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  • 10.10.2017 · IWW-Abrufnummer 196999

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 21.06.2017 – 2 K 4074/15 F

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

    2 K 4074/15 F

    Tenor:

    Der Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015 wird aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    Die Revision wird zugelassen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.

    1

    T a t b e s t a n d

    2

    Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, einen Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen, mit dem für das Jahr 2008 nachträglich festgestellt wurde, dass die Herabsetzung eines Einbringungsgewinns nach § 22 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) auf einem rückwirkenden Ereignis beruht hatte.

    3

    Die Kläger zu 2) bis 5) waren im Jahr 2008 Kommanditisten der Klägerin zu 1). Unternehmensgegenstand war die Herstellung von Teilen und Zubehör für Kraftwagen.

    4

    Zum 31.12.2008 hatten die Kläger zu 2) bis 5) ihre Mitunternehmeranteile gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen in eine GmbH zum Buchwert eingebracht. Die eingebrachten Gesellschaftsanteile wurden im Jahr 2011 zusammen mit den übrigen zu der Unternehmensgruppe gehörenden Betrieben veräußert.

    5

    Die Prozessbevollmächtigte reichte im Dezember 2009 die Feststellungserklärung für 2008 beim Beklagten ein. Der Beklagte stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit Bescheid vom 9.12.2010 erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest und verteilte diese gemäß den Gesellschaftsanteilen. Der Bescheid wurde der Prozessbevollmächtigten als Empfangsbevollmächtigte mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten bekannt gegeben.

    6

    Anfang 2011 begann bei der Klägerin zu 1) für die Jahre 2008 bis 2010 eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung. Der Betriebsprüfer war der Auffassung, dass für die Kläger zu 2) bis 5) für 2008 ein Einbringungsgewinn nach § 22 Abs. 1 UmwStG anzusetzen sei. Dieser sei als Veräußerungsgewinn gemäß § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassen. Hierzu stellte der Betriebsprüfer fest, dass die Kläger ihre Mitunternehmeranteile zum 31.12.2008 zum Buchwert in die GmbH eingebracht und diese Gesellschaftsanteile zum 31.12.2011, also innerhalb des siebenjährigen Sperrfrist, zusammen mit den übrigen zu der Unternehmensgruppe gehörenden Betrieben veräußert hatten. Der bei der Einbringungsgewinnermittlung anzusetzende gemeine Wert des eingebrachten Betriebsvermögens zum 31.12.2008 (§ 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG) wurde auf der Grundlage des in 2011 erzielten Veräußerungspreises für die gesamte Unternehmensgruppe über ein spezielles, auf die Besonderheiten der Gesellschaften abgestimmtes und von den Beteiligten übereinstimmend entwickeltes Rückrechnungssystem ermittelt und den Klägern zu 2) bis 5) anteilig zugerechnet (vgl. Anlage 1 zur Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015; Bl. 25-29 d. Gerichtsakte -GA-). Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung und Aufteilung des Einbringungsgewinns wird auf die Anlage 9 zum Betriebsprüfungsbericht vom 2.2.2012 (Anlage 2 zur Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015; Bl. 30-31 d. GA) hingewiesen.

    7

    Der Beklagte folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung, erließ am 17.7.2012 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 2008 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

    8

    Hiergegen erhob die Klägerin zu 1) durch die Prozessbevollmächtigte Einspruch, mit welchem sie beantragte, die Festsetzung für 2008 im Hinblick auf die Ungewissheit über die Höhe des entstandenen Veräußerungsgewinns nach § 165 AO nur vorläufig vorzunehmen. Hierzu führte sie aus, dass bei der Berechnung des Einbringungsgewinns der in 2011 erzielte Gesamtkaufpreis auf die veräußerten Unternehmen aufgeteilt und die so ermittelten Teilkaufpreise unter Berücksichtigung der zwischen 2008 und 2011 eingetretenen Wertveränderungen auf 2008 zurückgerechnet worden seien. Nach Abschluss der Betriebsprüfung hätten sich jedoch die Berechnungsgrundlagen geändert, weil die Käuferin Schiedsklage erhoben und einen Kaufpreisanteil zurückgefordert habe. Sollten sich die Ansprüche als berechtigt herausstellen, ergäbe sich hieraus die unmittelbare Konsequenz, dass der angesetzte Veräußerungsgewinn unzutreffend sei.

    9

    Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 165 AO seien erfüllt. Im Hinblick auf die angestrengte Schiedsklage sei die Höhe des Wertes des 2008 eingebrachten Unternehmens ungewiss. Die Schiedsklage sei ein vorläufiges Aufklärungshindernis. Erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens könne erneut retrograd in das Jahr 2008 zurückgerechnet werden.

