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  • · Fachbeitrag · Unterhaltsansprüche

    Vollstreckungsprivilegierung kann nicht durch Vollstreckungsbescheid nachgewiesen werden

    von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Der Streit, ob die privilegierte Vollstreckungsmöglichkeit von Unterhaltsansprüchen gemäß § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO mittels Vollstreckungsbescheid nachgewiesen werden kann, beschäftigt schon lange die Gerichte - mit unterschiedlichen Ergebnissen. Jetzt hat der BGH ein Machtwort gesprochen. |

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat dem Streit in den Instanzen mit folgenden Leitsätzen ein Ende gesetzt:

     

    • a) Um den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO zu erbringen, muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - ergibt, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt.
    • b) Indem er einen Vollstreckungsbescheid vorlegt, kann der Gläubiger diesen Nachweis nicht führen.
     

    Relevanz für die Praxis

    Die - gläubigerfeindliche - Entscheidung ist vor allem im Zusammenhang mit dem Beschluss des BGH vom 5.4.05 (VE 05, 97) zu betrachten. Bereits dort hat der BGH hinsichtlich der bevorrechtigten Vollstreckung wegen einer titulierten Deliktsforderung nach § 850f Abs. 2 ZPO den Nachweis des Vollstreckungsprivilegs durch einen Vollstreckungsbescheid verneint. Mit ihrer aktuellen Entscheidung verfolgen die Richter ihre Linie im Hinblick auf das Vollstreckungsprivileg nach § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO konsequent weiter. Dies hat für Gläubiger solcher (titulierter) Ansprüche Konsequenzen:

     

    Einzelzwangsvollstreckung

    Im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung gilt Folgendes:

     

    • Den eigentlichen Zahlungsanspruch können Gläubiger weiter durch Vollstreckungsbescheid titulieren lassen. Dies bringt vor allem Zeit- und Kostenvorteile und ermöglicht mitunter eine frühzeitige Vollstreckung.
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    • PRAXISHINWEIS | Um die Privilegierung nach §§ 850d Abs. 1 S. 1, 850f Abs. 2 ZPO zu erreichen, müssen Sie anschließend gesondert Feststellungsklage erheben (Musterformulierung: VE 03, 52).

       
    • Gläubiger können auch ganz auf das Mahnverfahren verzichten und beim Prozessgericht direkt eine kombinierte Zahlungs- und Feststellungsklage einreichen.
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    • PRAXISHINWEIS | Dieser Weg ist zwar zeit- und kostenaufwendiger. Der entscheidende Vorteil liegt aber vor allem darin, dass bei positivem Ausgang im Urteilstenor der gesetzliche Unterhalts- bzw. Deliktsanspruch tituliert ist. Insofern muss das Vollstreckungsgericht im Rahmen einer beantragten privilegierten Vollstreckung in Arbeitseinkommen diesem Verlangen nachkommen.

       
    • Ist der Zahlungsanspruch wegen gesetzlicher Unterhalts- bzw. Deliktsansprüche nur durch einen Vollstreckungsbescheid tituliert, können Gläubiger auch nur nach § 850c ZPO einen PfÜB in Arbeitseinkommen beantragen.
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    • PRAXISHINWEIS | Insofern gilt wie bei einem „Normalgläubiger“ die Lohnpfändungstabelle. Es ist daher nicht die Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, zu prüfen, ob der Gläubiger aus einem in der Zwangsvollstreckung privilegierten Anspruch vorgeht. Vielmehr ist es an die Auffassung des Prozessgerichts hierzu gebunden.

       

    Insolvenzverfahren

    Die Entscheidung wirkt sich auch im Rahmen von Insolvenzverfahren aus. Denn gemäß § 302 Nr. 1 InsO nehmen u. a. Verbindlichkeiten aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den ein Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, nicht an der Restschuldbefreiung teil. Pflichtwidrigkeit setzt hierbei vorsätzliches Handeln des Schuldners voraus. Es bestehen also eine gesetzliche Unterhaltspflicht, die Bedürftigkeit des Berechtigten und eine Leistungsfähigkeit des Schuldners (BT-Drucksache 17/11268, 32).

     

    PRAXISHINWEIS | In diesem Kontext müssen Sie unbedingt § 174 Abs. 2 InsO und die hierzu ergangene BGH-Rechtsprechung beachten. Denn danach müssen Unterhaltsgläubiger bei einer Anmeldung zur Insolvenztabelle den Grund und den Betrag der Forderung angeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach ihrer Einschätzung ergibt, dass eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht zugrunde liegt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Anmeldung zur Insolvenztabelle unwirksam (BGH ZInsO 16, 848).

     

    Zum Deliktsanspruch hat der BGH (VE 14, 58) bereits entschieden, dass der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in der Anmeldung so beschrieben werden muss, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird. Der Deliktstatbestand muss nicht schlüssig dargelegt werden. Diese Rechtsprechung ist analog für Unterhaltsforderungen anzuwenden. Achten Sie also unbedingt hierauf, wenn Sie Ihre Forderung aus Unterhaltsrückständen anmelden. Sonst droht Forderungsverlust.

