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  • 04.02.2020 · IWW-Abrufnummer 213942

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 02.05.2019 – C-224/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

    2. Mai 2019(*)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung ‒ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‒ Richtlinie 2006/112/EG ‒ Art. 66 ‒ Steuertatbestand und Steueranspruch ‒ Zeitpunkt, zu dem die Dienstleistung erbracht wird ‒ Bau- und Montagearbeiten ‒ Berücksichtigung des Zeitpunkts der im Dienstleistungsvertrag vorgesehenen Abnahme der Arbeiten“

    In der Rechtssache C‑224/18

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 28. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2018, in dem Verfahren

    Budimex S.A.

    gegen

    Minister Finansów

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Levits (Berichterstatter) und P. G. Xuereb,

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    ‒        der Budimex S.A., vertreten durch M. Militz, doradca podatkowy,

    ‒        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

    ‒        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Siekierzyńska und N. Gossement als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 66 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Budimex S.A. und dem Minister Finansów (Finanzminister, Polen) über eine Einzelfallauslegung, die Budimex beim Finanzminister zu der Frage beantragt hatte, zu welchem Zeitpunkt der Mehrwertsteueranspruch bei der Ausführung von Bau- oder Montageleistungen entsteht.

    Rechtlicher Rahmen
    Unionsrecht

    3

    Der 24. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

    „Die Begriffe ‚Steuertatbestand‘ und ‚Steueranspruch‘ sollten harmonisiert werden, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden.“

    4

    Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“, der Mehrwertsteuer unterliegen.

    5

    Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

    „Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

    6

    In Art. 66 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

    „Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:

    a)      spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;

    b)      spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;

    c)      im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung oder, falls von den Mitgliedstaaten eine solche Frist nicht gesetzt wurde, binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.“

    7

    Art. 222 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

    „Für Gegenstände, die unter den Voraussetzungen des Artikels 138 geliefert werden, oder für Dienstleistungen, für die nach Artikel 196 der Leistungsempfänger die Steuer schuldet, wird spätestens am fünfzehnten Tag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Steuertatbestand eingetreten ist, eine Rechnung ausgestellt.

    Für andere Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen können die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen Fristen für die Ausstellung der Rechnung setzen.“

    Polnisches Recht

    8

    Art. 19a der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. 2004, Nr. 54, Pos. 535) in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor:

    „1.      Die Steuerpflicht entsteht im Zeitpunkt der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistung, vorbehaltlich der Abs. 5 und 7 bis 11 sowie von Art. 14 Abs. 6, Art. 20 und Art. 21 Abs. 1.

    2.      Bei teilweise abgenommenen Dienstleistungen gilt eine Dienstleistung auch dann als erbracht, wenn ein Teil der Dienstleistung erbracht wird, für den eine Zahlung bestimmt worden ist.



    5.      Die Steuerpflicht entsteht im Zeitpunkt:



    3)      der Ausstellung der Rechnung in den in Art. 106b Abs. 1 genannten Fällen für:

    a)      die Erbringung von Bau- oder Baumontageleistungen,



    7.      Wenn der Steuerpflichtige die Rechnung nicht oder verspätet ausgestellt hat, entsteht die Steuerpflicht in den Fällen des Abs. 5 Nrn. 3 und 4 mit Ablauf der in Art. 106i Abs. 3 und 4 festgelegten Rechnungsausstellungsfristen oder, falls keine solche Frist festgelegt ist, mit Ablauf der Zahlungsfrist.

    …“

    9

    Art. 106b Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:

    „Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, eine Rechnung auszustellen,

    l)      die den Verkauf sowie die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen belegt, die unter Art. 106a Nr. 2 fallen und die er zugunsten eines anderen Steuerpflichtigen der [nach diesem Gesetz erhobenen] Steuer, der [in einem anderen Mitgliedstaat erhobenen] Mehrwertsteuer oder einer Steuer ähnlicher Art oder zugunsten einer juristischen Person, die kein Steuerpflichtiger ist, vornimmt.