    10

    Daraufhin änderte der Beklagte am 3.12.2012 den Gewinnfeststellungsbescheid für 2008 dahingehend, dass ein Vorläufigkeitsvermerk mit dem folgenden Inhalt aufgenommen wurde:

    11

    „Die Steuerfestsetzung erfolgt vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Zusammensetzung, des Umfangs und der wertbildenden Faktoren des Veräußerungsgewinns, der aufgrund der mit Wirkung vom 31.12.2008 vorgenommenen Einbringung der Gesellschaftsanteile entstanden ist“.

    12

    Die übrigen Feststellungen blieben unverändert. Der Bescheid wurde der Prozessbevollmächtigten bekanntgegeben.

    13

    Die beschränkt steuerpflichtigen Kläger zu 2), 3) und 5) zahlten die für sie mit Einkommensteuerbescheiden vom 18./19.7.2012 für 2008 festgesetzten Einkommensteuern im August 2012.

    14

    Mit Schreiben vom 9.1.2014 teilte die Klägerin zu 1) dem Beklagten mit, dass das Schiedsverfahren zu einer Kaufpreisminderung geführt habe. So bedürfe der im Rahmen der Feststellungen für 2008 zu versteuernde Nachsteuergewinn einer Korrektur. Zwar handele es sich nicht um eine automatische Folgeänderung. Doch gebe der Vorbehalt nach § 165 AO die Möglichkeit, erforderlich werdende Korrekturen nachträglich vorzunehmen. Die Vorwürfe des Käufers seien mit Entwicklungsrückständen bei den verkauften Baureihen begründet worden. Sämtliche der streitigen Baureihen seien zum Zeitpunkt der Einbringung schon in der Entwicklung gewesen. Deshalb sei es geboten, den von der Betriebsprüfung seinerzeit geforderten Knowhow-Zuschlag jetzt um die effektiven Kaufpreisminderungen zu korrigieren.

    15

    Im Hinblick darauf, dass sich der Fehler auf die Jahre 2005 bis 2010 erstreckt hatte, wovon zwei Jahre (1/3) auf die Zeit nach der Einbringung entfielen, verständigten sich die Beteiligten am 20.3.2014 auf eine Minderung des gemeinen Werts des Betriebsvermögens zum 31.12.2008 als Ausgangswert für die Ermittlung des Einbringungsgewinns.

    16

    Mit Bescheid vom 14.11.2014 änderte der Beklagte aufgrund der tatsächlichen Verständigung den für 2008 festgestellten Gewinn. Dieser Bescheid wurde der neuen Empfangsbevollmächtigten der Klägerin zu 1) „mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten“ bekannt gegeben. Die Änderung wurde auf § 165 Abs. 2 AO gestützt.

    17

    Diese Gewinnminderung führte bei den beschränkt steuerpflichtigen Klägern zu geänderten Einkommensteuerfestsetzungen (Bescheide vom 28.11.2014) und Einkommensteuererstattungen, die nach § 233a AO verzinst wurden.

    18

    Am 18.8.2015 erließ der Beklagte einen Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 AO, mit dem er darauf hinwies, dass von dem festgestellten Gesamtgewinn ein Betrag auf ein in 2013 eingetretenes rückwirkendes Ereignis (Kaufpreisminderung durch Schiedsurteil) entfalle.

    19

    Hiergegen legten für die Kläger zu 1) bis 5) Einspruch ein und wies darauf hin, dass die Begründung des Einspruchs durch die Prozessbevollmächtigte erfolgen werde (Schreiben vom 17.9.2015). Diese erhob erneut für die Kläger zu 2) bis 5) Einspruch (Schreiben vom 18.9.2015) und führte zur Einspruchsbegründung u. a. aus, der Ergänzungsbescheid sei nicht hinreichend bestimmt und damit unwirksam. Denn es sei nicht ersichtlich, inwieweit der Minderungsbetrag in dem verbliebenen Veräußerungsgewinn enthalten sein solle (Schreiben vom 2.10.2015).

    20

    Daraufhin stellte der Beklagte mit Schreiben vom 15.10.2015 fest, dass der Ergänzungsbescheid vom 18.8.2015 unwirksam sei. Am selben Tag erließ er einen neuen Ergänzungsbescheid, mit welchem der Beklagte feststellte, dass die Minderung auf einem in 2013 eingetretenen rückwirkenden Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruhe und auf die Kläger zu 2) bis 5) nach dem Beteiligungsverhältnis in Höhe des dort bezifferten Betrages aufzuteilen sei. Dieser Ergänzungsbescheid wurde der GmbH zugestellt. Der Beklagte informierte zudem die Prozessbevollmächtigte darüber, dass ein neuer Ergänzungsbescheid erlassen worden sei, und hob „den Rechtsschein, der mit dem Ergänzungsbescheid für 2008 vom 18.08.2015 … erzeugt wurde“, auf. Der Beklagte teilte außerdem mit, dass das Einspruchsverfahren mit dem neuen Bescheid fortgesetzt werde (Schreiben ebenfalls vom 15.10.2015).

