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  • 22.04.2025 · IWW-Abrufnummer 247717

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 10.04.2025 – 2 Sa 8/25

    1. Ein auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt", "Computer-Absturz", "Totalabsturz" der Kanzlei-EDV oder "Internetausfall" gestützter Wiedereinsetzungsantrag verlangt zwingend nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung, um die Möglichkeit auszuschließen, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihren Prozessbevollmächtigten verschuldet war.

    2. Ein Rechtsanwalt muss bei Ausfall "nur" seiner Kanzleisoftware zunächst auf die beA-Webanwendung zurückgreifen und eine Übermittlung als elektronisches Dokument hierüber versuchen (offengelassen, ob auch die beA-App auf dem mobilen Endgerät des Rechtsanwalts vorrangig zu nutzen ist).

    3. Scheitert die Übermittlung als elektronisches Dokument, muss des Weiteren grundsätzlich der Versuch einer Ersatzeinreichung nach § 46g Satz 3 ArbGG unternommen werden. Die (fristwahrende) Ersatzeinreichung geht dem Wiedereinsetzungsantrag (bei Fristversäumung) vor. Die Versäumung einer Notfrist erfolgt in aller Regel schuldhaft, wenn von zumutbaren Möglichkeiten einer Ersatzeinreichung kein Gebrauch gemacht wird.

    4. Eine nach § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG übermittelte eidesstattliche Versicherung eines Dritten muss (vom Prozessbevollmächtigten) qualifiziert signiert bzw. (vom Prozessbevollmächtigten) einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.

    5. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit als Voraussetzung einer wirksamen Ersatzeinreichung muss nicht im Moment des Fristablaufs vorliegen. Bei wirksamer Ersatzeinreichung sind weitere Versuche einer Übermittlung als elektronisches Dokument bis zum Fristablauf obsolet.

    6. Erfolgt jedoch keine Ersatzeinreichung und wird die Frist versäumt, bestehen nach der im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags weiterhin anwendbaren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum "vorschnellen Aufgeben" von Übermittlungsversuchen erhöhte Sorgfaltspflichten, wenn die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wird.


    In der Rechtssache
    - Kläger/Berufungskläger -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Beklagte/Berufungsbeklagte -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den
    Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Bader ohne mündliche Verhandlung am 10.04.2025
    beschlossen:

    Tenor: I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.01.2025 - 21 Ca 5106/23 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. II. Die Revisionsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.

    Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.01.2025 abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30.01.2025 zugestellt. Die Berufungsschrift des Klägers, datierend auf den 28.02.2025, wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.03.2025 um 13:41 Uhr qualifiziert elektronisch signiert und über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) an das Landesarbeitsgericht versandt. Sie ging am 03.03.2025 um 13:42 Uhr beim Landesarbeitsgericht ein.

    Bereits im Rahmen der gerichtlichen Eingangsverfügung vom 04.03.2025 wurde die Klägerseite darauf hingewiesen, dass gemäß § 222 Abs. 1 ZPO iVm. § 188 Abs. 3 BGB die Frist zur Berufungseinlegung bereits am 28.02.2025 abgelaufen ist. Mit weiterer Verfügung vom 09.03.2025 wies der Vorsitzende darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen und räumte die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Mit Schriftsatz vom 14.03.2025, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nochmals Berufung ein und beantragte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

    Der Kläger führt zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags im Wesentlichen folgendes aus:

    Die Fristversäumung sei schuldlos erfolgt, weil technische Ursachen eine fristgerechte Einreichung der Berufungsschrift unmöglich gemacht hätten. Sein Prozessbevollmächtigter habe am Freitag, den 28.02.2025, um 13:25 Uhr die Berufungsschrift gefertigt und zum Versand per beA in das elektronische Postfach des Anwaltsprogramms A. elektronisch übergeben. Zunächst seien um ca. 17:00 Uhr, als der Prozessbevollmächtigte alle an diesem Tag gefertigten Schriftsätze habe versenden wollen, softwarebedingte Probleme bei dem Versand der Berufungseinlegung per beA aufgetreten. Fehlermeldungen hätten besagt, dass die Übermittlung per beA derzeit nicht erfolgen könne. Der technische Administrator, Herr B., habe telefonisch mitgeteilt, dass Abhilfe wahrscheinlich nur ein Update von A. schaffe, das erst am darauffolgenden Montag aufgespielt werden könne. Sodann sei vom Prozessbevollmächtigten versucht worden, den Schriftsatz über das BRAK-Portal via Internet zu versenden. Dabei sei das gesamte EDV-System zusammengebrochen, es habe einen Totalabsturz gegeben. Der Kanzleiserver sei erst am 03.03.2025 wieder einsatzfähig gewesen. Aufgrund des Totalabsturzes sei auch eine Einreichung per Fax nicht möglich gewesen, weil der Faxversand ebenfalls per Internet über den Provider p. erfolge. Nachdem gegen 18:00 Uhr am 28.02.2025 nochmals erfolglos versucht worden sei, Herrn B. zu erreichen, seien alle Möglichkeiten zur fristgerechten Einreichung ausgeschöpft gewesen.