     

    Unterhaltsanspruch ist nur als Zahlungsanspruch durch VB tituliert

    Der Gläubiger muss seine Forderung unter Beachtung der o. g. BGH-Rechtsprechung (VE 14, 58) zur Insolvenztabelle beim Insolvenzverwalter anmelden. Das Insolvenzgericht muss dann den Schuldner auf die Rechtsfolgen nach § 302 InsO und auf die Möglichkeit des Widerspruchs hinweisen (§ 175 Abs. 2 InsO). Es bestehen zwei Varianten:

     

    • Der Schuldner widerspricht dem Forderungsattribut „vorsätzlich pflichtwidrig nicht gezahlter rückständiger Unterhalt“: Der Gläubiger muss dann Feststellungsklage erheben, um die Restschuldbefreiung der Forderung zu verhindern.

     

    • Der Schuldner widerspricht dem Attribut nicht: Das Attribut wird in die Insolvenztabelle eingetragen. Die Forderung wird daher von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.

     

    Zahlungsanspruch ist durch Urteil tituliert

    Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn der Gläubiger seine Unterhaltsansprüche durch das Prozessgericht im Wege des Zahlungsantrags bereits hat titulieren lassen.

     

    • Beispiel 1

    Gläubiger G. hat gegen den ledigen Schuldner S. einen Beschluss des FamG, wonach S. ab August 15 monatlichen Unterhalt in Höhe von 500 EUR an G. zahlen muss. S. verdient monatlich 2.000 EUR netto. Er zahlt nicht und beantragt, das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen, was am 22.4.16 geschieht.

     

    Lösung

    Die Unterhaltsrückstände (August 15 bis April 16) in Höhe von 4.500 EUR kann G. zur Insolvenztabelle als Insolvenzforderung anmelden, ebenso das Attribut „pflichtwidrig nicht gezahlter Unterhalt“. Widerspricht S. dem Attribut nicht, nachdem das Gericht ihn belehrt hat (vgl. § 175 Abs. 2 InsO), erfolgt auch diesbezüglich ein Eintrag in die Tabelle. Die Forderung wird dann von der Restschuldbefreiung nicht erfasst. Widerspricht S., muss G. Feststellungsklage erheben.

     

    Die Besonderheit liegt aber für G. vor allem darin, dass er hinsichtlich anfallender Unterhaltsansprüche nach Insolvenzeröffnung, also ab 1.5.16 Neugläubiger ist. Hier ergibt sich für G. folgender Vorteil:

     

    Da sich aus dem Titel die Art des Anspruchs ergibt (gesetzlicher Unterhalt), kann er gemäß § 89 Abs. 2 S. 2 InsO in den Vorrechtsbereich nach § 850d ZPO pfänden. Insofern spaltet sich das Arbeitseinkommen des S. in drei Teile auf: einen unpfändbaren Teil, einen nach § 850c Abs. 3 ZPO pfändbaren Teil, der der Insolvenzmasse zusteht, und einen insolvenzfreien Teil, der G. zusteht.

     

    Wenn nun das Vollstreckungsgericht den unpfändbaren Betrag gemäß § 850d ZPO z. B. auf monatlich 850 EUR festlegt, ergibt sich im Rahmen des Insolvenzverfahrens für G. monatlich folgender pfändbarer Betrag im Hinblick auf seine Neuforderungen:

     

    Monatlich pfändbar nach Lohnpfändungstabelle

    648,28 EUR

    Dieser Betrag steht dem Insolvenzverwalter bzw. in der Wohlverhaltensphase dem Treuhänder zu.

    Unpfändbar sind somit 2.000 EUR ./. 648,28 EUR

    1.351,72 EUR

    G. steht wegen der Ansprüche nach Insolvenzeröffnung daher die Differenz zwischen dem unpfändbaren Betrag nach der Lohnpfändungstabelle und dem unpfändbaren Freibetrag zu,

    somit 1.351,72 EUR ./. 850 EUR

    501,72 EUR

     

    Zahlungsanspruch und Attribut sind durch Urteil tituliert

    Wiederum anders ist die Situation zu beurteilen, wenn der Gläubiger seine Unterhaltsansprüche durch das Prozessgericht im Wege des Zahlungsantrags bereits hat titulieren lassen und zugleich das Forderungsattribut festgestellt wurde.

     

    • Beispiel 2

    In Abwandlung zu Beispiel 1 wurde durch Unterhaltsbeschluss zugleich festgestellt, dass die Unterhaltsrückstände in Höhe von 4.500 EUR aus pflichtwidrig nicht gezahltem Unterhalt bestehen.

     

    Lösung

    Die Unterhaltsrückstände (August 15 bis April 16) in Höhe von 4.500 EUR kann G. zur Insolvenztabelle als Insolvenzforderung anmelden, ebenso das Attribut „pflichtwidrig nicht gezahlter Unterhalt“. Widerspricht S. nun dem titulierten Attribut, nachdem das Gericht ihn belehrt hat (vgl. § 175 Abs. 2 InsO), muss er binnen Monatsfrist hiergegen im Wege der Feststellungsklage vorgehen (§ 184 Abs. 2 InsO). Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist gilt ein Widerspruch als nicht erhoben. Folge: Die Forderung wird von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.