    21

    Auch gegen diesen Bescheid wandte sich die Prozessbevollmächtigte und wandte mit Schreiben vom 17.11.2015 ein, dass die Voraussetzungen des Ergänzungsbescheides nach § 179 Abs. 3 AO nicht gegeben seien. Der Feststellungsbescheid vom 14.11.2014 sei nicht lückenhaft gewesen. Bei dem Versuch, den gemeinen Wert der eingebrachten Beteiligungen einvernehmlich zu ermitteln, sei bis zuletzt der Umfang der zu berücksichtigenden Unternehmensrisiken streitig geblieben. Die Beteiligten hätten sich schließlich vergleichsweise darauf geeinigt, vorläufige Feststellungsbescheide zu erlassen, um sich eine spätere Erhellung des Sachverhalts aus dem Schiedsverfahren zunutze machen zu können. Erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens seien sie in der Lage gewesen, das Tatbestandsmerkmal des gemeinen Wertes zum Einbringungsstichtag abschließend zu beurteilen. Es seien wertaufhellende Umstände bekannt geworden, die es den Beteiligten ermöglicht hätten, die zur Feststellung des gemeinen Wertes erforderlichen Prognoseentscheidungen mit größerer Genauigkeit zu treffen. Der Klägerin zu 1) sei durch das Schiedsurteil die Möglichkeit eröffnet worden, Entwicklungsrückstände zu belegen und auf eine entsprechende Korrektur des Feststellungsbescheides hinzuwirken. Im Übrigen sei die Änderung des Bescheides auf § 165 Abs. 2 AO gestützt worden.

    22

    Mit Einspruchsentscheidungen vom 30.11.2015 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung betreffend die Klägerin zu 1) („Einspruchsführerin“) wurde der GmbH zugestellt; die Einspruchsentscheidung betreffend die Kläger zu 2) bis 5) („Einspruchsführer“) der Prozessbevollmächtigten.

    23

    Der Beklagte war der Auffassung, dass der Einspruch insbesondere der Kläger zu 2) bis 5) zulässig sei, weil sie Ende 2008 aus der KG, der Klägerin zu 1), ausgeschieden seien. Der Einspruch sämtlicher Kläger sei jedoch nicht begründet. Der Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015, mit dem die Feststellung nachgeholt worden sei, dass die mit dem Feststellungsbescheid für 2008 vom 14.11.2014 erfolgte Minderung des Veräußerungsgewinns auf einem in 2013 eingetretenen rückwirkenden Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruhe, sei rechtmäßig.

    24

    Im vorliegenden Fall sei der Erlass des in Rede stehenden Ergänzungsbescheides erforderlich gewesen, weil der Feststellungsbescheid vom 14.11.2014 keinen Hinweis auf ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO enthalten habe, obwohl die Änderung auf einem derartigen Ereignis beruht habe und eine solche Feststellung notwendig sei.

    25

    Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintrete, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe. Das Ereignis müsse eingetreten sein, nachdem der zu ändernde Feststellungsbescheid erlassen worden sei. Die Vorschrift sei nicht anwendbar, wenn das Ereignis bereits beim Erlass des zu ändernden Bescheides hätte berücksichtigt werden können. Bei laufend veranlagten Steuern für laufende Geschäftsvorfälle sei dem Eintritt neuer Ereignisse regelmäßig keine Rückwirkung beizumessen. Etwas anderes gelte jedoch, wenn es sich um ein einmaliges, punktuelles Ereignis handele. So habe der Große Senat des BFH mit Beschluss vom 19.7.1993 GrS 1/92 entschieden, dass bei der Veräußerung eines Gewerbebetriebes die nachträgliche Änderung des Veräußerungspreises ein rückwirkendes Ereignis darstelle; die Änderung wirke materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück. Dasselbe gelte nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH auch hinsichtlich der für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns maßgebenden Höhe des Betriebsvermögens. Diese Rechtsprechung sei bei Tatbeständen des UmwStG entsprechend anzuwenden. Nachträglich eintretende Ereignisse, die derartige Geschäftsvorgänge rückwirkend mit steuerlicher Wirkung beeinflussten, eröffneten daher die Möglichkeit der Änderung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