    Erst am 03.03.2025 habe Herr B. das EDV-System wieder in Gang gesetzt, das Update von A. installiert und den Zugang zum Internet wiederhergestellt.

    Der Beklagten wurde rechtliches Gehör zum Wiedereinsetzungsantrag gewährt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Darlegung des technischen Defekts durch die Klägerseite sei unzureichend erfolgt. Zudem hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 28.02.2025 um 18:00 Uhr noch die Möglichkeit gehabt, die Berufungsschrift in den Nachtbriefkasten des Landesarbeitsgerichts einzuwerfen. Die Fahrtzeit vom Sitz der Kanzlei hätte weniger als zwei Stunden betragen.

    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die nach § 64 Abs. 2 Buchst. b) ArbGG statthafte Berufung ist unzulässig und war daher gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG zu verwerfen. Die Berufungsschrift ist nicht fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingegangen (I.). Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Vortrag seines Prozessbevollmächtigten lässt nicht erkennen, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert war (II.).

    I.

    Der Kläger hat die Berufungsfrist versäumt.

    Nach §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 ZPO ist die Berufung innerhalb der gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit der Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils beginnenden einmonatigen Berufungsfrist einzulegen.

    Da ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses das Urteil des Arbeitsgerichts dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30.01.2025 zugestellt worden ist, lief gemäß § 188 Abs. 2 und 3 BGB iVm. § 222 ZPO die Frist zur Berufungseinlegung am 28.02.2025 (Freitag) ab. Die Berufungsschrift ging indes erst am 03.03.2025 (Montag) beim Landesarbeitsgericht ein.

    II.

    Dem Kläger war auch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen, weil er die Frist zur Berufungseinlegung entgegen § 233 ZPO durch ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das seinem Verschulden gleichsteht (§ 85 Abs. 2 ZPO), versäumt hat.

    1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist ist zulässig. Er ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das (vermeintliche) Hindernis, das der fristgerechten Einreichung entgegenstand, fiel am 03.03.2025 weg. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ging am 14.03.2025 bei Gericht ein. Sowohl die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO als auch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO wurden mithin gewahrt.

    2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

    a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihren Prozessbevollmächtigten verschuldet war (BGH 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 - Rn. 42; LAG Baden-Württemberg 07.08.2023 - 10 Sa 24/23 - Rn. 42 f).

    Die Partei muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 236 Abs. 2 ZPO). Dabei verlangt ein auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt", "Computer-Absturz" oder "technische Probleme" gestützter Wiedereinsetzungsantrag zwingend nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (BGH 01.03.2023 - XII ZB 228/22 - Rn. 13; 17.05.2004 - II ZB 22/03 - NJW 2004, 2525, 2526; LAG Schleswig-Holstein 08.04.2021 - 1 Sa 358/20 - Rn. 14). Dies gehört bei technischen Störungen zu der erforderlichen, aus sich heraus verständlichen und geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergeben muss, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht (vgl. BAG 16.10.2024 - 4 AZR 254/23 - Rn. 14 mwN).

    Seit Beginn der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte (§ 46g ArbGG) gehört zu dieser Darlegung grundsätzlich auch die Schilderung, warum eine Ersatzeinreichung gemäß § 46g Satz 3 ArbGG unmöglich oder unzumutbar gewesen sein soll (BAG 16.10.2024 - 4 AZR 254/23 - Rn. 17 ff). Denn die (fristwahrende) Ersatzeinreichung geht dem Wiedereinsetzungsantrag (bei Fristversäumung) vor. Die Versäumung einer Notfrist erfolgt in aller Regel schuldhaft, wenn von zumutbaren Möglichkeiten einer Ersatzeinreichung kein Gebrauch gemacht wird (BAG a.a.O.; BGH, 01.03.2023 - XII ZB 228/22, Rn. 19; Horcher, in: GK-ArbGG, Stand: 01.12.2024, § 46g ArbGG, Rn. 44).

    b) Ausgehend hiervon besteht nach den vom Kläger glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet war.

    aa) Es ist schon fraglich, ob die Darlegungen zum Ausfall der Kanzleisoftware A. hinreichend im Sinne der oben genannten Rechtsprechung sind.

