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  • 17.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211197

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 26.03.2019 – 4 K 187/18

    Stichwort: Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen "Nullbescheid", wenn eine Veränderung von Besteuerungsgrundlagen begehrt wird, welche - aus Sicht des Klägers - Relevanz für die nachfolgende Verlustfeststellung haben; Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit von § 10d EStG.


    Finanzgericht Schleswig-Holstein

    Urt. v. 26.03.2019


    In dem Rechtsstreit

    wegen Einkommensteuer 2015 und 2016 sowie Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2015

    hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 26. März 2019 für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Kläger wenden sich gegen die Einkommensteuerbescheide 2015, 2016 einerseits, sowie gegen die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG für den 31. Dezember 2015 andererseits.

    Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Auf den 31. Dezember 2014 war für den Ehemann ein verbleibender Verlustvortrag zur Einkommensteuer i.H.v. 14.569 EUR festgestellt worden. In den Streitjahren bezogen die Eheleute Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; der Ehemann erzielte darüber hinaus (negative) Einkünfte aus selbständiger Arbeit. In ihrer Steuererklärung für 2015 beantragten die Kläger u.a. die Anerkennung von Unterhaltsleistungen i.H.v. 3.177 EUR für ihre gemeinsame Tochter, die im Streitjahr das 25. Lebensjahr vollendete und sich in der Berufsausbildung (Studium) befand.

    Ausweislich der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 2015 erzielte der Ehemann - nach einer Saldierung der positiven und negativen Einkünfte - eine Summe von Einkünften (§ 2 Abs. 2, 3 EStG) i.H.v. 5.148 EUR, die Ehefrau i.H.v. 218 EUR, zusammen 5.366 EUR. Auch der Gesamtbetrag der Einkünfte (GdE; § 2 Abs. 3 EStG) belief sich auf 5.366 EUR. Ausgehend von diesem positiven GdE wurde ein Verlustabzug in derselben Höhe (5.366 EUR) in Ansatz gebracht. Von der sich danach ergebenden Zwischensumme (0,- EUR) wurden beschränkt abziehbare Sonderausgaben i.H.v. 15.913 EUR, ein Sonderausgabenpauschbetrag i.H.v. 72 EUR, Ausbildungskosten i.H.v. 231 EUR sowie "übrige Aufwendungen nach § 33a Abs. 1 bis 3 EStG, § 33b EStG" i.H.v. 2.854 EUR (insgesamt 19.070 EUR) abgezogen.

    Der angegriffene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 vom 17. Januar 2018 legte damit ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) i.H.v. -19.070 EUR zugrunde und setzte eine Steuer von 0 EUR fest. Bzgl. der beantragten Unterhaltsleistungen für die Tochter i.H.v. 3.177 EUR wurde im Bescheid darauf hingewiesen, dass diese Leistungen aufgrund der sog. Opfergrenze nur i.H.v. 2.854 EUR als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden könnten. Aufgrund des im Rahmen der Veranlagung (s.o.) anteilig vorgenommenen Verbrauchs des Verlustvortrags (Abzug vom GdE i.H.v. 5.366 EUR) stellte der Beklagte im angegriffenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2015 vom 17. Januar 2018 einen Verlust in Höhe von (14.569 - 5.366=) 9.053 EUR fest.

    Für das Streitjahr 2016 folgte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid 2016 vom 22. Juni 2018 den Angaben der Kläger in der Steuererklärung. Danach ergab sich ein GdE i.H.v. 23.585. Von diesem Betrag wurde der verbliebene Verlust aus dem Vorjahr (9.053 EUR) in Abzug gebracht. Unter Berücksichtigung weiterer Abzugsposten (Sonderausgaben) ergab sich ein z.v.E. i.H.v. 1.533 EUR und eine Steuer von 0 EUR.

    Gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 wandten sich die Kläger mit Einspruch vom 20. Februar 2018. Sie wandten ein, dass die Ausbildungskosten der jüngsten Tochter keine Berücksichtigung fänden, was mit der sog. Opferbegrenzung begründet worden sei. Dies Ergebnis gehe jedoch massiv an der Lebenswirklichkeit vorbei und verstoße gegen das Gebot einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Es sei willkürlich, dass Kinder, die ohne Sitzenbleiben ihr Abitur und anschließend ein wissenschaftliches Hochschulstudium zügig absolvierten, kurz vor dem Examen aus dem Kindergeld fielen, obwohl sie wirtschaftlich noch zum Haushalt der Eltern gehörten. Dies treffe ausgerechnet die Schlussphase der Ausbildung und die Examenszeit. Vernünftige Eltern würden dem Kinde dennoch den Lebensunterhalt bestreiten, damit es die Ausbildung abschließen und sich ohne wirtschaftliche Sorgen auf die Prüfungen konzentrieren könne. Diesem Unterhalt werde nun teilweise die steuerliche Anerkennung verweigert, was mit dem Hinweis auf geringes laufendes Einkommen der Eltern mit dem Wortkuriosum "Opferbegrenzung" begründet werde. Sicher reiche das Einkommen kaum zum Leben und die Eltern opferten deshalb Teile ihrer Ersparnisse, damit nämlich das Kind seine qualifizierte Ausbildung beenden könne. Die Logik des Steuerbescheides bedeute: keine steuerliche Berücksichtigung, weil zu wenig verdient werde und nicht nur Teile des laufenden Einkommens, sondern auch Ersparnisse angegriffen würden. Die plötzliche staatliche Fürsorge, dass Eltern mehr an sich denken sollten, statt ihr "letztes Hemd" für die Kinder zu opfern, erscheine wie Hohn. Deren Berufsabschluss - "Bildung soll sich lohnen" - sei dagegen sekundär. Diese Prioritätensetzung im Eltern-Kind-Verhältnis sei offensichtlich lebensfremd. Kinder seien nicht wie beliebige Dritte zu betrachten, denen man Unterhalt zuwende. Ja, der Gesetzgeber verpflichte Eltern sogar, seinen Kindern die Berufsausbildung zu finanzieren. Die sich konkret ergebende Anwendung des Rechts sei ungerecht. Der (im mündlichen Telefonat von der Behörde mitgeteilte) Hinweis, dass ein Einspruch bereits deswegen zurückzuweisen sei, weil aufgrund des geringen Einkommens im Veranlagungsjahr die Beschwer fehle, vertiefe den Eindruck der Ungerechtigkeit: Im Klartext könne dies nämlich nur bedeuten, dass Familien mit hohem oder höherem laufenden Einkommen derlei Kosten für Ausbildung und Berufsabschluss ihrer Kinder sehr wohl durch entsprechende geldwerte Steuerminderung gefördert erhielten.

    Gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung eines Verlustvortrages zum 31. Dezember 2015 wandten sich die Kläger ebenfalls mit Einspruch vom 20. Februar 2018. In Anbetracht des negativen zvE, welches im Einkommensteuerbescheid 2015 ausgewiesen sei, mache eine Minderung des Verlustvortrags keinen Sinn und es werde daher gebeten, den aus dem Vorjahr 2014 verbliebenen Verlustvortrag vollumfänglich zu erhalten.

    Gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 wandten sich die Kläger mit Einspruch vom 24. Juli 2018. Der Verlustvortrag in diesem Jahr werde so angewandt, dass den Klägern im Endergebnis weder der Grundfreibetrag noch andere Subventionen, wie zum Beispiel für haushaltsnahen Aufwand oder Handwerksleistungen zugutekämen. Die Begründung sei letztlich die, dass das Einkommen zu gering sei, oder anders ausgedrückt, dass es diese Leistungen nur bei höherem Einkommen gebe. Gegen diese offenkundige Ungerechtigkeit richte sich der Einspruch. Dieser betreffe zugleich die Verrechnung des Verlustvortrags, welcher gerechterweise in ein Jahr vorgetragen werden sollte, in dem er sich auswirken könne und nicht faktisch dem Staate zugutekomme, in dem er im Ergebnis den Grundfreibetrag und o. g. Steuervorteile kompensiere bzw. annulliere. Hier sei die Rechtslage unfair, ungerecht und widerspreche dem Verfassungsgebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, insbesondere bei Menschen mit Berufen mit über Jahre gesehen stark schwankenden Einkommen.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2018 verwarf das Finanzamt die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Einspruchs gehöre auch die Beschwer (§ 350 AO). Nach dieser Vorschrift sei nur zum Einspruch befugt, wer geltend mache, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu sein. Die Beschwer müsse sich dabei grundsätzlich aus der Steuerfestsetzung selbst und damit aus dem Tenor des angefochtenen Bescheides ergeben. Die festgestellten Besteuerungsgrundlagen seien nach § 157 Abs. 2 AO lediglich Teil der nicht selbständig anfechtbaren Begründung des Steuerbescheides. Bei einer Null-Festsetzung bestehe grundsätzlich keine Beschwer, es sei denn, die der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen seien für ein anderes steuerliches oder außersteuerliches Verfahren bindend. Im Streitfall seien die Kläger jedoch nicht beschwert. Die Einkommensteuer sei in beiden Bescheiden jeweils auf 0 EUR festgesetzt worden. Da das jeweilige z.v.E. auch ohne Berücksichtigung der Verlustvorträge unter dem Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 EStG gelegen hätte, wären auch ohne Berücksichtigung der Verlustvorträge Null-Festsetzungen erfolgt.

    Insofern hätte auch der Ansatz von ungekürzten Unterhaltsaufwendungen (ohne Ansatz der Opfergrenze) für die Kläger zu keinem abweichenden steuerlichen Ergebnis geführt. Dass anderweitige steuerliche oder außersteuerliche Verfahren durch die Höhe der angesetzten Besteuerungsgrundlagen berührt seien, hätten die Kläger nicht vorgetragen und sei aus dem Akteninhalt auch nicht erkennbar. Inwieweit durch die Vorschrift des § 350 eine verfassungswidrige Benachteiligung von unterhaltspflichtigen Eltern mit geringem Einkommen vorliege, habe das Finanzamt als Organ der Exekutive nicht zu prüfen.