    26

    Im vorliegenden Fall sei die Ermittlung des gemeinen Werts der eingebrachten Mitunternehmeranteile zum Einbringungszeitpunkt (31.12.2008) Gegenstand der Außenprüfung für 2008 bis 2010 gewesen. In deren Verlauf hätten sich der Prüfer und die Klägerin zu 1) darauf geeinigt, der Wertermittlung den Kaufpreis zugrunde zu legen, der bei der Veräußerung der gesamten Unternehmensgruppe im Jahr 2011 erzielt worden sei, „weil dieser Wert zwischen nicht verbundenen Personen zustande gekommen ist und somit den Marktwert darstellt“ (Anlage 1 der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015; Bl. 25 d. GA). Weiterhin habe Einigkeit darüber bestanden, dass dieser Wert über ein bestimmtes Rückrechnungssystem auf den gemeinen Wert im Zeitpunkt der Anlage fortzuschreiben gewesen sei. Damit habe für beide Parteien eindeutig festgestanden, dass die Bestimmung des gemeinen Wertes des eingebrachten Betriebsvermögens zum 31.12.2008 unmittelbar an den in 2011 erzielten Veräußerungspreis anknüpfe mit der Folge, dass eine spätere Änderung des Veräußerungspreises - wie bei der Änderung eines Veräußerungspreises nach § 16 Abs. 2 EStG - auf den Zeitpunkt der Einbringung zurückwirken müsse. Denn sowohl bei einem Veräußerungstatbestand nach § 16 Abs. 1 und 2 EStG als auch bei der hier vorliegenden Einbringung von Mitunternehmeranteilen mit anschließender Veräußerung nach § 22 Abs. 1 UmwStG handele es sich nicht um laufende Geschäftsvorfälle, sondern um einmalige, punktuelle Ereignisse. Hinzu komme, dass die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG auf § 16 Abs. 1 EStG ausdrücklich Bezug nehme.

    27

    Entgegen den Ausführungen der Kläger seien sich beide Parteien darüber bewusst gewesen, dass die Wertermittlung keine vorläufige Prognoseentscheidung habe sein sollen, sondern der Höhe nach ganz konkret unmittelbar mit dem in 2011 erzielten Veräußerungspreis verknüpft gewesen sei. Dem Bescheid sei ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt worden, um das damalige Einspruchsverfahren einvernehmlich zu beenden und auch nach außen zu dokumentieren, dass das Finanzamt bereit sei, eine spätere Kaufpreisminderung aufgrund des Schiedsverfahrens nachträglich zu berücksichtigen. Eine Aussage dahingehend, dass eine zukünftige Kaufpreisminderung kein rückwirkendes Ereignis darstelle, sei mit dem Vorläufigkeitsvermerk nicht verbunden gewesen.

    28

    Auch die Tatsache, dass das Finanzamt den Feststellungsbescheid am 14.11.2014 nach § 165 Abs. 2 AO geändert habe, sei rechtlich unerheblich. Da das Finanzamt den vorangegangenen Feststellungsbescheid in Bezug auf den Einbringungsgewinn für vorläufig erklärt habe, sei die diesbezügliche Änderung verfahrensrechtlich zwingend auf § 165 Abs. 2 AO zu gründen, weil diese Vorschrift [Änderungen] nach §§ 172 ff. AO vorgehe.

    29

    Hiergegen richtet sich die am 30.12.2015 erhobene Klage, mit welcher sich die – von der Prozessbevollmächtigten vertretenen - Kläger zu 1) bis 5) weiterhin gegen den Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015 wenden. Hierzu führen sie im Wesentlichen aus:

    30

    Der angefochtene Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 sei nichtig, weil er lediglich an die Firma adressiert und nur der GmbH zugestellt worden sei. Bei dieser GmbH handele es sich nicht um die persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin zu 1), sondern um die ausgelagerte Steuerabteilung, die nach dem Ausscheiden der Kläger zu 2) bis 5) aus der Klägerin zu 1) ausschließlich von der Klägerin zu 1) als Empfangsbevollmächtigter benannt worden sei.

    31

    Feststellungsbescheide nach § 180 AO seien nicht an die Gesellschaft, sondern an die von den Feststellungen betroffenen Gesellschafter zu adressieren, insbesondere dann, wenn diese Gesellschafter zwischenzeitlich aus der Gesellschaft ausgeschieden seien. Dies sei hier nicht geschehen. Adressierungsmängel könnten im Rahmen eines Einspruchsverfahrens nicht geheilt werden.

    32

    Darüber hinaus sei der Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 den von den Feststellungen betroffenen Gesellschaftern nicht wirksam bekannt gemacht worden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Gesellschafter mit Ausnahme eines Gesellschafters nicht im Inland ansässig seien. Zustellungen seien nicht an diese, sondern ausschließlich an die Empfangsbevollmächtigte der Klägerin zu 1) erfolgt.

