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  • · Fachbeitrag · Beweisverwertungsverbot

    Die „Widerspruchslösung“ in bußgeldrechtlichen Verfahren

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    | Der 27.2.92 war für die Strafverteidigung ein denkwürdiger Tag. An ihm ist nämlich im Strafverfahren vom BGH die sog. „Widerspruchslösung“ geboren worden, die seitdem in der Verteidigungspraxis erhebliche Bedeutung erlangt hat (vgl. BGHSt 38, 214). War das zunächst nur im verkehrsstrafrechtlichen Bereich der Fall, ist derzeit festzustellen, dass die Widerspruchslösung auch Auswirkungen im Bußgeldverfahren hat und dort zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Beitrag leuchtet dies stärker aus. |

     

    Bei der Anwendung der „Widerspruchslösung“ geht es i.d.R. um die Frage, ob und wie ein ggf. bestehendes Beweisverwertungsverbot geltend zu machen ist. Dabei spielen in der Praxis meist die sich aus Fehlern bei einer Vernehmung des Beschuldigten ergebenden Beweisverwertungsverbote eine große Rolle (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., Rn. 3491 ff.). Wir zeigen in der Checkliste, auf welche Beweisverwertungsverbote im Bußgeldverfahren zu achten ist. Die sich aus der Widerspruchslösung an das Verhalten des Verteidigers in der Hauptverhandlung zu stellenden Anforderungen fassen wir in der nächsten Ausgabe zusammen.

     

    Checkliste / ABC der Beweisverwertungsverbote im Bußgeldverfahren

    Bei den Beweisverwertungsverboten wird unterschieden zwischen Beweisthemen-, Beweismittel- oder Beweismethodenverboten (eingehend zu Beweisverwertungsverboten im Bußgeldverfahren Burhoff in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 423, und Burhoff/Stephan, OWi, Rn. 456 ff.). Grds. gelten die Beweisverwertungsverbote der StPO über § 46 Abs. 1 OWiG auch im OWi-Verfahren. Allerdings geht die h.M. in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass die Beweisverwertungsverbote der StPO nicht ohne Weiteres auf das OWi-Verfahren übertragen werden können. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchzuführen. Auf der Grundlage wird man in folgenden Fällen ein Beweisverwertungsverbot zumindest diskutieren können.

    Anwesenheitsrecht des Verteidigers, Verletzung

    Die Verletzung von Anwesenheitsrechten bei Vernehmungen kann im Strafverfahren zu einem Beweisverwertungsverbot führen (Einzelheiten: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (HEV), 6. Aufl. 2013, Rn. 2359 ff. m.w.N.). Im OWi-Verfahren kann es auf Antrag der Verwaltungsbehörde auch zu richterlichen Vernehmungen kommen (vgl. Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 59 Rn. 12 m.w.N.). Wird der Verteidiger/Rechtsanwalt von einem solchen Termin nicht gem. § 168c Abs. 5 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG benachrichtigt und nimmt er deshalb nicht an dem Termin teil, wird man m.E. ein umfassendes Beweisverwertungsverbot für die bei der Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse annehmen müssen (vgl. für das Strafverfahren u.a. BGHSt 31, 140; KG StV 84, 68; Burhoff, HEV, 6. Aufl., Rn. 2529 m.w.N.).

    Atemalkoholanalyse

    Teilweise wird in der Rechtsprechung von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen, wenn der Betroffene nicht über die Freiwilligkeit und Nichterzwingbarkeit der Teilnahme an der Atemalkoholmessung belehrt worden ist (LG Freiburg NZV 09, 614; AG Frankfurt NZV 10, 266 [Ls]; a.A. AG Michelstadt NZV 12, 97; Cierniak/Herb, NZV 12, 409).

    (Autobahn-)Mautdaten

    Bei Autobahnmautdaten besteht nach § 4 Abs. 3 S. 4 und 5, § 7 Abs. 2 S. 2 und 3 BFStrMG ein Verwertungs- und Weitergabeverbot für mautfremde Zwecke (vgl. dazu Burhoff/Deutscher, OWiG, Rn. 1957).