    Den Einspruch gegen den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 4 EStG für den 31. Dezember 2015 wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 30 August 2018 - auf deren Inhalt ergänzend verwiesen wird - als unbegründet zurück. Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG sei der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Nach der Legaldefinition des Satzes 2 dieser Vorschrift sei verbleibender Verlustabzug der bei der Ermittlung des GdE nicht ausgeglichene Verlust, vermindert um die nach den Abs. 1 und 2 abgezogenen Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustabzugs. Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift seien Verluste, die bei der Ermittlung des GdE nicht ausgeglichen werden, bis zu einem bestimmten Höchstbetrag wie Sonderausgaben vom GdE der vorangegangenen Veranlagungszeiträume abzuziehen. Nach Abs. 2 der Vorschrift seien nicht ausgeglichene Verluste, die nach Abs. 1 nicht abgezogen werden könnten, in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom GdE abzuziehen. Die in dieser Regelung enthaltene gegenständliche Beschränkung des Rück- und Vortrags auf negative GdE entspreche dem allgemeinen Grundsatz des Einkommensteuerrechts, dass sich bei einem GdE von 0 EUR all diejenigen Beträge, die von diesem gemäß § 2 Abs. 4 und 5 EStG abgezogen werden könnten (Sonderausgaben / außergewöhnliche Belastungen wie z.B. die z.T. streitigen Unterhaltsleistungen) nicht mehr steuermindernd auswirken können, weil das Einkommensteuerrecht für einen solchen Fall ohnehin nur eine Einkommensteuer von 0 EUR vorsehe. Eine negative Einkommensteuer kenne das geltende Steuerrecht nicht. Der Verlustabzug im Wege des Verlustvortrags sei bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vorzunehmen; anders als im Fall des Verlustabzugs im Wege des Verlustrücktrags stehe dem Steuerpflichtigen insoweit kein Wahlrecht zu. Der Verlustvortrag sei auch in Veranlagungszeiträumen zwingend vorzunehmen, in denen der Steuerpflichtige ein Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags habe. Auch diese Regelung stelle nach Auffassung des BFH keinen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Der Auffassung des BFH entspreche es, dass der Verlustvortrag auch in Veranlagungszeiträumen zwingend vorzunehmen sei, in denen sich der Verlustabzug aus anderen Gründen steuerlich nicht auswirke oder sich andere Vergünstigungen wegen des Verlustabzugs nicht auswirken könnten (Verweis auf BFH-Beschluss vom 20. Oktober 1997, XI B 11/97; BFH-Urteil vom 28. Juni 1968, VI R 214/66; BFH-Beschluss vom 26. Juli 2005, XI B 93/03). Eine gegen diesen vom BFH aufgestellten Grundsatz eingelegte Verfassungsbeschwerde sei gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerf-Beschluss vom 19. April 2007, 2 BvR 1670/05).

    Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer am 3. Dezember 2018 bei Gericht eingegangenen Klage. Hinsichtlich der Ausbildungskosten bekräftigen sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren; das Gleiche gilt für die Frage des Verlustvortrags. Eine Regelung, bei der der Verlustvortrag erst dann zum Ansatz komme, wenn es nach Abzug von Freibeträgen und Sonderausgaben etc. tatsächlich zu einer steuerlichen Belastung käme, wäre ohne besonderen Verwaltungsaufwand umsetzbar und würde zu einer Besteuerung führen, die erheblich gleichmäßiger für die betroffenen und gerechter in Bezug auf deren Leistungsfähigkeit wäre. Die aktuellen Vorschriften mögen dem wohl entgegenstehen, weshalb das Finanzamt nicht anders entscheiden könne. Allerdings entsprächen die angewandten Vorschriften nicht dem Verfassungsgebot einer gleichmäßigen Besteuerung.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 17. Januar 2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2018, dahingehend zu ändern, dass bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens kein (anteiliger) Verlustverbrauch in Höhe von 5.366 EUR vorgenommen wird und die übrigen Aufwendungen nach § 33a Abs. 1 bis 3 EStG i.H.v. nicht nur 2.854 EUR, sondern i.H.v. 3.177 EUR in Ansatz gebracht werden,

    den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2015 vom 17. Januar 2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2018, dahingehend zu ändern, dass keine Verringerung des Verlustabzugs im Jahr 2015 in Höhe von 5.366 EUR vorgenommen wird,