    33

    Die Klägerin zu 1) sei zu keinem Zeitpunkt Empfangsbevollmächtigte der Kläger zu 2) bis 5) gewesen. Ausweislich der beigefügten Vollmachten (Anlagen 4 bis 6; Bl. 48 ff. d. GA) sei die Klägerin zu 1) lediglich berechtigt gewesen, Steuererstattungen entgegenzunehmen. Empfangsbevollmächtigte für die Kläger zu 2) bis 5) sei allein die Prozessbevollmächtigte gewesen. Allerdings habe die Prozessbevollmächtigte formlos alle Bescheide für sämtliche Kläger erhalten.

    34

    Darüber hinaus sei der angefochtene Ergänzungsbescheid materiell-rechtlich rechtswidrig. Ein rückwirkendes Ereignis sei nicht gegeben. Der Beklagte habe mit Feststellungsbescheid vom 14.11.2014 schlicht die bis dahin noch offene Veranlagung für 2008 endgültig abgeschlossen. Der Feststellungsbescheid sei daher nicht ergänzungsbedürftig gewesen.

    35

    Ob der Feststellungsbescheid vom 14.11.2014 eine Änderung wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses zum Gegenstand habe, lasse sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Gesamtumstände einschließlich der Vorgeschichte beurteilen. Von Anfang an seien sich die Kläger mit der Betriebsprüfung und dem Beklagten darin einig gewesen, dass es nicht möglich sei, die auf den Einbringungsstichtag anzusetzenden gemeinen Werte ohne Erstellung aufwändiger Bewertungsgutachten mit der für die Besteuerung erforderlichen Sicherheit zu bestimmen. Um dennoch zumindest zu einer vorläufigen Besteuerung zu gelangen, sei der Weg über § 165 AO gewählt worden.

    36

    Anders als im Fall eines rückwirkenden Ereignisses sei im vorliegenden Fall die Besteuerung von Anfang an wegen mangelnder Aufklärung des Sachverhalts rechtswidrig gewesen und sei nicht erst nachträglich durch den Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses rechtswidrig geworden. Angesichts unverhältnismäßigen Aufklärungsaufwandes sei das Besteuerungsverfahren zunächst nur teilweise durchgeführt worden, um es zu einem späteren Zeitpunkt unter günstigeren Bedingungen zum Abschluss zu bringen.

    37

    Die Vereinbarung eines rückwirkenden Ereignisses, was auf eine Besteuerung unter Vorbehalt hinausliefe, kenne das Gesetz nur in den Fällen der §§ 164, 165 AO. Es stehe weder [im Belieben] der Finanzverwaltung noch der Steuerpflichtigen, neue Besteuerungstatbestände aufzustellen. Hier sei die Veranlagung lediglich nach § 165 AO erfolgt.

    38

    Die Entscheidung im Rahmen des Schiedsverfahrens habe hier keine rückwirkende steuerliche Bedeutung für die Besteuerung nach § 22 UmwStG gehabt. Bei der Besteuerung des Nachsteuergewinn 2008 und des Veräußerungsgewinns 2011 sei es um völlig unterschiedliche und selbstständige Besteuerungssachverhalte gegangen. Der Schiedsspruch sei allenfalls der Anlass für Kläger und Beklagte gewesen, nunmehr ausgerüstet mit den zusätzlichen Informationen über die Unternehmensgruppe, im Rahmen der Möglichkeiten nach § 165 AO das Besteuerungsverfahren wieder aufzunehmen und zum Abschluss zu bringen. Welche Seite den größeren Nutzen aus den in der Zwischenzeit gewonnenen wertaufhellenden Tatsachen würde ziehen können, habe sich erst noch herausstellen müssen. Letztlich habe man sich mit der Betriebsprüfung einvernehmlich und endgültig auf den zugrunde zu legenden Besteuerungssachverhalt verständigt.

    39

    Die Kläger beantragen,

    40

    die Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 30.11.2015 aufzuheben;

    41

    hilfsweise,

    42

    die Revision zuzulassen.

    43

    Der Beklagte beantragt,

    44

    die Klage abzuweisen;

    45

    hilfsweise,

    46

    die Revision zuzulassen.

    47

    Er ist der Auffassung, der angefochtene Ergänzungsbescheid sei wirksam. Selbst wenn dessen Bekanntgabe nicht wirksam gewesen wäre, so wäre dieser Mangel mit der unstreitig erfolgten Weiterleitung des angefochtenen Bescheides an die Prozessbevollmächtigte als Zustellung- und Empfangsbevollmächtigte geheilt worden. Der Vortrag, die Kläger zu 2) bis 5) seien seitens des Finanzamts nicht in das Verfahren einbezogen worden, sei unzutreffend. Sowohl im Ergänzungsbescheid als auch im Rubrum der an die Prozessbevollmächtigte bekannt gegebenen Ausfertigung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2015 seien sie ausdrücklich als Verfahrensbeteiligte und Einspruchsführer benannt. Spätestens mit dieser Einspruchsentscheidung seien etwaige Bekanntgabemängel endgültig geheilt worden, während die Festsetzungsfrist erst am 31.12.2015 geendet habe.