    Belehrungspflicht bei Anhörung

    Aus der Verletzung von Belehrungspflichten bei einer Anhörung/Vernehmung des Betroffenen können sich Beweisverwertungsverbote ergeben (vgl. dazu Burhoff/Gübner, OWi, Rn. 245 ff.). Der BGH hat allerdings in seiner Entscheidung v. 27.2.92 (BGHSt 38, 214) ausdrücklich offengelassen, ob das von ihm dort wegen Fehlern bei der Vernehmung angenommene Verwertungsverbot auch im OWi-Verfahren gilt. M.E. wird man aber auch im OWi-Verfahren von einem Beweisverwertungsverbot ausgehen müssen, wenn der Betroffene nicht gem. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG über sein Schweigerecht belehrt wurde (so auch Burhoff/Gübner, OWiG, Rn. 315, 318 ff.; Burhoff/Stephan, OWi, Rn. 437a; Hecker, NJW 97, 1833; Brüssow, StraFo 98, 294; a.A. wohl Göhler/Gürtler, OWiG, § 55 Rn. 9). Die von der Rechtsprechung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots geforderte Abwägung zwischen dem Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie seiner Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen einerseits und dem Aufklärungsinteresse des Staates andererseits führt wegen der fundamentalen Bedeutung für die Aussagefreiheit des Betroffenen zu einem Beweisverwertungsverbot.

    Blutalkoholgutachten

    Verneint wird ein Beweisverwertungsverbot bei Verwendung nicht geeichter Geräte im Rahmen der Untersuchung der Blutprobe (Burhoff, EV, Rn. 885; dazu Gilg/Eisenmenger, DAR 97, 1) und ebenso bei Missachtung der in Art. 8 der Richtlinie 83/189/EWG festgelegten Verpflichtung, eine technische Vorschrift über Alkoholmeter mitzuteilen (EuGH NStZ 99, 141).

    Blutprobe/Blutentnahme/Richtervorbehalt

    Die mit einem Beweisverwertungsverbot nach Missachtung des Richtervorbehalts aus § 81a Abs. 2 StPO zusammenhängenden Fragen können auch im Bußgeldverfahren eine Rolle spielen. Das gilt wegen § 24a Abs. 2 S. 2 StVG vor allem bei der Drogenfahrt (§ 24a Abs. 2 StVG), aber auch bei der Trunkenheitsfahrt. Wegen der damit zusammenhängenden Fragen wird verwiesen auf die Zusammenstellung in VA 09, 84; s. Burhoff StRR 09, 204; VRR 09, 207; zu Beweisverwertungsverboten OLG Hamm VA 09, 100; OLG Dresden VA 09, 133; OLG Celle VA 09, 190; OLG Oldenburg VA 09, 211; aus neuerer Zeit AG Kempten VA 12, 176; AG Nördlingen VA 12, 103 VA 09, 84; s. auch noch Burhoff, EV, Rn. 899 ff.).

    Erkennungsdienstliche Behandlung des Beschuldigten

    Kommt es zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Betroffenen, wie z.B. der Anfertigung eines Lichtbilds, und wird dabei Zwang angewendet (vgl. LG Zweibrücken VRS 123, 95) kann sich m.E. ein Beweisverwertungsverbot ergeben (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 1488 m.w.N. zur a.A.).

    Ermittlungen im Umfeld des Beschuldigten

    Ob hinsichtlich des Ergebnisses vertraulicher/heimlicher Ermittlungen „im Umfeld des Betroffenen“, das dann ggf. durch die Vernehmung der Ermittlungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll, ein Beweisverwertungsverbot besteht, ist nicht unbestritten. Teilweise wird die Frage bejaht (vgl. OLG Köln NStZ 96, 355; AG Stuttgart NZV 02, 330), teilweise aber auch verneint (OLG Brandenburg VA 03, 56; OLG Rostock VA 05, 51; OLG Stuttgart zfs 02, 550 = NZV 02, 574).

    Geschwindigkeitsmessung-/überwachung durch Private

    Die planmäßige Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen durch Private kann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wenn es sich um einen schwerwiegenden Verstoß handelt (BayObLG NStZ 98, 452; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 03, 342; AG Bernau DAR 98, 76; AG Bergisch-Gladbach DAR 99, 281), und zwar auch, wenn die Gemeinde die Auswertung der festgestellten Verstöße selbst vornimmt (BayObLG DAR 05, 633; vgl. auch Burhoff/Stephan, OWi, Rn. 467 ff.).

    Von einem Beweisverwertungsverbot ist die Rechtsprechung ausgegangen,

    • wenn die Gemeinde dem Privaten die Aufgaben der Verkehrsüberwachung entgegen eines ihr bekannten Erlasses des Ministeriums übertragen hat (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 03, 342; OLG Naumburg VA 12, 173);
    • wenn die kommunale Ordnungsbehörde einen Beamten, von dem sie weiß, dass ihm die erforderliche Sachkunde fehlt, mit der Überwachung des privaten Messpersonals beauftragt (OLG Frankfurt a.M. NJW 95, 2570; vgl. dazu auch AG Karlsruhe DAR 11, 221, wonach die Einschaltung Privater nur zulässig ist, wenn der Mitarbeiter die erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und er ausreichend beaufsichtigt wird);

    • wenn der Landkreis entgegen einer Empfehlung des Ministeriums an einer unzulässigen Beauftragung Privater festhält, obwohl das Problem im Rechtsamt bekannt war und in mehreren Parallelfällen auch vom Gericht aufgezeigt wurde (AG Bernau DAR 98, 76, 77; ähnlich OLG Naumburg, a.a.O.).

