· Fachbeitrag · § 19 EStG
Steuerfreistellung des niederländischen Arbeitslohns bei Anwendung der niederländischen 30 %-Regelung
Der für eine Tätigkeit im Königreich der Niederlande gezahlte Arbeitslohn eines in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Arbeitnehmers ist auch insoweit nach Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, als der Arbeitnehmer den Arbeitslohn aufgrund der sogenannten 30 %-Regelung steuerfrei erhalten hat. |
Hintergrund
Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbstständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat (vorliegend Deutschland) besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt (vorliegend Niederlande). Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat (vorliegend in den Niederlanden) besteuert werden.
Danach steht das Besteuerungsrecht betreffend die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus unselbstständiger Arbeit nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 neben Deutschland auch den Niederlanden insoweit zu, als der Steuerpflichtige seine Tätigkeit dort (im Streitfall an 157 von 237Arbeitstagen) ausgeübt hat.
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 bei einer in Deutschland ansässigen Person die niederländischen Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen und insoweit lediglich in den Progressionsvorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA-Niederlande 2012/2016 i. V. m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG einbezogen. Dies allerdings nur dann, wenn diese Einkünfte tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und wie im Streitfall nicht unter Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA-Niederlande 2012/2016 fallen.
Eine tatsächliche Besteuerung im anderen Vertragsstaat liegt vor, wenn dieser die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Eine Steuer(zahl)last muss hierdurch nicht entstehen. Deshalb liegt eine tatsächliche Besteuerung auch vor, soweit sich die Einkünfte steuerlich nicht auswirken, weil z. B. Freibeträge gewährt oder Verluste verrechnet werden. Entsprechendes gilt, wenn ausländische Vorschriften zur Einkünfteermittlung oder die steuerfreie Erstattung von Aufwendungen wie eine partielle Nichtbesteuerung wirken.
Hingegen fehlt es an einer tatsächlichen Besteuerung i. S. d. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 u. a., falls Einkünfte in den Niederlanden aufgrund einer sachlichen oder persönlichen Steuerbefreiung nicht besteuert werden oder dort eine Besteuerung nicht durchgeführt wurde.
Von einer tatsächlichen Nichtbesteuerung im Anwendungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens ist grundsätzlich auszugehen, soweit der Staat, dem das Besteuerungsrecht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (auch) zugewiesen ist (hier die Niederlande), nach nationalem Recht Einkünfte nicht besteuern kann, insbesondere weil diese nicht steuerbar beziehungsweise sachlich steuerbefreit sind oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist, oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt, beispielsweise aufgrund Verzichts durch Erlass der Steuer oder durch Unkenntnis der durch den Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte.
Sachverhalt
Im Streitfall war der niederländische Arbeitslohn des Steuerpflichtigen nach niederländischem Recht, soweit den Niederlanden das Besteuerungsrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. und Satz 2 DBA-Niederlande 2012/2016 zustand, i. S. v. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 in den Niederlanden in vollem Umfang tatsächlich besteuert worden. Dies gilt auch, soweit er seinen niederländischen Arbeitslohn aufgrund der 30 %-Regelung steuerfrei erhalten hat.
Entscheidung
Die 30 %-Regelung gründet auf der Annahme, dass Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder wie im Streitfall täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, zusätzliche Kosten entstehen, weil die Lebenshaltungskosten in den Niederlanden höher als im Heimatland sind. Soweit es sich hierbei um sogenannte extraterritoriale Kosten handelt, kann der Arbeitgeber diese Mehrkosten dem Arbeitnehmer entweder gegen Einzelnachweis steuerfrei erstatten oder wie im Streitfall stattdessen ohne Nachweis pauschal abgelten und 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszahlen. Damit handelt es sich bei der 30 %-Regelung jedoch nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern nach dem insoweit maßgeblichen niederländischen Recht um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Von einer Nichtbesteuerung i. S. v. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 kann aufgrund einer solchen aufwandsentlastenden Steuerfreistellung wie bei Freibeträgen und steuermindernden Vorschriften im Rahmen der Einkommensermittlung daher keine Rede sein.
Der in den Niederlanden nach Anwendung der 30 %-Regelung von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns war daher bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage nicht, sondern nur beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.
Fundstelle
- BFH 10.4.25, VI R 29/22, iww.de/astw, Abruf-Nr. 248917