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  • 28.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197939

    Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 22.08.2017 – 2 K 688/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Thüringen

    Urt. v. 22.08.2017

    Az.: 2 K 688/16

    In dem Rechtsstreit

    - Kläger -
    gegen Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Einkommensteuer 2007

    hat der II. Senat des Thüringer aufgrund der mündlichen Verhandlung am 22. August 2017 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung erhöhter Absetzungen gem. § 7 h Einkommensteuergesetz (EStG), insbesondere um die Bindungswirkung einer Bescheinigung gem. § 7h Abs. 2 EStG.

    Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks "A" im Sanierungsgebiet "B" der Stadt C (Gemeinde). Die Kläger ließen an dem Gebäude in den Jahren 2006 und 2007 Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten durchführen. Das Gebäude enthält sechs Wohnungen zur Vermietung. Es wurde im Jahr 2007 fertiggestellt. Die Herstellungskosten betrugen (in 2006 126.829,11 € und in 2007 323.541,84 € =) 450.370,95 €. Die Bauarbeiten erfolgten freiwillig, d.h. sie beruhten insbesondere nicht auf einem Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S.d. § 177 Baugesetzbuch (BauGB). Ein solches existierte für das o.g. Gebäude ebenso wenig wie eine Verpflichtung der Kläger gegenüber der Gemeinde zur Durchführung der Arbeiten.

    Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung 9 Prozent der o.g. Herstellungskosten gem. § 7h EStG erhöht abzusetzen. Nachdem das Finanzamt (FA) dies in dem unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid vom 02.02.2010 nicht anerkannte, weil die Kläger nicht die hierfür nach § 7h Abs. 2 EStG erforderliche Bescheinigung der Gemeinde über das Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 7h Abs. 1 EStG vorgelegt hatten, beantragten die Kläger mit Änderungsantrag vom 21.07.2010 erneut die erhöhten Absetzungen. Dazu legten sie dem FA eine von dem Bürgermeister der Gemeinde ausgestellte "Bescheinigung gemäß § 7h EStG" vom 07.07.2010 vor, welche unter anderem aussagte, dass an dem Gebäude "Modernisierungs- und Instandhaltungsaufwendungen i.S.d. § 177 BauGB" durchgeführt wurden. Außerdem wurde darin bescheinigt, dass eine gesonderte schriftliche Vereinbarung zu den o.g. Maßnahmen nicht vorliege. Angaben zur Höhe der Herstellungskosten enthält die Bescheinigung nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung Bezug genommen. Außerdem legten die Kläger ihren der Bescheinigung zugrunde liegenden Antrag ohne Datum und Unterschrift vor, in dem eine "Aufstellung der Kosten" für die Jahre 2006 und 2007 i.H.v. 450.370,95 € enthalten war. Am Schluss des Antrags findet sich eine Bescheinigung des Bürgermeisters der Gemeinde vom 07.06.2010, in der es u.a. heißt, dass "die Baumaßnahmen durchgeführt worden sind".

    Das FA lehnte den Änderungsantrag ab. Es war der Ansicht, dass die vorgelegte Bescheinigung offensichtlich unzutreffend sei. Sie hätte nicht erteilt werden dürfen, da die Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten weder gem. § 177 Abs. 1 BauGB auf einem Instandsetzungs- und Modernisierungsgebot noch auf einer vorherigen vertraglichen Vereinbarung zwischen den Klägern und der Stadt C beruhten, sondern freiwillig ausgeführt worden waren.

    Gegen die Nichtanerkennung der erhöhten Absetzungen wendeten sich die Kläger mit ihrem Einspruch. Während des laufenden Einspruchsverfahrens machte das FA von seinem Remonstrationsrecht Gebrauch, d.h. es forderte die Gemeinde mit Schreiben vom 12.10.2010 auf, die für rechtswidrig erachtete Bescheinigung gem. § 7h EStG zurückzunehmen. Dem kam die Gemeinde unverzüglich nach, indem sie die Bescheinigung unter dem 21.10.2010 zurücknahm. Daraufhin wies das FA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 03.08.2011 zurück.

    Hiergegen erhoben die Kläger am 05.09.2011 Klage. Das Verfahren wurde vom seinerzeit zuständigen 3. Senat des Thüringer Finanzgerichts ausgesetzt, weil sich die Kläger außerdem mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Weimar gegen die Rücknahme der Bescheinigung wehrten, welche das Finanzgericht seinerzeit für vorgreiflich erachtete. Die verwaltungsgerichtliche Klage führte für die Kläger zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hob den Rücknahmebescheid der Gemeinde mit Urteil vom 27.10.2014 auf (Bl. 86 ff. d. A.). Zwar sei die von der Gemeinde erteilte Bescheinigung rechtswidrig. Die Gemeinde habe Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB bescheinigt, obwohl - insoweit unstreitig - die Maßnahmen nicht zuvor durch ein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S.d. § 177 BauGB angeordnet wurden und auch keine vorherige Vereinbarung zur Durchführung der Sanierungsarbeiten abgeschlossen wurde. Allerdings habe es die Gemeinde bei der Rücknahme der Bescheinigung pflichtwidrig unterlassen, erkennbar eine Ermessensentscheidung zu treffen, sodass der Rücknahmebescheid vom Verwaltungsgericht als rechtswidrig erachtet und aufgehoben wurde. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen von der Gemeinde beantragte Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 26.10.2016 abgelehnt (Bl. 142 ff. d. A.).

