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  • 08.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223377

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 18.03.2021 – 9 K 1660/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Hessisches Finanzgericht
    9. Der Senat

    18.03.2021


    Tenor

    Die Klage wird abgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind des Klägers, A, geboren am 27.02.2003.

    Der Kläger erhielt zunächst Kindergeld für das Kind A sowie seine beiden weiteren Kinder B und C, geboren am 21.10.2006 bzw. am 19.03.2009. In den jeweiligen Kindergeldanträgen gab der Kläger als gemeinsamen Haushalt jeweils Adressen in D/Hessen an.

    Nach einem Abgleich der Meldedaten erfuhr die beklagte Familienkasse --Familienkasse-- im Jahr 2018, dass die drei Kinder des Klägers bereits in den Jahren 2015 bzw. 2016 in die Türkei verzogen seien. Auf Nachfrage der Familienkasse Bayern Süd, auf die der Fall vorübergehend übergegangen war, teilte der Kläger im Juni 2018 mit, dass seine Kinder seit ca. 2 Jahren eine schulische Ausbildung in der Türkei absolvierten. Sie hielten sich mindestens drei Monate im Jahr in Deutschland auf (vgl. Bl. 30 der Kindergeldakten).

    Mit Bescheid vom 31.07.2018 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für die beiden Kinder A und C ab dem Monat Juni 2018 auf (vgl. Bl. 38 der Kindergeldakten). Die Kinder könnten nicht mehr berücksichtigt werden, da sie weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder der EU bzw. dem EWR hätten.

    Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine jetzige Prozessbevollmächtigte, Einspruch ein. Nachdem keine fristgemäße Begründung einging, wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.10.2018 als unbegründet zurückgewiesen.

    Der Kläger hat am 26.11.2018 Klage erhoben. Er trägt vor, dass das Kind A eine Schule in D/Hessen bis zum Ende der 5. Klasse besucht habe. Seit Sommer 2015 besuche sie eine Schule in der Türkei; der Schulbesuch ende voraussichtlich im Jahr 2021. Das Kind C habe eine Schule in D/Hessen bis zum Ende des 2. Schuljahres besucht; seit September 2016 besuche sie dieselbe Schule wie ihre Schwester in der Türkei. Der Schulbesuch ende voraussichtlich im Jahr 2022. Während des Schulbesuchs lebten die Kinder in einer Wohnung in der Türkei und würden dort von ihrer Mutter, der Ehefrau des Klägers, betreut. In nahezu der gesamten Ferienzeit, die zusammengenommen rund ein Vierteljahr pro Jahr ausmache, lebten die Kinder hingegen im Haushalt ihrer Eltern in D/Hessen. Dies ‒ und der Umstand, dass aufgrund der Betreuung durch die Mutter in der Türkei eine weiterhin enge Bindung zu den Eltern bestehe ‒ reiche aus, um weiterhin einen Wohnsitz der Kinder in Deutschland annehmen zu können. Das Kind A sei zwar in den Sommerferien im Jahr 2016 ausnahmsweise nicht nach D/Hessen zurückgekehrt, weil sich in diesem Zeitraum ihre Eltern mit ihrer Schwester C ebenfalls in der Türkei aufgehalten hätten, um die dortige Einschulung von C vorzubereiten. Hierin sei jedoch keine Aufgabe von As deutschem Wohnsitz zu sehen.

    Der Kläger beantragt,

    Ziffer 1 des Bescheides der Beklagten vom 31.07.2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.10.2018 aufzuheben,

    hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides vom 31.07.2018 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23.10.2018 zu verpflichten, dem Kläger für das Kind A über den Monat Juni 2018 hinaus Kindergeld zu gewähren,

    die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

    Die Familienkasse beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Hinsichtlich des Kindes A ist die Familienkasse der Ansicht, dass die Tatsache, dass das Kind im Jahr 2016 während den Ferien sich nicht in D/Hessen aufgehalten habe, sondern in der Türkei verblieben ist, zur Aufgabe des inländischen Wohnsitzes geführt habe. Bezüglich des Kindes C hat die Familienkasse der Klage hingegen abgeholfen. Das Verfahren ist insoweit für erledigt erklärt und abgetrennt worden.

    Termin zur mündlichen Verhandlung hat am 18.03.2021 stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

    Dem Senat hat ein Band Kindergeldakten vorgelegen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung --FGO--. Das Kind A kann kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt werden.

    Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 6 Einkommensteuergesetz --EStG-- werden im Kindergeldrecht Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, nicht berücksichtigt.

    Das Kind A hatte im Streitzeitraum keinen Wohnsitz in Deutschland.

    Einen Wohnsitz hat jemand gemäß § 8 Abgabenordnung --AO-- dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

    Zur Beurteilung des Wohnsitzes von Kindern führt der für das Kindergeldrecht zuständige III. Senat des BFH aus:

    „Die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland zu Ausbildungszwecken aufhält, seinen inländischen Wohnsitz bei den Eltern beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet unter Berücksichtigung der objektiven Umstände des jeweiligen Falles. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umstände müssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits, kommt auch der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu.“ (vgl. BFH-Urteil vom 25.09.2014 - III R 10/14, BStBl. II 2015, 655).