    den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 22. Juni 2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2018, dahingehend zu ändern, dass bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens kein Verlustverbrauch i.H.v. 9.053 EUR vorgenommen wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die von den Klägern geltend gemachten Unterhaltsleistungen an die studierende Tochter hätten sich aufgrund des niedrigen GdE unterhalb des Eingangssteuersatzes gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht ausgewirkt. In beiden Jahren sei eine Steuer in Höhe von 0 EUR festgesetzt worden. Damit habe es an einer Beschwer gemangelt. Aus Sicht der Kläger möge die Rechtsnorm des § 10d Abs. 2 EStG - wonach der nicht ausgeglichene Verlust zwingend in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom GdE abzuziehen sei - unbillig sein, da der im Rahmen der Steuerfestsetzung abgezogene Verlustvortrag keinen steuerlichen Vorteil bringe. In einem dem vorliegenden Fall identischen Sachverhalt habe der BFH indes keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des § 10d Abs. 2 EStG erkannt (Verweis auf BFH-Beschluss vom 26. Juli 2005, XI B 93/03). Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung habe er u. a. dargelegt, dass sich der Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerfreiheit des Existenzminimums auf die jährlich festzusetzende Einkommensteuer beziehe. Da das Verfassungsgericht die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen habe, werde deutlich, dass das Gericht der von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfrage keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zugemessen habe.

    Mit Schreiben vom 25. Dezember 2018 haben die Kläger eine Berichtigung der Steuererklärung 2016 erklärt (außerordentliche Einnahme in der Anlage V i.H.v. 24.027 EUR; zugleich Antrag der begünstigten Besteuerung gem. § 34 EStG). Ausweislich einer vom Finanzamt übermittelten Probeberechnung führt die beantragte Berichtigung nicht zu einer Änderung der festzusetzenden Steuer von 0 EUR. Eine Änderung gemäß § 68 FGO kommt daher aus Sicht des Finanzamts gemäß § 156 Abs. 2 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KBV nicht in Betracht.
    Die Kläger haben eine Entscheidung durch den Senat mit mündlicher Verhandlung erbeten.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage hat keinen Erfolg.

    1.)

    Bzgl. der Steuerbescheide 2015 / 2016 ist die Klage insoweit unzulässig, als es den Klägern i.E. auf eine Änderung der in diesen Jahren festgesetzten Steuer oder auf eine Änderung von aus ihrer Sicht nicht für die Verlustfeststellung relevanten Besteuerungsgrundlagen ankommt; insoweit mangelt es an der für die Zulässigkeit erforderlichen Beschwer im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO. Nach dieser Norm ist eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein.

    In objektiver Hinsicht werden die Anforderungen, die nach § 40 Abs. 2 FGO an ein Klagebegehren zu stellen sind, entscheidend von der Art des angefochtenen Verwaltungsakts bestimmt. Aus § 157 Abs. 2 AO folgt dabei die Regel, dass gegenüber dem objektiven Inhalt von Steuerbescheiden eine Rechtsverletzung im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO grundsätzlich nur wegen zu hoher Steuerfestsetzungen - also einem zu hohen Steuerbetrag - geltend gemacht werden kann. Unzulässig ist daher grundsätzlich die Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, in welchem die Steuerschuld - wie im Streitfall - auf 0 EUR, oder in welchem eine aus klägerischer Sicht zu niedrige Steuerschuld festgesetzt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2002, V B 56/01, BFH/NV 2002, 805; von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl., § 40, Rn. 86, 87, 88 m. w. N.; s.a. FG Kiel. Urteil vom 24. April 2015, 3 K 114/11, EFG 2015, 1292).

    2.)

    Soweit die Kläger jedoch mit ihrer Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016 das Ziel verfolgen, durch den Angriff des Verlustverbrauchs und der Aberkennung der (anteiligen) Unterhaltsleistungen Änderungen von Besteuerungsgrundlagen zu erreichen, um in der Folge dieser Änderungen entsprechende (Folge-)Änderungen der Verlustfeststellungen zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres zu bewirken, ist die Klage zulässig. Der Zulässigkeit der Klage steht insoweit nicht entgegen, dass weder ein unterlassener Verlustverbrauch noch die volle Anerkennung der geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen zu einer geringeren Steuer in den Jahren 2015/2016 führen würde.

    Hinsichtlich der Zulässigkeit folgt der Senat insoweit der neueren Rechtsprechung zu § 10d EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010). Danach (vgl. m.w.N. FG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 2016, 10 K 3686/13 F, EFG 2016, 662 vgl. auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. April 2017, 10 K 10105/15, EFG 2017, 1179; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. April 2016, 3 K 3106/15, juris) hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung des Verhältnisses von Steuerfestsetzung und gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags durch das JStG 2010 eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen normiert, die - wie § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 EStG n. F. zeigt - der eines Grundlagenbescheides im Verhältnis zum Folgebescheid entspricht. Die Wirkung dieses "Quasi-Grundlagenbescheides" hat zur Folge, dass im Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags keine eigenständige Einkünfteermittlung mehr stattfindet. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Steuerpflichtige Rechtsschutz gegen eine aus seiner Sicht unzutreffende Ermittlung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte nur noch durch Anfechtung des Einkommensteuerbescheides und nicht durch Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides erreichen kann. Daraus folgt, dass eine Beschwer i. S. von § 350 AO bzw. § 40 Abs. 2 FGO auch gegeben ist, wenn zwar die Einkommensteuer auf null Euro festgesetzt wurde, der Steuerpflichtige aber den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen rügt (aus § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG folgt dabei nichts anderes, vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 2016, 10 K 3686/13 F, EFG 2016, 662).

