14.06.2013 · IWW-Abrufnummer 132311
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 17.04.2013 – 5 K 71/11
Die Heileurythmie ist keine wissenschaftlich nicht anerkannte
Behandlungsmethode im Sinne des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.
f EStDV. Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen
reicht im Streitfall die vor den Behandlungen ausgestellte ärztliche
Verordnung nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV aus.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen für
heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche
Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz steuermindernd
zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin ist Pensionärin. Mit ihrer Einkommensteuererklärung
für das Jahr 2009 machte sie u. a. folgende Aufwendungen
als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33
EStG geltend:
36 heileurythmische Behandlungen a 45 Minuten a 45 Euro = 1.620 s€.
Hierzu legte die Klägerin ärztliche Verordnungen
des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. A vom 16. Januar, 25.
Mai und vom 12. September 2009 vor, auf denen jeweils „12
x Heileurythmie” verordnet wird und als Diagnose „Z.
n. Discusprolaps” (= Bandscheibenvorfall) sowie
chronisch rezidives LWS-Syndrom (= chronisch wiederkehrendes
Syndrom der Lendenwirbelsäule) vermerkt ist. Darüber
hinaus reichte die Klägerin drei Rechnungen der Heileurythmistin B
vom 12. Mai 2009, vom 8. September 2009 und vom 1. März
2010 über jeweils 12 Behandlungen über 540 € ein.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 20. September
2010 setzte das beklagte Finanzamt die Einkommensteuer auf 3.716 € fest.
Dabei berücksichtigte es außergewöhnliche
Belastungen in Höhe von 2.576 €. Die geltend gemachten
Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen berücksichtige das
Finanzamt dabei nicht.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung
führte sie aus, dass ihre Aufwendungen für die ärztlich
verordneten Heilbehandlungen berücksichtigt werden müssten,
da auch zwei Krankenkassen diese Behandlungen aus dem Bereich der
anerkannten Naturheilverfahren erstatten würden.
Mit nach § 172 AO aus nicht streitgegenständlichen
Gründen geändertem Einkommensteuerbescheid für
2009 wurde die Einkommensteuer auf 3.626 € festgesetzt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 8. März 2011 wurde der
Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass kein hinreichender
Nachweis bestehe, dass die Behandlungen im Falle der Klägerin
aus ärztlicher Sicht eine zwingend medizinisch notwendige
und angemessene Methode zur Behandlung gewesen seien. Hinsichtlich
der Begründung im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung
Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 8. April 2011 Klage erhoben. Zur
Begründung trägt sie vor, sie leide seit mehreren
Jahrzehnten an einem Zustand der Multi-Morbidität u. a.
mit schwerem chronischem Schmerzsyndrom, Zustand nach operiertem lumbalen
Bandscheibenvorfall und Polytraumatisierung infolge hochgradiger Gangunsicherheit
durch zahlreiche Stürze mit Frakturen, Sehnenrissen, schweren
Prellungen und/oder Gehirnerschütterung. Insoweit
verweist sie auf die ärztliche Stellungnahme des behandelnden
Arztes Dr. med. A vom 8. Juni 2011. Aufgrund des angeführten
chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms habe der Arzt Dr.
A u. a. insgesamt 36 Heileurythmiebehandlungen verordnet. Bei der
Heileurhythmie handele es sich um eine nichtärztliche Bewegungstherapie
innerhalb der anthroposophischen Medizin. Sie stelle also eine spezifische Behandlungsmethode
innerhalb der Therapierichtung der anthroposophischen Medizin dar.
Sie werde in Einzelbehandlungen von entsprechend qualifizierten Therapeuten
(Heileurythmisten), die den Patienten in spezifische therapeutische
Körperbewegungen einweisen, ausgeführt.
Die Grundelemente der Heileurythmie seien die in Bewegung umgewandelten Laute
unserer Sprache, die je nach Indikation und therapeutischer Zielsetzung spezifisch
angewandt würden. Die Gestaltungsdynamik, die in der Lautbildung, d.
h. im Aussprechen von Vokalen und Konsonanten, enthalten sei, werde
in der Heileurythmie in Bewegung umgesetzt und erlebbar gemacht.