    …“

    10

    In Art. 106i Abs. 3 dieses Gesetzes heißt es:

    „Die Rechnung ist spätestens auszustellen:

    … am 30. Tag nach der Erbringung der Dienstleistungen ‒ in dem in Art. 19a Abs. 5 Nr. 3 Buchst. a genannten Fall;

    …“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    11

    Nachdem Budimex einen Antrag auf Einzelfallauslegung zu der Frage gestellt hatte, zu welchem Zeitpunkt der Mehrwertsteueranspruch bei von ihr ausgeführten Bau- und Montagearbeiten entsteht, führte der Finanzminister in seiner Antwort vom 15. Oktober 2014 aus, der Mehrwertsteueranspruch entstehe zu dem Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer die Rechnung über diese Arbeiten ausstelle oder, falls bis dahin keine Rechnung ausgestellt worden sei, nach Ablauf von 30 Tagen nach dem Tag der tatsächlichen Durchführung dieser Arbeiten.

    12

    Der Finanzminister betonte insoweit, dass der Umstand, dass die Vertragsbestimmungen, auf deren Grundlage die Bau- und Montagearbeiten ausgeführt würden, vorsähen, dass diese Arbeiten von dem entsprechenden Auftraggeber durch ein Abnahmeprotokoll genehmigt werden müssten, für den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf die geschuldete Mehrwertsteuer keine Bedeutung habe.

    13

    Budimex erhob gegen die Antwort des Finanzministers vom 15. Oktober 2014 Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen) und machte geltend, dass die Formalität der Abnahme der ausgeführten Arbeiten ausdrücklich in den von der Fédération internationale des ingénieurs conseils (Internationale Vereinigung der beratenden Ingenieure, FIDIC) festgelegten Auftragsbedingungen, die für die von ihr geschlossenen Verträge gölten, vorgesehen und daher integraler Bestandteil jeder von ihr ausgeführten Bau- oder Montageleistung sei. Die Klage von Budimex wurde mit Urteil vom 30. Juli 2015 abgewiesen.

    14

    Gegen dieses Urteil legte Budimex ein Rechtsmittel bei dem vorlegenden Gericht ein, nach dessen Ansicht die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits die Auslegung von Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie erfordert, die mit den nationalen Vorschriften, auf die sich Budimex im Rahmen ihres Rechtsmittels beruft, umgesetzt worden sind.

    15

    Dem vorlegenden Gericht zufolge hängt die Entscheidung von der Auslegung des Begriffs „Erbringung der Leistung“ im Sinne von Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie ab. Insbesondere stelle sich die Frage, ob sich der Umstand, dass eine Bau- oder Montageleistung nach den Vertragsbestimmungen erst nach der Abnahme der Arbeiten durch den Auftraggeber als ausgeführt gelte, auf die Bestimmung des Zeitpunkts auswirken könne, in dem der Anspruch auf die mit dieser Leistung zusammenhängende Mehrwertsteuer entstehe.

    16

    Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Erfolgt in einem Fall, in dem die an einer Transaktion beteiligten Parteien vereinbart haben, dass die Bezahlung der Vergütung für Bau- oder Baumontageleistungen voraussetzt, dass der Auftraggeber im Protokoll über die Abnahme dieser Leistungen erklärt, dass er ihre Ausführung entgegennimmt, die Erbringung der Dienstleistung im Sinne von Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgrund einer solchen Transaktion im Zeitpunkt der tatsächlichen Ausführung der Bau- oder der Baumontageleistungen oder im Zeitpunkt der im Abnahmeprotokoll vermerkten Entgegennahme der Ausführung dieser Leistungen durch den Auftraggeber?

    Zur Vorlagefrage

    17

    Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Steueranspruch nach Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Dienstleistung erbracht wird.

    18

    Nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten allerdings vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung über die ausgeführte Dienstleistung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung entsteht.

    19

    Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der polnische Gesetzgeber von der ihm nach Art. 66 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingeräumten Möglichkeit in der Weise Gebrauch gemacht hat, dass er in Art. 19a Abs. 7 in Verbindung mit Art. 106i Abs. 3 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehen hat, dass der Mehrwertsteueranspruch im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung 30 Tage nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Dienstleistung erbracht wurde.

