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  • · Fachbeitrag · Vollstreckungspraxis

    Vollstreckungs-Tipp des Monats

    | Heute berichten wir über einen Fall unseres Lesers Johannes Boßhammer, gepr. Rechtsfachwirt/Rechtsreferent (IHK), Gießen. Der Fall zeigt, dassdie Vollstreckung nicht immer über einen „geraden Weg“ verlaufen muss. Manchmal führen auch die Umwege zu einem - meist für den Schuldner - überraschenden Erfolg. |

     

    • Vollstreckungs-Tipp des Monats: Zugriff in Österreich

    Im Sommer des Jahres 2010 suchte Frau M. die Kanzlei unseres Lesers auf. Sie wollte familienrechtlich beraten werden. Hierfür hatte das AG ihr einen Beratungshilfeschein erteilt.

    Es ging u.a. um die Frage der Beitreibung von Unterhaltsansprüchen der minderjährigen Tochter T. der M. gegenüber dem Vater V., dem Unterhaltsschuldner.

    T. lebte bei M., die inzwischen wieder verheiratet war und mit ihrem neuen Ehemann, E., weitere Kinder hatte. M. ist die alleinige Sorgerechtsinhaberin für T. und deren gesetzliche Vertreterin.

    V. hatte seinerzeit die Vaterschaft anerkannt und auch vor dem Jugendamt im Jahr 2002 eine vollstreckbare Unterhaltsurkunde erstellen lassen. Seit 2007 zahlte V. aber keinen Unterhalt mehr an T., für die er sich auch sonst nicht interessierte. Den Umgang mit ihr lehnte V. ab. Zudem hatte er sich nach Österreich abgesetzt.

    Für T. war beim Kreisjugendamt eine sog. Beistandschaft eingerichtet worden. Auch hier wurde vergeblich versucht, aus dem Titel gegen V. zu vollstrecken. Das Jugendamt stellte u.a. einen Antrag auf Gewährung von PKH für T. für eine beabsichtigte Forderungspfändung gegen V. nach §l§ 828 ff. ZPO. Diesem Antrag gab das AG nicht statt, da die Pfändung „bei dem ausländischen Drittschuldner (Anm. der Red.: der angebliche Arbeitgeber des V. in Österreich) keinen Erfolg“ verspreche, da er nicht deutscher Gerichtsbarkeit unterstehe. Pfändbar seien nur inländische Forderungen und Rechte.

    Diese Rechtsauffassung war - leider - zutreffend. Zwar könnte ein solcher PfÜB theoretisch erlassen werden. Zweifelhaft ist aber bereits, ob er in Österreich überhaupt zugestellt würde. Rechtswirkungen entfalten kann er so sicher nicht.

    Daraufhin entfaltete das Jugendamt keinerlei Aktivitäten mehr. Zu früh? War die Vollstreckung damit aussichtslos?

    Selbstverständlich hätte M. einen österreichischen Rechtsanwalt beauftragen können. Dies wäre aber mit einigen praktischen Schwierigkeiten verbunden gewesen. Diesen Weg wollte M. nicht gehen.

    Und hier kam unser Leser ins Spiel: Er ermittelte zunächst die aktuelle Wohnanschrift des V. in Österreich, da V. bereits auch hier mehrfach umgezogen war.

    Dann reichte er bei der für den inländischen Wohnort von M. und T. zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den V. ein. Dies geschah im November 2010. Die Anzeige betraf den Verdacht einer Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten, strafbar als Vergehen nach § 170 Abs. 1 StGB.

    Die M. (=Geschädigte und Anzeigenerstatterin) lebt in Hessen und ist deutsche Staatsbürgerin. Sie hat ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der V. (=Beschuldigter) ist ebenfalls deutscher Staatsbürger. Er lebt seit mindestens drei Jahren in der Republik Österreich. Das dem V. vorgeworfene Verhalten nach § 170 Abs. 1 StGB ist auch in Österreich gemäß § 198 des österreichischen StGB mit Strafe bedroht.

    Folglich ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar. Danach findet das deutsche Strafrecht Anwendung, wenn eine Tat (hier: Unterlassung) im Ausland begangen wird, sich gegen einen Deutschen richtet, der Täter Deutscher ist und die Tat auch am Tatort (= Österreich) mit Strafe bedroht ist.

    Die Staatsanwaltschaft nahm ihre Ermittlungen auf. Sie schaltete auch österreichische Behörden im Wege der Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen ein. Schließlich erließ das für den Wohnort von M. und T. zuständige AG im August 2011 einen - inzwischen rechtskräftigen - Strafbefehl gegen den immer noch in Österreich lebenden V.

    Der V. wurde der Verletzung einer Unterhaltspflicht nach § 170 StGB für schuldig befunden. Er wurde zu 120 Tagessätzen à 30 EUR verurteilt.

    Zudem lagen der Staatsanwaltschaft inzwischen Lohn- und Gehaltsabrechnungen des V. vor. Er hatte seit mindestens zwei Jahren Arbeitseinkommen. Gemäß des Bewährungsbeschlusses hat der V. während seines festgelegten Bewährungszeitraums seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber T. nach Kräften zu erfüllen. Er muss mindestens monatliche Zahlungen von 100 EUR an sie leisten.

    Das war die Wende in einem beinahe aussichtslos erscheinenden Fall. Die Auflage im Strafverfahren an den Beschuldigten, zivilrechtliche Forderungen zu erfüllen, wirkte sich quasi wie ein außerordentlicher Vollstreckungsbehelf aus!

    Anm. der Redaktion: Hier wäre auch denkbar gewesen, über das Jugendamt staatliche österreichische Stellen zu beauftragen (in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt das Bundesamt für Justiz für ausländische Behörden in Unterhaltssachen). Nach der EuGVVO oder der neuen EuUnterhaltsVO kann inzwischen auch ohne österreichischen Anwalt vorgegangen werden.

    Oft sind es die ungewöhnlichen Vollstreckungsmethoden oder sogar Zufälle, die helfen, dem Schuldner auf die Schliche zu kommen und die Vollstreckungssache erfolgreich zu beenden. Diese Fälle wollen wir sammeln und an dieser Stelle im Leser-Erfahrungsaustausch veröffentlichen.

     

    Daher unsere Bitte: Schildern Sie uns Ihren „schönsten Fall“. Bei Veröffentlichung erhalten Sie ein Einsenderhonorar von 50 EUR. Unsere Anschrift: IWW-Institut, Redaktion „Vollstreckung effektiv“, Aspastraße 24, 59394 Nordkirchen, Fax: 02596 922-99, E-Mail: ve@iww.de.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2012 | Seite 17 | ID 30786860