Heileurythmie werde seit mehreren Jahrzehnten auf ärztliche
Verordnung sowohl im ambulanten, stationären und palliativen
Bereich u. a. bei akuten, chronischen oder degenerativen Erkrankungen
des Nervensystems, des Herz-Kreislaufssystems, des Stoffwechselsystems
und des Bewegungsapparates angewendet. Zur näheren Erläuterung
werde auf die als Anlage 6 beigefügte „Leitlinie
zur Methode der Heileurythmie” des Berufsverbands Heileurythmie
e. V. verwiesen.
Bei der anthroposophischen Medizin handele es sich neben der
Homöopathie um die Therapierichtung, die als sogenannte „besondere
Therapierichtung” durch den Gesetzgeber sowohl im Arzneimittelgesetz
als auch im V. Sozialgesetzbuch (SGB V) eine besondere gesetzliche
Anerkennung erfahren habe. So werde die anthroposophische Medizin
an zahlreichen Stellen des SGB V als auch des ANG als besondere
Therapierichtung vom Gesetzgeber ausdrücklich erwähnt.
Sie sei damit von anderen Behandlungsmethoden der Alternativmedizin
oder gar von Außenseitermethoden zu unterscheiden und als
Therapierichtung gesetzlich besonders hervorgehoben. Die medizinische
Indikation der Heileurythmie zur Behandlung der vorgenannten diagnostizierten
Erkrankungen bzw. Beschwerden sei mittlerweile auch durch mehrere
medizinische Studien nachgewiesen. Insoweit werde auf die als Anlage
K 7 eingereichte vergleichende Studie aus der Zeitschrift „Der
Merkurstab”, Heft 5 2008, Seite 435 ff verwiesen. Zudem
werde auf den als Anlage K 8 eingereichten „Bericht Anthroposophische
Medizin” des Schweizer Bundesamtes für Sozialversicherung
vom August 2004 Bezug genommen. Auch in Deutschland sei die Heileurythmie
als spezifisches Heilmittel der anthroposophischen Medizin im Rahmen
von Modelprojekten mit verschiedenen Krankenkassen evaluiert worden.
So habe 1998 bis 2003 im Rahmen eines Modelprojektes der IKK Hamburg
und weiterer gesetzlicher Krankenkassen eine Basisevaluation der anthroposophischen
Medizin stattgefunden. Die Abschnitte „Überblick
und Zusammenfassung” sowie Abschnitt 12.9.11 zur Heileurythmie
aus dem Abschlussbericht vom Juni 2005 werden als Anlage K 9 beigefügt.
Darüber hinaus verweist die Klägerin auf eine
Vielzahl weiterer Studien. Schließlich sei auch eine ganze
Reihe von gesetzlichen Krankenkassen ausdrücklich in sogenannten „IV-Verträgen” (Verträge
zur integrierten Versorgung mit anthroposophischer Medizin nach § 140
a ff SGB V) zur Kostenübernahme von Heileurythmiebehandlungen
vertraglich verpflichtet, wie sich aus der als Anlage K 10 beigefügten
Liste der derzeitigen Krankenversicherungen mit IV-Verträgen
ergebe.
Wie aus der ärztlichen Stellungnahme des behandelnden
Arztes Herrn Dr. A vom 8. Juni 2011 ersichtlich, hätten
die Heileurythmiebehandlungen auch im konkreten Falle der Heilung
bzw. zumindest Linderung der vorgenannten Erkrankungen der Klägerin
gedient. Die Schmerzen und damit verbundenen Bewegungseinschränkungen
hätten in Folge der Behandlungen so stark reduziert werden
können, dass der Einsatz von Schmerzmitteln vermeidbar
geworden sei. Außerdem hätten die Heileurythmiebehandlungen
sich als nebenwirkungsarm und wirkungsvoll erwiesen. Krankengymnastische Übungen
seien aufgrund der schweren Schmerzsymptomatik bei der Klägerin
gar nicht durchführbar gewesen.
