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  • · Fachbeitrag · Sozialrecht

    Gutachten nach § 109 SGG: Vorsicht, begrenztes Antragsrecht

    | Vor dem Sozialgericht kann ein Anwalt nicht beliebig oft beantragen, dass sein Mandant gem. § 109 SGG medizinisch begutachtet wird. Wird der Mandant vom Gutachter aktuell behandelt, kann schnell dessen Objektivität angezweifelt sein. Dann drohen Prozessnachteile (LSG Baden-Württemberg, 14.3.18, L 5 R 1863/17, Abruf-Nr. 200913 ). |

     

    1. Medizinisches Gutachten nach § 109 SGG

    Es kann schnell notwendig sein, dass ein Anwalt ein medizinisches Gutachten nach § 109 SGG beantragen muss, beispielsweise, wenn die Folgen eines Arbeitsunfalls genauer festgestellt werden sollen. Geht es um dieselbe medizinische Frage, besteht das Recht nach § 109 SGG aber grundsätzlich nur einmal in den beiden Tatsacheninstanzen, betont das LSG (vgl. BSG 17.3.10, B 3 P 33/09 B). Es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht solchen Anträgen nicht beliebig oft nachkommen muss (BSG 15.4.91, 5 RJ 32/90). Der Ablauf des Verfahrens stellte sich hier wie folgt dar:

     

     

    PRAXISTIPP | Das LSG hat hier klar darauf hingewiesen, dass der Beweiswert eines Gutachtens beeinträchtigt ist, wenn dessen Ergebnisse auf vorherigen Behandlungen beruhen und der Gutachter auf diese Gefahr auch deutlich hinweist. Sie müssen daher bei der Gutachterwahl aufpassen, da Mandanten häufig von ihren behandelnden, vertrauten Ärzten untersucht werden wollen. Sie müssen dann erklären, dass ein wertloses Gutachten droht und der Weg für ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG „versperrt“ ist ‒ Dies vor dem wichtigen Hintergrund, dass die Kosten für ein Gutachten nach § 109 SGG grundsätzlich von dem Mandanten bzw. Kläger selbst zu tragen sind.

     

    2. Gutachten ist nicht gleich Gutachten

    Viele Bevollmächtigte haben selten mit sozialrechtlichen Mandaten zu tun. Sie kennen daher die zwei verschiedenen Gutachtenarten nicht:

     

    • Grundsätzlich muss das Sozialgericht von sich aus den Sachverhalt aufklären (Amtsermittlungsgrundsatz). Das heißt: Wird eine Leistung eingeklagt (i. d. R. Renten), ist meist auch der Gesundheitszustand des Klägers festzustellen. Hierzu zählen körperliche oder psychische Erkrankungen und inwieweit der Kläger noch arbeiten kann. Das Gericht zieht medizinische Unterlagen bei und kann auch begutachten lassen (§ 106 SGG). Es bestimmt dabei die jeweiligen Gutachter selbst. Diese Gutachten sind für den Kläger grundsätzlich kostenfrei.

     

    • Oft sind aber Kläger und/oder Anwalt der Ansicht, dass bestimmte Erkrankungen nicht ausreichend genug aufgeklärt bzw. nicht entsprechend gewürdigt wurden. Dann hat der Kläger die Möglichkeit, selbst seine Begutachtung zu beantragen (§ 109 SGG). Er darf dann zwar auch die Gutachter und das medizinische Fachgebiet selbst auswählen. Allerdings muss er die Gutachterkosten selbst tragen.
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    • Beachten Sie | Ist eine Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig, muss sie für das Gutachten eine gesonderte Deckungszusage erteilen. Hierfür ist eine zusätzliche Rechtsschutzanfrage erforderlich.

     

    3. Wann die Kosten des 109er-Gutachtens doch übernommen werden

    Die Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG sind von der Landeskasse zu übernehmen, wenn dies die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts objektiv wesentlich gefördert hat und dadurch bedeutend war für eine gerichtliche Entscheidung oder eine anderweitige Erledigung des Rechtsstreits (zuletzt LSG NRW 20.6.17, L 18 R 677/15 B). Das kann auch der Fall sein, wenn der Kläger unterliegt. Hier müssen Sie als Anwalt jedoch aktiv werden und die Kostenübernahme auch beantragen.

     

    PRAXISTIPP | Sie müssen ein 109er-Gutachten zwingend stets bei Gericht beantragen. Denn nur das Gericht kann einen Gutachter durch Beweisanordnung beauftragen. Und das gilt auch, wenn es anschließend notwendig sein sollte, den Gutachter ergänzend zu befragen (= ergänzende Stellungnahme). Sie dürfen keinesfalls den Sachverständigen direkt anschreiben bzw. um eine Ergänzung bitten. Eine direkte Kontaktaufnahme ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 404a Abs. 4 ZPO zulässig. Dies gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Sie würden Ihren Mandanten sonst von vorneherein um die Antragsmöglichkeit bringen, die Kosten für diese ergänzende Stellungnahme von der Landeskasse übernehmen zu lassen (LSG Baden-Württemberg 7.7.17, L 6 SB 4350/15, Abruf-Nr. 197317).

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Privatgutachten auch zu erstatten, wenn es nicht vorgelegt wurde, AK 13, 76
    • Anwendung von § 531 ZPO auf nicht erhobene Beweise, AK 18, 38
    Quelle: Ausgabe 06 / 2018 | Seite 100 | ID 45240834