Energiekosten abzumildern. Auch ist die Energiepreispauschale Teil des Steuerentlastungsgesetzes 2022, das insg. Entlastungen wegen erheblicher Preiserhöhungen im Energiebereich herbeiführen wollte (BT.-Drucks. 20/1765, S.1). Konkret zur Energiepreispauschale wird der Zweck allerdings "nur" noch als Ausgleich für die kurzfristig und drastisch gestiegenen erwerbsbedingten Wegeaufwendungen von Arbeitnehmern definiert (BT.-Drucks. 20/1765, S. 23).

    Neben dieser Unklarheit, welchen genauen Zweck die Energiepreispauschale verfolgt, ist weder an irgendeiner Stelle die Abtretung oder (Ver-) Pfändung ausgeschlossen worden noch ist die Einsetzbarkeit der Mittel wie im Falle der Corona-Soforthilfe beschränkt worden. Im Gegenteil, es steht dem Schuldner frei zu entscheiden, wofür er die Energiepreispauschale ausgibt. Er kann sich z.B. dazu entscheiden, sie in Altschulden, Dinge des täglichen Bedarfs oder aber auch Luxusgüter zu investieren. Es gibt keine Beschränkung und auch keine Rückzahlungsverpflichtung bei nicht zweckentsprechendem Gebrauch.

    Eine Zweckbindung im Sinne des § 851 Abs.1 ZPO vermag das Gericht daher nicht zu erkennen, sodass eine Unpfändbarkeit gem. § 851 ZPO ausscheidet (so auch Wipperfürth, ZInsO 2022, S.1665 (1667); Ahrens, NJW-Spezial 2022, 341).

    Überlegt werden kann noch, ob es sich bei der Energiepreispauschale um eine Sozialleistung handelt, die gem. § 54 SGB I (teilweise) unpfändbar sein könnte. Zumindest geht das Bundesfinanzministerium davon aus, dass es sich um eine Sozialleistung handele (Homepage, FAQ-Bereich zur Energiepreispauschale, Stand 31.08.2022 a.E.). Diese Auffassung teilt das Gericht jedoch nicht.

    Genau genommen handelt es sich bei der Energiepreispauschale ja noch nicht einmal um eine Zahlung, sondern um einen Steuerverzicht. Sie ist auch nicht im SGB geregelt, wo Sozialleistungen vorrangig geregelt werden, § 1 Abs.1 S.1 SGB I. § 54 SGB I kann sich nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich auch nur auf im SGB geregelte Sozialleistungen beziehen (abgesehen von den in § 54 SGB I selbst geregelten Ausnahmefällen). Dass gem. § 54 Abs.2 SGB I die Pfändung bei dem als Zahnarzt angestellten Schuldner vorliegend nicht der Billigkeit entspricht, ist zudem auch nicht ersichtlich.

    Mit der Energiepreispauschale ist auch keinerlei Bedürftigkeitsprüfung oder Rückzahlungsverpflichtung verbunden. Das spricht nach hiesiger Ansicht ebenfalls gegen die Annahme, es handele sich um eine Sozialleistung.

    Auch scheint sich der Gesetzgeber nach Ansicht des Gerichts selbst von der Eingruppierung als Sozialleistung abgegrenzt zu haben. Die Regelung des § 122 EStG sah er als erforderlich an, damit die mit der Zahlung der Energiepreispauschale intendierte Wirkung bei Empfängern von Sozialleistungen erzielt wird (BT.-Drucks. 20/1765, S. 26). Zu Empfängern von Sozialleistungen - so versteht es das Gericht - zählt der Gesetzgeber also nicht diejenigen, die nur eine Energiepreispauschale erhalten.

    Zwar ist auch Kindergeld nicht im Sozialgesetzbuch geregelt (§§ 62 ff. EStG). Dort findet sich dann aber eine gesonderte Regelung zur (Un-) Pfändbarkeit der Leistung, § 76 EStG. In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass zwei im selben Gesetz geregelte Leistungen (Kindergeld / Energiepreispauschale) existieren. Bei einer der beiden gibt es eine konkrete Pfändungsregelung, bei der anderen nicht. Auch das spricht nach Ansicht des Gerichts dafür, von der Pfändbarkeit der Energiepreispauschale auszugehen.

    Ob der Gesetzgeber ganz bewusst keine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale angeordnet hat, lässt sich mit den vorhandenen Materialien nach Ansicht des Gerichts nicht aufklären. Ausschließen lässt sich das aber auch nicht. Möglicherweise wollte der Gesetzgeber lieber Gläubiger als Schuldner entlasten, die ja denselben Preissteigerungen ausgesetzt sind und auch auf die Einziehung ihrer Außenstände angewiesen sein können. Möglich erscheint auch, dass der Gesetzgeber auch die Schuldenbegleichung als Entlastung der Bürger ansah.

    Nach Allem muss daher nach hier vertretener Ansicht von der Pfändbarkeit der Energiepreispauschale ausgegangen werden.

    Letztlich könnte maximal bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 765a ZPO eine Vollstreckung eingeschränkt werden, worauf sich der Schuldner vorliegend in seinem Antrag auch berufen hat. Hier sind jedoch hohe Hürden zu überwinden, weil § 765a ZPO nicht per se dafür gedacht ist, der Insolvenzmasse zustehende Beträge zu entziehen. Auch wären in diesem Rahmen die Gläubigerbelange zu berücksichtigen, bei denen sich die erhöhten Energiekosten ja ebenfalls niederschlagen. Vorliegend hat der Schuldner insoweit aber keinen Vortrag geliefert, sodass eine Freigabe nach § 765a ZPO hier auch nicht bewilligt werden kann. Es drängt sich auch nicht auf, dass der Schuldner als angestellter Zahnarzt seine Existenz nicht sichern kann.