Es lägen insoweit Aufwendungen vor, die als außergewöhnliche
Belastungen gemäß § 33 EStG berücksichtigt
werden müssten. Im Rahmen von § 33 EStG werde
verlangt, dass die Behandlung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft
anerkannt sei. Hierbei sei allerdings ausreichend, dass die Heilmethode
von einem bedeutenden Teil der Ärzteschaft als denkbare Behandlungsmethode
angesehen werde. Bei der anthroposophischen Medizin handele es sich
um eine besondere Therapierichtung, die zweifelsohne von einem bedeutenden
Teil der Ärzteschaft als denkbare Behandlungsmethode angesehen
werde. Die Klägerin habe auch Verordnungen ihres behandelnden Arztes
eingereicht. Der Einwand der Beklagten, die Klägerin hätte
keinen ausreichenden Nachweis der medizinischen Indikation der Heileurythmiebehandlungen
vorgelegt, sei unzutreffend. Wann eine konkrete medizinische Maßnahme
im Einzelfall notwendig, also indiziert sei, habe in erster Linie
der behandelnde Arzt zu entscheiden. Dabei komme es darauf an, ob
zwischen unterschiedlichen Behandlungsmethoden die gewählte
vertretbar sei. Insoweit werde auf die vorstehenden Ausführungen
verwiesen. Die Verordnungen des behandelnden Arztes seien daher
in jedem Fall vertretbar. Darüber hinaus sei insbesondere
nach der jüngsten Rechtsprechung des BFH die Vorlage eines amtsärztlichen
Attestes in strittigen Fällen zur Abgrenzung von lediglich gesundheitsfördernden
Maßnahmen und medizinisch indizierten Behandlungen nicht
mehr erforderlich (vgl. BFH-Urteile jeweils vom 11. November 2010, Aktenzeichen VI R 16/09, VI R 17/09 und VI R 18/09).
Der BFH halte damit ausdrücklich nicht mehr an seiner bisherigen
restriktiven Rechtsprechung fest, nach der in bestimmten Fällen
Aufwendungen nach § 33 EStG nur abzugsfähig wären,
wenn die medizinische Indikation der ihnen zu Grunde liegenden Behandlungen
durch ein amtsärztliches/vertrauensärztliches
Gutachten oder ein Attest nachgewiesen werde.
Auch die bislang zur Heileurythmie ergangene finanzgerichtliche
Rechtsprechung habe stets den Charakter der Heileurythmie als Heilbehandlung
bejaht. Dies sei im Rahmen von Klagen, die die Frage der Umsatzsteuerfreiheit
eines Heileurythmisten zum Gegenstand hatten, angenommen worden.
Dass die Heileurythmie auch von gesunden Personen als vorbeugende
bzw. die Gesundheit erhaltene Maßnahme oder zur Steigerung
des allgemeinen Wohlbefindens in Anspruch genommen werde, ändere
im konkreten Falle nichts daran, dass die Klägerin hier
zur Linderung ihres mit starken Schmerzen verbundenen chronischen
Lendenwirbelsäulensyndroms und keineswegs nur zur Verbesserung
ihres allgemeinen Gesundheitszustandes mit Heileurythmie therapiert worden
sei. Schließlich würden bspw. auch physiotherapeutische
Maßnahmen (z. B. Massagen) von Gesunden in Anspruch genommen,
aber andererseits auch zur Heilung bzw. Linderung von Krankheiten ärztlich
verordnet und angewendet. Nicht ersichtlich sei auch, woraus der
Beklagte die Annahme herleite, die Klägerin befände
sich mindestens seit 1998 in Dauerbehandlung mit Heileurythmie.
Der seit zwei Jahrzehnten bestehende gravierende Zustand der Klägerin
zeige, dass die Heileurythmiebehandlungen des chronischen lumbalen Schmerzsyndroms,
das u. a. zeitweise auch mit gängigen Schmerztherapien
und Physiotherapie, craniosacraler Therapie, orthopädischen
Maßnahmen und Injektionstherapie mit anthroposophischen
Arzneimitteln behandelt worden sei, bei der Klägerin langfristig
medizinisch notwendig sei.