    Ein Beweisverwertungsverbot verneint hat die Rechtsprechung:

    • bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Angestellte eines Landkreises (OLG Oldenburg VA 09, 104);
    • wenn der die Messung ausführende Beamte die Fristen des § 3 Arbeitszeitgesetz überschritten hat, wenn sich dies nicht auf die konkrete Messung ausgewirkt haben kann (AG Strausberg VRR 09, 236).

    Praxishinweis | In der Literatur wird aus dem als nicht zulässig angesehenen Linksparken von Fahrzeugen, aus denen dann eine Geschwindigkeitskontrolle durchgeführt wird, ein Beweisverwertungsverbot abgeleitet (vgl. dazu Debus, NZV 06, 561).

    Lichtbildübermittlung

    In der Rechtsprechung ist überwiegend ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt worden, wenn zur Feststellung der Fahrereigenschaft ein Lichtbild bei der Pass- bzw. Personalausweisbehörde angefordert wird, um dieses mit einem vorhandenen Radarfoto abzugleichen (vgl. BayObLG NJW 98, 3656; DAR 04, 38; OLG Frankfurt a.M. NJW 97, 2963; OLG Rostock VA 05, 51; OLG Stuttgart NStZ 03, 93 = NZV 02, 574; AG Schleiden DAR 01, 232; a.A. AG Stuttgart zfs 02, 355, das ein Beweisverwertungsverbot bejaht hat, im Rechtsbeschwerdeverfahren aber vom OLG Stuttgart [a.a.O.] aufgehoben wurde). In der Literatur wird das z.T. anders gesehen (vgl. Nobis, DAR 02, 299; Steffens, StraFo 02, 222; wohl auch Burhoff/Stephan, OWi, Rn. 463 ff.).

    Messfehler/Verwertbarkeit der Messung

    Soweit ersichtlich hat bisher noch kein Obergericht ausdrücklich verlangt, dass Messfehler bzw. die Unverwertbarkeit einer (Geschwindigkeits)Messung zu einem Beweisverwertungsverbot i.e.S. führen. Das OLG Düsseldorf geht davon nun allerdings zumindest inzidenter aus (vgl. OLG Düsseldorf VA 12, 190), wenn es in Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit der Verfahrensrüge ausführt, dass die nicht wirksam erhoben sei, weil nicht dargelegt worden sei, dass der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung widersprochen sei.

    Schadensakte der Versicherung

    Nach Auffassung des KG (NJW 94, 3115) kann die Schadensakte der Versicherung, in der sich selbstbelastende Angaben des Beschuldigten gegenüber seinem Kfz-Haftpflichtversicherer befinden, in einem (Straf)Verfahren gegen den Versicherungsnehmer/Beschuldigten als Beweismittel verwertet werden. Dagegen sollen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (BVerfG NJW 1996, 916 [Ls.]). Entsprechendes wird für das OWi-Verfahren gelten.

    Überwachung des ruhenden Verkehrs durch Private

    Hier gelten die Ausführungen wie oben zur „Geschwindigkeitsmessung/-überwachung durch Private“ (vgl. KG NJW 97, 2894; OLG Frankfurt a.M. NJW 95, 2570; AG Nesfeld NJW 95, 1503; AG Freising DAR 97, 31; AG Berlin-Tiergarten DAR 96, 326), auch bei Auswertung der festgestellten Verstöße durch die Gemeinde (BayObLG NJW 97, 3454).

    Unzulässige Vernehmungsmethoden

    Die in § 136a StPO verbotenen Vernehmungsmethoden sind auch im Bußgeldverfahren unzulässig. § 136a StPO ist i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG anwendbar. Von den in § 136a StPO genannten unzulässigen Vernehmungsmethoden haben im Zweifel aber nur die Täuschung und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils praktische Relevanz. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind unverwertbar (Einzelheiten bei Burhoff, EV, Rn. 2926 ff.).

    Verdachtsunabhängige (Video-)Messungen

    Hinzuweisen ist hier auf die Rechtsprechung des BVerfG (VA 09, 172; 10, 154; 10, 172). Die h.M. lehnt ein Beweisverwertungsverbot ab (vgl. dazu vor allem BVerfG VA 11, 136; wegen Einzelheiten Burhoff/Gieg, OWi, Rn. 475a ff.).

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2013 | Seite 16 | ID 36554810