    20

    Folglich möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen, ob es Art. 66 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung über die ausgeführte Dienstleistung verwehrt, die förmliche Abnahme dieser Leistung als den Zeitpunkt ihrer Erbringung anzusehen, wenn der Mitgliedstaat ‒ wie im Ausgangsverfahren ‒ vorsieht, dass der Steueranspruch mit dem Ablauf einer Frist eintritt, die mit dem Tag beginnt, an dem die Leistung erbracht wird.

    21

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit der Mehrwertsteuerrichtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen worden ist, das insbesondere auf einer einheitlichen Definition der steuerbaren Umsätze beruht (Urteil vom 20. Juni 2013, Newey, C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 39).

    22

    Insbesondere wird im 24. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie klargestellt, dass die Begriffe „Steuertatbestand“ und „Steueranspruch“ harmonisiert werden sollten, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden. Der Unionsgesetzgeber wollte somit den Zeitpunkt, zu dem die Steuerschuld in allen Mitgliedstaaten entsteht, so weit wie möglich harmonisieren, um eine einheitliche Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten (Urteil vom 16. Mai 2013, TNT Express Worldwide [Poland], C‑169/12, EU:C:2013:314, Rn. 31).

    23

    Nach Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.

    24

    Gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands entsteht.

    25

    Im vorliegenden Fall sieht Art. 19a Abs. 5 und 7 in Verbindung mit Art. 106i Abs. 3 des Mehrwertsteuergesetzes vor, dass der Steueranspruch entsteht, wenn die Rechnung nicht innerhalb von 30 Tagen, nachdem die Dienstleistung erbracht wurde, ausgestellt worden ist.

    26

    Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist streitig, zu welchem Zeitpunkt die Leistungen von Budimex jeweils erbracht worden sind. Budimex macht geltend, dieser Zeitpunkt könne aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen in den von ihr geschlossenen Verträgen erst nach der Abnahme der Arbeiten durch ihren Auftraggeber eintreten, ungeachtet der Tatsache, dass sie physisch bereits zu einem früheren Termin ausgeführt worden seien.

    27

    Zwar werden Bau- oder Montagedienstleistungen gewöhnlich als mit dem Zeitpunkt der physischen Fertigstellung der Arbeiten als erbracht angesehen; unbeschadet dessen stellt aber bei der Einstufung einer Transaktion als „steuerbarer Umsatz“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie die wirtschaftliche und geschäftliche Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar, das zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2018, MEO ‒ Serviços de Comunicações e Multimédia, C‑295/17, EU:C:2018:942, Rn. 43).

    28

    In diesem Zusammenhang ist entschieden worden, dass die einschlägigen Vertragsbestimmungen ein Umstand sind, der bei der Feststellung, wer Erbringer und wer Begünstigter einer „Dienstleistung“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, zu berücksichtigen ist (Urteil vom 20. Juni 2013, Newey, C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 43).

    29

    Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass eine Leistung in Anbetracht der Vertragsbestimmungen, die die wirtschaftliche und geschäftliche Realität in dem Bereich widerspiegeln, in dem die Leistung ausgeführt wird, als erst in einem Stadium nach der physischen Fertigstellung ‒ infolge des Eintritts bestimmter Bedingungen, die untrennbar mit der Leistung verbunden und für die Gewährleistung ihrer Vollständigkeit ausschlaggebend sind ‒ erbracht angesehen werden kann.

    30

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Dienstleistung nur dann steuerbar ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet (Urteil vom 2. Juni 2016, Lajvér, C‑263/15, EU:C:2016:392, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    31

    Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass in den Vertragsbestimmungen, die in den von Budimex geschlossenen Verträgen enthalten sind, das Recht des Auftraggebers, vor der Abnahme die Ordnungsmäßigkeit der ausgeführten Bau- oder Montagearbeiten zu überprüfen, und die Pflicht des Leistungserbringers, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen, damit das Ergebnis tatsächlich dem entspricht, was vereinbart wurde, vorgesehen sind. Budimex hat insoweit in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, dass es ihr vielfach unmöglich sei, die Steuerbemessungsgrundlage und den geschuldeten Steuerbetrag zu bestimmen, bevor der Auftraggeber die Arbeiten abgenommen habe.