Bei der Heileurythmie handele es sich um ein Heilmittel, welches
grundsätzlich nach dem SGB V als Heilmittel der besonderen
Therapierichtung der anthroposophischen Medizin erstattungsfähig
sei. Für den nach § 64 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung
erforderlichen Nachweis der Zwangsläufigkeit bedeute dies,
dass die Klägerin durch Vorlage der Verordnung des Arztes
den entsprechenden Nachweis erbracht habe. § 64 Abs. 1
Ziffer 2 EStDV sei hingegen nicht anwendbar. Diese Vorschrift betreffe
nur wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, welche
keine gesetzliche Anerkennung im SGB V erfahren hätten
im Gegensatz zu der hier im Streit stehenden besonderen Therapierichtung
der anthroposophischen Medizin. Unter den in Ziffer 2 von § 64
Abs. 1 EStDV eingeführten wissenschaftlich nicht anerkannten
Behandlungsmethoden seien z. B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen,
Sauerstoff-, Gelath- und Eigenbluttherapie einzuordnen. Da im Recht
der gesetzlichen Krankenversicherungen sowohl die besondere Therapierichtung
der anthroposophischen Medizin als auch der Homöopathie
gleichbedeutend mit der sogenannten Schulmedizin seien, wäre
es nicht systemgerecht, die Heileurythmie der Ziffer 2 von § 64
EStDV zuzuordnen. Ein vorheriges amtsärztliches Attest sei
nicht erforderlich, um den Nachweis der Zwangsläufigkeit
der Aufwendungen für die Heileurythmiebehandlungen zu erbringen.
Mit Schriftsatz vom 25. August 2011 hat die Klägerin
die Klage in Höhe von 540 € zurückgenommen,
da die Rechnung vom 1. März 2010 erst bei der Einkommensteuerfestsetzung
für 2010 zu berücksichtigen sei.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 8. Dezember 2010 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2011 dahingehend
zu ändern, dass bei den außergewöhnlichen
Belastungen weitere Aufwendungen in Höhe von 1.080 € berücksichtigt
werden und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung zunächst
auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.
Ergänzend trägt er vor, dass nach der ständigen
BFH-Rechtsprechung Aufwendungen für eine Heilbehandlung
auch ohne eine im Einzelfall nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG
an sich gebotene Prüfung der Zwangsläufigkeit
dem Grunde und der Höhe nach als außergewöhnliche Belastung
berücksichtigt werden könnten, wenn die Aufwendungen
nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den
Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder
Linderung der Krankheit angezeigt seien und vorgenommen würden.
Ob diese Voraussetzung zutreffe, sei anhand von objektiven Maßstäben
und nicht nach der subjektiven Einschätzung des Steuerpflichtigen
festzustellen. Die Forderung, den Nachweis in qualifizierter Weise
zu führen, diene der Abgrenzung von Aufwendungen im Bereich
der allgemeinen Gesundheitsvorsorge, für die regelmäßig
eine Zwangsläufigkeit nicht zu bejahen sei. Im Streitfall
könne es letztlich dahinstehen, ob es sich bei der Heileurythmie
tatsächlich um eine Therapie handele, deren Wirksamkeit
aus medizinisch-therapeutischer Sicht anerkannt sei. Entscheidende
Bedeutung habe, dass die Heileurythmie ihrer Art nach nicht eindeutig
eine rein medizinische Maßnahme einer Heilbehandlung darstelle.
Zwar habe der Hausarzt der Klägerin die Heileurythmie-Therapie
per Rezept verordnet und nunmehr auch bestätigt, dass gerade
diese Therapieform sich für seine Patientin als wirkungsvoll
erweise. Dies reiche jedoch als Nachweis einer medizinischen Notwendigkeit
der Heileurythmie-Therapie nicht aus. Dabei werde nicht bestritten,
dass die Behandlungen der Gesundheit der Klägerin dienlich
gewesen seien. Heileurythmie-Therapien würden aber nicht
nur von Kranken, sondern auch von Gesunden wahrgenommen, um die
Gesundheit zu erhalten und das Wohlbefinden zu steigern. Der Berufsverband
Heileurythmie werbe auf seiner Internetseite gerade auch mit dem
Hinweis auf den erfolgreichen Einsatz dieser Therapieform als Präventionsmaßnahme.