    48

    Darüber hinaus seien die Voraussetzungen für ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt. Der Prüfer habe sich mit den Vertretern der Kläger darauf geeinigt, dass der bei der Ermittlung des Einbringungsgewinns nach § 22 Abs. 1 UmwStG anzusetzende gemeine Wert im Einbringungszeitpunkt nach einem bestimmten Rückrechnungssystem unter Zugrundelegung desjenigen Kaufpreises habe erfolgen sollen, der bei der Veräußerung der gesamten Unternehmensgruppe im Jahr 2011 erzielt worden sei. Daraus habe sich - so auch der steuerliche Berater in seinem Schreiben vom 2.11.2012 - die unmittelbare Konsequenz ergeben, dass der zunächst ermittelte Einbringungsgewinn zu mindern gewesen sei, wenn sich die geltend gemachten Ansprüche der Erwerberin auf Minderung des Kaufpreises nachträglich als berechtigt herausstellen sollten. Genau dieser Umstand, nämlich eine nachträgliche Minderung des Kaufpreises, sei dann aufgrund des Beschlusses der Schiedskommission vom 19.9.2013 auch tatsächlich eingetreten, weshalb der Einbringungsgewinn rückwirkend herabzusetzen gewesen sei.

    49

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

    50

    E n t s c h e I d u n g s g r ü n d e

    51

    I.

    52

    Das Klagebegehren ist dahin auszulegen, dass die Kläger ausschließlich eine Anfechtungsklage erheben wollten. Mit der Anfechtungsklage kann auch ein nichtiger und nicht wirksam bekannt gegebener Verwaltungsakt angefochten werden (z. B. Levedag in Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung -FGO-, 8. Aufl., § 40 Rz. 13). Denn auch ein solcher Verwaltungsakt erzeugt als Äußerung einer mit staatlicher Autorität ausgestatteten Behörde den Anschein der Rechtswirksamkeit, sodass der Betroffene aus praktischen Gründen nicht ohne Rechtsschutz bleiben darf. Sein Interesse daran, auch die Rechtsscheinwirkung des (unwirksamen) Bescheides zu beseitigen, ist schutzwürdig (Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 10.7.1997, V R 56/95, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen -BFH/NV- 1998, 232; vom 5.10.1994, I R 31/93, BFH/NV 1995, 576). Einen solchen Antrag haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellt. Die Klage ist innerhalb der Klagefrist erhoben worden.

    53

    II.

    54

    Die Klage ist begründet.

    55

    Der angefochtene Ergänzungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    56

    1. Der Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 ist gegenüber allen Klägern wirksam. Denn alle Adressaten sind zutreffend bezeichnet und der Bescheid ist gegenüber allen Beteiligten bekanntgegeben worden.

    57

    a) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs.1 AO). Ein besonders schwerwiegender Fehler kann vorliegen, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs.1 AO). Zur inhaltlichen Bestimmtheit gehört, dass der Verwaltungsakt klar erkennen lässt, gegen wen er sich richtet (vgl. §§ 122 Abs. 1 Satz 1, 124 AO). So sind bei einem Bescheid über die einheitliche Feststellung des Gewinns einer Personengesellschaft Inhaltsadressaten deren Gesellschafter, wenn diese als Mitunternehmer anzusehen sind. In einem solchen Fall ist es nicht notwendig, dass alle Gesellschafter (als Adressaten) im Anschriftenfeld des Bescheids aufgeführt werden. Es genügt in der Regel, wenn im Anschriftenfeld die Personengesellschaft als solche bezeichnet wird (Sammelbezeichnung) und sich alle Gesellschafter eindeutig als Adressaten aus dem Bescheid ergeben (BFH-Urteile vom 7.4.1987 VIII R 259/84, BStBl II 1987, 766; vom 26.9.1974 IV R 24/71, BStBl II 1975, 311).

    58

    Hier sind die Inhaltsadressaten, und zwar die Feststellungsbeteiligten, die Kläger zu 2) bis 5), im Ergänzungsbescheid hinreichend bestimmt. Sie sind namentlich genannt. Der „auf dem rückwirkenden Ereignis beruhende Minderungsbetrag“ ist entsprechend dem Beteiligungsverhältnis auf sie aufgeteilt. Auch die Einspruchsentscheidung ist ausdrücklich (unter Angabe des Namens und der Anschrift) an die Kläger zu 2) bis 5) als Einspruchsführer gerichtet.