    Die Klage ist damit insoweit zulässig, als das klägerische Begehren (jedenfalls auch) darauf gerichtet ist, die angegriffenen Positionen (Unterhaltsaufwendungen, Verlustverbrauch) in späteren Jahren nutzbar zu machen. Denn ungeachtet der Frage, ob sie dies rechtlich erreichen können (dazu unter 3.)), ist damit das Ziel der Klage insoweit darauf gerichtet, Besteuerungsgrundlagen im Klageweg zu verändern, welche sich im (Quasi-Folge-)Verlustfeststellungsbescheid zu ihren Gunsten auswirken sollen.

    3.)

    In der Sache hat die insoweit zulässige Klage gegen die Einkommensteuerbescheide jedoch keinen Erfolg.

    a.) Soweit die Kläger die Anerkennung weiterer Unterhaltsaufwendungen begehren, könnte dieses Begehren im Lichte der Ausführungen zur Zulässigkeit (s.o., Ziff. 1.), Ziff. 2.)) nur Berücksichtigung finden, wenn diese weiteren Kosten nach der in Betracht kommenden Vorschrift (§ 33a EStG) dem Grunde nach zu berücksichtigen wären, und wenn sich diese Berücksichtigung zugleich auf eine für die Ermittlung des Verlustabzugs relevante Besteuerungsgrundlage auswirken würde. Bzgl. des von den Klägern angegriffenen Verlustverbrauchs könnte die Klage nur Erfolg haben, wenn der vom Beklagten vorgenommene Verbrauch - also die Verrechnung des (anteiligen) Verlusts mit dem positiven GdE vor Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen - rechtswidrig gewesen wäre.

    In beiden Punkten sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klage jedoch nicht erfüllt. Dabei kann der Senat in Bezug auf die streitigen Unterhaltsleistungen an das volljährige Kind dahinstehen lassen, ob die Anwendung der sog. Opfergrenze - und damit die betragsmäßige Beschränkung der abziehbaren Aufwendungen - rechtmäßig war oder nicht (zur Opfergrenze allgemein und zu deren Rechtmäßigkeit vgl. jedoch Loschelder, in: Schmidt, 37. Auflage 2018, § 33a Rn. 16; zur grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Opfergrenze vgl. ferner die ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH-Urteil vom 4. April 1986, III R 245/83, BStBl. II 1986, 852; BFH-Urteil vom 14. Dezember 2016, VI R 15/16, BStBl. II 2017, 454; BFH-Urteil vom 28. April 2016, VI R 21/15, BStBl. II 2016, 742). Denn jedenfalls stellen die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen keine Position dar, die im Rahmen einer Verlustfeststellung Niederschlag findet. Die Kläger können mit ihrem Begehren daher nicht erreichen, dass eine Besteuerungsgrundlage zu ihren Gunsten geändert wird, die Auswirkung auf die Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2015 haben kann. Darüber hinaus ist auch die angegriffene Vorgehensweise des Beklagten bzgl. der Verlustverrechnung (Verlustabzug vom GdE vor Berücksichtigung der Sonderausgaben / außergewöhnliche Belastungen) in den Steuerbescheiden 2015, 2016 nicht zu beanstanden:

    b.) Gem. § 10d Abs. 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 1.000.000 EUR, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 2.000.000 EUR vom GdE des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, sind gem. § 10d Abs. 2 EStG in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem GdE von 1 Million EUR unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million EUR übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag). Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b EStG zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million EUR ein Betrag von 2 Millionen EUR. Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

    Vor- bzw. zurückzutragen sind dabei ausschließlich "negative Einkünfte". Den bis zum Veranlagungszeitraum 1999 verwendeten und gesetzlich nicht definierten Begriff "Verluste" hat der Gesetzgeber mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 durch den genaueren Begriff der "negativen Einkünfte" ersetzt. Der Begriff der "Einkünfte" wiederum ergibt sich aus § 2 Abs. 1 EStG und § 2 Abs. 2 EStG. Danach sind Einkünfte bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn und bei allen anderen Einkünften der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Soweit der "Gewinn" bzw. der "Überschuss" negativ ist - soweit also die Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten die Einnahmen übersteigen -, liegen negative Einkünfte im vorbenannten Sinne vor. Die Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) stellt das Ergebnis einer Verrechnung aller positiven und negativen Gewinne/Überschüsse eines Steuerpflichtigen dar. Diese Summe, vermindert um den (im Streitfall nicht relevanten) Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Abs. 3 EStG, ist der GdE (vgl. § 2 Abs. 3 EStG). Dieser GdE stellt nach der ausdrücklichen Anordnung des § 10d EStG den jeweiligen Anknüpfungspunkt für einen Verlustvor- bzw. -rücktrag dar.