Auch in der von der Klägerin eingereichten „Leitlinie
zur Methode der Heileurythmie” sei die Prophylaxe als Ziel herausgestellt
worden. Da sich die Klägerin seit mindestens 1998 in Dauerbehandlung
mit Heileurythmie befinde und in Anbetracht der allgemein bekannten
Tatsache, dass auch Maßnahmen der Lebensführung
die physische und psychische Gesundheit bessern können,
akzeptiere das Finanzamt zwar, dass die Heileurythmie für
die Klägerin aus medizinischer Sicht sinnvoll sei. Es habe
jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können,
dass die Dauerbehandlung unabdingbar medizinisch notwendig gewesen
sei. Es sei daher nicht zu beanstanden, die Klägerin und
nicht die Allgemeinheit mit den hier geltend gemachten Kosten zu
belasten, um die Aufwendungen dementsprechend nicht zum Abzug als
außergewöhnliche Belastung zuzulassen. Auch wenn
einige Krankenversicherungen die Aufwendungen für nicht
medikamentöse Behandlungsmethoden der anthroposophischen
Medizin in einen Vertrag der integrierten Versorgung (IV-Vertrag)
einbezogen hätten und daher ganz oder teilweise übernehmen
würden, sei es in Anbetracht des Umstandes, dass diese
Therapien bisher noch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung aufgenommen worden sei, weiterhin angezeigt,
die Heileurythmie als „alternative Heilmethode” zu
bezeichnen. Der Nachweis der medizinischen Indikation und damit
der Zwangsläufigkeit des von der Klägerin geltend gemachten
Aufwandes sei deshalb nicht in ausreichendem Maße geführt
worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Übrigen
Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte,
die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der
beigezogenen Rechtsbehelfssteuerakte Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 20. September
2010 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 8. Dezember
2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März
2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren
Rechten, soweit außergewöhnliche Belastungen in
Höhe von 1.080 € nicht berücksichtigt
wurden; der angegriffene Bescheid ist daher dementsprechend zu ändern
(§ 100 Abs. 2 FGO).
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag
ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig
größere Aufwendungen als der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse,
gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
(außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig
erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich
ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen
nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen
nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen
(§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG
ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den
existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die
sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen
Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem
Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen
die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die
in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag
abgegolten sind (BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10, BStBl II 2012,
577 m.w.N.).
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus,
dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und
die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen
Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur
solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt,
die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation)
oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich
zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl
(BFH-Urteile vom 17.07.1981 VI R 77/78, BStBl II 1981,
711; vom 13.02.1987 III R 208/81, BStBl II 1987,
427, und vom 20.03.1987 III R 150/86, BStBl II 1987,
596).
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden
typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt,
ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1
EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des
Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 01.02
2001 III R 22/00, BStBl II 2001,
543, und vom 03.12.1998 III R 5/98, BStBl II 1999,
227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten
ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre
geboten (BFH-Urteil vom 01.02 2001 III R 22/00, BStBl II 2001,
543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach
den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen
eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit
angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil
vom 18.06.1997 III
R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997,
805), also medizinisch indiziert sind. Dabei wird nicht nur
das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von
der Heilanzeige erfasst. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr
jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung
in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt)
ist (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Indikation).
Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu
folgen, es sei denn, es liegt ein für jedermann erkennbares
offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen
und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteil vom 05.10.2011 VI R 49/10, BFH/NV
2012, 33 m.w.N.).
Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit
von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen
formalisiert nachzuweisen, nachdem der Gesetzgeber auf die geänderte
Rechtssprechung des BFH zur Nachweispflicht reagiert hat. Bei krankheitsbedingten
Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2,
23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch --SGB
V--) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV (i.d.F.
des StVereinfG 2011) durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers
zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen,
die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung
einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation
deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr.
2 EStDV ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb
des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches
Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB
V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade-
und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV)
sowie bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden,
wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat-
und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst.
f EStDV), erforderlich.
Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitjahr
2009 Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F.
des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG
2011 in allen Fällen, in denen -wie vorliegend- die Einkommensteuer
noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, bestehen
keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die rückwirkende Anwendung
des § 64 Abs. 1 EStDV (BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10, BStBl II 2012,
577 m.w.N.; vgl auch Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 12.
Auflage, § 33 Rn. 52; Loschelder in Schmidt, EStG, 32.
Auflage, § 33 Rz. 34).
Der formalisierte Nachweis darf allerdings nur in den § 64
Abs. 1 EStDV ausdrücklich geregelten Fällen gefordert
werden. So fordert § 64 Abs. 1 Buchst. f EStDV den strengen
amtlichen Nachweis nur bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden,
nicht aber bei wissenschaftlich umstrittenen Behandlungsmethoden.
