21.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223609
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 09.06.2021 – 3 Sa 82/21
1. Der Abgeltungsanspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wegfall des Abgeltungsverbots.
2. Der Streit über die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses führt nicht zu einer späteren Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung.
3. Die Vereinbarung der Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung des Bruttomonatsgehalts für einen bestimmten Monat erfasst nicht einen nicht erwähnten Urlaubsabgeltungsanspruch.
4. Die in einem Prozessvergleich vereinbarte Klausel "Mit Erfüllung des Vergleichs sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit ihm in Verbindung stehen, erledigt" erfasst auch Ansprüche auf Urlaubsabgeltung.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - 3. Kammer - durch die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts ..., die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... auf die mündliche Verhandlung vom 09.06.2021
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 03.12.2020 - 5 Ca 975 d/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in zweiter Instanz jetzt nur noch über die Zahlung von Urlaubsabgeltung.
Der Kläger war seit dem 01.06.2019 zunächst bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und nach einem Betriebsübergang ab dem 01.03.2020 bei der Beklagten als Hotelleiter in einem Hotel in B... tätig. Die Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt 3.200,00 EUR.
Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 28.05.2020 zum 30.06.2020 und mit weiterem Schreiben vom 18.06.2020 außerordentlich fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2020 gekündigt. Über die Wirksamkeit der Kündigungen wurde unter dem Az. 5 Ca 671 a/20 beim Arbeitsgericht Elmshorn ein Rechtsstreit geführt. In der Güteverhandlung dieses Rechtstreits haben die Parteien am 03.07.2020 folgenden Widerrufsvergleich geschlossen:
Der Vergleich ist nicht widerrufen worden.
Hinsichtlich der noch geltend gemachten Urlaubsabgeltungsansprüche hat der Kläger gemeint, die Beklagte sei zur Abgeltung von 7,5 Urlaubstagen für 2020, mithin zur Zahlung von 1.200 EUR brutto verpflichtet, da sie gem. Ziffer 4 des Vergleiches eine ordnungsgemäße Abrechnung für den Monat Juni 2020 auf der Grundlage einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.200,00 EUR und entsprechende Zahlung schulde. Die Urlaubsabgeltung sei Teil der Vergütung des Klägers für den Monat Juni 2020. Aus dem Vergleich ergebe sich nicht, dass der Kläger auf seine Urlaubsabgeltung verzichtet habe.
Die Beklagte hat vorgetragen, ein etwaiger Urlaubsanspruch des Klägers habe sich mit der rechtswirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2020 in einen Urlaubsabgeltungs- und damit in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. Ein solcher Zahlungsanspruch sei durch die zwischen den Parteien vereinbarte Ausgleichsquittung erledigt worden. Nach Ziffer 4 des Vergleichs bezöge sich die ordnungsgemäße Abrechnung ausschließlich und gewollt nur auf das noch ausstehende Gehalt des Monats Juni 2020. Damit seien weitere Zahlungsansprüche wie eine etwaige Abgeltung von Urlaubsansprüchen gerade exkludiert.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.12.2020 die Klage abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Urlaubsabgeltung gehöre nicht zur Bruttomonatsvergütung und ordnungsgemäßen Abrechnung, sei vielmehr von der Ausgleichsquittung erfasst. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.
Gegen diese dem Kläger am 02.03.2021 zugestellte Entscheidung hat er am 06.04.2021 Berufung eingelegt, die am 29.04.2021 begründet wurde.
Der Kläger wiederholt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.
Er meint, Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung gehörten zum originären Arbeitsverdienst, was sich auch aus der Rechtsprechung ergebe. Die Beklagte habe den Vergleich noch nicht vollständig erfüllt, da noch die Urlaubsabgeltung fehle, so dass die in Ziffer 7 des Vergleiches aufgenommene Erledigung aller Ansprüche noch nicht eingetreten sei. Auch habe das Arbeitsgericht seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO verletzt.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden (§§ 64, 66 Abs. 1 ArbGG).
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:
Die Klage ist nicht begründet. Der von dem Kläger geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch nach §§ 1, 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 4, 11 BUrlG ist gemäß Ziffer 7. des geschlossenen Vergleichs erloschen. Dem Kläger steht deshalb auch kein Zinsanspruch zu.
1. Der Abgeltungsanspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wegfall des Abgeltungsverbots. Er wird grundsätzlich gleichzeitig fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt die Arbeitspflicht und damit die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer durch Freistellung von der Arbeitspflicht Urlaub zu gewähren (BAG v. 27.10.2020 - 9 AZR 531/19 - Rn 31; BAG v. 22.01.2019 - 9 AZR 328/16 - Rn. 29 - 31).
2. Das von dem Kläger eingeleitete Kündigungsschutzverfahren und dessen Beendigung durch gerichtlichen Vergleich hatten auf die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs keinen Einfluss. Der Streit der Parteien über die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses führte nicht zu einer späteren Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung. Maßgeblich war allein die objektive Rechtslage (BAG a.a.O. Rn. 32ff m.w.N.)