    Daraufhin wurde das finanzgerichtliche Verfahren vom nunmehr zuständig gewordenen 2. Senat des Thüringer Finanzgerichts wieder aufgenommen.

    Nach Ansicht der Kläger sei durch die Verwaltungsgerichte rechtskräftig bestätigt, dass die von der Gemeinde ausgestellte Bescheinigung gem. § 7h EStG wirksam sei. Das FA und das Finanzgericht seien an die bestandskräftige Bescheinigung gebunden. Die Bescheinigung sei ausgestellt worden, nachdem Fördermittel, welche die Gemeinde zunächst in Aussicht gestellt habe, nicht gewährt wurden. Der Bürgermeister und der Bauamtsleiter der Gemeinde hätten gegenüber den Klägern geäußert, dass jedenfalls die steuerliche Vergünstigung gem. § 7h EStG für die Kläger anwendbar sei.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 02.02.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für das Objekt von den Gesamtherstellungskosten i.H.v. 450.370,95 € für einen Teilbetrag i.H.v. 423.348,70 € anstelle der bisherigen AfA i.H.v. (2% =) 8.466,97 € erhöhte Absetzungen gem. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG i.H.v. (9% =) 38.101,38 € abzusetzen sind.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA ist trotz erfolgloser Remonstration unverändert der Ansicht, dass erhöhte Absetzungen nach § 7h EStG nicht berücksichtigt werden können.

    Die Bescheinigung sei nichtig, da sie keine Inhaltsadressaten enthalte. Jedenfalls entfalte sie keinerlei Bindungswirkung, da sie offensichtlich materiell rechtswidrig ist, wie auch das Verwaltungsgericht in seinen Urteilsgründen festgestellt hat. Überdies fehlten in der Bescheinigung pflichtwidrig Angaben über die Höhe der Modernisierungs- und Instandhaltungskosten i.S.d. § 177 BauGB. Diese seien notwendig (so auch R 7h Abs. 4 Nr. 3 EStR), damit das FA prüfen kann, welcher Teil hiervon begünstigte Herstellungskosten i.S.v. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG sind.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FA hat zu Recht erhöhte Absetzungen gem. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG versagt.

    Gem. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann der Steuerpflichtige bei einem im Inland belegenen Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich abweichend von § 7 Abs. 4 und 5 EStG im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 Prozent und in den folgenden vier Jahren jeweils bis zu 7 Prozent der Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 des BauGB absetzen. Diese Vorschrift ist entsprechend anzuwenden auf Herstellungskosten für Maßnahmen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes im Sinne des Satzes 1 dienen, das wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben soll, und zu deren Durchführung sich der Eigentümer neben bestimmten Modernisierungsmaßnahmen gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat (§ 7h Abs. 1 Satz 2 EStG).

    Der Steuerpflichtige kann die erhöhten Absetzungen nur in Anspruch nehmen, wenn er durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde die Voraussetzungen des Absatzes 1 für das Gebäude und die Maßnahmen nachweist (§ 7h Abs. 2 Satz 1 EStG).

    Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Anders als in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzt, liegt den Herstellungskosten, für die die Kläger erhöhte Absetzungen begehren, unstreitig kein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S.d. § 177 BauGB zu Grunde. Es steht objektiv fest und ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass ein solches Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nicht existiert.

    Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Kläger beim FA eine von der zuständigen Gemeindebehörde ausgestellte "Bescheinigung gemäß § 7h EStG" vom 07.07.2010 eingereicht haben, in welcher wahrheitswidrig bescheinigt wird, dass an dem streitgegenständlichen Gebäude "Modernisierungs- und Instandhaltungsaufwendungen i.S.d. § 177 BauGB" durchgeführt worden seien. Diese Bescheinigung ist, wie verwaltungsgerichtlich geklärt wurde, rechtswirksam. Dennoch entfaltet sie hier keine Bindungswirkung.

    Grundsätzlich bindet eine von der zuständigen Gemeindebehörde ausgestellte Bescheinigung i.S.v. § 7h Abs. 2 EStG mit ihrem konkreten Inhalt die Finanzbehörden und die Finanzgerichte. Das FA hat keine eigene Prüfungskompetenz (st. Rspr., z.B. BFH, Urt. v. 22.10.2014 X R 15/13, BStBl II 2015, 367; BFH, Beschl. v. 06.10.2016 IX R B 81/16, [...] Rz. 18). Die Finanzbehörden und Finanzgerichte, die selbst nicht unmittelbar mit den in § 7h EStG vorausgesetzten städtebaurechtlichen Vorgängen im Rahmen von Anträgen und Klagen befasst sind, sind als Teil des staatlichen Kompetenzgefüges an den Inhalt der bestandskräftigen, formell wirksamen Bestätigung gebunden.