Auch die Behandlungsmethoden der in § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB
V aufgeführten besonderen Therapierichtungen, zu denen
die Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie gehören
(BSG-Urteil vom 22.03.2005 B 1 A 1/03 R,BSGE 94, 221),
sind wissenschaftlich anerkannte Heilmethoden, die nach festgelegten
Regeln in der Praxis individuell angewandt und kontinuierlich mit modernen
wissenschaftlichen Methoden weiter entwickelt werden (Mellinghoff in
Kirchhof, EStG, 12. Auflage, § 33 Rn. 53; Geserich, DStR 2012, 1490,
1493).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin
die Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen in der
nach § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gebotenen
Form nachgewiesen.
Ausreichend zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen
waren die vor den Behandlungen ausgestellten ärztlichen
Verordnungen, da der Nachweis im Streitfall von der Klägerin
nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV zu erbringen ist.
Bei der Heileurythmie handelt es sich um ein Heilmittel im Sinne
der §§ 2 und 32 SGB-V. Gemäß § 2
Abs. 1 Satz 2 SGB V sind Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel
der besonderen Therapierichtungen nicht ausgeschlossen. Qualität
und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt
zu berücksichtigen ( § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Nach § 32 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung
mit Heilmitteln, soweit sie nicht nach § 34 ausgeschlossen
sind. Heilmittel sind ärztlich verordnete Dienstleistungen,
die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern sollen und
nur von entsprechend ausgebildeten, berufspraktisch erfahrenen Personen erbracht
werden dürfen (Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 32
Rz. 8; BSG-Urteil vom 22.03.2005 B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221).
Dies ist bei der Heileurythmie der Fall. Die Heileurythmie ist eine
aktive Bewegungstherapie, die in Einzelbehandlungen mit einem speziell
dazu ausgebildeten Therapeuten (Heileurythmist) ausgeführt
wird (vgl. Seite 22 des Abschlussberichts des Teilprojekts der IKK
Hamburg vom Juni 2005). Als Heilmittel der anthroposophischen Medizin und
damit einer der besonderen Therapierichtungen ist sie nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Vielmehr ermöglicht es diese Vorschrift den Krankenkassen, derartige
Leistungen zu übernehmen, verpflichtet sie aber nicht dazu
(BFH-Urteil vom 08.03.2012 V R 30/09, BStBl II 2012, 623).
Dementsprechend hat auch das Bundessozialgericht in seinem oben
zitierten Urteil vom 22.03.2005 (B 1 A 1/03 R) die Heileurythmie
als Heilmittel bezeichnet und der BFH hat entschieden, dass es sich
um eine Heilbehandlung im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG handelt
(BFH-Urteil vom 08.03.2012 V R 30/09, BStBl II 2012,
623). Außerdem gibt es keinen Leistungsausschluss
für Heilmittel aus der Rechtsverordnung zu § 34
Abs. 4 SGB V, nach der Heilmittel von geringem oder umstrittenem
therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis einen Leistungsanspruch
ausschließen können (Gerlach in Hauck/Noftz,
SGB V, § 32 Rz. 20).
Ein amtsärztliches Gutachten ist dagegen für
den Nachweis der Zwangsläufigkeit nicht erforderlich. Der
Senat ist der Auffassung, dass die heileurythmische Behandlung keine
wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode im Sinne des § 64
Abs. 1 Buchst. f EStDV ist, weil sie als eine anthroposophische Behandlungsmethode
einer der in § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V aufgeführten
besonderen Therapierichtungen zuzuordnen ist, zu denen die Anthroposophie
gehört (vgl. oben Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 12. Auflage, § 33
Rn. 53; Geserich, DStR
2012, 1490, 1493). Auch nach den von der Klägerin
vorgelegten Studien, die nicht ausschließlich von Vertretern der
Anthroposophischen Medizin stammen, ist eine Wirksamkeit der Behandlungsmethoden
der Anthroposophischen Medizin gegeben. Es handelt sich bei der
Heileurythmie um eine bereits 1921 von Dr. Rudolf Steiner, Dr. med.
Ita Wegmann und anderen Ärzten als Bestandteil der Anthroposophischen
Medizin entwickelte Therapieform. Sie wird an mehr als 300 Einrichtungen
des Gesundheitswesens eingesetzt (vgl. Leitlinie zur Methode der
Heileurythmie, S. 4). Damit ist diese Behandlungsmethode seit vielen
Jahrzehnten in Anwendung. Die besondere Anerkennung sowohl der besonderen
Therapierichtung der anthroposophischen Medizin als auch der Homöopathie
im Recht der gesetzlichen Krankenversicherungen spricht dagegen,
die Heileurythmie der Nr. 2 Buchst. f von § 64 Abs. 1 EStDV
zuzuordnen. Die Heileurythmie ist auch nicht in den Beispielsfällen
unter den in Ziffer 2 von § 64 Abs. 1 EStDV aufgeführten
wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden, wie Frisch- und
Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Gelath- und Eigenbluttherapie aufgeführt.
Der Verordnungsgeber hätte insoweit klarstellen müssen,
dass die Behandlungsmethoden der besonderen Therapierichtungen generell
von der Nr. 2 Buchst. f von § 64 Abs. 1 EStDV erfasst sein
sollen oder die Beispielsliste insoweit ergänzen müssen,
wenn er ein amtsärztliches Gutachten für den Nachweis
der Zwangsläufigkeit für erforderlich gehalten
hätte.
Für dieses Ergebnis spricht auch die Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs und des Bundessozialgerichts. So hat der BFH
in einem vor Inkrafttreten der EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011
ergangenen Urteil ausgeführt, dass Aufwendungen nur nach § 33
EStG abgezogen werden können, wenn die Behandlungsmethode auf
einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz
beruht, der die prognostizierte Wirkweise der Behandlung auf das
angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, diese Wirkweise
sonach zumindest wahrscheinlich macht. Dabei könne es allerdings
nicht darauf ankommen, ob die gewählte Behandlungsmethode
und die sie tragenden medizinischen Erwägungen von schulmedizinischen
Erkenntnissen bestimmt würden oder ob sie auf Erkenntnissen
aufbauten, die in der sogenannten alternativen Medizin entwickelt
worden seien. Entscheidend sei insoweit vielmehr, ob aus naturheilkundlicher
Sicht die gewählte Behandlungsmethode anerkannt und nach
den für die Naturheilkunde geltenden Grundsätzen
als medizinisch notwendig anzusehen sei. Dabei verstehe es sich
von selbst, dass es für die auch hier maßgebliche
medizinische Notwendigkeit nicht auf eine Betrachtung aus schulmedizinischer
Sicht ankommen könne. Maßstab sei vielmehr insoweit
nur die naturheilkundliche Lehre selbst (BFH-Urteil vom 05.10.2011 VI R 49/10, BFH/NV
2012, 33 m.w.N.). Das Bundessozialgericht hat in seinem
Urteil vom 11.05.2011 (B 6 KA 25/10 R, BSGE 108, 183)
ausgeführt, dass das Gebot, der therapeutischen Vielfalt
Rechnung zu tragen, insbesondere bedeute, dass die Eigenheiten besonderer
Therapierichtungen - soweit dies im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften
möglich ist – zu berücksichtigen seien.
Bei der Bewertung der Qualität und Wirksamkeit von Behandlungsmethoden
und Medikationen sei deshalb der Erkenntnisstand der jeweiligen
Therapierichtung, also die aus Sicht der Therapierichtung gegebene besondere
Wirksamkeit zugrunde zu legen (Maßstab der sogenannten
Binnenanerkennung). Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat in
seinem oben zitierten Urteil vom 22.03.2005 (B 1 A 1/03
R) - ebenfalls im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung
einer Aufsichtsmaßnahme, im Wesentlichen das außerordentlich
breite Meinungsspektrum zu der Frage, ob und in welcher Weise Leistungen
der besonderen Therapierichtungen in die gesetzliche Krankenversicherung
einbezogen sind, aufgezeigt und sich auf die Position zurückgezogen,
im Wege der Rechtsaufsicht könne keine Festlegung auf eine
Position erfolgen, wenn die Rechtslage dazu bislang jedenfalls nicht durch
eine gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt
sei. Ein solches Vorgehen verstoße auch gegen den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit von Aufsichtsmaßnahmen.
Die Kosten für Heileurythmie können nach diesem Urteil
von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Insgesamt geht aber
das BSG offenbar davon aus, dass die Heileurythmie keine wissenschaftlich
nicht anerkannte Behandlungsmethode, sondern sie zumindest eine
wissenschaftlich umstrittene Behandlungsmethode sei und wohl noch
Klärungsbedarf bestehe.
Das Auslegungsergebnis wird schließlich auch durch die
Rechtsprechung des BFH zur Frage der Umsatzsteuerfreiheit von heileurythmischen
Leistungen gestützt. So hat der BFH in seinem Urteil vom
08.03.2012 (V R
30/09, BStBl II 2012, 623) entschieden, dass
eine Steuerfreiheit der heileurythmischen Leistungen nach § 4
Nr. 14 UStG im Streitfall in Betracht komme, wenn der dortige Kläger (als
Diplom-Heileurythmist) die Teilnahmeberechtigung an den Integrierten Versorgungsverträgen
von seinem Berufsverband (BVHE - Berufsverband Heileurythmie e.V.)
erteilt worden sei.
Wie die Klägerin dargelegt hat, werden Kosten für
heileurythmische Behandlungen zudem seit einigen Jahren auch tatsächlich
von einer Anzahl von Krankenkassen erstattet. Es gibt auch keinen
Leistungsausschluss für Heilmittel aus der Rechtsverordnung
zu § 34 Abs. 4 SGB V, nach der Heilmittel von geringem oder
umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis einen Leistungsanspruch
ausschließen können (Gerlach in Hauck/Noftz,
SGB V, § 32 Rz. 20).
Den danach allein nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV zu erbringenden
Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen hat die
Klägerin mit den ärztlichen Verordnungen des Arztes
für Allgemeinmedizin Dr. A vom 16. Januar und vom 25. Mai
2009 erbracht. Der Einwand des Beklagten, die Heileurythmie-Therapien würden
aber nicht nur von Kranken, sondern auch von Gesunden wahrgenommen,
um die Gesundheit zu erhalten und das Wohlbefinden zu steigern,
führt im Streitfall zu keiner anderen Beurteilung. Denn
aus der ärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes
Herrn Dr. med. A vom 8. Juni 2011 ist hinreichend ersichtlich, dass
die Heileurythmiebehandlungen auch im konkreten Falle der Heilung
bzw. zumindest Linderung der bei der Klägerin vorhandenen Erkrankungen
gedient haben. Danach hätten die Schmerzen und damit verbundenen
Bewegungseinschränkungen in Folge der Behandlungen so stark
reduziert werden können, dass der Einsatz von Schmerzmitteln
vermeidbar geworden sei. Außerdem hätten die Heileurythmiebehandlungen
sich als nebenwirkungsarm und wirkungsvoll erwiesen. Krankengymnastische Übungen
seien aufgrund der schweren Schmerzsymptomatik bei der Klägerin
gar nicht durchführbar gewesen. Zu Recht weist die Klägerin
insoweit darauf hin, dass beispielsweise auch physiotherapeutische
Maßnahmen (wie z. B. Massagen) von Gesunden in Anspruch
genommen, aber andererseits auch zur Heilung bzw. Linderung von
Krankheiten ärztlich verordnet und angewendet werden.
Da der formalisierte Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1
EStDV von der Klägerin erbracht wurde, besteht aus Sicht
des Senats kein Anlass, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Denn das Gericht sieht keine Veranlassung an der Richtigkeit der ärztlichen
Stellungnahme des behandelnden Arztes Herrn Dr. A vom 8. Juni 2011
zu zweifeln. Es kann nach Auffassung des Senats auch nicht Sinn des
formalisierten Nachweises sein, wenn regelmäßig
nachträglich weitere Sachverständigengutachten
von den Gerichten einzuholen wären, um die medizinische
Richtigkeit der vorliegenden ärztlichen Verordnung zu überprüfen.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Berechnung des festzusetzenden Betrages konnte der Senat
auf das Finanzamt übertragen, weil die Ermittlung dieses
Betrages einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert (§ 100
Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Es
liegt kostenrechtlich ein Teilunterliegen der Klägerin
vor, denn sie muss hinsichtlich des Steuerbetrages, um den sie ihren
Klageantrag eingeschränkt hat, die Kosten tragen (BFH,
Urteil vom 16. Juli 1969 I
R 81/66, BStBl II 1970, 15).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708
Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
hat.