    Denn insoweit hat der Kläger es zwar nicht damit bewenden lassen, pauschal vorzutragen, die Software sei ausgefallen. Er hat vielmehr, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, immerhin erläutert, dass es zu einer bestimmten Fehlermeldung beim Versand gekommen sei und der Fehler nur durch ein Update der Software A. behoben werden konnte. Der IT-Administrator des Prozessbevollmächtigten des Klägers, Herr B., hat in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung zudem bestätigt, dass er das Problem erst am 03.03.2025 mittels eines Updates habe lösen können.

    Dennoch sind die schriftsätzlichen Ausführungen und die Angaben in der eidesstattlichen Versicherung betreffend den Softwarefehler und seine Behebung sehr allgemein gehalten und hierdurch für das Gericht schwer nachzuvollziehen. Die Rede ist pauschal von "schwerwiegende[n] technische[n] Probleme[n]" bei Verwendung von A., die "Software [sei] aufgrund eines Fehlers nicht korrekt ausgeführt" worden und ein "Update [sei] aufgrund der technischen Anforderungen" erst am folgenden Montag möglich gewesen.

    Zudem ist die eidesstattliche Versicherung des Herrn B. weder im schriftlichen Original zur Gerichtsakte gereicht worden (vgl. dazu BR-Drucks. 126/24 S. 61) noch hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers von der durch § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die eidesstattliche Versicherung (vom Prozessbevollmächtigten) qualifiziert signiert bzw. (vom Prozessbevollmächtigten) einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg einzureichen. Die eidesstattliche Versicherung des Herrn B. wurde vielmehr lediglich als einfache Anlage zum Wiedereinsetzungsantrag per beA beim Landesarbeitsgericht eingereicht. Dies ist nach § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG unzureichend. § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG verweist auf Satz 1 und nicht auf die erleichterten Voraussetzungen für Anlagen nach Satz 2 von § 46c Abs. 3 ArbGG.

    bb) Letztlich kann aber dahinstehen, ob man eine hinreichende Darlegung und Glaubhaftmachung betreffend den Softwarefehler von A. bejaht. Denn jedenfalls kann dies hinsichtlich des nachfolgenden Ausfalls der EDV-Anlage und des Internets nicht angenommen werden. Insoweit ist schriftsätzlich lediglich vorgetragen, das "gesamte EDV-System [sei] zusammengebrochen", es habe einen "Totalabsturz" gegeben. Weder wird aus sich heraus verständlich geschildert, wie sich dieser komplette Systemabsturz konkret dargestellt hat noch wird im Einzelnen erläutert, was zu seiner Behebung - außer dem Versuch eines weiteren Anrufs bei Herrn B. - vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unternommen worden ist.

    Auch in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung äußert sich Herr B. ausschließlich zur Problematik mit A. und der Behebung dieses Fehlers mittels eines Updates am Montag, den 03.03.2025. Zu Ursache und Behebung des hiervon verschiedenen "Totalabsturzes" der EDV-Anlage und des Internets finden sich keine Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung.

    Die Darlegung und Glaubhaftmachung dieses technischen Problems und seiner Behebung sind danach unzureichend im Sinne der o.g. höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgt (BGH 01.03.2023 - XII ZB 228/22 - Rn. 13; 17.05.2004 - II ZB 22/03 - NJW 2004, 2525, 2526). Es kann daher nicht hinreichend ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet war.

    cc) Es waren schließlich auch nachvollziehbare Darlegungen zum "Totalabsturz" der EDV-Anlage und des Internets erforderlich, die (unterstellte) hinreichende Darlegung eines unverschuldeten Problems mit der Kanzleisoftware A. ist aus zweierlei Gründen ungenügend: Erstens muss ein Rechtsanwalt bei Ausfall "nur" seiner Kanzleisoftware auf die beA-Webanwendung zurückgreifen (1.). Zweitens muss er eine Ersatzeinreichung mittels Fax over IP (FoIP) vorrangig versuchen, sofern - wie hier - diese Möglichkeit in der Kanzlei vorhanden ist (2.).