    Diese Bindungswirkung folgt aus dem Grundsatz der (materiellen) Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Die (materielle) Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts braucht nicht explizit gesetzlich angeordnet zu werden, sondern ist regelmäßige Folge der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes. Sie hat zum Inhalt, dass, wenn eine Behörde durch Verwaltungsakt zu einer verbindlichen Regelung oder Qualifikation gelangt, dieser rechtswirksame Verwaltungsakt von allen Behörden und Gerichten wegen ihrer Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten und als gegebener "Tatbestand" eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist, solange er nicht nichtig ist (BFH, Urt. v. 17.06.2010 VI R 18/08, BStBl. II 2010, 1072 Rz. 12; BFH, Urt. v. 21.01.2010 VI R 52/08, BStBl. II 2010, 703 Rz. 19 ff.; Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK, VwVfG, Stand 01.07.2017, § 43 VwVfG Rz. 27 ff.; jeweils m.w.N.). Tatbestandswirkung entfaltet auch der rechtswidrige Verwaltungsakt (Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983). Damit wird bezweckt, dass die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit und den Bestand eines behördlichen Bescheids den dazu berufenen Behörden und Gerichten vorbehalten bleibt (BFH, Urt. v. 21.01.2010 VI R 52/08, BStBl. II 2010, 703 Rz. 20).

    Allerdings ist die aus der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten fließende Bindungswirkung nicht grenzenlos. Tatbestandswirkung entfaltet ein Verwaltungsakt nur grundsätzlich (Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983). Insbesondere darf das Berufen auf die Tatbestandswirkung nicht rechtsmissbräuchlich sein (Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK, VwVfG, Stand 01.07.2017, § 43 VwVfG Rz. 27 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 43 VwVfG Rz. 18).

    Die dies nicht berücksichtigende Auffassung der Finanzverwaltung in R 7h Abs. 4 Satz 4 EStR, wonach die Finanzbehörden selbst an offensichtlich rechtswidrige Bescheinigungen gebunden sein sollen (Satz 3) und lediglich remonstrieren dürfen (Satz 4), teilt der Senat nicht und ist auch nicht daran gebunden.

    Rechtsmissbräuchlich ist das Berufen auf die Bindungswirkung einer Bescheinigung, wenn objektiv feststeht, dass die in der Bescheinigung als Grundlagenbescheid gemachten Angaben offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechen und deren Bindungswirkung sehenden Auges zu einem gravierenden, nicht hinnehmbaren Verstoß gegen das materielle Recht, insbesondere zur Legitimation einer Steuerhinterziehung führen würde.

    So liegt der Fall hier. Die zuständige Gemeindebehörde hat den Klägern für die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen in einer "Bescheinigung gemäß § 7h EStG" bescheinigt, dass an dem streitgegenständlichen Gebäude "Modernisierungs- und Instandhaltungsaufwendungen i.S.d. § 177 BauGB" (gemeint: Instandsetzungsaufwendungen) durchgeführt wurden. Voraussetzung dafür ist nach § 177 Abs. 1 Satz 1 BauGB, dass die Gemeinde zuvor durch ein Modernisierungs- und/oder Instandsetzungsgebot die Beseitigung oder Behebung von Missständen oder Mängeln des Gebäudes durch ein Modernisierungsgebot bzw. ein Instandsetzungsgebot angeordnet hat. Allen Beteiligten, sowohl den Klägern als auch dem Bürgermeister der zuständigen Gemeinde, der die Bescheinigung ausgestellt hat, war klar, dass es ein solches Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot niemals gegeben hat. Vielmehr sei nach den Angaben der Kläger die Ausstellung der Bescheinigung gem. § 7h Abs. 2 EStG seitens der Gemeinde angeboten worden, nachdem die von der Gemeinde den Klägern zuvor in Aussicht gestellten Fördermittel nicht geflossen seien.

    Die - nach den Feststellungen des Senats wohl unwissentliche - Falschangabe der Kläger durch Vorlage der unzutreffenden Bescheinigung der Gemeinde dürfte - eine materielle Bindungswirkung der Bescheinigung hinweggedacht - den objektiven Tatbestand einer versuchten Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Abgabenordnung (AO) erfüllen. Sollte dieser offensichtlich unzutreffenden Bescheinigung materielle Bindungswirkung zukommen, würde auf diese Weise eine Steuerverkürzung i.S.v. § 370 Abs. 1 und Abs. 4 AO unterbunden und eine (versuchte) Steuerhinterziehung legitimiert. Ein solcher Missbrauch des Rechts ist nach der Ansicht des Senats nicht hinnehmbar.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.