    32

    Soweit die Bedingung, die die Erstellung eines Abnahmeprotokolls durch den Auftraggeber darstellt, erst mit Ablauf der Frist eintritt, die dem Auftraggeber eingeräumt ist, um dem Leistungserbringer eventuelle Leistungsmängel mitzuteilen, die dieser beheben muss, damit die Bau- oder Montageleistung dem entspricht, was vereinbart wurde, kann zum einen nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die betreffende Leistung vollständig erbracht wurde, bevor die Abnahme erfolgt ist.

    33

    Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die Besteuerungsgrundlage für die Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt die vom Steuerpflichtigen tatsächlich dafür erhaltene Gegenleistung ist (Urteil vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin, C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 33).

    34

    Da es nicht möglich ist, die vom Dienstleistungsnehmer geschuldete Gegenleistung zu bestimmen, bevor dieser die Bau- oder Montageleistung abgenommen hat, kann der Steueranspruch im Zusammenhang mit diesen Leistungen demzufolge nicht vor der betreffenden Abnahme entstehen.

    35

    Unter diesen Umständen ‒ und soweit die Abnahme der Arbeiten im Dienstleistungsvertrag vereinbart wurde und es sich dabei um eine Bedingung handelt, die die Normen und Standards widerspiegelt, die in dem Bereich, in dem die Leistung erbracht wird, üblich sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist ‒ ist davon auszugehen, dass diese Formalität selbst zur Leistung gehört und daher ausschlaggebend für die Annahme ist, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde.

    36

    Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass andere Formalitäten, wie u. a. die Erstellung einer förmlichen Abrechnung über die entstandenen Kosten oder einer Schlusszahlungsbescheinigung, die im Vorabentscheidungsersuchen erwähnt werden, für die Bestimmung des Zeitpunkts, in dem die Leistung erbracht wurde, nicht maßgebend sind, da sie ‒ als nicht zur eigentlichen Leistung gehörend ‒ für die Feststellung, ob die Leistung tatsächlich ausgeführt wurde, nicht ausschlaggebend sind.

    37

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 66 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung über die ausgeführte Dienstleistung nicht verwehrt, die förmliche Abnahme dieser Leistung als den Zeitpunkt ihrer Erbringung anzusehen, wenn der Mitgliedstaat ‒ wie im Ausgangsverfahren ‒ vorsieht, dass der Steueranspruch mit dem Ablauf einer Frist eintritt, die mit dem Tag beginnt, an dem die Leistung erbracht wird, sofern zum einen die Formalität der Abnahme von den Parteien in dem Vertrag vereinbart wird, der sie an die Vertragsbestimmungen bindet, die der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität in dem Bereich entsprechen, in dem die Leistung ausgeführt wird, und zum anderen diese Formalität der physischen Fertigstellung der Leistung entspricht und den Betrag der geschuldeten Gegenleistung endgültig festlegt, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

    Kosten

    38

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

    Art. 66 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es im Fall der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung über die ausgeführte Dienstleistung nicht verwehrt, die förmliche Abnahme dieser Leistung als den Zeitpunkt ihrer Erbringung anzusehen, wenn der Mitgliedstaat ‒ wie im Ausgangsverfahren ‒ vorsieht, dass der Steueranspruch mit dem Ablauf einer Frist eintritt, die mit dem Tag beginnt, an dem die Leistung erbracht wird, sofern zum einen die Formalität der Abnahme von den Parteien in dem Vertrag vereinbart wurde, der sie an die Vertragsbestimmungen bindet, die der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität in dem Bereich entsprechen, in dem die Leistung ausgeführt wird, und zum anderen diese Formalität der physischen Fertigstellung der Leistung entspricht und den Betrag der geschuldeten Gegenleistung endgültig festlegt, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

    Karrierechancen

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