     

    Hinsichtlich der Neuforderungen nach Insolvenzeröffnung gilt dasselbe wie im Beispiel 1.

     

    Problem: Bevorrechtigte Vollstreckung aus Tabellenauszug möglich?

    Da erst nach der Restschuldbefreiung die Qualifizierung „pflichtwidrig nicht gezahlter Unterhaltsanspruch“ bzw. „Deliktsforderung“ gilt, sodass weiterhin gegen den Schuldner Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mittels eines Auszugs aus der Insolvenztabelle ungehindert durchgeführt werden können, ist damit noch immer nicht die folgende, in der Praxis wichtige Frage geklärt: Ist der Gläubiger auch im Rahmen der dann möglichen Einzelzwangsvollstreckung berechtigt, nach § 850d Abs. 1 S. 1, § 850f Abs. 2 ZPO bevorrechtigt in Arbeitseinkommen zu vollstrecken? Diese Frage ist nach wie vor streitig.

     

    MERKE | Bedeutsam ist dies vor allem in dem Fall, in dem lediglich der Zahlungsanspruch durch einen Vollstreckungsbescheid tituliert ist und der Schuldner dem angemeldeten Forderungsattribut nicht widerspricht (s.o., Beispiel 1). Vollstreckungstitel ist jetzt nicht mehr der Vollstreckungsbescheid, sondern der vollstreckbare Auszug aus der Insolvenztabelle, in der das Forderungsattribut nun eingetragen ist.

     

    Einerseits wird vertreten, dass eine privilegierte Vollstreckung aus der Insolvenztabelle nicht möglich sei, weil eine materiell-rechtliche Prüfung nicht vorgenommen wird, ebenso wie beim Vollstreckungsbescheid (Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 850f Rn. 46; BeckOK ZPO/Riedel, § 850f Rn. 37). Andererseits wirkt der Eintrag in die Insolvenztabelle dem Rang und Betrag nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Der Eintrag in die Insolvenztabelle wirkt somit wie ein vollstreckbarer Titel (§ 201 Abs. 2 InsO; LG Düsseldorf JurBüro 08, 661; LG Heilbronn Rpfleger 05, 98), wenn der Schuldner der Forderung nicht widersprochen hat.

     

    Die Rechtskraft der Feststellung zur Insolvenztabelle erstreckt sich auch auf den Rechtsgrund des Vorsatzdelikts (LG Düsseldorf JurBüro 08, 661; im Ergebnis AG Rostock JurBüro 07, 666; vgl. MüKo/Stephan, InsO, § 302 Rn. 16 in Fn. 33; a.A. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 174 Rn. 16) bzw. das Attribut des pflichtwidrig nicht gezahlten Unterhalts.

     

    Darüber hinaus ist den Gründen der hier besprochenen BGH-Entscheidung zu entnehmen, dass lediglich im Mahnverfahren eine Rechtmäßigkeit des Anspruchs nicht geprüft und auf eine Schlüssigkeitsprüfung verzichtet wird. Eine nähere Angabe des Rechtsgrundes im Mahnverfahren ist auch nicht erforderlich, um den Anspruch zu individualisieren.

     

    MERKE | Diese Argumentation lässt sich m.E. nicht auf das Insolvenzverfahren übertragen. Denn der BGH (VE 14, 58) fordert, dass der Rechtsgrund in der Anmeldung so beschrieben werden muss, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird. Der (objektive und subjektive) Tatbestand muss dabei zwar nicht schlüssig dargelegt werden. Insofern muss der Gläubiger den Anspruch aber durchaus individualisieren!

     

    Gebraucht der Schuldner aufgrund der erforderlichen Belehrung durch das Insolvenzgericht (§ 175 Abs. 2 InsO) dann sein Widerspruchsrecht nicht, kann dies nicht zulasten des Gläubigers gehen. Insofern ist das Insolvenzgericht im Fall eines unterbliebenen Widerspruchs durch den Schuldner das Prozessgericht. Es schafft dadurch einen Titel, dass es die Forderung und das Forderungsattribut einträgt. Dieser Titel lässt das Vollstreckungsgericht erkennen, dass eine Berechtigung zu einem erweiterten Vollstreckungszugriff besteht.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Deliktsanspruch und Insolvenztabelle: Vollstreckung gemäß § 850f Abs. 2 ZPO möglich, VE 14, 155
    • Beschreibung der vorsätzlichen unerlaubten Handlung in der Anmeldung, VE 14, 58
    • Gläubiger muss klagen, um von § 850f ZPO zu profitieren, VE 05, 97
    • Der Nachweis der vorsätzlichen unerlaubten Handlung durch Feststellungsklage, VE 03, 52
    Quelle: Ausgabe 07 / 2016 | Seite 116 | ID 44072892