    Nach der Konzeption des Gesetzes sind damit für eine veranlagungszeitraumübergreifenden (intertemporäre) Berücksichtigung ausschließlich negative Einkünfte - nicht aber Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen oder der Grundfreibetrag - vorgesehen. Die Berücksichtigung ist dabei in § 10d EStG dahingehend geregelt, dass ein Verlustrücktrag betragsmäßig begrenzt und optional (§ 10d Abs. 1 S. 5, 6 EStG) vorgenommen werden kann, während der Verlustvortrag (§ 10d Abs. 2 EStG) betragsmäßig begrenzt und zwingend vorzunehmen ist. Bei der Verlustverrechnung sind dabei die negativen Einkünfte im vorbenannten Sinne von einem ermittelten positiven GdE und vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (§ 10d Abs. 1 S. 1, § 10d Abs. 2 S. 1 EStG). Aufgrund dieser zwingenden Anordnungen kann es dazu kommen, dass sich bspw. Einkünfte eines Folgejahres verringern, obgleich in diesem Folgejahr auch ohne Verlustverrechnung keine Steuern zu zahlen gewesen wären; auch kann es dazu kommen, dass sich außergewöhnliche Belastungen (oder der Grundfreibetrag) faktisch nicht mehr auswirken, weil etwaige positive Einkünfte in einem späteren Veranlagungszeitraum aufgrund einer zwingenden Verlustverrechnung mit Verlusten aus dem Vorjahr verrechnet wurden. Da es für die außergewöhnliche Belastungen (oder einen nicht genutzten Grundfreibetrag) keine § 10d EStG entsprechende Vortragsnorm gibt, bleiben diese damit steuerlich faktisch ungenutzt und könne auch später nicht genutzt werden.

    c.) Indem der Verlustabzug ausschließlich die "negativen Einkünfte" betrifft, ermöglicht er nur solche Verluste auf mehrere Veranlagungszeiträume zu verteilen, die unmittelbar aus der Erwerbssphäre stammen. Damit ist § 10d EStG eine Ausprägung des objektiven Nettoprinzips (vgl. Heuermann, in: Kirchhof/Söhn, § 10d EStG, Rn. A41), wonach grundsätzlich nur die Nettoeinnahmen, das heißt der Überschuss der Einnahmen über die Betriebsausgaben/Werbungskosten Gegenstand der Besteuerung sein darf (§ 2 Abs. 2 EStG; vgl. etwa Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12. Mai 2009, 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111). Ist aber eben dieses objektive Nettoprinzip das die Erkenntnis leitende Prinzip für den Verlustabzug, so lässt sich daraus auch die gesetzlich angeordnete Rangfolge des Abzugs vorrangig vor den Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen herleiten. Ziel ist es letztlich, eine - beschränkte - intertemporäre Verteilung der überschießenden Erwerbsaufwendungen (Verluste) zu regeln und damit die Folgen der grundsätzlichen Abschnittsbesteuerung abzumildern (nicht aber: gänzlich auszuräumen). Dabei ist es folgerichtig, wenn der Gesetzgeber die Verlustabzugsregelung unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips auf "negative Einkünfte" beschränkt und auch den Verlustverbrauch durch eine Verrechnung der nicht ausgeglichenen Verluste mit einem positiven GdE vorsieht, ohne dass private Aufwendungen, wie zum Beispiel Sonderausgaben/außergewöhnliche Belastungen vorrangig Berücksichtigung finden. Denn wer keine (positiven) Einkünfte erzielt, kann auch keine privaten Aufwendungen abziehen; dies gilt nicht nur intra-, sondern auch interperiodisch (vgl. Heuermann, in: Kirchhof/Söhn, § 10d EStG, Rn. A41; zur verfassungsgemäßen Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch § 10d EStG vgl. auch BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423).

    Das subjektive Nettoprinzip hat für den Verlustabzug demzufolge keine Bedeutung. Nach diesem verfassungsrechtlich geschützten Prinzip, welches aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abgeleitet wird, muss das Existenzminimum einkommensteuerrechtlich verschont bleiben (vgl. Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 14. Juni 2016, 2 BvR 290/10, juris). Deshalb sind (subjektive, nicht unmittelbar der Erwerbssphäre zuordenbare) existenzsichernde Aufwendungen vom Grundfreibetrage gedeckt bzw. im Rahmen von Sonderausgaben / außergewöhnlichen Belastungen grundsätzlich steuerlich abziehbar (vgl. bspw. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. August 2017, 3 K 3118/17, juris). Dies gewährleistet bezogen auf den jeweiligen Besteuerungszeitraum eine Besteuerung unter Berücksichtigung unvermeidbarer Privataufwendungen, sodass der fiskalische Zugriff auf solcherlei subjektive Aufwendungen vermieden wird. Indem § 10d EStG eine Verlustverrechnung vor diesen subjektiven Aufwendungen anordnet und zudem keine entsprechende Rück- bzw. Vortragsregelung für die Aufwendungen vorsieht, ist die Norm nicht vom Leitgedanken des subjektiven Nettoprinzips geprägt.