3. Die Parteien haben sich mit Prozessvergleich vom 03.07.2020 und durch das Verstreichenlassen der Widerrufsfrist bis zum 10.07.2020 darauf verständigt, dass ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.2020 geendet hat. Sie haben damit auch die Rechtswirkung des § 7 KSchG herbeigeführt (vgl. BAG a.a.O, Rn. 34, vgl. auch hierzu im Einzelnen BAG 17.10.2017 - 9 AZR 80/17 - Rn. 30 ff. m.w.N.). Daher war der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers bereits mit Ablauf des 30.06.2020 entstanden. Er konnte daher als bereits entstandene Forderung im Zusammenhang mit der am 03.07.2020 erfolgten Aushandlung des Prozessvergleichs von der dort in Ziffer 7 des Vergleichs vereinbarten Ausgleichsquittung objektiv bereits erfasst werden.
4. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist erloschen, denn er wird von der in Ziffer 7 des Vergleiches vom 03.07.2020 geregelten Ausgleichsquittung umfasst. Das ergibt die Auslegung.
a) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge und damit auch Prozessvergleiche so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 12.05.2020 - 5 Sa 197/19, Rn 38, BAG v. 10.12. 2014 - 10 AZR 63/14 - Rn. 21, LAG Rheinland-Pfalz v. 15.05.2018 - 8 Sa 1/18 - Rn. 47).
b) Ein Schuldverhältnis erlischt, wenn der Gläubiger durch Vertrag mit dem Schuldner anerkennt, dass das Schuldverhältnis nicht besteht (§ 397 Abs. 2 BGB). Ein solches, konstitutives negatives Schuldanerkenntnis liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen (LAG Mecklenburg-Vorpommern a.a.O. Rn 39 m.w.N.).
c) Ausgleichsklauseln in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich oder in einem Aufhebungsvertrag sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen. Durch eine Ausgleichsklausel im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wollen die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.; BAG, v. 22.10.2008 - 10 AZR 617/07 - Rn. 30).
d) Die Ausgleichsklausel in dem gerichtlichen Vergleich der Parteien vom 03.07.2020 ist als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis zu verstehen.
aa) Mit dem Vergleich vom 03.07.2020 haben sich beide Parteien in Bezug auf Zahlungsforderungen ausdrücklich darauf geeinigt, dass eine Coronaprämie gezahlt wird (Ziffer 3), dass eine Abfindung gezahlt wird (Ziffer 6), dass der Monat Juni auf Basis eines Bruttomonatsgehaltes von 3.200,00 Euro abgerechnet und der sich daraus ergebende Betrag an den Kläger gezahlt wird (Ziffer 4) und dass mit Erfüllung alle gegenseitigen Ansprüche erledigt sind (Ziffer 7). Etwas Anderes kann dem Wortlaut des Vergleiches nicht entnommen werden. Nur die zuvor aufgeführten Ansprüche der Parteien sind danach noch zu erfüllen.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers kann der nicht im Wortlaut des Vergleiches erwähnte Urlaubsabgeltungsanspruch nicht in die geschuldete ordnungsgemäße Abrechnung des Bruttomonatsgehalts für Juni hineininterpretiert werden. Hierfür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Ein Bruttomonatsgehalt ist zweifelsfrei und eindeutig das "Gehalt" für den angesprochenen Monat und beruht auf § 612 BGB. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein völlig anderer Streitgegenstand und beruht auf § 7 Abs. 4 BUrlG. Er ist kein Verdienst im Sinne des § 612 BGB.
cc) Abgesehen von den im Vergleich geregelten Ansprüchen sollen damit "alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und solche Ansprüche, die damit in Verbindung stehen", erledigt sein.
e) Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehört u. a. der Anspruch auf Urlaubsabgeltung (LAG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.).
Da die Ausgleichsklausel ihrem Wortlaut nach "alle Ansprüche" unabhängig von ihrem Rechtsgrund erfasst, ist auch der Anspruch auf Urlaubsabgeltung "erledigt ".
Das entspricht dem Sinn und Zweck des Prozessvergleichs, die arbeitsrechtliche Beziehung zwischen den Parteien endgültig zu klären und zu bereinigen.
5. Dieses Auslegungsergebnis führt nicht zu einem Verstoß gegen die Urteile des EuGH vom 06.11.2018 - Az. C 619/16 und C 684/16). Diese Entscheidungen sind vorliegend nicht einschlägig, insbesondere führen sie nicht dazu, dass der im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits verklagte Arbeitgeber dem - noch dazu anwaltlich vertretenen - Arbeitnehmer vor wirksamer Vereinbarung einer Ausgleichsklausel dessen potentielle Forderungen auflisten muss.
6. Entgegen der Ansicht des Klägers ist im Zusammenhang mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts auch kein Verstoß gegen § 139 Abs. 2 ZPO ersichtlich. Die Tatsachen waren unstreitig, mithin der Sachvortrag vollständig.
7. Aus den genannten Gründen ist die Berufung unbegründet. Die Klage ist daher zu Recht abgewiesen worden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.