    59

    b) Darüber hinaus liegt eine wirksame Bekanntgabe an die Kläger vor.

    60

    Der Ergänzungsbescheid vom 15.10.2015 ist zwar – wie auch schon der Abhilfebescheid vom 14.11.2014 – der GmbH bekannt gegeben worden. Hier kann aber offenbleiben, ob diese Gesellschaft für die Kläger zu 2) bis 5) Empfangsvollmacht hatte. Denn ein Bekanntgabemangel wäre durch die Weiterleitung an die von den Klägern bevollmächtigte steuerliche Beraterin, die Prozessbevollmächtigte, geheilt worden (vgl. z.B. Ratschow in Klein, Kommentar zur AO, 13. Aufl., § 122 Rz. 48; Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 122 AO Rz. 10; jeweils m.w.N.). Der Vertreter der Prozessbevollmächtigten hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, formlos alle Bescheide für sämtliche Kläger erhalten zu haben.

    61

    Hiervon abgesehen wäre der Bekanntgabemangel auch durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe der an die Kläger zu 2) bis 5) gerichteten Einspruchsentscheidung an die Prozessbevollmächtigte geheilt worden (vgl. Güroff in Beermann/Gosch, Kommentar zur AO und FGO, § 122 AO Rz. 31). Umstände, welche eine Heilung ausschließen könnten, sind hier nicht ersichtlich.

    62

    2. Der wirksame Ergänzungsbescheid durfte jedoch nicht nach § 179 Abs. 3 AO erlassen werden und war daher aufzuheben.

    63

    Nach dieser Vorschrift ist, soweit in einem Feststellungsbescheid eine notwendige Feststellung unterblieben ist, diese in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen. Der Bescheid muss insoweit lückenhaft sein.

    64

    Eine solche Lücke liegt vor, wenn die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis i. S. von § 233a Abs. 2a AO beruht, im Feststellungsverfahren unterbleiben ist (BFH-Urteile vom 19.3.2009 IV R 20/08, BStBl II 2010, 528; vom 11.7.2013 IV R 9/12, BStBl II 2014, 609).

    65

    Im Streitfall war keine ergänzende Feststellung erforderlich. Denn die Änderung des Feststellungsbescheides vom 3.12.2012 mit Bescheid vom 14.11.2014 beruht nicht auf einem rückwirkenden Ereignis.

    66

    Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuhebenoder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, dass steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Diese Tatbestandsvoraussetzung ist hier nicht erfüllt.

    67

    a) Das Ereignis muss nachträglich, d. h. nach Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheides eingetreten sein und darf – im Gegensatz zu § 173 AO – zur Zeit des Erlasses des Bescheides noch nicht bestanden haben. Das nachträgliche Ereignis muss außerdem zu einer Änderung des Sachverhalts führen, der beim Erlass des Bescheides der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, also den Sachverhalt verändern. Ein rückwirkendes Ereignis liegt hiernach vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.7.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 6.7.1999 VIII R 17/97, BStBl II 2000, 306; Thüringer FG, Urteil vom 27.10.2015 2 K 782/14, Revision eingelegt, Az. beim BFH: II R 60/15, Entscheidungen der FG -EFG- 2016, 693).

    68

    Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen allerdings nicht vor, wenn das Finanzamt lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt, oder wenn es den Sachverhalt lediglich anders würdigt. Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (BFH-Urteile vom 27.1.2011 III R 90/07, BStBl II 2011, 543; vom 4.5.2006 VI R 17/03, BStBl II 2006, 830; FG Münster, Urteil vom 15.4.2015 13 K 2939/12 E, EFG 2015, 1242; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.6.2012 8 K 3603/11, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst -DStRE- 2013, 441).

    69

    Grundsätzlich haben steuerlich relevante Ereignisse keine solche Rückwirkung. Wenn das Finanzamt bei der Steuerfestsetzung einen falschen Sachverhalt angenommen hat oder sich nur unsicher ist, wie der ihn vorliegende Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht zu beurteilen ist, kann es eine spätere Änderung nicht auf § 175 AO stützen, sondern muss vorläufig i. S. des § 165 AO veranlagen. Indiz- und Hilfstatsachen kommt keine steuerrechtliche Rückwirkung zu; sie vermitteln rein tatsächlich Erkenntnisse über (Haupt-) Tatsachen. Auch später eintretende Ereignisse, die früher gegebene Tatsachen erkennbar machen, sind nicht als rückwirkende Ereignisse i. S. des § 175 AO zu bewerten (Rüsken in Klein, Kommentar zur AO, 13. Aufl., § 175 Rz. 51).