    (1) Nach herrschender Ansicht in der Literatur ist noch nicht einmal eine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung iSv. § 46g Satz 3 ArbGG mit der Folge der Möglichkeit einer (vorrangigen) Ersatzeinreichung anzunehmen, wenn "nur" die Kanzleisoftware ausgefallen ist (Tiedemann in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Auflage 2024, § 46g ArbGG, Rn. 14; Wörl in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 46g ArbGG 1. Überarbeitung (Stand: 09.04.2025), Rn. 46; Siegmund NJW 2021, 3617, 3618; Kulow NJW 2021, 2308, 2310; Herberger, FF 2023, 389, 397; in diese Richtung auch Lapp RDi 2023, 471 Rn. 38; differenzierend danach, ob die beA-Weboberfläche bereits genutzt wurde Müller RDi 2022, 39 Rn. 17; unklar Biallaß, einerseits wie hM in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO (Stand: 14.04.2023), Rn. 56; anders wohl in NJW 2023, 25 Rn. 10).

    Diese herrschende Literaturansicht ist zutreffend. Über einen Zugriff auf die beA-Webanwendung verfügt jeder Rechtsanwalt (Biallaß NJW 2023, 25 Rn. 10). Die Software zur Nutzung der beA-Webanwendung (Client Security) stellt die BRAK für jeden Rechtsanwalt bereit, die Kosten sind mit der Umlage zum beA bereits bezahlt (Lapp RDi 2023, 471 Rn. 6). Schon zur Erstregistrierung im beA wird der Client Security zwingend benötigt (https://handbuch.bea-brak.de/einrichtung-von-bea/registrieren- und-anmelden/registrieren/registrieren-mit-eigenem-postfach; zuletzt abgerufen am 10.04.2025; Degen/Emmert Elektron. Rechtsverkehr/Degen/Emmert, 2. Aufl. 2021, § 2 Rn. 97). Anschließend kann über die beA-Webanwendung auch ohne jegliche Anwaltssoftware am elektronischen Rechtsverkehr teilgenommen werden (Degen/Emmert a.a.O. Rn. 95). Über dieses Wissen muss ein Rechtsanwalt knapp sieben Jahre nach Einführung des beA und über drei Jahre nach Einführung der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs verfügen. Grundsätzlich ist es Aufgabe jeden Einreichers, sich mit den von ihm genutzten und zur Verfügung stehenden technischen Einrichtungen vertraut zu machen (vgl. Biallaß NJW 2023, 25 Rn. 10 mwN).

    Eine Pflicht zur Nutzung der beA-Webanwendung vor der Ersatzeinreichung bei bloßem Ausfall der Kanzleisoftware kann auch nicht mit dem Argument verneint werden, aktiv Nutzungspflichtige müssten generell keinen zweiten elektronischen Übermittlungsweg vorhalten (so wohl Biallaß NJW 2023, 25 Rn. 10; anders dieselbe in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO (Stand: 14.04.2023), Rn. 56). Denn es trifft zwar zu, dass es keine berufsrechtliche oder prozessuale Verpflichtung gibt, technische Komponenten redundant vorzuhalten, um eine Ersatzeinreichung in jedem Fall zu vermeiden (Lapp RDi 2023, 471 Rn. 37). Aus diesem Grund müssen auch nicht zwingend zwei Übermittlungswege ständig vorgehalten werden, um notfalls auf den "Reservefallschirm" zurückgreifen zu können (Natter/Bader NZA 2024, 165, 167; HK-ArbGG/Natter, 3. Aufl. 2025, ArbGG § 46g Rn. 20 mwN; Horcher, in: GK-ArbGG, Stand: 01.12.2024, § 46g ArbGG, Rn. 29). Stehen aber einem Einreicher nach seiner Wahl zwei vorhandene und tatsächlich eingerichtete Übermittlungswege offen, etwa ein persönlicher (beA) und ein Übermittlungsweg der Organisationseinheit, der er angehört (eBO), so darf er nicht schon dann die Papierform wählen, wenn technische Probleme bei einem dieser Übermittlungswege auftreten (Natter/Bader a.a.O. zum Verbandssyndikusrechtsanwalt). Die tatsächlich vorhandene Redundanz technischer Systeme muss bekannt sein und im Bedarfsfall genutzt werden (vgl. konkret zur beA-Webanwendung Lapp RDi 2023, 471 Rn. 38).

    Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei der beA-Webanwendung gar nicht um einen separaten sicheren Übermittlungsweg iSv. § 46c Abs. 4 Satz 1 ArbGG handelt, sondern vielmehr um die seitens der BRAK systemseitig vorgesehene technische Möglichkeit, den für Rechtsanwälte gemäß § 31a BRAO zwangsweise eingerichteten sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ArbGG ohne eine weitere (kostenpflichtige) Softwarekomponente zu nutzen (vgl. https://www.brak.de/anwaltschaft/bea-erv/ zuletzt abgerufen am 10.04.2025). Der zusätzliche Einsatz einer Kanzleisoftware mag zur technischen Professionalisierung der Kanzlei sinnvoll sein (vgl. Müller ZInsO 2025, 671, 675). Erforderlich zur Nutzung des sicheren Übermittlungswegs ist eine Kanzleisoftware wegen der Webanwendung als Basiskomponente des beA indes nicht.

    Nach seinen Ausführungen war dem Prozessbevollmächtigten des Klägers diese naheliegende Möglichkeit auch tatsächlich bekannt. Er hat danach versucht, einen Versand über die beA-Webanwendung vorzunehmen. Aufgrund der unzureichenden Darlegungen zum "Totalabsturz" der EDV-Anlage und des Internets kann aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass der Misserfolg bei Nutzung der beA-Webanwendung und damit die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet war.

    Wenn - wie gezeigt - bereits eine vorrangige fristgerechte Ersatzeinreichung nach § 46g Satz 3 ArbGG ausscheidet, weil hinreichende Darlegungen zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit allenfalls betreffend die Versendung mittels Kanzleisoftware erfolgt sind, dann kommt die nachrangige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung erst recht nicht in Betracht. Dies korrespondiert mit dem allgemeinen Grundsatz, dass bei drohender Fristversäumung auch ein anderer als der zunächst gewählte Übermittlungsweg versucht werden muss, wenn dieser andere Weg sich aufdrängt und der hierfür erforderliche Aufwand geringfügig ist (BGH 08.03.2022 - VIII ZB 45/21, Rn. 23; Horcher, in: GK-ArbGG, Stand: 01.12.2024, § 46g ArbGG, Rn. 29). Jedenfalls dies ist im Hinblick auf die beA-Webanwendung anzunehmen (weitergehend LG Frankfurt 21.10.2024 - 2-23 O 200/24 - Rn. 20, wonach ein Rechtsanwalt sich auf eine Fehlermeldung der eingesetzten Kanzleisoftware generell nicht verlassen darf, sondern über die beA-Webanwendung überprüfen muss, ob der Versandvorgang tatsächlich fehlgeschlagen ist).

    (2) Hinzu kommt, dass die - wie gezeigt - unzureichende Darlegung des "Totalabsturzes" der EDV-Anlage und des Internets nicht nur die Einreichung per beA-Webanwendung betrifft, sondern auch die vorrangige Ersatzeinreichung per Fax.

    Nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nutzt die Kanzlei den Provider p. zum Faxversand per Internet (FoIP). Dies stellt zweifellos eine vorrangig zu nutzende, zumutbare Form der Ersatzeinreichung dar, ohne dass es darauf ankäme, ob angesichts der Entfernung des Kanzleisitzes zum Gerichtsort auch ein persönlicher Einwurf der Berufungsschrift zumutbar gewesen wäre (dazu BAG 16.10.2024 - 4 AZR 254/23 - 23 ff).

    Aufgrund der Pauschalität der Beschreibung des technischen Fehlers, der die Ersatzeinreichung auch per FoIP unmöglich gemacht haben soll, kann auch insoweit nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet war.

    dd) Dahinstehen konnte nach alledem die Beantwortung der Frage, ob ein Rechtsanwalt dann, wenn er über ein beA-Softwarezertifikat und ein (dienstliches) mobiles Endgerät verfügt, jedenfalls bei drohendem Fristablauf notfalls auch auf die beA-App zurückgreifen muss (dazu https://handbuch.bea-brak.de/weitere-themen/bea-app-fuer-mobile-geraete, zuletzt abgerufen am 10.04.2025). Genauso konnte dahinstehen, ob ein Rechtsanwalt bei einem Internetausfall vorrangig einen mobilen Hotspot mittels seines (dienstlichen) Smartphones herstellen muss (dies bejahend bereits im Rahmen der Ersatzeinreichung Horcher, in: GK-ArbGG - § 46g ArbGG, Rn. 28; Tiedemann in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Auflage 2024, § 46g ArbGG, Rn. 14; bejahend jedenfalls bei mehrwöchigem Internetausfall OVG Nordrhein-Westfalen, 06.07.2022 - 16 B 413/22 - Rn. 9; differenzierend nach der Ausfalldauer H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130a ZPO (Stand: 04.04.2025), Rn. 411_1.).

