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  • · Fachbeitrag · Bürgschaften

    Sittenwidrigkeit der Bürgschaft einer arbeitslosen Ehefrau

    Eine Ehefrau ist als Bürge für die Geschäftsschulden ihres Ehemannes finanziell krass überfordert, wenn sie zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bürgschaftsvertrags 29 Jahre alt, gelernte Krankenschwester und arbeitslos war, ein Kleinkind zu verpflegen hatte und weitere Kinder geplant waren und sie deshalb eine Hausfrauentätigkeit ausüben wollte. In diesem Fall ist ersichtlich, dass sie die Bürgschaftsverpflichtungen wegen ihrer finanziellen Situation gar nicht erfüllen kann, mit der Folge, dass die Bürgschaft wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist (OLG Koblenz 4.10.12, 2 W 523/12, Abruf-Nr. 132353).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin schloss mit dem Ehemann der Beklagten einen Darlehens- und Bierlieferungsvertrag, wofür sich die Beklagte mit einer selbstschuldnerischen Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage verbürgte. Das Verfahren gegen den Ehemann der Beklagten ist aufgrund eines Insolvenzverfahrens gemäß § 240 ZPO unterbrochen und abgetrennt worden. Die Klägerin nimmt die Beklagte in Höhe der derzeit bestehenden Darlehensschuld von rund 9.900 EUR nebst Zinsen gesamtschuldnerisch mit ihrem Ehemann in Anspruch. Das LG hat der Beklagten die Gewährung von PKH unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften unter Familienmitgliedern versagt.

     

    Entscheidungsgründe

    Das OLG sieht die Rechtlage abweichend vom LG. Der Bürgschaftsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten ist wegen Sittenwidrigkeit gemäß 
§ 138 Abs. 1 BGB nichtig. Ein Bürgschaftsvertrag ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Vermögensverhältnisse übersteigt, und durch weitere, dem Gläubiger zurechenbare Umstände - insbesondere durch Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit - zusätzlich so erheblich belastet wird, dass ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird (NJW 94, 1278; NJW 99, 58). Aufgrund des Eheverhältnisses ist vorliegend eine typische Konfliktlage eingetreten (NJW 98, 597).

     

    Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insbesondere nichtig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist. Der Bürge ist krass überfordert, wenn die Verbindlichkeit, für die er einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, er werde 
- wenn sich das Risiko verwirklicht - die Forderung des Gläubigers wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen können. Davon ist bei nicht ganz geringfügigen Hauptschulden jedenfalls auszugehen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH WM 00, 411; WM 98, 2327; KG MDR 02, 1443).

     

    Das LG hat zwar zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sie zurzeit des Abschlusses des Bürgschaftsvertrags zwar arbeitslos war, sie sei aber erst 29 Jahre alt und gelernte Krankenschwester. In Anbetracht des Mangels an Pflegekräften in Deutschland sei zu erwarten, dass sie schnell wieder Arbeit finden werde. Dabei lässt das LG außer Acht, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kind zu verpflegen hatte, weitere Kinder geplant waren und eine Hausfrauentätigkeit ausüben wollte, was bei Vertragsschluss allen Parteien bekannt war. Es war ersichtlich, dass die Beklagte aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage sein würde, die Bürgschaftsverpflichtungen für das Geschäftsdarlehen ihres Ehemannes zu erfüllen. Zwischenzeitlich hat die Beklagte vier Kinder.

     

    Es liegt eine Situation einer krassen Überforderung eines nahen Familienmitglieds vor. Der Bürgschaftsvertrag, mit dem sich die Beklagte verbürgte, für Darlehensschulden ihres Ehemannes einzustehen, ist sittenwidrig. Der Klägerin steht gemäß §§ 765, 767 BGB kein Anspruch auf Zahlung der Bürgschaftsschuld zu.

     

    Praxishinweis

    Bei der Gewährung von Krediten kommt der Einräumung von Sicherheiten eine zentrale Bedeutung zu, um das Risiko des Forderungsausfalls zu minimieren. Dies gilt in gleicher Weise für die Krediteinräumung an juristische wie natürliche Personen. Sind keine Immobiliarsicherheiten zu erlangen, stehen Bürgschaften meist im Fokus der Betracht.

     

    MERKE | Durch die Reform der Verbraucherinsolvenz wird die Abtretung des künftigen Arbeitseinkommens des Schuldners entwertet, weil mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (FMP 13, 122) zum 1.7.14 u.a. § 114 InsO gestrichen wird, der auch in der Insolvenz dem Abtretungsgläubiger für zwei Jahre noch ein Befriedigungsvorrecht gab.

     

    Für einen Kreditgeber zeigt die vorliegende Entscheidung, dass bei der Einräumung von Bürgschaften durch nahestehende Personen (§ 138 InsO) besondere Vorsicht geboten ist.

     

    • Es muss einerseits geklärt und dokumentiert werden, über welches aktuelle Einkommen und Vermögen der Bürge verfügt und ob er aufgrund dessen in der Lage ist, die laufenden Zinsen zuzüglich eines Tilgungsanteils für die verbürgte Forderung zu tragen.

     

    • Zum anderen muss die Zukunftsplanung und die Aussichten des Bürgen hinterfragt werden, das heißt, aufgrund welcher Umstände die Vertragsparteien davon ausgehen, dass der Bürge im Sicherungsfall tatsächlich über eine hinreichende Leistungsfähigkeit verfügt.

     

    Es kann dem Kreditgeber deshalb nur geraten werden, einen Fragebogen zu entwickeln, der die aktuellen und geplanten künftigen Verhältnisse erfasst und den künftigen Bürgen gleichzeitig darauf hinweist, dass der Fragebogen auch der Ermittlung der Leistungsfähigkeit dient.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 133 | ID 42216969