    d.) Diese gesetzgeberische Grundentscheidung, eine - eingeschränkte - intertemporäre Berücksichtigung von Aufwendungen allein im Rahmen der Erwerbssphäre anzuordnen und damit allein dem objektiven Nettoprinzip Rechnung zu tragen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; eine Notwendigkeit einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage des Rechtsstreits zum Verfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht daher nicht (ebenso Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. Juli 2003, 16 K 444/02, juris; die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen, BFH-Beschluss vom 17. Februar 2005, XI B 138/03 BFH/NV 2005, 1264; in diesem Beschluss hat der BFH zur Begründung u.a. auf sein Urteil vom 18. Dezember 1990 [VIII R 7/87, BFH/NV 1991, 520 [BFH 18.12.1990 - VIII R 7/87]] verwiesen, in welchem § 10d EStG ebenfalls für verfassungskonform erklärt wurde; die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Verfassungsgericht gem. §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 27. April 2006, 2 BvR 603, 05).

    aa.) Zunächst hat der Gesetzgeber durch die Regelung des § 10d EStG das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der (jährlichen) Abschnittsbesteuerung und dem abschnittsübergreifenden objektiven Nettoprinzip in verfassungskonformer Art aufgelöst. Es bestand keine Pflicht, eine Norm zu schaffen, welche eine unbeschränkte Verlustnutzung zulässt, bzw. welche gewährleistet, dass sich die in einem Jahr generierten Verluste in einem anderen Jahr auch notwendig auswirken. § 10d EStG steht im Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips. Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung, auf Grund dessen für jeden Steuerabschnitt die Grundlage der Besteuerung alljährlich neu festzustellen und damit Sachverhalt wie Rechtslage neu zu prüfen sind, schafft Überschaubarkeit und Klarheit bezüglich des Sachverhalts und der anzuwendenden steuerlichen Vorschriften (zum Verfassungsrang des Abschnittsprinzips vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1968, I 111, 65, BStBl. II, 1968, 547; s.a. BVerfG-Urteil vom 3. Juni 1987, 1 BvL 5/81 BVerfGE 75, 361; BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Insoweit hat der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht nur Bedeutung für den Steuerpflichtigen, für den staatliches Verhalten weitestgehend messbar und vorhersehbar ist, sondern auch für die Verwaltung, die einer umfassenden rechtlichen Kontrolle unterstellt ist und deshalb alsbaldig rechtskräftige oder bestandskräftige Entscheidungen benötigt, um nicht handlungsunfähig zu werden (vgl. BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Demgegenüber ist das Nettoprinzip Ausdruck der materiellen Richtigkeit eines Steueranspruchs, welcher an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sein muss (vgl. BVerfG-Urteil vom 23. Januar 1990, 1 BvL 4/87, BVerfGE 81, 228; BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit sind wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips. Beide Forderungen können - wie auch im Streitfall - miteinander in Widerstreit geraten. Hier ist es Aufgabe des Gesetzgebers, einen solchen Widerstreit zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so darf die vom Gesetzgeber gewählte Regelung von der Rechtsprechung nicht beanstandet werden (vgl. BVerfG-Urteil vom 26. Februar 1969, 2 BvL 15/68, BVerfGE 25, 269; BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Diese anhand des Rechtsstaatsprinzips entwickelte Abwägung ist auch im Rahmen der Willkürprüfung unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG heranzuziehen. Es ist vorrangig Sache des Gesetzgebers, das Gewicht, das der Rechtssicherheit einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit andererseits in dem zu regelnden Falle zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden Prinzipien der Vorzug gegeben werden soll. Unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbotes ist es nicht angreifbar, wenn der Gesetzgeber eines der beiden Prinzipien als "angemessener" bewertet. Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber insoweit nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung einerseits und dem Grundsatz der Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip andererseits, vollständig zugunsten des Nettoprinzips aufzulösen. Von der Rechtsprechung kann daher nicht beanstandet werden, wenn der Gesetzgeber die intertemporäre Verlustberücksichtigung durch die in § 10d Abs. 1 und Abs. 2 EStG gesetzten Grenzen beschränkt (BVerfG-Urteil vom 22. Juli 1991, 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423).