    70

    b) Hier ist – hinsichtlich der Höhe des Einbringungsgewinns - kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gegeben. Der Umstand, dass der Kaufpreis für die einbringungsgeborenen Anteile nachträglich reduziert wurde, stellt kein solches Ereignis für die Ermittlung des gemeinen Wertes des eingebrachten Betriebsvermögens zum Zeitpunkt der Einbringung dar.

    71

    Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 bis 3 UmwStG ist, soweit in den Fällen einer Sacheinlage unter dem gemeinen Wert der Einbringende die erhaltenen Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert, der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden i. S. von § 16 EStG zu versteuern (Einbringungsgewinn I). Die Veräußerung der erhaltenen Anteile gilt insoweit als rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Einbringungsgewinn I ist der Betrag, um den der gemeine Wert des eingebrachten Betriebsvermögens im Einbringungszeitpunkt nach Abzug der Kosten für den Vermögensübergang den Wert, mit dem die übernehmende Gesellschaft dieses eingebrachte Betriebsvermögen angesetzt hat, übersteigt, vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr.

    72

    Nach dieser Vorschrift ist lediglich die Veräußerung der erhaltenen Anteile im Jahr 2011 als rückwirkendes Ereignis zu beurteilen und der Gewinn aus der Einbringung ist rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden i. S. des § 16 EStG zu versteuern. Nur die Tatsache der Veräußerung und nicht auch die Höhe des Veräußerungserlöses gehören zum materiell-rechtlichen Tatbestand des § 22 Abs. 1 UmwStG. Für die Ermittlung des Einbringungsgewinns ist vielmehr der gemeine Wert des eingebrachten Betriebsvermögens im Einbringungszeitpunkt zugrunde zu legen. Im Gegensatz zu § 16 Abs. 2 EStG (n„Veräußerungspreis“) ist also eine materiell-rechtliche Verknüpfung mit der Höhe des erzielten Veräußerungserlöses gesetzlich nicht vorgesehen.

    73

    Zudem hat sich der vom Beklagten bei der Bewertung des Einbringungsgewinns nach § 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG zugrunde gelegte Sachverhalt nicht nachträglich geändert. Die Kaufpreisminderung hat weitere Überprüfungen des anzusetzenden Wertes erforderlich gemacht und nur bewirkt, dass das Finanzamt den Einbringungsgewinn zum 31.12.2008 letztlich steuerrechtlich anders beurteilt hat. Angesichts des Schiedsspruchs wurden die von der Klägerseite vorgebrachten Umstände für eine geringere Bewertung des gemeinen Werts der Anteile von der Betriebsprüfung berücksichtigt. Der gemeine Wert zum Zeitpunkt der Einbringung blieb unverändert; der zutreffende Wert ist nur verdeutlicht worden.

    74

    c) Ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist auch nicht aus anderen Gründen anzunehmen.

    75

    Zwar kann auch die Vorlage einer Bescheinigung oder Urkunde ein rückwirkendes Ereignis i. S. dieser Vorschrift sein, nämlich dann, wenn sie ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal bildet. Dagegen sind Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, auch dann kein rückwirkendes Ereignis, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können (BFH-Urteil vom 6.3.2003 XI R 13/02, BStBl II 2003, 554; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.6.2012 8 K 3603/11, DStRE 2013, 441).

    76

    Die Reduzierung des Gesamtkaufpreises durch Schiedsspruch diente hier zum Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes im Zeitpunkt der Einbringung zum 31.12.2008. Da die Höhe des Veräußerungserlöses keinen Eingang in § 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG gefunden hat, sind die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gegeben.

    77

    Darüber hinaus kann auch die Verständigung zwischen den Beteiligten hinsichtlich der vereinbarten Bewertungsmethode bzw. des Kaufpreises als Ausgangsgröße für die Bewertung kein rückwirkendes Ereignis begründen. Denn auch sie diente lediglich der zutreffenden Ermittlung des gemeinen Wertes zum 31.12.2008, der sich nicht nachträglich geändert hat. Durch eine tatsächliche Verständigung wird lediglich eine Einigung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen des unveränderten Sachverhalts getroffen. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht anwendbar, wenn aufgrund steuerlich relevanter Ereignisse nur andere – nunmehr zutreffende - Folgerungen aus dem Sachverhalt gezogen werden (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.6.2002 V 131/01, EFG 2002, 1420; Frotscher in Schwarz/Pahlke, Kommentar zur AO und FGO, § 175 AO Rz. 37b).

    78

    III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    79

    IV. Die Revision war im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof anhängige Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen II R 60/15 wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). In diesem Verfahren ist u. a. streitig, ob die Herabsetzung eines (nach dem Bewertungsgesetz zu bestimmenden) Grundbesitzwerts aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses verlangt werden kann, wenn der nachfolgende Grundstücksverkauf zu einem geringeren Kaufpreis führt.