    Schließlich konnte auch unentschieden bleiben, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übersendungsversuche am 28.02.2025 um 18:00 Uhr vorschnell aufgegeben hat. Nach der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum "vorschnellen Aufgeben" beim Telefax besteht eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wenn die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wird (zum Ganzen Mantel, ArbRB 2023, 188, 189 mwN; BGH 26.08.2021 - III ZB 9/21). Es liegt deshalb nicht fern anzunehmen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorliegend am letzten Tag der Frist auch nach 18:00 Uhr noch hätte versuchen müssen, ob die (nicht näher beschriebenen) Störungen von Internet und Kanzlei-EDV weiterhin vorliegen oder eine Übermittlung nun doch möglich ist.

    Der Kläger irrt, wenn er meint, die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (19.12.2024 - IX ZB 41/23) bestätige, dass er seine Bemühungen um 18:00 Uhr habe einstellen dürfen. Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung lediglich zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Prozessbevollmächtigter, der wegen vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Einreichung eines elektronischen Dokuments die Ersatzeinreichung veranlasst hat, dann nicht gehalten ist, sich bis zur tatsächlichen Vornahme der Ersatzeinreichung weiter um eine elektronische Übermittlung des Dokuments zu bemühen (BGH a.a.O. - Leitsatz 1). Die vorübergehende technische Unmöglichkeit als Voraussetzung einer wirksamen Ersatzeinreichung muss danach nicht im Moment des Fristablaufs vorliegen. Bei wirksamer Ersatzeinreichung sind weitere Versuche einer Übermittlung als elektronisches Dokument bis zum Fristablauf obsolet.

    Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber gerade keine (fristwahrende) Ersatzeinreichung erfolgreich vorgenommen, sondern am 28.02.2025 um 18:00 Uhr jegliche Versuche der fristgerechten Einreichung eingestellt. Im Rahmen der Wiedereinsetzung bei versäumter Frist gilt indes ein strenger Maßstab als bei der Ersatzeinreichung. Die Wiedereinsetzung und die Ersatzeinreichung haben einen unterschiedlichen Sinn und Zweck. Die Wiedereinsetzung soll helfen, wenn eine Frist unverschuldet versäumt wurde. Die Ersatzeinreichung hingegen ist verschuldensunabhängig. Sie soll trotz technischer Störung eine Möglichkeit eröffnen, Dokumente zu versenden und Fristen einzuhalten (Mantel, ArbRB 2023, 188, 190). Die Rechtsprechung zum "vorschnellen Aufgeben" bezieht sich - anders als die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.12.2024 (IX ZB 41/23) - auf den hier vorliegenden Fall der Fristversäumnis und findet im Rahmen eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiterhin Anwendung.

    III.

    1. Die Entscheidung konnte gemäß §§ 522 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Vorsitzenden ergehen. Dies gilt auch für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (LAG Baden-Württemberg 12.03.2020 - 17 Sa 12/19 - Rn. 30 mwN).

    2. Der Kläger trägt als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

    3. Die Revisionsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 77 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Wäre allein die Frage der Verpflichtung zur Nutzung der beA-Webanwendung bei Ausfall der Kanzleisoftware entscheidungserheblich, käme eine Zulassung der Revisionsbeschwerde zwar in Betracht. Indes ist der Vorrang der Ersatzeinreichung vor der Wiedereinsetzung höchstrichterlich bereits geklärt. Zudem fehlen - wie gezeigt - vorliegend auch hinreichende Darlegungen der Klägerseite zur Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Nutzung des vorhandenen FoIP-Dienstes.

    Dr. Bader

    Vorschriften§ 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 3 BGB, § 64 Abs. 2 Buchst. b) ArbGG, §§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 188 Abs. 2, 3 BGB, § 222 ZPO, § 233 ZPO, § 85 Abs. 2 ZPO, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 234 Abs. 3 ZPO, § 236 Abs. 2 ZPO, § 46g ArbGG, § 46g Satz 3 ArbGG, § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG, § 46c Abs. 3 ArbGG, § 46c Abs. 4 Satz 1 ArbGG, § 31a BRAO, § 46c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ArbGG, §§ 522 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO, §§ 77 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG