04.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235058
Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 13.10.2022 – 4 K 931/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FINANZGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT
Urteil
2. der Frau B.,
Kläger,
bevollmächtigt: zu 1-2:
gegen
das Finanzamt
Beklagter,
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Zahlungen des Jugendamtes für die Betreuung von zwei Kindern im Haus der Kläger steuerpflichtig sind oder es sich um steuerfreie Beihilfen i. S. d. § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz -EStG- handelt.
Die Kläger sind Eheleute, welche im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Auf der Grundlage der §§ 78a ff. des 8. Sozialgesetzbuches (SGB VIII) i.V.m. dem Rahmenvertrag des Landes Y. mit dem Landkreis Z., vertreten durch den Landrat, schloss der Kläger als Leiter der Erziehungsfachstelle eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung über die Erbringung von Leistungen nach §§ 8a, 27 SGB VIII i.V.m. §§ 34, 35, 35a, 36 und 72a SGB VIII (LEQ-Vereinbarung) ab. Darin heißt es: „Der Einrichtungsträger verpflichtet sich, entsprechend der eingereichten Leistungsbeschreibung (Aktualisierung 25.08.2015) die Leistungen im angegebenen Umfang in der jeweiligen Qualität zu erbringen.“ Unter § 1 der LEQ-Vereinbarung ist eine Regelung über das „Entgelt“ getroffen worden. Danach wird dem Einrichtungsträger für Hilfen nach §§ 27 i.V.m. 34, 35, 35a SGB VIII je Platz und Tag ein „Entgelt“ gezahlt. Von den € entfallen insgesamt € auf Personalkosten (d. h. pädagogisches/therapeutisches Personal, Wirtschaftsbereich, Personalnebenkosten), € auf Sachkosten (d. h. Lebensmittel, Betriebskosten, Verwaltungskosten, Betreuungskosten) und € auf betriebsnotwendige Aufwendungen (Abschreibungen/GWG, Miete/Pacht/Erbbauzinsen/Leasinggebühren, Instandhaltung/-setzung/GWG).
In § 1 der LEQ-Vereinbarung über das Entgelt ist weiter vereinbart, dass in dem Regelentgelt von € je Betreuungstag keine Sonderaufwendungen für Taschengeld, Erstausstattung, Kosten für Klassenfahrten, Beihilfen aus besonderen Anlässen (Einschulung, Jugendweihe, Kommunion, Taufe usw.) enthalten sind. Eine entsprechende Erstattung vorgenannter Zusatz- bzw. Sonderleistung ist gesondert zu vereinbaren. Weiter heißt es, dass bei Abwesenheit (z. B. Krankenhausaufenthalt, Entweichungen usw.) das Entgelt um das anteilige Verpflegungsgeld von je € zu kürzen ist und das vereinbarte Entgelt, gemindert um das anteilige Verpflegungsgeld, für die Dauer der Abwesenheit von 6 Wochen fortgezahlt wird, sofern eine Rückführung in die Einrichtung geplant ist.
Unter § 4 der LEQ-Vereinbarung ist die persönliche Eignung geregelt worden. Danach hat der Träger der Einrichtung sicherzustellen, dass keine Personen nach § 72a Satz 1 SGB VIII beschäftigt werden. Er sichert die Einhaltung der vorstehenden Verpflichtung durch geeignete Personalauswahl sowie gegebenenfalls durch entsprechende Bestimmungen in den jeweiligen Arbeitsverträgen oder Verträgen mit Dritten und lässt sich bei der Einstellung und sodann in regelmäßigen Abständen ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen.
Im Streitjahr lebten von den vier leiblichen Kindern der Kläger zwei (13 und 16 Jahre) im Haushalt der Kläger. Darüber hinaus wurden vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016 das Kind C. (geb. 26. März 2008), vom 1. Januar 2016 bis 24. Juni 2016 das Kind D. (geb. 2. April 2006) und von 23. Juli 2016 bis 31. Dezember 2016 das Kind E. (geb. 13. Oktober 2011; Halbschwester der C.) in der Erziehungsfachstelle betreut.
Für die Erziehungsfachstelle ist vom Landkreis Z. eine Betriebserlaubnis für zwei Plätze erteilt worden. Der Betreuungsschlüssel der Erziehungsfachstelle beträgt im Streitjahr zwei Kinder/Jugendliche pro pädagogisches/therapeutisches Personal.
In ihrer beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung 2016 erklärte der Kläger aus der Tätigkeit der Erziehungsfachstelle nach Korrektur der betreffenden Einnahme-Überschuss-Rechnung Einkünfte aus selbstständiger Arbeit i.H.v. €. Der Gewinn wurde dadurch ermittelt, dass von den Gesamtzahlungen des Jugendamtes i.H.v. € die ‒ im Übrigen vollständig ‒ erstatteten Posten für Sachkosten und betriebsnotwendige Aufwendungen sowie anteilige Personalkosten und das erstattete Taschengeld sowie Kindergartenkosten von insgesamt € sowie weitere Betriebskosten i.H.v. € (für Versicherungen, für Beiträge zur Berufsgenossenschaft, für an die Tochter der Kläger wegen Übernahme von Betreuungstätigkeiten gezahlte Honorare - hier: i.H.v. €, für weiteren Erhaltungsaufwand und weitere Anschaffungskosten der Erziehungsfachstelle sowie Kfz-Kosten) abgezogen wurden.
Der Beklagte veranlagte mit Bescheid vom 30. Januar 2018 die Kläger ‒ soweit hier relevant ‒ erklärungsgemäß und erfasste die vom Kläger erklärten Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit der Erziehungsfachstelle in Höhe von € sowie aus anderer selbständiger Arbeit ‒ Coach und Supervisor ‒ erklärten Einnahmen i.H. von €. Die Klägerin hat keine eigenen Einkünfte im Streitjahr erzielt. Weiter erhielten die Kläger kein Kindergeld für die aufgenommenen minderjährigen Kinder. Auf entsprechende Nachfrage der Berichterstatterin bestätigten die Kläger nochmals, dass weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem Kläger Kindergeld für die aufgenommenen ‒ nicht leiblichen ‒ minderjährigen Kinder festgesetzt worden ist.
Unter dem Schreiben vom 27. Januar 2018, welches am 31. Januar 2018 beim Beklagten einging, wies der Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11 hin. Dort hatte der BFH entschieden, dass Leistungen, die von einer privatrechtlichen Institution für die Aufnahme von Pflegepersonen in einen Haushalt über Tag und Nacht gewährt werden, nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien. Nach Ansicht des Klägers würden die im Urteil beschriebenen Besonderheiten auf die Erziehungsfachstelle zutreffen, so dass die Einkünfte aus der Tätigkeit der Erziehungsstelle von der Einkommensteuer befreit seien. Er bat daher die in den Steuerbescheiden ab 2014 festgesetzte Einkommensteuer zu berichtigen.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 teilte der Beklagte mit, dass er das Schreiben vom 27. Januar 2018 als Einspruch gegen die Steuerbescheide 2014 bis 2016 auslege und teilte unter dem 9. März 2018 weiter mit, dass er hinsichtlich des Streitjahres 2016 das Schreiben vom 27. Januar 2018 als zulässigen Einspruch ansehe, während er in Bezug auf die hier nicht streitgegenständlichen Jahre 2014 und 2015 auf die Unzulässigkeit der Einsprüche hinwies.
Unter dem Schreiben vom 23. April 2018 zeigte die Kanzlei F. an, dass die Eheleute A. und B. sie mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen für das Jahr 2016 beauftragt hätten und wies ergänzend auf die Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen vom 25. Januar 2016 ‒ 3 K 38/15 hin, wonach für eine Erziehungsstelle, bei der Entgelte gemäß § 34 SGB VIII gezahlt würden, diese nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien und es sich nicht um Einkünfte aus selbständiger Arbeit handelt. Die dem Schreiben vom 23. April 2018 beigefügte Vollmacht für die Kanzlei F. wurde nur vom Kläger unterzeichnet.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 wies der Beklagte den Einspruch der Eheleute für das Jahr 2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Kläger eine Einrichtung i.S.d. § 34 SGB VIII betreibe und Einnahmen nicht für eine Vollzeitpflege i. S. d. § 33 SGB VIII erhalte, sondern für Leistungen i. S. d. § 35a SGB VIII.
Die Kinder seien in den Haushalt des Klägers vollständig aufgenommen und integriert worden, es liege keine Heimerziehung vor. Die Kinder würden rund um die Uhr betreut und der Kläger dadurch der Notwendigkeit des Gelderwerbs zum Lebensunterhalt enthoben. Auf vertragliche Bezeichnungen oder Formulierungen der Buchungstexte sei nicht abzustellen, maßgebend seien allein die tatsächlichen Verhältnisse. Im Streitfall bestehe nach den tatsächlichen Gegebenheiten kein Unterschied zur Vollzeitpflege, im Gegenteil, es liege sogar ein viel größerer sozialpädagogischer Aufwand als in der „normalen“ Vollzeitpflege vor. Darüber hinaus sei ein Arbeitnehmer im Heim typischerweise acht oder sechs Stunden tätig und gehe danach nach Hause; demgegenüber leiste der Kläger eine 24-Stunden-Tätigkeit.
Befragt zum Entgelt, teilte der Kläger mit, dieses frei mit der Jugendhilfe des Landkreises Z. verhandelt zu haben. Es umfasse die gesamten Kosten für die bei den Klägern im Haushalt aufgenommen Kinder, für Fahrzeuge mit denen sie transportiert werden, für den Kläger als betreuendes Personal sowie für Wohnraum, Haustiere, Versicherung usw.
Die Berichterstatterin wies die Beteiligten sodann darauf hin, dass nach ihrer Ansicht (auch) nach den Ausführungen im Erörterungstermin wohl nicht von einer Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Einnahmen des Klägers nach § 3 Nr. 11 EStG auszugehen sein dürfte. Daraufhin teilten die Kläger ergänzend mit, dass der monatlich abgerechnete Betrag von rund € im Streitjahr völlig angemessen sei und nicht auf eine Entgeltlichkeit schließen lasse. Bei einer angenommenen Steuerpflichtigkeit der Einnahmen bleibe unklar, wie die Betriebsausgaben zu ermitteln wären, weil die Aufteilung unlösbar sei.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 30. Januar 2018 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 die Einkünfte des Klägers aus der Erziehungsstelle mit 0,00 € zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zudem sei aus der Kalkulation des Tagessatzes i.H.v. € ersichtlich, dass im Wesentlichen eine berufliche Leistung des Klägers vergütet werde. Denn mit dem Tagessatz würden nicht nur die Aufwendungen für das zu pflegende Kind (Verpflegung, Unterkunft usw.) ersetzt; der überwiegende Anteil des Tagessatzes entfalle auf Kosten für pädagogisches bzw. therapeutisches Personal, deren Tätigkeiten nur durch den Kläger ausgeführt werden könnten. Schließlich habe der Kläger im Streitjahr ausschließlich Zahlungen auf Grundlage des § 35a SGB VIII erhalten, so dass die Einnahmen damit insgesamt steuerpflichtig seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten (2 Bd. Einkommensteuer, 2 Bd. Einspruchsakte, 1 Bd. Gewinnermittlungen) sowie die im gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die am 22. Mai 2018 erhobene Klage wurde zunächst unter dem Aktenzeichen 3 K 479/18 erfasst. Aufgrund übereinstimmenden Antrages der Beteiligten ist mit Beschluss vom 17. April 2019 das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim BFH unter dem Aktenzeichen VIII R 27/18 anhängigen Verfahrens angeordnet worden. Nachdem aufgrund eines Zuständigkeitswechsels das vorliegende Verfahren an den 4. Senat abgegeben wurde und der Ruhensgrund mit Entscheidung des BFH vom 14. Juli 2020 wegfiel, wurde die Klage sodann unter dem Aktenzeichen 4 K 931/20 fortgeführt.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 sowie mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Der angefochtene Bescheid ist insbesondere nicht in Bestandskraft erwachsen.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, kann ein Steuerbescheid vor seiner schriftlichen Bekanntgabe nicht wirksam mit Einspruch angefochten werden. Das gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige schon vorher von dem Inhalt des Verwaltungsakts sichere Kenntnis erlangt hat (BFH, Urteil vom 14. November 2012 ‒ II R 14/11, BFH/NV 2013, 693 m.w.N.). Ein vor Bekanntgabe eines Steuerbescheids eingelegter Rechtsbehelf muss daher nach Bekanntgabe wiederholt werden (Rätke in: Klein, Abgabenordnung, 16. Auflage 2022, § 355 Rn. 11 m.w.N.).
Im Streitfall ist der unter dem 27. Januar 2018 gefertigte Einspruch zwar am 31. Januar 2018 und damit einen Tag nach Ergehen des Verwaltungsaktes dem Beklagten zugegangen. Jedoch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bereits zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung durch die Kläger der Bescheid über Einkommensteuer 2016 vom 30. Januar 2018 gegenüber den Klägern bekannt gemacht worden war. Vielmehr dürfte sich aus dem Datum des Einspruchsschreibens (27. Januar 2018) sowie der Nichtnennung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ergeben, dass -unter Berücksichtigung regelmäßiger Postlaufzeiten- die unter dem 27. Januar 2018 erfolgte Einspruchseinlegung wohl vor Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Januar 2018 erfolgte.
Geht man davon aus, dass der unter dem Schreiben vom 27. Januar 2018 gefertigte Einspruch vor Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Januar 2018 erfolgte und damit unzulässig ist, so war der eingelegte Rechtsbehelf zu wiederholen.
Eine Wiederholung der Einspruchseinlegung geschah vorliegend mit Schreiben vom 11. April 2018 der seinerzeit Bevollmächtigten F..
Der Beklagte hat damit einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist nach § 110 AO Abs. 1 AO rechtfertigt und es ausnahmsweise verbietet, den Klägern ein Verschulden hinsichtlich des nicht fristgerechten Einspruchs anzulasten.
b. Weiter liegt auch eine Einspruchseinlegung beider Eheleute vor. Denn im Schreiben vom 11. April 2018 zeigte die damalige Prozessbevollmächtigte an, dass die Eheleute A. und B. sie mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen beauftragt hätten. Soweit die beigefügte Vollmacht lediglich vom Kläger unterzeichnet worden war, ergibt sich ausweislich der Gerichtsakte, dass unter dem 7. Juni 2018 eine schriftliche Bevollmächtigung durch die Klägerin erteilt wurde und ein ggf. bis dahin vollmachtloses Handeln der F. genehmigt worden ist.
2. Der Bescheid vom 30. Januar 2018 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO.
Die an den Kläger gezahlten Entgelte sind nicht steuerfrei.
Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 11 EStG ‒ soweit hier von Bedeutung ‒ Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.
Im Streitfall geht das erkennende Gericht zugunsten der Kläger davon aus, dass es sich bei den streitgegenständlichen Zahlungen um öffentliche Mittel i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG handelt. Es ist weder dargetan noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die vorliegenden Gelder nicht aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt werden.
Eine Beihilfe ist eine Zuwendung zu einem bestimmten Zweck. Öffentlich-rechtliche Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG sind uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen (BFH, Urteil vom 23. September 1998 ‒ XI R 9/98, BStBl II 1999, 133). Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können danach nicht als Beihilfe qualifiziert werden (BFH, Urteil vom 23. September 1998 ‒ XI R 9/98, BFH/NV 1999, 600). Demgemäß hat der BFH die von den Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt; mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt. Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten (BFH, Urteil vom 17. Mai 1990 ‒ IV R 14/87, BStBl II 1990, 1018).
a. Bei der von dem Kläger durchgeführten Betreuung von Kindern/Jugendlichen handelt es sich nach Überzeugung des Senats um eine erzieherische Tätigkeit auf der Basis eines entgeltlichen Austauschgeschäfts.
aa. So ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Erörterungstermin die Höhe der Zahlung frei zwischen dem Kläger und der Jugendhilfe des Landkreises Z. verhandelt worden. Das Jugendamt zahlte dabei an den Kläger für die im Streitjahr erfolgte Betreuung, Erziehung, Verpflegung und Unterbringung von zwei Kindern € und damit einen Betrag, der deutlich über den Ersatz der dem Kläger entstandenen Aufwendungen hinausging. Denn nach den eigenen Berechnungen des Klägers betrug der ermittelte Gewinn für die „Erziehungsfachstelle“ im Streitjahr rund €.
Selbst im Falle der Abwesenheit des Kindes/Jugendlichen erhielt der Kläger das vereinbarte Entgelt, gemindert um das anteilige Verpflegungsgeld für die Dauer von sechs Wochen fortgezahlt, wenn eine Rückführung in die „Einrichtung“ geplant ist (siehe § 1 am Ende der LEQ-Vereinbarung vom 10. September 2015). Dies bestätigt ebenfalls, dass nicht lediglich ein Kosten- bzw. Aufwendungsersatz erfolgte.
cc. Dass die Zahlungen nach Überzeugung des Senats ein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien kalkuliertes Entgelt darstellen, zeigt sich ferner daran, dass die Summe der für alle aufgenommenen Kinder zusammen gezahlten Personalkosten (ohne den Sachkostenersatz und ohne den Ersatz der betriebsnotwendigen Aufwendungen und sonstiger „Betriebsausgaben“) von monatlich durchschnittlich € bei zwei Kindern (=€ Honorar pro Tag für zwei Kinder für durchschnittlich 30 Tage im Monat) den Lohn für im Angestelltenverhältnis beschäftigte Erzieher um ein Vielfaches übersteigt. Mit einem Gewinn von rund € betrug das Einkommen des Klägers im Streitjahr etwa das 1,5-fache des durchschnittlichen Bruttoverdienstes vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, das 44.436 € im Streitjahr 2016 betragen hat (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/liste-bruttomonatsverdienste.html - Stand: Juni 2022) und entspricht einem Einstiegsgehalt von E15Ü des TVöD im Jahr 2016.
dd. Der Charakter der Betreuung als entgeltliches Austauschgeschäft wird weiter unterstrichen durch die Formulierungen in der LEQ-Vereinbarung vom September 2015. So heißt es gleich zu Beginn, d. h. vor § 1, wie folgt: „Der Einrichtungsträger verpflichtet sich (..) die Leistungen im angegebenen Umfang und in der jeweiligen Qualität zu erbringen.“ (Hervorhebung nicht im Original). Die im Gegenzug dafür an den Einrichtungsträger erbrachte Zahlung wird als „Entgelt“ bezeichnet (z. B. § 1 und § 6 der o.a. Vereinbarung).
ee. Ferner hat der Kläger als Einrichtungsträger nach § 4 der LEQ-Vereinbarung u.a. die Einhaltung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII durch geeignete Personalauswahl oder durch entsprechende Bestimmungen in den jeweiligen Arbeitsverträgen oder Verträgen mit Dritten sicherzustellen und sich bei der Einstellung und sodann in regelmäßigen Abständen ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen zu lassen. Die erzieherische Tätigkeit des Klägers stellt sich daher als leitend und eigenverantwortlich i.S.d. § 18 EStG dar.
Nach Ansicht des Senats steht im Streitfall nicht die unentgeltliche Übernahme der Betreuungsverpflichtung im Vordergrund, sondern das Tätigkeitsein mit Entgelterzielungsabsicht. Denn die Zahlungen für die Aufnahme der zu betreuenden Kinder ist die wesentliche Erwerbs- und Einkommensgrundlage der Kläger, so dass keine bloße Beihilfe i. S. d. § 3 Nr. 11 EStG vorliegt (sh. auch Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2019 ‒ 11 K 3207/17, EFG 2019, 1969 ‒ Revision beim BFH unter dem Az. VIII R 13/19 anhängig).
b. Nach Überzeugung des Senats handelt es sich im Streitfall ‒ entgegen der Ansicht der Kläger ‒ nicht um Zahlungen im Rahmen einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, sondern um eine sonstige betreute Wohnform i.S.d. § 34 SGB VIII.
Unter „Einrichtung“ ist eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter Verantwortung eines Trägers zu verstehen (BFH, Urteil vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432; m.w.N.). Privathaushalte der Betreuungspersonen sind daher in der Regel keine Einrichtungen i. S. d. § 34 SGB VIII (BFH, Urteil vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432).
Anders als der III. Senat des BFH, für den hinsichtlich der Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch bei Pflegekinder gemäß §§ 32, 63 EStG die sozialrechtliche Einordnung der Wohnung als sonstige betreute Wohnform nach Maßgabe des § 34 SGB VIII steuerrechtliche Tatbestandswirkung hat (z. B. BFH, Urteil vom 2. April 2009 ‒ III R 92/06, BStBl II 2010, 345), verneint der VIII. Senat des BFH eine steuerrechtliche Tatbestandswirkung der sozialrechtlichen Einordnung der Leistung. Maßgeblich für die Abgrenzung, ob es sich um eine Betreuung in einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII oder um eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII handele, seien nach Auffassung des VIII. Senats allein die tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Unterbringung und nicht die Bezeichnungen in den Abrechnungsunterlagen oder die sozialrechtliche Einordnung (BFH, Urteil vom 4. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432; Urteil vom 14. Juli 2020 ‒ VIII R 27/18, BFHE 270, 113).
Der erkennende Senat folgt dem VIII. Senat des BFH darin, dass für die Frage der Vornahme einer Besteuerung oder der Gewährung einer Steuerfreiheit nicht die formale Bezeichnung in Vereinbarungen, Abrechnungen o. ä. darüber entscheidet, sondern die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend sind und es insofern auf die „materielle“ Lage ankommt.
Demgemäß ist ‒ entgegen der Ansicht des Beklagten ‒ nicht die vom Kläger in den Abrechnungen angeführte Bezeichnung der rechtlichen Grundlage von § 35 a SGB VIII für die Einordnung maßgebend.
Bei Würdigung der tatsächlichen Umstände des Streitfalls liegt nach Ansicht des erkennenden Senats eine hinreichende Vergleichbarkeit bzw. Ähnlichkeit zur Heimerziehung bzw. sonstigen betreuten Wohnform vor.
Auch wenn Privathaushalte regelmäßig keine Einrichtungen i.S.d. § 34 SGB VIII darstellen, kann nach Ansicht des hiesigen Senats im Einzelfall ein Privathaushalt ausnahmsweise als „institutionalisiert“ angesehen werden.
Durch die normative Gleichstellung von Heimerziehung und sonstiger betreuter Wohnform muss der Privathaushalt einem Fall der Heimerziehung bzw. sonstigen betreuten Wohnform vergleichbar bzw. hinreichend ähnlich sein.
Zwar sei nach Ansicht des BFH die vollzeitige Betreuung von Kindern und Jugendlichen im eigenen Haushalt das prägende Element und kennzeichnend für eine Vollzeitpflege (BFH, Urteil vom 14. Juli 2022 ‒ VIII R 27/18, BFHE 270, 113). Jedoch lässt dieses Kriterium allein aus Sicht des erkennenden Senats keine zuverlässige Abgrenzung dahingehend zu, ob im konkreten Einzelfall die Hilfe nach § 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII gewährt wird. Denn auch bei der sonstigen betreuten Wohnform i.S.d. § 34 SGB VIII, wie der vorliegenden Erziehungsfachstelle, sind die betreffenden Kinder/Jugendlichen in den Familienverband mit Ritualen, Strukturen und damit verbundener Sicherheit eingebunden und leben im dortigen Haushalt mit der pädagogisch qualifizierten Betreuungsperson 365 Tage zu 24 Stunden.
Für die Abgrenzung ist nach Ansicht des Senats entscheidend, ob das Kind/der Jugendliche unmittelbar an die betreuende Person vermittelt wurde (dann Vollzeitpflege) oder die Betreuungs- bzw. Erziehungsverantwortung nicht (dauerhaft) einzelnen Personen übertragen wurde, sondern mehreren Personen, die auch wechseln können ‒ und die Betreuung insofern „institutionalisiert“ ist ‒ mit der Folge, dass von einer Form der Heimerziehung auszugehen ist (Schmid-Obkirchner in: Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 33 Rz. 39 m.w.N.; Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., Stand: 14.07.2021, § 45a Rz. 27; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 27. Februar 2019 ‒ 2 K 8/19, EFG 2019, 776; VG Köln, Urteil vom 6. Mai 2010 ‒ 26 K 6023/09, juris).
Aus § 4 der LEQ-Vereinbarung ergibt sich, dass die Erziehungsverantwortung wechseln kann. Im Streitfall hat der Kläger mitgeteilt, dass keine weiteren Vereinbarungen als die aktenkundigen Unterlagen mit dem Jugendamt für die Kinder getroffen worden sind. Vom Kläger ist überdies weder dargetan worden noch ist aus dem Inhalt der Akten ersichtlich, dass die Betreuung der aufgenommenen Kinder in der Verantwortung einer bestimmten/konkreten Person liegt.
Dass die Betreuung der Kinder/Jugendlichen lediglich unter Verantwortung des Leiters, dem Kläger, und nicht von diesem persönlich zu erbringen ist, folgt auch aus dem Internetauftritt des Klägers. Nicht nur, dass der Kläger sich selbst ausweislich der von ihm mit dem Jugendamt abgeschlossenen LEQ-Vereinbarungen sowie dem Internetauftritt als sog. „Einrichtung“ versteht und unter dieser Bezeichnung auftritt, er bietet überdiese freie Betreuungsplätze bzw. Stellenangebote an (siehe). Das Bewerben von freien Betreuungsplätzen auf der o. a. Internetseite unterstreicht, dass die Erziehungsfachstelle unabhängig vom Wechsel der betreuten Kinder/Jugendlichen existiert.
Die Ausführungen des Klägers in Bezug auf die erforderlichen Abstimmungen mit den Sorgeberechtigten (z. B. bei Nutzung eines Pkw oder Übernachtung außerhalb des Haushalts der Kläger) und Erläuterungen zum Ziel der Erziehungsfachstelle stützen ebenfalls die Zuordnung zum § 34 SGB VIII. So dient die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Kläger nicht dazu, dem betreffenden Kind ein neues Zuhause zu bieten bzw. ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band entstehen zu lassen. Vielmehr „erleben die Kinder Normalität bei den Klägern“. Das Sorgerecht verbleibt grundsätzlich bei der Herkunftsfamilie bzw. geht in Teilbereichen an das Jugendamt über. Entwicklungsstände des jeweiligen Kindes werden in regelmäßigen Abständen überprüft, so dass ein Kind ggf. in seine Herkunftsfamilie zurückkehrt und der sodann freigewordene Platz für ein anderes Kind zur Verfügung steht. Die pädagogische Arbeit wird mithin am Modell Familie angeboten und im privaten Umfeld umgesetzt.
Da die Erziehungsverantwortung nicht (dauerhaft) einer Person übertragen worden ist, sondern nach § 4 LEQ-Vereinbarung wechseln kann, wie sie auch in Heimen oder in sonstigen betreuten Wohnformen charakteristisch ist, liegt im Streitfall keine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII vor.
Der Umstand, dass dem Kläger eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII ‒ und gerade keine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII ‒ erteilt worden ist, bestätigt den Schluss des Senats.
Ebenso der Umstand, dass gegenüber dem Kläger für die aufgenommenen Kinder kein Kindergeld festgesetzt worden ist. Denn es handelt sich bei den im Streitjahr aufgenommenen Kindern gerade nicht um Pflegekinder i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Von den weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG abgesehen, werden die vom Kläger betreuten fremden Kinder rechtlich betrachtet nicht altruistisch wie eigene Kinder dauerhaft in eine Familie bzw. in den Haushalt aufgenommen, vielmehr erfolgt die Aufnahme der fremden Kinder zu Erwerbszwecken.
Soweit der Kläger vorträgt, dass er eine 24-Stunden-Tätigkeit leiste, führt dies nicht zu einem gegenteiligen Ergebnis. Denn insofern wird die Betreuung wie in einer Einrichtung lückenlos und durchgehend über Tag und Nacht erbracht und ist insoweit als vollstationär anzusehen.
Nach alledem sind die Einnahmen des Klägers für die Betreuung der Kinder/Jugendlichen nicht steuerfrei.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Trotz der vorhandenen Grundsätze aus der BFH-Rechtsprechung ist noch unklar, wie eine Abgrenzung in Grenzfällen zwischen Vollzeitpflege einerseits und Unterbringung in einem Heim bzw. in sonstigen betreuten Wohnform andererseits zu erfolgen hat.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof mit Sitz in München einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen bezeichnen, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften i.S. des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Anschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München.
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
1. des Herrn A.,2. der Frau B.,
Kläger,
bevollmächtigt: zu 1-2:
gegen
das Finanzamt
Beklagter,
wegen Einkommensteuer 2016
hat der 4. Senat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. Oktober 2022 durch xxx für Recht erkannt:
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Zahlungen des Jugendamtes für die Betreuung von zwei Kindern im Haus der Kläger steuerpflichtig sind oder es sich um steuerfreie Beihilfen i. S. d. § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz -EStG- handelt.
Die Kläger sind Eheleute, welche im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der Kläger ist Diplom-Sozialpädagoge, systemischer Therapeut, Coach und Supervisor sowie Leiter der Erziehungsfachstelle in X.
In § 1 der LEQ-Vereinbarung über das Entgelt ist weiter vereinbart, dass in dem Regelentgelt von € je Betreuungstag keine Sonderaufwendungen für Taschengeld, Erstausstattung, Kosten für Klassenfahrten, Beihilfen aus besonderen Anlässen (Einschulung, Jugendweihe, Kommunion, Taufe usw.) enthalten sind. Eine entsprechende Erstattung vorgenannter Zusatz- bzw. Sonderleistung ist gesondert zu vereinbaren. Weiter heißt es, dass bei Abwesenheit (z. B. Krankenhausaufenthalt, Entweichungen usw.) das Entgelt um das anteilige Verpflegungsgeld von je € zu kürzen ist und das vereinbarte Entgelt, gemindert um das anteilige Verpflegungsgeld, für die Dauer der Abwesenheit von 6 Wochen fortgezahlt wird, sofern eine Rückführung in die Einrichtung geplant ist.
Unter § 4 der LEQ-Vereinbarung ist die persönliche Eignung geregelt worden. Danach hat der Träger der Einrichtung sicherzustellen, dass keine Personen nach § 72a Satz 1 SGB VIII beschäftigt werden. Er sichert die Einhaltung der vorstehenden Verpflichtung durch geeignete Personalauswahl sowie gegebenenfalls durch entsprechende Bestimmungen in den jeweiligen Arbeitsverträgen oder Verträgen mit Dritten und lässt sich bei der Einstellung und sodann in regelmäßigen Abständen ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen.
Im Streitjahr lebten von den vier leiblichen Kindern der Kläger zwei (13 und 16 Jahre) im Haushalt der Kläger. Darüber hinaus wurden vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016 das Kind C. (geb. 26. März 2008), vom 1. Januar 2016 bis 24. Juni 2016 das Kind D. (geb. 2. April 2006) und von 23. Juli 2016 bis 31. Dezember 2016 das Kind E. (geb. 13. Oktober 2011; Halbschwester der C.) in der Erziehungsfachstelle betreut.
Für die Erziehungsfachstelle ist vom Landkreis Z. eine Betriebserlaubnis für zwei Plätze erteilt worden. Der Betreuungsschlüssel der Erziehungsfachstelle beträgt im Streitjahr zwei Kinder/Jugendliche pro pädagogisches/therapeutisches Personal.
Die Klägerin ist ausgebildete Hauswirtschaftsleiterin und nach dem Vortrag des Klägers für den hauswirtschaftlichen Bereich zuständig.
Der Beklagte veranlagte mit Bescheid vom 30. Januar 2018 die Kläger ‒ soweit hier relevant ‒ erklärungsgemäß und erfasste die vom Kläger erklärten Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit der Erziehungsfachstelle in Höhe von € sowie aus anderer selbständiger Arbeit ‒ Coach und Supervisor ‒ erklärten Einnahmen i.H. von €. Die Klägerin hat keine eigenen Einkünfte im Streitjahr erzielt. Weiter erhielten die Kläger kein Kindergeld für die aufgenommenen minderjährigen Kinder. Auf entsprechende Nachfrage der Berichterstatterin bestätigten die Kläger nochmals, dass weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem Kläger Kindergeld für die aufgenommenen ‒ nicht leiblichen ‒ minderjährigen Kinder festgesetzt worden ist.
Unter dem Schreiben vom 27. Januar 2018, welches am 31. Januar 2018 beim Beklagten einging, wies der Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11 hin. Dort hatte der BFH entschieden, dass Leistungen, die von einer privatrechtlichen Institution für die Aufnahme von Pflegepersonen in einen Haushalt über Tag und Nacht gewährt werden, nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien. Nach Ansicht des Klägers würden die im Urteil beschriebenen Besonderheiten auf die Erziehungsfachstelle zutreffen, so dass die Einkünfte aus der Tätigkeit der Erziehungsstelle von der Einkommensteuer befreit seien. Er bat daher die in den Steuerbescheiden ab 2014 festgesetzte Einkommensteuer zu berichtigen.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 teilte der Beklagte mit, dass er das Schreiben vom 27. Januar 2018 als Einspruch gegen die Steuerbescheide 2014 bis 2016 auslege und teilte unter dem 9. März 2018 weiter mit, dass er hinsichtlich des Streitjahres 2016 das Schreiben vom 27. Januar 2018 als zulässigen Einspruch ansehe, während er in Bezug auf die hier nicht streitgegenständlichen Jahre 2014 und 2015 auf die Unzulässigkeit der Einsprüche hinwies.
Unter dem Schreiben vom 23. April 2018 zeigte die Kanzlei F. an, dass die Eheleute A. und B. sie mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen für das Jahr 2016 beauftragt hätten und wies ergänzend auf die Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen vom 25. Januar 2016 ‒ 3 K 38/15 hin, wonach für eine Erziehungsstelle, bei der Entgelte gemäß § 34 SGB VIII gezahlt würden, diese nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien und es sich nicht um Einkünfte aus selbständiger Arbeit handelt. Die dem Schreiben vom 23. April 2018 beigefügte Vollmacht für die Kanzlei F. wurde nur vom Kläger unterzeichnet.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 wies der Beklagte den Einspruch der Eheleute für das Jahr 2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Kläger eine Einrichtung i.S.d. § 34 SGB VIII betreibe und Einnahmen nicht für eine Vollzeitpflege i. S. d. § 33 SGB VIII erhalte, sondern für Leistungen i. S. d. § 35a SGB VIII.
Dagegen erhoben die Kläger am 22. Mai 2018 Klage. Der Klage wurde nunmehr auch eine auf den 7. Juni 2018 datierende Bevollmächtigung der Klägerin beigefügt. Zur Begründung der Klage führen die Kläger aus, die in der Erziehungsfachstelle des Klägers erbrachte Leistung sei nicht als „in einer (anderen) Einrichtung betreuten Wohnens“ i.S. des § 34 SGB VIII anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben werde; auf die weiteren Umstände komme es daher nicht an. Im Streitfall habe der Kläger maximal zwei Kinder ‒ und damit weniger als sechs Kinder ‒ aufgenommen.
Am 9. September 2021 wurde die Sache mit den Beteiligten vor der Berichterstatterin erörtert. Der Kläger teilte auf entsprechende Nachfragen mit, dass es neben der LEQ-Vereinbarung vom September 2015 keine weiteren Vereinbarungen mit dem Jugendamt für jedes individuelle Kind gebe. Die Erziehungsfachstelle bekomme keine Sorge für das Kind übertragen, diese verbleibe bei der Herkunftsfamilie. Soweit Teilbereiche der Herkunftsfamilie entzogen werden, erfolge eine Übertragung auf einen Amtspfleger/Amtspflegerin, d. h. eine/m Mitarbeiter/in des Jugendamtes. Für das Kind C. habe im Streitjahr eine Amtspflege für die Bereiche Gesundheit und Aufenthalt bestanden. Für das Kind E. bestand keine Amtspflege. Der Kläger teilte weiter mit, dass das Kind E. vor dem Einzug in die Erziehungsfachstelle in einer Pflegefamilie gelebt habe. Aufgrund der besonderen Situation in der Pflegefamilie sei eine Anfrage an die Erziehungsfachstelle erfolgt, ob eine Aufnahme des Kindes E. möglich sei.
Die Fachaufsicht über die Erziehungsstelle habe der Landkreis Z. als örtliches Jugendamt. Befragt nach der Weisungsbefugnis (z. B. des Jugendamtes oder Mitglieder der Herkunftsfamilie) erklärte der Kläger, dass der Sorgeberechtigte weisungsbefugt sei, z. B. in Angelegenheiten für Fahrten mit dem Pkw, d. h. ob und ggf. welcher Pkw genutzt werden könne, bei Fragen von Übernachtungen andernorts usw.
Der Kläger erklärte weiter, dass keine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII vorliege. Die Erziehungsfachstelle verfüge lediglich über eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII, welche im Jahr 2018 erneuert wurde und nunmehr für drei Pflegeplätze erteilt wurde. Der Kläger erläuterte, dass das Konzept der Erziehungsfachstelle perspektivisch vorsehe, Kinder langfristig zu begleiten. Die Kinder erlebten Normalität der Familie bei den Klägern (Essen, Trinken, Hygiene, Schule, sozialen Kontakt usw.). Der Entwicklungsstand des Kindes werde alle zwei Jahre überprüft. Mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres ende grundsätzlich der Aufenthalt der Kinder in der Erziehungsfachstelle, die Jugendlichen würden danach in Behindertenwerkstätten oder in betreuten Wohneinrichtungen aufgenommen.
Die Berichterstatterin wies die Beteiligten sodann darauf hin, dass nach ihrer Ansicht (auch) nach den Ausführungen im Erörterungstermin wohl nicht von einer Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Einnahmen des Klägers nach § 3 Nr. 11 EStG auszugehen sein dürfte. Daraufhin teilten die Kläger ergänzend mit, dass der monatlich abgerechnete Betrag von rund € im Streitjahr völlig angemessen sei und nicht auf eine Entgeltlichkeit schließen lasse. Bei einer angenommenen Steuerpflichtigkeit der Einnahmen bleibe unklar, wie die Betriebsausgaben zu ermitteln wären, weil die Aufteilung unlösbar sei.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 30. Januar 2018 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 die Einkünfte des Klägers aus der Erziehungsstelle mit 0,00 € zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Ansicht, dass eine Steuerfreiheit nur für den Fall eingreife, dass ein Kind/Jugendlicher zeitlich unbefristet in den Haushalt des Betreuers aufgenommen und umfassend betreut werde. Da im Juni/Juli 2016 ein Wechsel des betreuten Kindes stattgefunden habe und die Tätigkeit erst im August 2014 aufgenommen worden sei, liege nach Meinung des Beklagten keine zeitlich unbefristete Aufnahme der Kinder in den Haushalt der Kläger vor. Weiter habe der BFH nach Meinung des Beklagten ausdrücklich mit Urteil vom 14. Juli 2020 ‒ VIII R 27/18 entschieden, dass eine steuerfreie Beihilfe gegeben sei, wenn nur ein Kind unbefristet in den Haushalt des Betreuers aufgenommen werde. Im Streitfall habe der Kläger insgesamt drei Kinder betreut.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten (2 Bd. Einkommensteuer, 2 Bd. Einspruchsakte, 1 Bd. Gewinnermittlungen) sowie die im gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die am 22. Mai 2018 erhobene Klage wurde zunächst unter dem Aktenzeichen 3 K 479/18 erfasst. Aufgrund übereinstimmenden Antrages der Beteiligten ist mit Beschluss vom 17. April 2019 das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim BFH unter dem Aktenzeichen VIII R 27/18 anhängigen Verfahrens angeordnet worden. Nachdem aufgrund eines Zuständigkeitswechsels das vorliegende Verfahren an den 4. Senat abgegeben wurde und der Ruhensgrund mit Entscheidung des BFH vom 14. Juli 2020 wegfiel, wurde die Klage sodann unter dem Aktenzeichen 4 K 931/20 fortgeführt.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 sowie mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Der angefochtene Bescheid ist insbesondere nicht in Bestandskraft erwachsen.
a. Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung -AO- ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen.
Im Streitfall ist der unter dem 27. Januar 2018 gefertigte Einspruch zwar am 31. Januar 2018 und damit einen Tag nach Ergehen des Verwaltungsaktes dem Beklagten zugegangen. Jedoch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bereits zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung durch die Kläger der Bescheid über Einkommensteuer 2016 vom 30. Januar 2018 gegenüber den Klägern bekannt gemacht worden war. Vielmehr dürfte sich aus dem Datum des Einspruchsschreibens (27. Januar 2018) sowie der Nichtnennung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ergeben, dass -unter Berücksichtigung regelmäßiger Postlaufzeiten- die unter dem 27. Januar 2018 erfolgte Einspruchseinlegung wohl vor Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Januar 2018 erfolgte.
Geht man davon aus, dass der unter dem Schreiben vom 27. Januar 2018 gefertigte Einspruch vor Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Januar 2018 erfolgte und damit unzulässig ist, so war der eingelegte Rechtsbehelf zu wiederholen.
Eine Wiederholung der Einspruchseinlegung geschah vorliegend mit Schreiben vom 11. April 2018 der seinerzeit Bevollmächtigten F..
Zwar war zu diesem Zeitpunkt die Monatsfrist des § 355 AO bereits abgelaufen. Jedoch wurden die Kläger durch die Schreiben des Beklagten vom 16. Februar 2018 sowie vom 9. März 2018 von einer wiederholenden Einspruchseinlegung abgehalten. Denn den Klägern wurde mit den vorgenannten Schreiben mitgeteilt, dass das Schreiben vom 27. Januar 2018 als Einspruch u.a. gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 umgedeutet werde und der Einspruch zulässig sei.
b. Weiter liegt auch eine Einspruchseinlegung beider Eheleute vor. Denn im Schreiben vom 11. April 2018 zeigte die damalige Prozessbevollmächtigte an, dass die Eheleute A. und B. sie mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen beauftragt hätten. Soweit die beigefügte Vollmacht lediglich vom Kläger unterzeichnet worden war, ergibt sich ausweislich der Gerichtsakte, dass unter dem 7. Juni 2018 eine schriftliche Bevollmächtigung durch die Klägerin erteilt wurde und ein ggf. bis dahin vollmachtloses Handeln der F. genehmigt worden ist.
2. Der Bescheid vom 30. Januar 2018 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19. April 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO.
Die an den Kläger gezahlten Entgelte sind nicht steuerfrei.
Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 11 EStG ‒ soweit hier von Bedeutung ‒ Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.
Im Streitfall geht das erkennende Gericht zugunsten der Kläger davon aus, dass es sich bei den streitgegenständlichen Zahlungen um öffentliche Mittel i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG handelt. Es ist weder dargetan noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die vorliegenden Gelder nicht aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt werden.
Eine Beihilfe ist eine Zuwendung zu einem bestimmten Zweck. Öffentlich-rechtliche Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG sind uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen (BFH, Urteil vom 23. September 1998 ‒ XI R 9/98, BStBl II 1999, 133). Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können danach nicht als Beihilfe qualifiziert werden (BFH, Urteil vom 23. September 1998 ‒ XI R 9/98, BFH/NV 1999, 600). Demgemäß hat der BFH die von den Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt; mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt. Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten (BFH, Urteil vom 17. Mai 1990 ‒ IV R 14/87, BStBl II 1990, 1018).
a. Bei der von dem Kläger durchgeführten Betreuung von Kindern/Jugendlichen handelt es sich nach Überzeugung des Senats um eine erzieherische Tätigkeit auf der Basis eines entgeltlichen Austauschgeschäfts.
aa. So ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Erörterungstermin die Höhe der Zahlung frei zwischen dem Kläger und der Jugendhilfe des Landkreises Z. verhandelt worden. Das Jugendamt zahlte dabei an den Kläger für die im Streitjahr erfolgte Betreuung, Erziehung, Verpflegung und Unterbringung von zwei Kindern € und damit einen Betrag, der deutlich über den Ersatz der dem Kläger entstandenen Aufwendungen hinausging. Denn nach den eigenen Berechnungen des Klägers betrug der ermittelte Gewinn für die „Erziehungsfachstelle“ im Streitjahr rund €.
bb. Für den Vergütungscharakter der Zahlungen spricht weiter, dass ein Anteil von 75,5% auf Personalkosten entfällt und lediglich 24,5% auf Sachkosten und betriebsnotwendige Aufwendungen. Ausweislich des Kalkulationsblattes für leistungsspezifische Grundleistungen wurde für die Kosten je Platz und Tag eines Kindes/Jugendlichen ein Zahlbetrag i.H.v. € vereinbart, bestehend aus der Erstattung von Personalkosten von €, der Erstattung von Sachkosten inkl. Betreuungskosten von € sowie aus der Erstattung von betriebsnotwendigen Aufwendungen von €.
cc. Dass die Zahlungen nach Überzeugung des Senats ein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien kalkuliertes Entgelt darstellen, zeigt sich ferner daran, dass die Summe der für alle aufgenommenen Kinder zusammen gezahlten Personalkosten (ohne den Sachkostenersatz und ohne den Ersatz der betriebsnotwendigen Aufwendungen und sonstiger „Betriebsausgaben“) von monatlich durchschnittlich € bei zwei Kindern (=€ Honorar pro Tag für zwei Kinder für durchschnittlich 30 Tage im Monat) den Lohn für im Angestelltenverhältnis beschäftigte Erzieher um ein Vielfaches übersteigt. Mit einem Gewinn von rund € betrug das Einkommen des Klägers im Streitjahr etwa das 1,5-fache des durchschnittlichen Bruttoverdienstes vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, das 44.436 € im Streitjahr 2016 betragen hat (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/liste-bruttomonatsverdienste.html - Stand: Juni 2022) und entspricht einem Einstiegsgehalt von E15Ü des TVöD im Jahr 2016.
dd. Der Charakter der Betreuung als entgeltliches Austauschgeschäft wird weiter unterstrichen durch die Formulierungen in der LEQ-Vereinbarung vom September 2015. So heißt es gleich zu Beginn, d. h. vor § 1, wie folgt: „Der Einrichtungsträger verpflichtet sich (..) die Leistungen im angegebenen Umfang und in der jeweiligen Qualität zu erbringen.“ (Hervorhebung nicht im Original). Die im Gegenzug dafür an den Einrichtungsträger erbrachte Zahlung wird als „Entgelt“ bezeichnet (z. B. § 1 und § 6 der o.a. Vereinbarung).
ee. Ferner hat der Kläger als Einrichtungsträger nach § 4 der LEQ-Vereinbarung u.a. die Einhaltung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII durch geeignete Personalauswahl oder durch entsprechende Bestimmungen in den jeweiligen Arbeitsverträgen oder Verträgen mit Dritten sicherzustellen und sich bei der Einstellung und sodann in regelmäßigen Abständen ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen zu lassen. Die erzieherische Tätigkeit des Klägers stellt sich daher als leitend und eigenverantwortlich i.S.d. § 18 EStG dar.
Nach Ansicht des Senats steht im Streitfall nicht die unentgeltliche Übernahme der Betreuungsverpflichtung im Vordergrund, sondern das Tätigkeitsein mit Entgelterzielungsabsicht. Denn die Zahlungen für die Aufnahme der zu betreuenden Kinder ist die wesentliche Erwerbs- und Einkommensgrundlage der Kläger, so dass keine bloße Beihilfe i. S. d. § 3 Nr. 11 EStG vorliegt (sh. auch Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2019 ‒ 11 K 3207/17, EFG 2019, 1969 ‒ Revision beim BFH unter dem Az. VIII R 13/19 anhängig).
b. Nach Überzeugung des Senats handelt es sich im Streitfall ‒ entgegen der Ansicht der Kläger ‒ nicht um Zahlungen im Rahmen einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, sondern um eine sonstige betreute Wohnform i.S.d. § 34 SGB VIII.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind die Bezüge für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII grundsätzlich nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei zu stellen. Es bestehe regelmäßig kein Zweifel daran, dass an Pflegeeltern geleistete Erziehungsgelder für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, das heißt für die regelmäßig in den Familienhaushalten der Pflegeperson über Tag und Nacht vorgenommene Betreuung von Kindern und Jugendlichen, dazu bestimmt sind, zugunsten der in den Haushalt der Pflegeeltern dauerhaft aufgenommenen und wie leibliche Kinder betreuten Kinder und Jugendlichen die Erziehung zu fördern. Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern sei ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben werde, soweit es sich dem Grunde nach um eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII handele. Erst bei einer Aufnahme von mehr als sechs Kindern in den Haushalt werde eine Erwerbstätigkeit trotz Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII vermutet (BFH, Urteil vom 14. Juli 2020 ‒ VIII R 27/18, BFHE 270, 113, m.w.N.; Urteil vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432). Dagegen seien Bezüge für die Erziehung in einer sonstigen betreuten Wohnform im Sinne des § 34 SGB VIII nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerbefreit (BFH, Urteil vom 23. September 1998 ‒ XI R 9/98, BFH/NV 1999, 600).
Sonstige betreute Wohnformen im Sinne des § 34 SGB VIII sind nach dem BFH nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten (BFH, Urteil vom 5. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432; m.w.N.).
Anders als der III. Senat des BFH, für den hinsichtlich der Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch bei Pflegekinder gemäß §§ 32, 63 EStG die sozialrechtliche Einordnung der Wohnung als sonstige betreute Wohnform nach Maßgabe des § 34 SGB VIII steuerrechtliche Tatbestandswirkung hat (z. B. BFH, Urteil vom 2. April 2009 ‒ III R 92/06, BStBl II 2010, 345), verneint der VIII. Senat des BFH eine steuerrechtliche Tatbestandswirkung der sozialrechtlichen Einordnung der Leistung. Maßgeblich für die Abgrenzung, ob es sich um eine Betreuung in einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII oder um eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII handele, seien nach Auffassung des VIII. Senats allein die tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Unterbringung und nicht die Bezeichnungen in den Abrechnungsunterlagen oder die sozialrechtliche Einordnung (BFH, Urteil vom 4. November 2014 ‒ VIII R 29/11, BStBl II 2017, 432; Urteil vom 14. Juli 2020 ‒ VIII R 27/18, BFHE 270, 113).
Der erkennende Senat folgt dem VIII. Senat des BFH darin, dass für die Frage der Vornahme einer Besteuerung oder der Gewährung einer Steuerfreiheit nicht die formale Bezeichnung in Vereinbarungen, Abrechnungen o. ä. darüber entscheidet, sondern die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend sind und es insofern auf die „materielle“ Lage ankommt.
Demgemäß ist ‒ entgegen der Ansicht des Beklagten ‒ nicht die vom Kläger in den Abrechnungen angeführte Bezeichnung der rechtlichen Grundlage von § 35 a SGB VIII für die Einordnung maßgebend.
Bei Würdigung der tatsächlichen Umstände des Streitfalls liegt nach Ansicht des erkennenden Senats eine hinreichende Vergleichbarkeit bzw. Ähnlichkeit zur Heimerziehung bzw. sonstigen betreuten Wohnform vor.
Auch wenn Privathaushalte regelmäßig keine Einrichtungen i.S.d. § 34 SGB VIII darstellen, kann nach Ansicht des hiesigen Senats im Einzelfall ein Privathaushalt ausnahmsweise als „institutionalisiert“ angesehen werden.
Durch die normative Gleichstellung von Heimerziehung und sonstiger betreuter Wohnform muss der Privathaushalt einem Fall der Heimerziehung bzw. sonstigen betreuten Wohnform vergleichbar bzw. hinreichend ähnlich sein.
Zwar sei nach Ansicht des BFH die vollzeitige Betreuung von Kindern und Jugendlichen im eigenen Haushalt das prägende Element und kennzeichnend für eine Vollzeitpflege (BFH, Urteil vom 14. Juli 2022 ‒ VIII R 27/18, BFHE 270, 113). Jedoch lässt dieses Kriterium allein aus Sicht des erkennenden Senats keine zuverlässige Abgrenzung dahingehend zu, ob im konkreten Einzelfall die Hilfe nach § 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII gewährt wird. Denn auch bei der sonstigen betreuten Wohnform i.S.d. § 34 SGB VIII, wie der vorliegenden Erziehungsfachstelle, sind die betreffenden Kinder/Jugendlichen in den Familienverband mit Ritualen, Strukturen und damit verbundener Sicherheit eingebunden und leben im dortigen Haushalt mit der pädagogisch qualifizierten Betreuungsperson 365 Tage zu 24 Stunden.
Für die Abgrenzung ist nach Ansicht des Senats entscheidend, ob das Kind/der Jugendliche unmittelbar an die betreuende Person vermittelt wurde (dann Vollzeitpflege) oder die Betreuungs- bzw. Erziehungsverantwortung nicht (dauerhaft) einzelnen Personen übertragen wurde, sondern mehreren Personen, die auch wechseln können ‒ und die Betreuung insofern „institutionalisiert“ ist ‒ mit der Folge, dass von einer Form der Heimerziehung auszugehen ist (Schmid-Obkirchner in: Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 33 Rz. 39 m.w.N.; Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., Stand: 14.07.2021, § 45a Rz. 27; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 27. Februar 2019 ‒ 2 K 8/19, EFG 2019, 776; VG Köln, Urteil vom 6. Mai 2010 ‒ 26 K 6023/09, juris).
Aus § 4 der LEQ-Vereinbarung ergibt sich, dass die Erziehungsverantwortung wechseln kann. Im Streitfall hat der Kläger mitgeteilt, dass keine weiteren Vereinbarungen als die aktenkundigen Unterlagen mit dem Jugendamt für die Kinder getroffen worden sind. Vom Kläger ist überdies weder dargetan worden noch ist aus dem Inhalt der Akten ersichtlich, dass die Betreuung der aufgenommenen Kinder in der Verantwortung einer bestimmten/konkreten Person liegt.
Dass die Betreuung der Kinder/Jugendlichen lediglich unter Verantwortung des Leiters, dem Kläger, und nicht von diesem persönlich zu erbringen ist, folgt auch aus dem Internetauftritt des Klägers. Nicht nur, dass der Kläger sich selbst ausweislich der von ihm mit dem Jugendamt abgeschlossenen LEQ-Vereinbarungen sowie dem Internetauftritt als sog. „Einrichtung“ versteht und unter dieser Bezeichnung auftritt, er bietet überdiese freie Betreuungsplätze bzw. Stellenangebote an (siehe). Das Bewerben von freien Betreuungsplätzen auf der o. a. Internetseite unterstreicht, dass die Erziehungsfachstelle unabhängig vom Wechsel der betreuten Kinder/Jugendlichen existiert.
Die Ausführungen des Klägers in Bezug auf die erforderlichen Abstimmungen mit den Sorgeberechtigten (z. B. bei Nutzung eines Pkw oder Übernachtung außerhalb des Haushalts der Kläger) und Erläuterungen zum Ziel der Erziehungsfachstelle stützen ebenfalls die Zuordnung zum § 34 SGB VIII. So dient die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Kläger nicht dazu, dem betreffenden Kind ein neues Zuhause zu bieten bzw. ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band entstehen zu lassen. Vielmehr „erleben die Kinder Normalität bei den Klägern“. Das Sorgerecht verbleibt grundsätzlich bei der Herkunftsfamilie bzw. geht in Teilbereichen an das Jugendamt über. Entwicklungsstände des jeweiligen Kindes werden in regelmäßigen Abständen überprüft, so dass ein Kind ggf. in seine Herkunftsfamilie zurückkehrt und der sodann freigewordene Platz für ein anderes Kind zur Verfügung steht. Die pädagogische Arbeit wird mithin am Modell Familie angeboten und im privaten Umfeld umgesetzt.
Nach Überzeugung des Senats erfolgt aufgrund der Herauslösung des Kindes aus dem Einflussbereich des Personensorgeberechtigten eine Fremdbetreuung.
Der Umstand, dass dem Kläger eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII ‒ und gerade keine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII ‒ erteilt worden ist, bestätigt den Schluss des Senats.
Ebenso der Umstand, dass gegenüber dem Kläger für die aufgenommenen Kinder kein Kindergeld festgesetzt worden ist. Denn es handelt sich bei den im Streitjahr aufgenommenen Kindern gerade nicht um Pflegekinder i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Von den weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG abgesehen, werden die vom Kläger betreuten fremden Kinder rechtlich betrachtet nicht altruistisch wie eigene Kinder dauerhaft in eine Familie bzw. in den Haushalt aufgenommen, vielmehr erfolgt die Aufnahme der fremden Kinder zu Erwerbszwecken.
Soweit der Kläger vorträgt, dass er eine 24-Stunden-Tätigkeit leiste, führt dies nicht zu einem gegenteiligen Ergebnis. Denn insofern wird die Betreuung wie in einer Einrichtung lückenlos und durchgehend über Tag und Nacht erbracht und ist insoweit als vollstationär anzusehen.
Nach alledem sind die Einnahmen des Klägers für die Betreuung der Kinder/Jugendlichen nicht steuerfrei.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Trotz der vorhandenen Grundsätze aus der BFH-Rechtsprechung ist noch unklar, wie eine Abgrenzung in Grenzfällen zwischen Vollzeitpflege einerseits und Unterbringung in einem Heim bzw. in sonstigen betreuten Wohnform andererseits zu erfolgen hat.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof mit Sitz in München einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen bezeichnen, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften i.S. des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Anschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München.