    Diese Betonung des Einzelfalls in der Rechtsprechung des III. Senats führt dazu, dass unterschiedliche tatsächliche Würdigungen durch verschiedene Finanzgerichte --FG-- bei vergleichbaren Sachverhalten möglich sind (so ausdrücklich das Senatsmitglied Selder, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, Stand Mai 2020, § 63 EStG Rn. 26). Wie jedoch der Umstand zu würdigen ist, dass ein Elternteil zusammen mit dem Kind ins Ausland verzieht und es dort während der Schulzeit betreut, während der andere Elternteil in Deutschland verbleibt, ist in der Rechtsprechung des III. Senats selbst nicht widerspruchsfrei geklärt. So hat der III. Senat in einem Beschluss vom 18.03.2019 - III B 70/18 (unveröffentlicht) festgehalten, dass das FG zu Recht den Umstand berücksichtigt habe, dass die Kinder zusammen mit ihrer Mutter in der Türkei lebten, „sodass die Verwurzelung im Ausland weitaus stärker war“, während er mit Urteil vom 25.07.2019 - III R 46/18, BFH/NV 2020, 208 zu der Auffassung gelangt, dass der mehrjährige Schulbesuch im Ausland unter Anwesenheit eines Elternteils der Kinder gerade nicht dazu führe, dass sich die Kinder längerfristig in die dortigen Lebensverhältnisse einlebten und damit die familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern für die Dauer der Ausbildung aufgegeben werde. In Bezug auf das letztgenannte Urteil gibt es unterschiedliche Ansichten, ob der III. Senat damit eine neue Leitlinie vorgeben will (so FG Münster, Urteil vom 27.04.2020 - 8 K 7/20 Kg, juris; vgl. auch Selder, a.a.O.: „Damit ist die frühere, restriktivere Rspr. zu minderjährigen Kindern z. T. überholt“; a.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.06.2020 - 7 K 7013/18, juris: BFH-Entscheidung als „Ausnahmefall“).

    Im Ergebnis kann aber dahinstehen, ob der Umstand, dass ein Elternteil sich zusammen mit dem Kind ins Ausland begibt, für oder gegen die Beibehaltung eines Inlandswohnsitzes des Kindes spricht. Selbst wenn man die Begleitung des Kindes A durch ihre Mutter in der Türkei als Indiz für die Beibehaltung des Wohnsitzes in Deutschland ansähe, sprechen andere Indizien für die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes, welche bei der gebotenen Gesamtschau überwiegen:

    Das Kind besucht seit Sommer 2015 die Schule in der Türkei. Der Schulbesuch endet voraussichtlich im Jahr 2021. Es handelt sich folglich um eine erhebliche Zeitspanne von sechs Jahren, die aufgrund ihrer Länge gegen die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes spricht. Weiterhin gegen die Beibehaltung spricht, dass sich das Kind nach dem Umzug in die Türkei im Sommer 2015 nach eigener Auskunft der Klägerseite erst wieder im Sommer 2017, folglich erst nach zwei Jahren, in Deutschland aufhielt (vgl. Bl. 138 der Gerichtsakte). Die Klägerseite hat dies damit begründet, dass im Sommer 2016 das weitere Kind C von dem Kläger in die Türkei gebracht worden sei und das Kind A die Sommerferien deshalb ausnahmsweise nicht in D/Hessen verbracht habe. Dies erklärt allerdings nicht, wieso das Kind A die jeweiligen Halbjahresferien Anfang 2016 und Anfang 2017 nicht in D/Hessen verbracht hat. Darüber hinaus spricht gegen einen inländischen Wohnsitz, dass von Klägerseite in keiner Weise dargelegt wurde, inwieweit das Kind noch über soziale Kontakte (Freunde etc.) in D/Hessen verfügt. Eine soziale Verwurzelung des Kindes im Inland ist deshalb nicht ersichtlich. Auch das von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ziel der Schulausbildung in der Türkei, nämlich einen besseren Abschluss als es in Deutschland möglich wäre zu erreichen, spricht nach Auffassung des Senats für eine Verwurzelung in der Türkei, da naturgemäß mit einem türkischen Schulabschluss die weitere (berufliche) Ausbildung in der Türkei leichter durchführbar ist als in Deutschland.

    Im Übrigen ist auch ein gewöhnlicher Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland weder dargetan noch ersichtlich.

    Da der Kläger nach Auskunft seiner Prozessbevollmächtigten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Klagebegründung vom 14.05.2019, Bl. 57 Gerichtsakte), scheidet schließlich auch ein Anspruch auf Abkommenskindergeld nach dem deutsch-türkischen Sozialabkommen aus (vgl. BFH-Urteil vom 27.09.2012 ‒ III R 55/10, BStBl. II 2014, 473).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 63 EStG

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