    bb.) Auch die Nichtberücksichtigung der subjektiven Aufwendungen in § 10d EStG ist verfassungsrechtlich zulässig. Denn wenn die intertemporäre Berücksichtigung von überschießenden Erwerbsaufwendungen - d.h. der Verlustabzug gem. § 10d EStG - die Bemessungsgrundlage für die Steuer in einem Veranlagungszeitraum soweit mindert, dass es zu keiner Steuerfestsetzung kommt, besteht für das subjektive Nettoprinzip ebenso wenig Raum, wie in einem Fall, in welchem der Steuerpflichtige von vornherein keine positiven Einkünfte erzielt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 2010, IX B 191/09, BFH/NV 2010, 1270). Das durch das subjektive Nettoprinzip gebotene (und begrenzte) Entlastungserfordernis besteht nämlich nicht, wenn das Einkommen eines Steuerpflichtigen ohnehin nicht besteuert wird und dem Zugriff des Fiskus damit entzogen ist. Dabei versteht der Senat das Anliegen der Kläger, die eine Verlustbehandlung anstreben, bei der die Verlustverrechnung erst dann zum Tragen kommt, wenn es nach Abzug von Freibeträgen und Sonderausgaben etc. auch tatsächlich zu einer steuerlichen Belastung käme und die Verluste somit faktisch nicht ungenutzt blieben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine solche Regelung indes nicht zwingend geboten. Denn das subjektive Nettoprinzip bezweckt "nur" den Schutz des Existenzminimums und bildet damit die äußerste Grenze eines fiskalischen Zugriffs im jeweiligen Veranlagungszeitraum. Nicht dagegen kann aus diesem Prinzip ein verfassungsrechtliches Gebot dahingehend abgeleitet werden, dass sich die betroffenen unvermeidbaren privaten Ausgaben im jeweiligen Zeitraum - oder gar zeitraumübergreifend - steuerlich auswirken müssen. Somit besteht für den Gesetzgeber weder die Notwendigkeit, den Verlustverbrauch bei einer Veranlagung nur insoweit zuzulassen, als dies einer faktischen steuerlichen Auswirkung des Grundfreibetrags oder außergewöhnlicher Belastungen nicht entgegensteht, noch besteht eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, existenzsichernde Aufwendungen privater Natur (Grundfreibetrag / Sonderausgaben / außergewöhnliche Belastungen), welche sich in einem Veranlagungszeitraum nicht auswirken konnten, ihrerseits als vor- bzw. zurücktragbares negatives (subjektives) Einkommen in einen anderen Besteuerungszeitraum zu transportieren (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2005, XI B 138/03, BFH/NV 2005, 1264; BFH-Urteil vom 11. Februar 2009, IX B 207/08, BFH/NV 2009, 920 mit weiteren Nachweisen; BFH-Urteil vom 6. Februar 2008, IX B 244/07, BFH/NV 2008, 788).

    cc.) Darin liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG, selbst wenn sich der Verlustabzug - je nach Konstellation (Höhe des Verlusts, Höhe der Gewinne der Nachjahre, steuerliche Auswirkung bzw. faktische Nichtberücksichtigung von Grundfreibetrag / Sonderausgaben usw.) - bei verschiedenen Steuerpflichtigen unterschiedlich auswirken kann. Denn durch § 10d EStG werden nicht normativ bestimmte, durch gesetzliche Tatbestandsmerkmale eingegrenzte Gruppen von Steuerpflichtigen schlechter als andere gestellt. Allein durch tatsächliche Schwankungen in der Gewinn- bzw. Verlustentwicklung sowie bei der Höhe der vom Einkommen abziehbaren Beträge kann es dazu kommen, dass in einem Fall der Verlustabzug volle steuerliche Wirkung entfaltet, während er sich in einem anderen Fall als ganz oder teilweise wirkungslos erweist. Ein von der Regelung des § 10d EStG betroffener Steuerpflichtiger kann nach der gesetzlichen Konzeption in einem Jahr ein Begünstigter, in einem Folgejahr jedoch auch ein Benachteiligter sein (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990, VIII R 7/87, BFH/NV 1991, 520).

    e.) Im Ergebnis ist es daher weder bei der Anwendung des einfachen Rechts noch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden, dass das Finanzamt jeweils in den Jahren 2015 und 2016 eine Verlustverrechnung vornahm und sich damit auch der Grundfreibetrag und die nachrangig berücksichtigungsfähigen Ausgaben - weder in den hier angegriffenen Streitzeiträumen noch in anderen Zeiträumen - steuerlich in relevantem Maße auswirken konnten. Auch können die Kläger nicht erreichen, dass weitere außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden, da sich diese (ungeachtet der Frage, ob die Opferbegrenzung rechtswidrig ist, siehe dazu oben) weder bei der Einkommensteuer noch bei der Verlustfeststellung auswirken konnten.

    4.)

    Vor diesem Hintergrund ist auch die Klage in Bezug auf den Bescheid zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG für den 31. Dezember 2015 unbegründet (zur Zulässigkeit einer Klage gegen den Verlustfeststellungsbescheid als "Quasi-Folgebescheid" vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 2016, 10 K 3686/13 F, EFG 2016, 662). Denn entsprechend den vorstehenden Ausführungen ist die vom Finanzamt vorgenommene Verlustfeststellung insoweit rechtmäßig erfolgt.

    5.)

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

    Gründe, die Revision zuzulassen, § 115 Abs. 2 FGO, sind nicht ersichtlich.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 10 d

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